Scharia

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Die Scharia (arabisch شريعة, DMG šarīʿa im Sinne von „Weg zur Tränke, Weg zur Wasserquelle, deutlicher, gebahnter Weg“; auch: „religiöses Gesetz“, „Ritus“), abgeleitet aus dem Verb arabisch شرع, DMG šaraʿa, „den Weg weisen, vorschreiben“, auch Scharīʿa geschrieben, ist das religiöse Gesetz des Islam.[1]

Definition[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Der Begriff Scharia bezeichnet das islamische Recht; es enthält die Gesamtheit der Gesetze, die in einer islamischen Gesellschaft zu beachten und zu erfüllen sind. „Die Scharia basiert auf dem Koran und auf der sich ab der Mitte des 7. Jahrhunderts herausbildenden Überlieferung vom normsetzenden Reden und Handeln Mohammeds.“[2] Dabei ist die Scharia keine fixierte Gesetzessammlung (wie etwa deutsche Gesetzestexte im Bürgerlichen Gesetzbuch oder im Strafgesetzbuch), sondern eine Methode und Methodologie der Rechtsschöpfung.[3] Das islamische Gesetz regelt sowohl die kultischen und rituellen Vorschriften العبادات / al-ʿibādāt / ‚gottesdienstliche Handlungen‘ des Menschen als auch seine Beziehungen zu seinen Mitmenschen al-muʿāmalāt / المعاملات / ‚gegenseitige Beziehungen‘. Das Gesetz achtet darauf, dass die religiösen Verpflichtungen des Einzelnen gegenüber Gott erfüllt werden und alle Beziehungen des Einzelnen zu seinen Mitmenschen – Vermögensrecht, Familien- und Erbrecht, Strafrecht unter anderem – stets diesen Verpflichtungen entsprechen. Um Glaubensfragen im engeren Sinne kümmert sich die Scharia nicht. Der Muslim hat das islamische Recht mit seinen Bestimmungen und Widersprüchen kritiklos zu akzeptieren. Das Forschen nach der Bedeutung und inneren Logik der göttlichen Gesetze ist nur zulässig, soweit Gott selbst den Weg dazu weist. Somit ist die religiöse Wertung aller Lebensverhältnisse die Grundtendenz der Scharia.[4]

Unter Fiqh versteht man dagegen die Gesetzeswissenschaft im Islam, deren Gegenstand die Scharia ist. Es entspricht der iuris prudentia (Rechtswissenschaft) der Römer und erstreckt sich auf alle Beziehungen des religiösen, bürgerlichen und staatlichen Lebens im Islam. Die religiösen Gesetze werden in den Büchern des Fiqh dargelegt und erörtert. Ein in europäischem Sinne festgelegtes „Familienrecht“, „Erbrecht“, „Strafrecht“ – oder andere – kennt das islamische Rechtssystem nicht. Ihre Darstellung ist den Rechtsschulen in ihren Fiqh-Büchern, mit teilweise deutlich kontroversen Rechtsauffassungen, vorbehalten.

Der Unterschied zwischen Scharia und Fiqh ist wesentlich. Scharia ist gottgegebenes Recht, offenbart in Koran und Sunna, in den Grundzügen und als Werteordnung gültig für alle Zeiten und Orte. Hingegen ist das Rechtssystem Fiqh, das aus der Scharia abgeleitet wird, als menschengemacht anerkannt und daher veränderlich und bietet Spielraum für Kontroversen. Fiqh ist kein starres Rechtssystem, das unwandelbar alle Zeiten überlebt hat und an allen Orten gültig ist. Islamwissenschaftler, Arabisten und Ethnologen (beispielsweise Gudrun Krämer[5], Thomas Bauer[6], Ingrid Thurner[7]) betonen immer wieder, dass Meinungspluralismus keineswegs in Widerspruch zur Scharia stehe.

Bedeutung[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Der Begriff Scharia hat seinen Ursprung im Koran. Erwähnt wird er dort jedoch nur an einer einzigen Stelle: Sure 45, Vers 17, wo er ursprünglich den Pfad in der Wüste bezeichnet, der zur Wasserquelle führt, woraus sich für Muslime der göttliche Ursprung der Scharia herleitet.

