Einleitung
In Zeiten der Gründung
von interdisziplinären Fakultäten steht vernetztes Denken
hoch im Kurs, was den Inhalten nicht unbedingt zu gute kommt.
Studierende protestieren immer wieder einmal um ihrer Kritik am
"Eintrichtern" Ausdruck zu verleihen und fordern die
vermehrte Veranstaltung von autonomen Seminaren, womit
allerdings häufig eher nur die nächste Fete gemeint ist. Und
sowieso: getreu dem Motto "man kann ja nie wissen" soll
man als mündiger Bürger stets furchtbar kritisch denken, es
sei denn man gerät darüber zu einem Miesepeter, dann dürfen
Lebensberater einem eine rosarote Brille verpassen und den weisen
Rat mit auf den weiteren Lebensweg geben: "Think positive
!". Die Forderung "Mehr Frauen ins Parlament!" wird
zuweilen damit begründet, daß feministisches Denken in der
Lage sei, "neue ungewöhnliche Problemlösungsstrategien"
bereitzustellen, als wäre ausgerechnet der Bundestag dafür
vorgesehen. Anhänger des Umweltgedankens tragen den Herren Ökonomen
eine verstärkt ökologische Denkweise an - und: das
Schlagwort Umwelt wird glatt zu einem Verkaufsschlager.
Heilpraktiker sollen sich gegenüber Schulmedizinern dadurch
auszeichnen, daß sie – statt dem konkreten Leiden beizukommen –
ihren Patienten eine ganzheitliche Behandlung angedeihen
lassen. Denn: analytisches Denken ist ja sowieso von Übel
und ruft allerorten nur Zerstörung hervor.
Als
ob das Denken erst noch erfunden werden müßte, mangelt es also
nicht an Ratschlägen welche Vorgehensweisen beim Denken in
den verschiedensten Situationen angezeigt sind. Ob die Befolgung
derselben auch das Wissen vermehrt, neue Erkenntnisse zu Tage fördert,
bleibt noch sehr die Frage, schließlich wird dem Verstand nicht
weniger abverlangt, als sich bei der Geistestätigkeit nach Maßstäben
zu richten, die ihm gar nicht immanent sind! Das soll im folgenden
anhand von vier Stellvertretern der oben erwähnten und leicht um
eine ganze Reihe weiterer und ergänzender Attribute besprochen
werden.
A.
Autonomes Denken
Ist
es nicht egal, wer sich richtige Gedanken zu einer Sache gemacht
hat? Wenn ein Gedanke stimmt spielt es doch eigentlich keine Rolle,
ob er mir erzählt wird oder ich selbst zu ihm gekommen bin, oder?
Als würde beispielsweise das 2. Newtonsche Axiom dadurch falsch, daß
es mir mein Physiklehrer erklärt hat, oder die Stochastik etwas von
ihrer Gültigkeit verlieren, nur weil sie mir durch meinen
Matheprofessor verklickert wird. Oder wenn man auf die an einen
Soziologen gerichtete Frage, was die Gesellschaft wohl sei, als
Antwort "Eine Zwiebel!" zu hören bekommt, gibt es zwei Möglichkeiten.
Man prüft diese Aussage auf ihren Gehalt, ihre Stimmigkeit und
kommt schließlich entweder zu dem Schluß, es ist etwas richtiges
über die Gesellschaft gesagt worden oder eben nicht, die behauptete
Identität der Sache wird als verfehlt angesehen. Wenn das
Umweltministerium behauptet, westliche AKWs seien sicher, weil ein
GAU nur alle 1000 Reaktorjahre geschehen könne, wird die
Wahrscheinlichkeitsrechung offensichtlich zur Verdummung breiter
Schichten (jaja, die Zwiebel läßt grüßen…) der Bevölkerung
eingesetzt bzw. mißbraucht. Also – entweder ein Gedanke stimmt
und der Argumentationsgang leuchtet einem ein, oder nicht. Dann ist
es aber wirklich egal, ob der Gedanke selbständig erarbeitet wurde,
oder als Resultat eines nach-gedachten fremden Denkvorgangs
präsentiert wird.
Kurz
zurück zu den Orten der Lehre , der Universität und Schule.
Was hat es eigentlich mit der an die Professoren und Lehrerschaft
gerichteten, vielgeübten und überaus beliebten Kritik, man bekäme
den Stoff lediglich "eingetrichtert", der Unterricht sei
ein einziges "Einbimsen", auf sich? Erstens wird damit die
eigene Verstandesleistung, die auch beim Auswendiglernen notwendig
ist, geleugnet, denn auch eine falsche Theorie aus der VWL bspw. muß
nach der Präsentation durchdacht, verstanden und sich gemerkt
werden, wenn es denn zur Prüfung "sitzen" soll. Zweitens
aber – der Kritik am Auswendiglernen von der Form her eine
gewisse Berechtigung zugestanden – kommt es nicht noch schwer
darauf an, was man auswendig lernt?? Man sollte also diese
Kritik nicht mit einer verwechseln, die sich gegen den Inhalt des zu
Lernenden richtet!
Wie
ist das Beharren auf autonomes Denken nun zu verstehen? Es ist
nichts als die dämliche Tour, ganz selbstbewußt etwas eigenes
zu denken, dafür aber die Resultate des Denkens für unwichtig zu
erklären und darauf auch noch stolz zu sein; wer präsentiert sich
nicht gern als origineller Denker, nicht wahr?
