Jeden Februar verwandelt sich Berlin für zehn Tage in
Europas Filmhauptstadt. Die Berlinale, dieses Jahr in ihrer 73.
Auflage, macht aus dem Berliner Grau Berliner Glitzer. Etablierte
Film-Größen wie Emma Thompson und Juliette Binoche geben
sich die sprichwörtliche Klinke in die Hand, Newcomer*innen
hoffen gespannt auf ihren Durchbruch.
Auch wenn mit der US-Komödie „She Came to Me”
von Rebecca Millers dieses Jahr eine Frau das Filmfestival
eröffnet und die Jury unter Kristen Stewart als
Präsidentin der internationalen Jury von einer Frau angeleitet
wird – Frauen* stellen immer noch einen Bruchteil der
teilnehmenden Filmschaffenden.
Edit-a-thon will FilmFrauen in Wikipedia sichtbarer
machen
Wikipedia als Online-Enzyklopädie ist immer auch Spiegel
der Gesellschaft. So reflektiert sie den Umstand der vermeintlich
fehlenden Frauen in der Filmbranche: Viele weibliche Filmschaffende
verfügen über keinen entsprechenden Eintrag in der
deutschsprachigen Wikipedia. Wikipedia ist aber oftmals eine der
ersten Anlaufstellen für (Film-)Interessierte oder auch
Journalist*innen. Finden sich im Netz also keine schnell und leicht
verfügbaren Informationen, wie beispielsweise in Wikipedia,
werden die weiblichen Kreative oftmals übersehen.
Um das zu ändern, wird also jetzt selbst Hand an die
Tastatur gelegt. Vom 17. bis zum 19. Februar
organisiert die Initiative WomenEdit
in Zusammenarbeit mit Wikimedia Deutschland im Rahmen der Berlinale
einen
Edit-a-thon. Dabei werden gemeinsam neue Artikel über
Künstler*innen, Schauspieler*innen, Kollektiven und
Filmemacher*innen geschrieben, die bislang noch keinen
Wikipedia-Eintrag haben. Alle, die mithelfen wollen, die
Sichtbarkeit von Frauen* in der Wikipedia zu erhöhen, sind
herzlich eingeladen. Jeder Artikel ist ein Gewinn nicht nur
für die weiblichen Filmschaffenden, sondern für die
gesamte Filmindustrie.
Mitmachen ausdrücklich erwünscht!
Wer dabei sein will braucht nicht viel: Lust am Lernen und ein
Laptop sind die einzigen notwendigen Voraussetzungen.
Wikipedia-Vorkenntnisse sind nicht erforderlich. Wie ein
Wikipedia-Account angelegt und Artikel erstellt werden, zeigen
erfahrene Wikipedianer*innen. Die Veranstaltung ist offen für
Teilnehmende aller Geschlechter, sofern ein respektvoller und
sensibler Umgang mit feministischen und diversen Themen gewahrt
wird.
Alle Infos im Überblick
Die Teilnahme am Edit-a-thon ist kostenlos.
Wikipediavorkenntnisse sind erwünscht, jedoch nicht
notwendig.
Anmeldung:
Interessierte können sich per E-Mail an womenedit@wikipedia.de oder
über die Wikipedia-Projektseite
anmelden. Wenn Sie online teilnehmen möchten, erhalten Sie
weitere Informationen ebenfalls auf der Projektseite oder unter
oben genannter E-Mail-Adresse.
Auf dem Digitalgipfel im Dezember stellte die
Gründungskommission des Dateninstituts ihren Empfehlungsbericht
vor. Anhand von drei Use Cases wolle die Kommission Aufgaben und
Arbeitsweise des Dateninstituts entwickeln, hieß es bei der
Präsentation. Ein solcher bedarfsorientierter Ansatz mag in
der Theorie sinnvoll sein. In der Praxis fehlt jedoch die
Einbeziehung der unzähligen Erfahrungen, die Ehrenamtliche
schon seit Jahren im Umgang mit Daten gesammelt haben – etwa
bei Wikidata-Hackathons, einem der vielen „Code
for“-Labs oder Jugend hackt. Das muss sich ändern, wenn
das Dateninstitut den Zugang zu Daten nachhaltig verbessern
will.