„Wir gaben den Kindern Isrāʾīls die Schrift, und Herrschaft und Prophetentum und Wir versorgten sie mit guten Dingen und bevorzugten sie vor den Völkern.“

Die oben genannte Verbform ist im Korantext in diesem Sinne belegbar:

„Er hat euch als Religion festgelegt, was er (seinerzeit) dem Noah anbefohlen hat und was wir (nunmehr) dir (als Offenbarung) eingegeben, und was wir (vor dir) dem Abraham, Mose und Jesus anbefohlen haben (mit der Aufforderung): 'Haltet die (Vorschriften der) Religion ein und teilt euch darin (d. h. in der Religion) nicht (in verschiedene Gruppen)!' Den Heiden (w. Denen, die (dem einen Gott andere Götter) beigesellen), kommt es (allerdings) schwer an, wozu du sie rufst. (Aber) Gott erwählt dazu, wen er will, und führt dazu (auf den rechten Weg), wer sich (ihm bußfertig) zuwendet.“

– Sure 42, Vers 13

Als unfehlbare Pflichtenlehre umfasst die Scharia das gesamte religiöse, politische, soziale, häusliche und individuelle Leben sowohl der Muslime als auch das Leben der im islamischen Staat geduldeten Andersgläubigen (Dhimma) insofern, als ihre öffentliche Lebensführung dem Islam und den Muslimen in keiner Weise hinderlich sein darf. Die Einheit zwischen Religion und Recht bringt in einem theokratischen Staatswesen auch die Einheit zwischen Religion und Staat mit sich, die sich in den arabisch-islamischen Staaten der Gegenwart (deren Staatsreligion der Islam ist) unterschiedlich bemerkbar macht.

„Rechte und Ansprüche der Menschen erscheinen grundsätzlich nur als Reflexe religiöser Pflichten. Daher ist die Freiheit des Einzelnen im Scheriatrecht weit mehr eingeschränkt als im abendländischen Recht. Während hier alles erlaubt ist, was nicht gesetzlich verboten ist, verbietet der Islam alles, was nicht gesetzlich erlaubt ist. Er kennt daher auch nicht den unser heutiges Recht beherrschenden Grundsatz der Vertragsfreiheit; zulässig ist nur der Abschluß von Verträgen, die scheriatrechtlich erlaubt sind.“

O. Spies und E. Pritsch[8]

Gott gilt in diesem Rechtssystem als der oberste Gesetzgeber schāri’ / شارع / šāriʿ; sein Gesetz ist ein Teil der göttlichen Offenbarung im Koran. Unbestritten gilt im sunnitischen Islam der Koran als die primäre Quelle des Rechts. Es ist ein von Gott gewolltes, von ihm verordnetes Recht – offenbart nach islamischer Auffassung durch seinen Gesandten Mohammed. Der Koran enthält jedoch nur einige Rechtsnormen, ferner einzelne Anweisungen, die lediglich als Grundlage einer allgemeinen, umfassenden Gesetzgebung gelten können. Schon früh in der islamischen Geschichte trat daher neben den Koran die Sunna als zweite Quelle des Rechtes in den Vordergrund und war Mittelpunkt des Interesses der Rechtsgelehrsamkeit. Die von den Traditionarieren in den Hadithen überlieferten Aussagen und nachahmenswerten Handlungen des Propheten erfüllten u. a. die Rolle, ritualrechtliche und andere Rechtsfragen des täglichen Lebens, die der Koran nicht enthält, zu beantworten. Es war den Rechtsgelehrten vorbehalten, die in den kanonischen Sammlungen überlieferten Materialien als Argumentationsgrundlagen mit der Jurisprudenz zu harmonisieren.