Schließlich
eine abschließende Frage an Euch, die ihr diesen Abschnitt gerade
gelesen habt: wer von Euch hat allen Ernstes das Gefühl fremd zu
denken?…Oder anders gesagt: wehrt Euch gefälligst und schickt mir
Eure ureigene Kritik an diesen Überlegungen! Damit wären wir dann
beim nächsten Punkt:
B.
Kritisches Denken
Auch
hier wird wieder ein Maßstab an das Denken angelegt, den es nicht
geben kann. Gewöhnlich nimmt man sich einen Gegenstand vor,
analysiert ihn (und doch ist er danach gar nicht kaputt, Telekinese
und andere Fähigkeiten mal ausgeschlossen), schaut sich das
Resultat an, prüft es und kommt anschließend aufgrund der
Beurteilung der Bestimmung seiner Eigenschaften zu einer positiven
oder negativen Bewertung. Dies ist schlicht die Übersetzung des
Fremdworts Kritik. Bei diesen Operationen kann durchaus ein
negatives Urteil zustande kommen und man darf sich als kritischer
Geist vorkommen – keine Frage! Kritisches Denken ist jedoch
eine methodische und prinzipielle Kritik, die sich nicht auf
die vielen schönen oder eben weniger schönen, konkreten Dinge
dieser Welt bezieht, sondern eine des Denkens selbst ist. Kritisches
Denken zieht also prinzipiell (und damit ziemlich grundlos alles in
Zweifel. Es werden nicht etwa die Fehler eines Gedankengangs
nachgewiesen, sondern das Dogma aufgestellt, daß alle jemals
gemachten Schlußfolgerungen nicht richtig sein können. Mit
kritischem Denken ist eben nicht der triviale Sachverhalt gemeint,
daß gewisse Urteile aufgrund neuer überdachter Argumente der
Revision bedürfen, sondern man soll prinzipiell davon ausgehen, daß
jegliches Urteil verkehrt, - oder etwas milder ausgedrückt - immer
bloß ein vorläufiges sein muß. Es ist damit aber die Leugnung
davon, daß Wissen möglich ist (in der Wissenschaftstheorie nennt
sich das Skeptizismus), korrekte Urteile gefällt werden können!
Wenn Denken die Kritikinstanz ist, dann verpaßt aber das
kritische Denken diesem ein Kritikverbot und jeder leibhaftiger
Kritiker wird mit diesem Generaleinwand mundtot gemacht,
bevor eine Diskussion um den Sachverhalt überhaupt angefangen hat
(und ohne bspw. dafür auch nur eine einzige Demonstration gewaltsam
aufzulösen…)! Fazit: Kritisches Denken ist eine Haltung
von furchtbar ‚kritischen‘, denkenden Subjekten, die antikritischer
nicht sein könnte.
C.
Positives (oder konstruktives) Denken
Anknüpfend
an das eben Gesagte, wird es hier nun offensichtlich noch ein bißchen
absurder (wenn es denn davon eine Steigerung gibt…). Denn: woher
bitte schön, soll man denn wissen, ob der Gegenstand, der zur
Untersuchung ansteht, überhaupt ein positives Urteil zuläßt??
Nochmal: eine affirmative Stellung zu einer Tatsache, eines
Sachverhalts eines Dings kann zwar als Resultat des
Denkvorgangs möglich sein, aber als Maßgabe beim Denken,
das auf diese Richtung verpflichtet bzw. festgelegt wird, kann dies
nie und nimmer ein vernünftiges Urteil über den zu beurteilenden
Gegenstand hervorlocken, die so denkenden Menschen, die ihrem
positiven Weltbild und den dazu passenden Äußerungen Glauben
schenken wollen, vollziehen ihre Urteile als Vorurteile.
Konstruktives Denken ist also zumindest eines: eine einzige Absage
an die Wissenschaft.
D.
Feministisches Denken
Weil
der hier generell präsentierte Gedanke langsam klar geworden sein
sollte, hier nun zum Abschluß nur noch eine etwas weniger begründete
und wahrscheinlich eher ‚unsachliche‘ Darlegung der Fehler
dieser Denkform. Wenn eine Analyse des bestehenden Systems ergibt,
daß Frauen durch die vom Staat eingerichteten Verhältnisse
systematisch benachteiligt werden – dann sollte daraus weder eine
geschlechtsumwandelnde Operation folgen, noch sollte man den Fehler
begehe, sich als Frau allein schon etwas auf das Frau-sein zugute zu
halten, z.B. in dem man behauptet, man hätte schon allein von der körperlichen
Voraussetzung her einen Denkvorteil (gegenüber den männlichen
Zeitgenossen). Das wäre dann nämlich ein rassistischer Gedanke
und ändert (revolutioniert?) das System in keiner Weise, sondern
taugt höchstens dazu, es in seine negative, umgekehrte Form zu
verkehren. Damit keine Mißverständnisse entstehen: Feminismus ist
an-sich kein Fehler; wenn es denn nicht die partikulare Parteinahme
für ein Geschlecht (allein) ist. Und was das Denken an-sich angeht:
nein, nicht daß alle Männer und Frauen stets gleich denken würden,
bei weitem nicht, aber den Gedanke, daß Logik und Urteilsvermögen,
daß die Dinge sich dadurch verändern sollen,
welchem Geschlecht der Betrachter, die Betrachterin angehört, daß
Objektivität also geschlechtsspezifisch sein soll, kann der Autor
nicht nachvollziehen…
Fazit
Sämtliche
Attribute des Denkens teilen eine Eigenschaft: sie stellen Maßstäbe
dar, die dem Denken rein äußerlich sind
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