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Zwischen Ritus und Mythos: Karneval in der europäischen Kultur

Du rite au mythe : le carnaval dans la culture européenne

Tra rito e mito: il Carnevale nella cultura europea

From ritual to myth: Carnival in European culture

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Veröffentlicht am Mittwoch, 06. Mai 2020 bei Anastasia Giardinelli

Zusammenfassung

Woher kommt das soziale Bedürfnis nach dem Karneval? Ist es heute noch vorhanden? Vom bedeutenden Einfluss der Commedia dell’Arte zum Fastnachtsspiel, zum théâtre bouffon, zur Farce,  bis zu Goethes Beobachtungen zum Römischen Karneval, von Schumanns Komposition Carnaval über Saint-Saëns Le Carnaval des animaux bis zur Malerei Bruegels des Älteren, Monets, Manets, Pissarros – Die Autoren, Komponisten und Künstler, die sich vom Karneval inspirieren ließen sind zahlreich. Das Ziel der Konferenz ist es, neuartige Perspektiven, Ideen und Ansätze zum Thema Karneval und Karnevalisierung auszuloten und zu kombinieren. Eine explizit interdisziplinäre und internationale Ausrichtung der Konferenz ist erwünscht. 

Inserat

Internationale Tagung für interdisziplinäre Studien und vergleichende Literaturwissenschaft , Florenz, 16-17. November 2020 - Graduiertenkolleg  

Präsentation

“Gründungsmythen Europas in Literatur, Kunst und Musik”  Wer denkt noch an Karneval? Ich glaube, dass sich im gegenwärtigen Leben immer weniger Personen an den Karneval oder an die Fastenzeit erinnern oder davon Notiz nehmen. In den Büchern hingegen begegnen mir immer häufiger Bezugnahmen auf den Karneval, so als ob dieser Brauch heute, da er aus unserem direkten Erleben in der Versenkung verschwunden ist, seine ganze Bedeutung entfalte und als ein notwendiges Element erscheine um die ethnologischen Grundlagen der okzidentalen Kultur zu verstehen. 

Calvino, “Il mondo alla rovescia”, 1970; unsere Übersetzung. 

Diese vor knapp vierzig Jahren geäußerte Beobachtung Italo Calvinos lenkt die Aufmerksamkeit auf eine auffallende Tendenz: Je mehr der Karneval zwischen den jährlichen Feierlichkeiten, die unsere Kultur prägen, verblasst, je mehr unsere Wahrnehmung vom Karneval als jährliches populäres Fest verschwimmt, desto mehr theoretische Überlegungen werden zu diesem Brauchtum vorgenommen. Es scheint fast eine Entsprechung zur hegelianischen These vorzuliegen, die besagt, dass ein Phänomen nur dann konkret von der philosophischen Ratio erfasst werden kann, wenn seine Lebenskraft der Vergangenheit angehört.

Auch Michail Bachtin hat mit seinen Untersuchungen zur europäischen Literatur von Rabelais bis Dostojewskij auf die grundlegende Ambiguität dieses Phänomens hingewiesen. Laut Bachtin verbirgt der Karneval hinter seiner scherzhaften Fassade ein höchst dramatisches, heftiges und nahezu dionysisches Wesen. Das Amüsement lädt sich dabei mit dem subversiven Substrat auf, welches die Basis für jedes Verlangen nach tiefgreifender gesellschaftlicher und spiritueller Veränderung bildet. Aspekte wie der Wechsel zwischen Erhöhung und Erniedrigung, Exzentrizität, Skatologie oder die pure Materialität der Realität skizzieren ein Bild einer paradoxalen Gesellschaft, bzw. ein Bild der umgekehrten sozialen Ordnung, das die Fragilität der herrschenden Normen und Sitten, sowie jeglicher Autorität, sei sie mondän oder geistlich, aufzudecken im Stande ist.  Der Karneval erscheint laut Bachtin als eine realisierte Utopie, die die Fortdauer des kollektiven Lebens, der vermeintlichen Freiheit, sowie des vermeintlichen Überflusses gegenüber der Angst vor dem Tode, Mangel und vor jeder unterdrückenden Macht feiert. Diese Utopie kann sich einzig und allein in der populären Hauptarena der karnevalistischen Handlungen konkretisieren: dem öffentlichen Platz. Der Karneval ermöglicht auf dem öffentlichen Platz eine einzigartige Form der Offenheit und der autorisierten Ausdrucksfreiheit, in der sich die Prinzipien der Bejahung (Triumph) und der Verneinung (Spott), der Parodie und des „universellen Lachens“ vereinen.