Alle Handlungen des Menschen unterliegen einer strengen religiösen Wertung, die die Rechtslehre im Einzelnen erörtert. In der Zuordnung von Handlungen zwischen pflichtmäßigen und verbotenen herrschen unter den Rechtsschulen zum Teil erhebliche Differenzen. Dies gilt auch in der Wertung von juristisch belangreichen Handlungen als rechtsgültig (ṣaḥīḥ), verwerflich (makrūh), unvollkommen (fāsid) und nichtig (bāṭil).[9]

Islamisch geprägte Staaten der Gegenwart[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • Länder mit muslimischer Bevölkerungsmehrheit oder Mitglieder der OIC, in denen die Scharia keine Rolle im Rechtssystem spielt.
  • Länder mit säkularem Rechtssystem, in denen die Scharia im Privatrecht (z. B. Ehe, Scheidung, Erbrecht, Sorgerecht) Anwendung findet.
  • Länder mit voller Gültigkeit der Scharia.
  • Länder mit regional unterschiedlicher Anwendung der Scharia.

Im Jahr 1990 wurde bei der 19. Außenministerkonferenz der Organisation der Islamischen Konferenz (OIC) die Kairoer Erklärung der Menschenrechte im Islam beschlossen, welche als Leitlinie der z. Zt. 57 islamischen Mitgliedstaaten auf dem Gebiet der Menschenrechte gelten soll. In den abschließenden Artikeln 24 und 25 wird die religiös legitimierte islamische Gesetzgebung, die Scharia, als einzige Grundlage zur Interpretation dieser Erklärung festgelegt.[10][11]

Die Erklärung wird von Islam-Vertretern als islamisches Gegenstück zur Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte der UNO gesehen, von der sie jedoch erheblich abweicht, da sie die Scharia zur Grundlage der Menschenrechte erklärt.

Die praktische Umsetzung des islamischen Rechts ist in den islamischen Ländern sehr unterschiedlich. In manchen Staaten gibt es eine theokratische Identität von offiziellem Recht und Scharia, in anderen wurde die Scharia abgeschafft, in manchen hat sie – im Sinne eines Rechtspluralismus – lediglich für einen Teil der Bevölkerung Gültigkeit.

In der Türkei wurde die Scharia mit der Verfassung vom 20. April 1924 unter Mustafa Kemal Atatürk abgeschafft.

In Tunesien wurde sie mit der Verfassung vom 1. Juni 1959 abgeschafft. Lediglich Artikel 38 der tunesischen Verfassung schreibt fest, dass der Präsident ein Muslim sein muss.[12]

In Malaysia existiert ein duales Rechtssystem, in dem islamische Gerichtshöfe parallel zu zivilstaatlichen Institutionen operieren. Drei der 13 Bundesstaaten des Landes erlauben etwa die Auspeitschung nach den Regeln der Scharia, obwohl dies landesweit nach dem Kriminalstrafrecht verboten ist.[13]

Allgemein verbreitet ist die Umsetzung im zivilrechtlichen Bereich beispielsweise in Algerien, Indonesien und Ägypten.[14]

In einigen Staaten gilt die Scharia vollständig, etwa in Saudi-Arabien und Mauretanien. Zuweilen gilt die Scharia nur in islamisch dominierten Landesteilen (Nigeria oder Indonesien, siehe auch Scharia-Konflikt in Nigeria).

So wird zum Beispiel in Ländern wie Somalia und Sudan, wo Hadd-Strafen vollstreckt werden, auch die Schwangerschaft einer unverheirateten Frau oder einer Ehefrau, deren Ehemann abwesend ist, als Beweis für Unzucht genommen. In einigen Ländern werden selbst vergewaltigte Frauen aufgrund solcher „Beweisführung“ bestraft.

Die Bedeutung der Scharia nimmt seit etwa Mitte der 1970er Jahre in allen islamischen Ländern wieder kontinuierlich zu. Auch in der laizistischen Türkei mehren sich politisch einflussreiche Stimmen, die die Rückkehr zum islamischen Scharia-Recht fordern. Demgegenüber finden jedoch auch immer mehr alternative Interpretationsansätze der Scharia in der islamischen Welt Gehör – wie Fazlur Rahman in Pakistan, Muhammad Schahrur in Syrien, Abdulkarim Sorusch im Iran, Muhammad Abed al-Jabri in Algerien, Hassan Hanafi in Ägypten und nicht zuletzt viele Theologen in der Türkei.[15]

