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„Rigaer 94“ in Berlin „Polizisten kontrollieren den Ausweis, wenn ich heimkomme“

Von Tobias Heimbach | Stand: 29.06.2016 | Lesedauer: 4 Minuten

Quelle: dpa

Nach den Krawallen wegen der Räumung des linken Hausprojekts „Rigaer 94“ in Berlin erklären sich erstmals die Anwohner. Sie fühlen sich von Polizei und Sicherheitsdienst drangsaliert und gedemütigt.
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Der Vergeltungsfeldzug der linksextremen Szene nach einem Polizeieinsatz in der Rigaer Straße 94 in Berlin hat sich auf andere Städte ausgeweitet. In Tübingen wurden in der Nacht zu Montag drei Autos angezündet, die Täter werden von der Polizei in den Kreisen der Linksautonomen vermutet.

Es gebe Hinweise, dass die Brandstiftungen „Teil einer bundesweiten politisch motivierten Protestaktion“ seien, hieß es. Ein Bekennertext führt in diese Richtung. Außerdem warfen in Berlin-Mitte mehrere unbekannte Täter die Scheiben einer Bank ein und sprühten Parolen und Kürzel wie „R94“ an die Fassade. Das Auto eines SPD-Lokalpolitikers wurde angezündet.

Damit wird auf die seit Mittwoch vergangener Woche verstärkten Auseinandersetzungen um das von Autonomen bewohnte Haus im Stadtteil Friedrichshain hingewiesen. Auf der linken Internetseite Indymedia stand: „Solidarische Grüsze an die Rigaer – BMW in Tübingen abgefackelt“ und „Wir sind alle Rigaer“.

Nach der Räumung einiger Bereiche des Hauses durch ein großes Polizeiaufgebot hatte die linksradikale Szene zu Zerstörungsaktionen als Vergeltung aufgerufen. Fünf Nächte hintereinander sorgten Linksradikale für Aufruhr. Viele Autos wurden angezündet. In der Rigaer Straße stehen sich seit Tagen Polizisten und Bewohner gegenüber. Teile der Straße wurden zeitweise gesperrt. Polizisten wurden angegriffen.

Am Montagabend äußerten sich die linksautonomen Hausbesetzer erstmals gegenüber der Öffentlichkeit. Per E-Mail hieß es am Abend: „Sehr geehrte Damen und Herren, bezüglich der eskalierenden Situation in der Rigaer Straße mit mehreren Verletzten und der Situation der Rigaer94 laden wir heute Pressevertreter_innen um 21 Uhr zur Liebigstr. Ecke Rigaer Straße. Wir werden aus Sicht der Hausprojekte sowie der Anwohner_innen berichten. Herzlichst, Ihre Rigaer94.“

Die Szenerie ist eigentlich entspannt: An diesem lauen Sommerabend sitzen Sympathisanten, Punks und Alternative auf dem Bürgersteig oder in den Hauseingängen, trinken Sternburg-Bier und rauchen selbstgedrehte Zigaretten. Nur ein offenbar Betrunkener brüllt in Richtung eines Polizisten: „Erschieß mich! Los, das willst du doch.“ Er deutet auf sein Herz. „Erschieß mich mit deiner Scheiß-Walther.“ Der Polizist lässt seine Dienstpistole stecken und lächelt müde. Eine Frau aus dem Kreise der Unterstützer weist den Aufgebrachten zurecht: „Lass den Scheiß und halt deinen Mund.“ Er gehorcht.

Es ist eine Erklärung angekündigt. Sie findet auf dem Balkon der Liebigstraße 14, einem ehemals besetzten Haus, das nur 50 Meter entfernt von der Rigaer Straße 94 liegt, statt. Vor allem die Nachbarn der umliegenden Häuser wollen ihrem Ärger Luft machen. „Es kann nicht sein, dass wenn ich mit meinen zwei Kindern vom Baden komme, meine Taschen durchwühlt werden“, sagt Lea, die in der Rigaer Straße 95 wohnt und eigentlich anders heißt. Vom Balkon kommt nun die Stimme einer jungen Frau, einer Bewohnerin der Rigaer Straße 94. Sie wirft dem privaten Sicherheitsdienst, der seit Mittwoch im Haus die Durchführung der Bauarbeiten überwacht, vor, auch in private Bereiche einzudringen.

„Wir wollen unsere Straße zurück“

„Das Wohnhaus ist nicht in einzelne Apartments unterteilt, sondern alle Bewohner nutzen alle Räume. Jedes Mal, wenn man zum Bad, zur Toilette oder in die Küche geht, gibt es herablassende Blicke und zynische Sprüche.“ Zudem soll ein unbeteiligter Familienvater aus der Nachbarschaft von den Polizisten verprügelt worden sein, obwohl er sich nicht wehrte. Das Versprechen des Investors, in dem Hausprojekt Wohnraum für Flüchtlinge schaffen zu wollen, hält Lea für zynisch. „Das ist der blanke Hohn.“

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Ein Nachbar von Lea, ein Mittzwanziger mit Bart, berichtet von aggressiven, schubsenden Polizisten. „Sie kontrollieren jedes Mal meinen Ausweis, wenn ich nach Hause will. Neulich wollten sie sogar die Uhrzeit notieren, wann ich zurückkomme. Das verletzt die Persönlichkeitsrechte.“ Diese Vorwürfe wiederum weist die Polizei zurück. Es gebe keine regelmäßigen Kontrollen von Menschen, die ihre Wohnung betreten wollen, sagte ein Sprecher der Berliner Polizei: „Es werden natürlich bei Krawallen immer wieder mal Personalien festgestellt.“ Von Schubsereien sei ihm nichts bekannt.

Die Menschen haben jedenfalls genug vom Ausnahmezustand in ihrer Nachbarschaft. „Ich kann die Wut vieler Leute nachvollziehen“, sagt auch Lea. Rechtfertigt diese Wut auch Gewalt? „Nein, das tut sie nicht. Gewalt ist nie gut.“ Sie hat deswegen zu einer anderen Form des Protests aufgerufen. „Scheppern für den Frieden.“ Jeden Abend um 21 Uhr sollen die Nachbarn mit Töpfen und Kochlöffeln ihrem Ärger lautstark Luft machen. Ein Sprecher auf dem Balkon schlägt einen anderen Ton an: „Schönen Gruß an die Wichser von der 33. Einheit“, sagt der junge Mann in Richtung der Beamten. Er verbirgt sein Gesicht unter einer lilafarbenen Sturmhaube. Eine Gruppe der Zuschauer stimmt einen Sprechchor an: „Ganz Berlin hasst die Polizei.“ So ziehen die zwei Gruppen ein unterschiedliches Fazit: „Der Kampf geht weiter!“, brüllt der Mann mit der Sturmhaube. Lea hat ein anderes Ziel: „Wir wollen einfach unsere Straße zurück.“

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