Ihr Kleinkind verstehen

Mutter mit Kleinkind auf dem Schoß
Thinkstock

Die Balance zwischen Abhängigkeit und Unabhängigkeit

Ein Kleinkind ist kein Baby mehr und fühlt sich auch nicht mehr wie eine Verlängerung der Mutter, die als "Kopf" das Leben lenkt und kontrolliert und in deren Gesichtsausdruck das Baby sich und die Welt erkennt.

Aber ein Kleinkind ist auch noch kein Kind. Es versteht noch nicht, dass Sie ein Mensch mit eigenen Rechten sind, die man respektieren oder missachten kann. Sein Gehirn ist noch nicht weit genug entwickelt, weshalb es sich noch nicht in andere hineinversetzen kann. Es versteht nur seine eigene Perspektive und nicht, weshalb andere Menschen andere Ansichten oder Bedürfnisse haben könnten. Es kann noch keine Verantwortung übernehmen.

Ihr Kleinkind hat gerade erst angefangen zu verstehen, dass Sie beide separate Personen sind - und in seiner Welt ist das noch lange keine verinnerlichte Selbstverständlichkeit.

Manchmal verteidigt Ihr Kleines jetzt seine gerade gefundene Individualität und schreit "Nein!" und "Lass mich!" Ihr Kind kämpft vehement gegen Ihre Kontrolle an und kämpft dabei auch jedes Mal gegen seine eigene Hilfsbedürftigkeit. Die neu entdeckte Eigenständigkeit, der eigene Wille, ist gerade so wertvoll, dass Ihr Kind Einschränkungen häufig nicht akzeptieren kann.

Aber manchmal hängt Ihr Kind auch sprichwörtlich an Ihrem Rockzipfel, weint, wenn Sie den Raum verlassen, streckt Ihnen die Arme entgegen, um auf den Arm genommen zu werden, und sperrt den Mund auf, damit Sie es füttern.

Dieses Hin-und-Hergerissensein Ihres Kindes mag Sie verwirren, für Ihr Kleines ist es eine schmerzvolle Zeit. Zwar versteht Ihr Kind langsam, dass es eine eigenständige Person ist, trotzdem fühlt es sich immer noch sicherer an, ein Teil von Ihnen zu bleiben. Ihr Kind kämpft darum, selbstständig zu handeln und seine Freiheit zu erobern- und gleichzeitig macht genau das ihm manchmal Angst, weil es so an Ihnen hängt.

Die Aufgabe für Ihr Kind heißt jetzt, Vorlieben und Abneigungen zu entwickeln und diese auch dann noch zu verteidigen, wenn sie mit Ihren Interessen kollidieren. Doch dieser Konflikt scheint Ihrem Kind unglaublich gefährlich: Es liebt niemanden auf der Welt so wie Sie - und ist von Ihrer uneingeschränkten Liebe abhängig.

In Sachen Entwicklung stehen bei Ihrem Kind alle Zeiger auf "Unabhängigkeit" und die kollidieren dabei mit der emotionalen inneren Uhr Ihres Kindes, denn die tickt "lieben und geliebt werden".

Wenn Sie erwarten, dass Ihr Kleinkind bleibt, was es war - ein vergleichsweise gehorsames Baby - dann muss Ihr Kind zwangsläufig mit Ihnen aneinander geraten. Es braucht Ihre Liebe und Anerkennung, aber Ihr Kind spürt die innere Notwendigkeit, heranzuwachsen, und es möchte und sollte für Ihre Liebe nicht den Preis von zu großer Abhängigkeit zahlen.

Wenn Sie erwarten, dass Ihr Kleines über Nacht vernünftig wird (das braucht Zeit!), dann wird es sich unzulänglich fühlen. Ihr Kleinkind braucht Ihre Hilfe und Ihren Trost. Es braucht Verständnis, wenn es „unvernünftig“ handelt und mal wieder ausrastet. Diese Ausraster sind kein böser Wille – Ihr Kind steht diesen starken Gefühlen selbst hilflos gegenüber und braucht dann liebevolle Begleitung statt wütendem Schimpfen.