Zurzeit ist die Scharia Rechtsgrundlage in Nigeria (einige Bundesstaaten), den Malediven, im Iran, in Saudi-Arabien (Artikel 23 lt. Verfassung), Bangladesch, Mauretanien, Afghanistan, Sudan, in Gambia, Senegal, Katar, Kuwait, Bahrain, Libyen, der indonesischen autonomen Provinz Aceh, Jemen – dort nebst Anwendung von Stammesgesetzen – und in Teilgebieten Pakistans.[16] In Somalia errang im Juni 2006 nach jahrelangem Bürgerkrieg die Miliz Union islamischer Gerichte die Macht in der Hauptstadt Mogadischu, eine Gruppe, die sich durch das Ziel definiert, eine auf der Scharia basierende Rechtsordnung einzuführen (beispielsweise Verbot, die Fußball-WM 2006 im Fernsehen zu verfolgen). Diese Gruppe wurde Ende 2006 wieder gestürzt.

2010 begannen in vielen arabischen bzw. nordafrikanischen Ländern Revolutionen (zusammenfassend Arabischer Frühling genannt). Im Zuge dieser Revolutionen kam es in diesen Ländern zu Wahlen bzw. Verfassungsreferenden. In vielen Ländern wurde bzw. wird diskutiert, welche Rolle der Islam in Gesellschaft und Rechtssystem haben soll.

Im Zuge der Revolution in Ägypten gab es im März 2011 ein Verfassungsreferendum. Vom 28. November 2011 bis zum Januar 2012 fanden Parlamentswahlen statt. Islam(ist)ische Parteien errangen über 70 % der Mandate. Die Partei der Muslimbruderschaft (FGP) errang 37,5 % der abgegebenen Stimmen.

In westlichen Staaten der Gegenwart[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

In westlichen Industriestaaten sowie in sonstigen nicht islamisch geprägten Ländern der Welt kann die Scharia – vermittelt über das jeweilige Internationale Privatrecht des Landes – Rechtswirkung entfalten. Allerdings findet die Geltung etwa in Deutschland ihre Grenzen im Ordre public: So werden Normen, die mit rechtlichen Grundvorstellungen unvereinbar sind, nicht angewendet.[17] In Deutschland verweigerte 2007 eine Richterin am Amtsgericht Frankfurt am Main einer Frau, von ihrem gewalttätigen marokkanischen Mann noch vor Ablauf des Trennungsjahres geschieden zu werden, und begründete dies damit, dass es im marokkanischen Kulturkreis üblich sei, dass der Mann gegenüber der Frau ein Züchtigungsrecht ausübe; damit habe die Frau bei der Heirat rechnen müssen: „Die Ausübung des Züchtigungsrechts begründet keine unzumutbare Härte gemäß § 1565 BGB[18]. Die Verteidigerin hat die Richterin daraufhin als befangen abgelehnt. Dennoch gibt es Entscheidungen deutscher Gerichte, die explizit Bezug auf die Scharia nehmen.[19]

Kritiker halten der Anwendung der Scharia in westlichen Ländern entgegen, dass die Scharia nicht mit der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte vereinbar sei. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg (EGMR) urteilte in mehreren Verfahren, dass die Scharia „inkompatibel mit den fundamentalen Prinzipien in der Demokratie“ sei.[20] Eine differenzierte Darstellung über die Kompatibilität der Scharia mit europäischem Recht gibt der Historiker Heiko Heinisch.[21]

In Dänemark verfolgt eine islamistische Gruppe namens „Ruf zum Islam“ das Ziel, in muslimischen Wohngegenden in Kopenhagen Scharia-Zonen einzurichten, in denen eine „Moralpolizei“ das Verbot von Alkohol, Glücksspiel und Nachtleben überwacht.[22][23] Ähnliche Lobbygruppen soll es inzwischen auch in Großbritannien, Belgien, Frankreich und Spanien geben.[22]