Über diese grundlegenden Bemerkungen hinaus kann auf Bachtins Begriff der „Karnevalisierung“ als mythologisierender Prozess zurückgegriffen werden. Obwohl, oder gerade weil, der Karneval im kulturellen Leben der europäischen Bevölkerung eher an Bedeutung verliert als gewinnt, ist sein Einfluss auf die Kunst und Literatur umso spürbarer. Die verschiedenen und doch strukturell ähnlichen Brauchtümer der unterschiedlichen Länder verdeutlichen die Allgegenwart dieses Phänomens in Europa. Es handelt sich dabei um eine Allgegenwart, die sich besonders in einer schier unüberschaubaren Masse von „karnevalisierten“ Werken in Kunst, Musik und Literatur niederschlägt. Vom bedeutenden Einfluss der Commedia dell’Arte zum Fastnachtsspiel, zum théâtre bouffon, zur Farce,  bis zu Goethes Beobachtungen zum Römischen Karneval, von Schumanns Komposition Carnaval über Saint-Saëns Le Carnaval des animaux bis zur Malerei Bruegels des Älteren, Monets, Manets, Pissarros – Die Autoren, Komponisten und Künstler, die sich vom Karneval inspirieren ließen sind zahlreich. Das Ziel der Konferenz ist es, neuartige Perspektiven, Ideen und Ansätze zum Thema Karneval und Karnevalisierung auszuloten und zu kombinieren. Eine explizit interdisziplinäre und internationale Ausrichtung der Konferenz ist erwünscht. So werden Themenvorschläge aus Literaturwissenschaft, Kunstgeschichte, Film- und Musikwissenschaft, Geschichte, Philosophie, Anthropologie und Psychologie begrüßt.  

Mögliche Achsen der Analyse wären beispielsweise: 

  • Woher kommt das soziale Bedürfnis nach dem Karneval? Ist es heute noch vorhanden?
  • Kommt es tatsächlich zu einer Abnahme der Bedeutung des Karnevals? Und wenn ja, warum?
  • Welche Motive und Strukturen kehren im gemeinsamen europäischen Kontext immer wieder?
  • Inwiefern sind die Gattungen Satire, Groteske und Parodie mit dem Karneval verbunden?
  • Wo und wie vollzieht sich der Wandel des Karnevals vom Ritus zum Mythos oder Prozess?
  • Wie ist das Wesen dieser Utopie des „anderen Lebens“ des Karnevals philosophisch, soziologisch, kulturell oder politisch zu erklären? 

Die Konferenz findet am 16. und 17. November in der Università degli Studi di Firenze, piazza Brunelleschi 4 im Raum „Sala Comparetti“ statt. 

Teilnahmebedingungen

Es wird um ein kurzes abstract von 300 bis 500 Wörtern auf Deutsch, Italienisch oder Französisch, sowie um eine kurze Vorstellung der wissenschaftlichen Aktivität gebeten.

Das abstract kann bis zum 1. Juni 2020 an die folgende Adresse geschickt werden: callcarnevale2020@gmail.com.

Die ausgewählten Vorträge müssen daraufhin bis zum 31. August 2020 eingeschickt werden

um im peer review Verfahren für die Veröffentlichung in der Zeitschrift LEA – Lingue e Letterature d’Oriente e d’Occidente im Dezember 2020 bestätigt zu werden. Eine partielle Kostenerstattung ist vorgesehen.

https://oajournals.fupress.net/index.php/bsfm-lea/announcement/view/29

Orte

  • Salle - Piazza Brunelleschi, 4
    Florenz, Italien (50121)

Daten

  • Montag, 01. Juni 2020

Schlüsselwörter

  • carnaval, rite, mythe, culture européenne

Kontakt

  • Università degli studi di Firenze
    courriel : callcarnevale2020 [at] gmail [dot] com

Informationsquelle

  • Università degli studi di Firenze
    courriel : callcarnevale2020 [at] gmail [dot] com

Zitierhinweise

« Zwischen Ritus und Mythos: Karneval in der europäischen Kultur », Beitragsaufruf, Calenda, Veröffentlicht am Mittwoch, 06. Mai 2020, https://calenda.org/776674

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