Gleichzeitig ist es wichtig, dass Sie ihm, wann immer möglich, Freiräume und eigene Entscheidungen zugestehen – sonst provozieren Sie Ihr Kind, aufmüpfig zu werden. Haben Sie Geduld und erwarten Sie keine Entwicklung über Nacht, sonst wird Ihr Schatz weinerlich.

Den Mittelweg finden

Es gibt einen Mittelweg: Ihr Kind kann auf eigene Faust Abenteuer wagen und dabei dennoch geschützt und von Ihnen behütet sein. Ihr Kind kann sich ausprobieren, doch die Niederlagen werden abgefedert.

Ein Mittelweg, der einen festen Rahmen für das Verhalten Ihres Kindes festlegt, der aber gleichzeitig gepolstert ist, so dass Ihr Kleinkind innerhalb der Abmachung seine wachsende Unabhängigkeit ausprobieren kann, ohne sich dabei zu viele blaue Flecken einzuhandeln.

Um diesen Mittelweg zu finden, müssen Sie ein paar Dinge über die Entwicklung Ihres Kleinkindes wissen, die nicht offensichtlich sind. Lassen Sie sich nicht von vordergründigen Anzeichen täuschen! Ihr zwei Jahre altes Kind wirkt äußerlich oft viel älter, als es wirklich ist. Es läuft, spricht und spielt fast wie ein dreijähriges Kind. Aber sein inneres Verständnis und seine Erfahrungen sind noch lange nicht soweit.

Behandeln Sie Ihr Kind wie ein kleines Baby, dann bremsen Sie seine Entwicklung: Ihr Kind muss dazulernen. Es muss neue Erfahrungen machen. Behandeln Sie Ihr Kind aber wie ein Vorschulkind, setzen Sie es unter immensen Druck: Es braucht Ihre Hilfe, um dazuzulernen. Neue Erfahrungen müssen für Ihr Kind machbar und zu bewältigen sein.

Aus Erfahrung lernen

Natürlich kann sich Ihr Kleinkind schon Dinge merken. Es kann sich zum Beispiel vermutlich so gut wie Sie an Menschen, Plätze, Lieder und Gerüche erinnern. Aber andere Dinge kann es sich noch nicht so gut merken.

Als Baby - das ein Babyleben führt - war dies weder notwendig noch besonders offensichtlich. Aber jetzt, wo Ihr Kind sich den Aufgaben eines Kleinkindes zuwendet, ist es notwendig und durchaus offensichtlich. Ein Beispiel: Tag für Tag stolpert Ihr Kind über die Stufe zwischen der Küche und dem Wohnzimmer.

Und Sie ärgern sich und sorgen sich zugleich wegen der vielen Beulen am Kopf Ihres Kindes: Wie oft muss das noch passieren, bis es endlich dazugelernt hat? Ihr Kind wird dazulernen. Aber das braucht Zeit. Ihr Kleines kann sich diese dumme Stufe einfach nicht merken - bis wiederholte Erfahrung sie in sein Gedächtnis geschrieben hat. Und da sind oft so einige Wiederholungen nötig, einfach, weil ihr Kleinkind noch so abgelenkt und ungestüm ist.

Als Ihr Kleinkind noch ein Baby war, mussten Sie es davor bewahren, überhaupt hinzufallen. Später werden Sie Ihr Kind einfach nur auf die Stufe aufmerksam machen müssen. Aber jetzt sorgen Sie dafür, dass die Erfahrung für Ihr Kleinkind nicht zu schmerzhaft ist. Sie sollten die Stelle gut abpolstern und Ihr Kind immer wieder an die Stufe erinnern - ohne aber zu schimpfen oder ihr Kind lächerlich zu machen.