In Großbritannien wird die Scharia nicht von den staatlichen Gerichten angewendet. Es gibt für bestimmte Fälle religiöse Schiedsgerichte, die auf freiwilliger Basis von den Parteien angerufen werden können. Dabei kommt die Scharia zur Anwendung, soweit sie nicht gegen Common Law verstößt.[24] Im Februar 2008 hat das Oberhaupt der anglikanischen Kirche, der Erzbischof von Canterbury Rowan Williams, es gegenüber der BBC[25] als „unvermeidlich“ bezeichnet, dass Elemente der Scharia im britischen Common Law anerkannt werden. Durch eine „konstruktive Adaption“ von Scharia-Elementen könnten zum Beispiel muslimischen Frauen westliche Ehescheidungsregeln erspart werden. Dabei gehe es natürlich nicht darum, „Unmenschlichkeiten“ der Gesetzespraxis in einigen islamischen Ländern in den Westen zu übertragen. Williams’ Einlassungen stießen in Großbritannien und innerhalb der anglikanischen Kirche vielfach auf Entrüstung, dabei wurde unter anderem darauf verwiesen, dass es nicht unterschiedliche Rechtssysteme für verschiedene Bevölkerungsgruppen innerhalb Großbritanniens geben dürfe. Eine gegenteilige Meinung vertritt der ehemalige anglikanische Bischof von Rochester Michael Nazir-Ali, der selbst wegen Morddrohungen pakistanischer Muslime nach Großbritannien geflohen ist.[26] Die von den britischen Zivilgerichten ergangenen Scheidungsurteile haben aus der Sicht der islamischen Rechtsprechung keine Gültigkeit. Dr. Ahmad al-Dubayan, der Vorsitzende des Rates für Schariagerichte in Großbritannien (Islamic Sharia Council), stellte im 2016 fest, die Situation mit den sich immer weiter verbreitenden Schariagerichten sei ein großes Problem. Er wisse nicht, wie viele dieser Gerichte es in der Zwischenzeit in Großbritannien gäbe. Der Innenausschuss im britischen Unterhaus begann eine Ermittlung hinsichtlich der Ausbreitung des islamischen Rechts. Muslimische Verbände kritisierten dieses Vorgehen unmittelbar nach Bekanntwerden als Einmischung in die Religionsfreiheit.[27][28]

In Griechenland gilt für die muslimische Minderheit (Pomaken und Türken in Westthrakien) in Angelegenheiten, die den persönlichen Status und das Familienrecht betreffen, die Scharia, sofern die Angehörigen der Minderheit ihre Angelegenheiten nach der Scharia anstelle des griechischen Rechts geregelt haben möchten. Das geht auf den Vertrag von Sèvres zurück.

Der kanadische Arbitration Act (1991)[29] erlaubte es Christen, Juden und Muslimen in der Provinz Ontario, häusliche Dispute (wie Scheidungs-, Vormundschafts- und Erbschaftsklagen) vor einem religiösen Schiedsgericht zu verhandeln, wenn alle Parteien damit einverstanden waren. Die Urteile dieser Schiedsgerichte waren, sofern sie nicht geltendem kanadischen Recht widersprachen, rechtskräftig. Damit wurde die Scharia in Ontario in Spezialfällen von muslimischen Gerichten angewendet. Im September 2005 wurde der Arbitration Act (auch wegen internationaler Proteste durch Frauenrechtsorganisationen) derart geändert, dass Entscheidungen auf Grund von religiösen Gesetzen nicht mehr möglich sind.[30]

Anleitung: Neutraler Standpunkt Die Neutralität dieses Artikels oder Abschnitts ist umstritten. Eine Begründung steht auf der Diskussionsseite. Weitere Informationen erhältst du hier.

In den Niederlanden ist die Diskussion über die Einführung der Scharia in vollem Gange, nachdem der damalige niederländische Justizminister Piet Hein Donner, ein Christdemokrat, im September 2006 erklärte, er könne sich die Einführung der Scharia in den Niederlanden gut vorstellen, wenn die Mehrheit der Wähler dafür wäre.[31] Mittlerweile wird diese Möglichkeit auch in universitären Kreisen ernsthaft diskutiert. Ein Symposium an der Universität Tilburg widmete sich dem Thema Sharia in Europe am 3. Mai 2007 und lud dazu u. a. die palästinensisch-amerikanische Islamwissenschaftlerin Maysam al-Faruqi von der Georgetown University in Washington, D.C., ein, die kein Problem darin sieht, die Scharia in den Niederlanden einzuführen: „Beide Rechtssysteme können mühelos nebeneinander bestehen“.[32]

In den Vereinigten Staaten (Rechtssystem: Common Law, das sich vor allem auf frühere Präzedenzfälle stützt und daher von einzelnen Richtern leichter beeinflusst werden kann), haben 2010 die Bundesstaaten Tennessee und Louisiana die Anwendung der Scharia gesetzlich untersagt. In den Bundesstaaten Florida, Mississippi, Utah misslang ein solcher Versuch. In zwölf Bundesstaaten gibt es Anfang 2011 Gesetzesinitiativen, die die Anwendung der Scharia unterbinden sollen.[33]

Mystische Bedeutung[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Im Sufismus (islamische Mystik) hat die Scharia einen Stellenwert als Basis für den Weg des Gottessuchenden. Weitere Stationen sind in der Reihenfolge: Tariqa (der mystische Weg), Ma‘rifa (Erkenntnis) und Haqiqa (Wahrheit). Der bekannte Mystiker Ibn Arabi (1165–1240) beschreibt diese vier Stationen folgendermaßen: Auf dem Niveau von Scharia gibt es „dein und mein“. Das heißt, dass das religiöse Gesetz individuelle Rechte und ethische Beziehungen zwischen den Menschen regelt. Auf dem Niveau von Tariqa „ist meins deins und deins ist meins“. Von den Sufis wird erwartet, dass sie sich gegenseitig als Brüder und Schwestern behandeln, den jeweils anderen an seinen Freuden, seiner Liebe und seinem Eigentum teilhaben lassen. Auf dem Niveau der Wahrheit (Haqiqa) gibt es „weder meins noch deins“. Fortgeschrittene Sufis erkennen, dass alle Dinge von Gott kommen, dass sie selbst nur die Verwalter sind und in Wirklichkeit nichts besitzen. Diejenigen, die die Wahrheit erkennen, interessieren sich nicht für Besitz und allgemeine Äußerlichkeiten, Bekanntheit und gesellschaftlichen Stand inbegriffen. Auf dem Niveau der Erkenntnis (Ma’rifa) gibt es „kein ich und kein du“. Der Einzelne erkennt, dass nichts und niemand von Gott getrennt ist.

Siehe auch[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Literatur[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Weblinks[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