Vorausdenken lernen

Ihr Kind kann sich vergangene Dinge noch nicht so gut merken - genauso hat es noch Schwierigkeiten vorauszudenken. Ihr Kleinkind kann voraussagen, dass Sie jetzt zur Arbeit gehen, weil Sie den Aktenkoffer in der einen Hand tragen. Aber es kann noch nicht sagen, was passiert, wenn es sich in einer bestimmten Weise verhält.

Wenn Ihr Kleines die Leiter hochkommt, dann wird es das auch tun, ohne sich vorher zu überlegen, wie es danach wieder runter geht. Meist sind es Gedächtnisschwierigkeiten kombiniert mit der Unfähigkeit vorauszudenken, die Kinder in Schwierigkeiten bringen.

Immer wieder haben Sie Ihrem Kind gesagt, dass es nicht auf die Knöpfe am Fernseher drücken soll. Aber wenn sich Ihr Kleines dem Fernseher das nächste Mal nähert, hat es Ihre Ermahnung schon wieder vergessen und auch die Ahnung einer Standpauke ist nicht stark genug, um Ihr Kind von den Knöpfen fern zu halten. Diese Knöpfe müssen einfach gedrückt werden. Sie besitzen magische Anziehungskraft! Für Ihr Kind ist alles noch so neu und aufregend!

Und das ist auch der Grund, warum Ihr Kleinkind auf nichts warten kann: Es kann nicht vorausdenken. Wenn Ihr Kind etwas will, dann sofort. Und deshalb ertönt schon lautstarkes Geschrei, während Sie doch gerade die Verpackung vom Eis abmachen. Auf etwas zu warten, ist schwierig für Ihr Kind.

Noch schwieriger ist es, eine kleine Unannehmlichkeit jetzt hinzunehmen, damit es ihm später besser geht. Und deshalb brüllt Ihr Kind zuerst vor lauter Unglück über die klebrigen Eisreste in seinem Gesicht und bekämpft dann trotzdem den Waschlappen, mit dem Sie die klebrigen Reste entfernen wollen. Die meiste Zeit lebt Ihr Kind nur im Jetzt.

Gefühle wahrnehmen lernen

Ihr Kleinkind denkt noch sehr einfach und das kann zu Schwierigkeiten in der Interaktion mit anderen Menschen führen. Ihr Kind liebt Sie. Jeder, der Sie kennt, sagt Ihnen, dass Ihr Kind Sie liebt. Auch Ihr Kleines sagt und zeigt es Ihnen. Und wenn es Sie über beide Ohren anlacht, Sie voller Inbrunst umarmt, wenn es Sie konspirativ anlächelt oder stillvergnügt in sich hineingluckst, dann spüren Sie es auch.

Trotzdem verhält sich Ihr Kind Ihnen gegenüber vermutlich sehr selten "liebevoll", so wie Erwachsene es verstehen. Es kann sich noch nicht in Ihre Lage hineinversetzen und die Welt durch Ihre Augen sehen. Ihr Kind hasst es, Sie weinen zu sehen. Aber es kann noch nicht verstehen, warum genau Sie traurig sind oder warum jemand anders fühlt als es selbst.

Ihr Kind muss sich auch noch nicht mit den Gefühlen anderer Menschen auseinandersetzen. Es muss erst einmal lernen, die eigenen Gefühle zu verstehen. Wenn Ihr Kind Sie beißt und Sie beißen zurück, um "zu zeigen, wie sich das anfühlt", dann wird es vor Wut brüllen und völlig enttäuscht darüber sein, dass Sie ihm absichtlich weh tun! Ihr Kind kann keine Verbindung zwischen seiner Aktion und Ihrer Reaktion, zwischen seinen und Ihren Gefühlen herstellen.

Wenn Sie Ihr Kleinkind verstehen wollen, dann müssen Sie verstehen, wie sich sein Denken entwickelt. Erst wenn die Denkprozesse heranreifen, fügen sich widersprüchliche Emotionen und irreführende Fähigkeiten zu einem vernünftigen Ganzen zusammen und lassen sich lenken - dann sprechen wir von einem "Kind".

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