 Wiktionary: Scharia – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen
 Wikinews: Scharia – in den Nachrichten
 Commons: Scharia – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. Im Tafsir, der arabischen Bibelübersetzung von Saadia Gaon aus dem 10. Jahrhundert, wird der Begriff Scharia bzw. die Pluralform Schara’i’ an zahlreichen Stellen zur Übersetzung des hebräischen Begriffs Tora verwendet, obwohl dafür an einigen Stellen auch die arabische Entsprechung Taurat verwendet wird. Im Sinne von Gesetz erscheint Scharia zum Beispiel in Ex 13,9 EU: (scharīʿatu ’llāh für ‚das Gesetz Gottes‘) und in Dtn 4,44 EU: (wa-hādhihi ’sch-scharīʿatu ’llatī..: „Und dies ist das Gesetz, das…“); siehe: The Encyclopaedia of Islam, Bd. IX, S. 321.
  2. Tilman Nagel: Kann es einen säkularisierten Islam geben? in: Reinhard C. Meier-Walser und Rainer Glagow (Hrsg.): Die islamische Herausforderung – eine kritische Bestandsaufnahme von Konfliktpotenzialen, aktuelle Analysen 26, München, 2001, Hanns-Seidel-Stiftung e. V., Akademie für Politik und Zeitgeschehen, ISBN 3-88795-241-3, S. 9–21, Online (PDF; 742 kB)
  3. Peter Heine: Ein System großer Flexibilität – Der Begriff „Scharia“ provoziert ständige Missverständnisse. Herder Korrespondenz 65, 12/2011, S. 613–617.
  4. A. J. Wensinck und J. H. Kramers (Hrsg.): Handwörterbuch des Islam. Brill, Leiden 1941, S. 674.
  5. Gudrun Krämer: Demokratie im Islam. Der Kampf für Toleranz und Freiheit in der arabischen Welt. München: C. H. Beck 2011, ISBN 978-3-406-62126-0.
  6. Thomas Bauer: Die Kultur der Ambiguität. Eine andere Geschichte des Islams. Berlin: Verlag der Religionen im Insel Verlag 2011, ISBN 978-3-458-71033-2.
  7. Ingrid Thurner: 1001 Wege der Rechtsfindung. In: Wiener Zeitung, 16. Februar 2013.
  8. O. Spies und E. Pritsch: Klassisches islamisches Recht. In: Bertold Spuler (Hrsg.): Handbuch der Orientalistik. Erste Abteilung: Der Nahe und der Mittlere Osten. Ergänzungsband III: Orientalisches Recht. Brill, Leiden/Köln 1964, S. 222.
  9. A. J. Wensinck und J. H. Kramers (Hrsg.): Handwörterbuch des Islam. Brill, Leiden 1941, S. 675–676.
  10. Text der Kairoer Erklärung der Menschenrechte im Islam (engl.)
  11. Text der Kairoer Erklärung der Menschenrechte im Islam (dt.) PDF
  12. The Constitution of Tunisia (PDF; 54 kB)
  13. Vgl. Malaysian Groups Condemn Caning of Women in Shariah Sex Case, Bloomberg.com, 18. Feb. 2010 [1]
  14. So sagte etwa in dem Gerichtsverfahren, das der eine Fatwa befolgenden Ermordung des ägyptischen Gelehrten Faradsch Fauda folgte, der bedeutende Azhar-Gelehrte Mohammad Al-Ghazali als Zeuge aus: „Derjenige, der öffentlich gegen die Durchsetzung der Scharia Gottes spricht, ist ein Ungläubiger, ein Apostat. Es ist eine Pflicht, ihn zu töten“ (vgl. den Eintrag zu Faradsch Fauda)
  15. Ömer Özsoy in Die fünf Aspekte der Scharia und die Menschenrechte (PDF; 4,8 MB)
  16. Tagesschau: Scharia-Recht gilt künftig im Nordwesten Pakistans (Memento vom 18. Februar 2009 im Internet Archive)
  17. ND: Scharia in Deutschland? FAKTENcheck: Islamisches Recht, 16. Oktober 2010.
  18. vm/anr: Justiz-Skandal: Gewalt-Rechtfertigung mit Koran – Richterin abgezogen
  19. Barbara Schneider: Scharia hält Einzug in deutsche Gerichtssäle. In: Die Welt. 1. Februar 2012.
  20. So etwa in: CASE OF REFAH PARTİSİ (THE WELFARE PARTY) AND OTHERS v. TURKEY (Applications nos. 41340/98, 41342/98, 41343/98 and 41344/98), JUDGMENT, STRASBOURG, 13 February 2003. No. 123.: „The Court concurs in the Chamber’s view that sharia is incompatible with the fundamental principles of democracy, as set forth in the Convention“[2]
  21. Heiko Heinisch: Wieviel Scharia verträgt Europa? – privates Blog, Vortrag vom 6. Nov. 2012
  22. a b Kommentar von Henryk M. Broder in Die Welt: Islamische Moralpolizisten fordern „Scharia-Zonen“, vom 31. Oktober 2011, abgerufen am 4. April 2012.
  23. Video heute: Gilt bald die Scharia in Dänemark? in der ZDFmediathek, abgerufen am 9. Februar 2014 (offline)
  24. J. Waardenburg: Muslims and Others. Walter de Gruyter, 2003, S. 316.
  25. heute.de: England entrüstet über Scharia-Erzbischof
  26. Kath.net: Bischof Nazir-Ali spricht trotz Todesdrohungen weiter über den Islam, 25. Februar 2008.
  27. Joe Barnes: Muslims 'have the right’ to use Sharia law in Britain, says activist, Daily Express 3.11.2016
  28. Leda Reynolds: Sharia court told rape victim to return to her attacker husband | UK | News |, Daily Express 14.11.2016
  29. Arbitration Act
  30. Abänderung des Arbitration Act (PDF; 236 kB)
  31. Donner naïef in uitspraken sharia. Radio Nederland, 13. September 2006 [3]
  32. Nieuw Religieus Peil: Sharia kan zonder probleem in Nederland worden ingevoerd. 13. Mai 2007.
  33. Tim Murphy: Map: Has Your State Banned Sharia?, motherjones.com, 11. Februar 2011.
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