Mobilitätsdaten: Bitte kein weiteres Pilotprojekt!
Deutlich wird die fehlende Einbindung ehrenamtlicher Expertise
vor allem bei dem ersten Use Case der Gründungskommission, der
sich mit der freien Open-Source-Software „digitransit“
beschäftigt. Diese wurde ursprünglich auf Basis des
ebenfalls freien Routenplaners OpenTripPlanners in Helsinki
entwickelt und 2017 durch Freiwillige des digitalen Ehrenamts auf
Deutsch übersetzt.
Laut Vorschlag der Gründungskommission soll gemeinsam mit
einer Kommune eine weitere digitransit-Instanz aufgebaut werden, um
Erfahrungen zu sammeln. Digitransit verwendet den
Open-Source-Routenplaner „OpenTripPlanner“, wie er auch
in der OpenStreetMap für die Fuß-, Rad- und
Autoroutenplanung zum Einsatz kommt. Bei digitransit werden zudem
auch öffentlich verfügbare maschinenlesbare Bus- und
Bahnfahrpläne für die Routenplanung genutzt. Auch
Sharing-Scooter und -Räder, regelmäßige
Mitfahrgelegenheiten oder gar Mitfahrbänke
können so in die Mobilitätsauskunft integriert werden. Je
mehr offene Daten verfügbar sind, desto größer das
Potenzial.
Die bisherigen Implementierungen des
Open-Source-Mobilitätsplaners – egal ob durch
Ehrenamtliche oder im Rahmen von Förderprojekten – waren
jedoch in Deutschland auf immer wiederkehrende Grundlagenprobleme
gestoßen. So wurden beispielsweise mangelnde Auffindbarkeit
von Daten oder unnötige Registrierungspflichten als Probleme
genannt. Ein weiteres
Pilotprojekt wird an den strukturellen Hürden wenig
ändern. Stattdessen sollte das Dateninstitut die bereits
gewonnenen Erkenntnisse aufbereiten und aus ihnen
Handlungsempfehlungen entwickeln, wie diese Hürden
systematisch abgebaut werden können.
Linked Open Data: Das Beispiel Wikidata
Wenn es darum geht, das Prinzip von Linked Open Data zu
erklären und für andere Akteur*innen nachnutzbar zu
machen, sollte das zu gründende Dateninstitut auch das
Wikimedia-Projekt Wikidata als Beispiel
heranziehen. Wikidata nimmt bereits seit über 10 Jahren eine
Vorreiterrolle bei der praktischen Anwendung von Linked Open Data
ein. Die Software Wikibase, auf der Wikidata beruht, wird bereits
von vielen Akteuren in der Wissenschaft, im Bibliothekswesen und
für Projekte der
Europäischen Union eingesetzt.
Wikidata ist als Wissensgraph beispielsweise in der Lage, das
Durchschnittsalter aller Mitglieder des 20. Deutschen
Bundestags tagesaktuell auszugeben – und wer dem eigenen
Sprachassistenzsystem diese Frage stellt, bekommt die Antwort in
der Regel ebenfalls aus Wikidata. Das Linked-Data-Prinzip erlaubt
auch eine Abkehr vom architekturell längst überholten
Ansatz, Datensätze erst auf zentralen Plattformen (Hubs,
Datenräumen, etc.) zusammenführen zu müssen, um sie
in gemeinsamen Zusammenhang bringen zu können. Stattdessen
kann und soll mit diesem Prinzip eine Vielzahl dezentraler
Datenendpunkte abgefragt und ihre Daten gemeinsam in Bezug gebracht
werden.
Die öffentliche Hand könnte von einer solchen
Datenbereitstellung enorm profitieren. Die Anwendungsfälle
sind vielfältig – möglich wäre zum Beispiel,
statistische Informationen über Stadtquartiere automatisiert
mit Raum- und Mobilitätsdaten zusammenzuführen, um
Auswirkungen verkehrsplanerischer Vorhaben zu analysieren. Die
hierfür notwendigen Daten sind in der Regel auch längst
vorhanden, müssen bislang aber mit großem Aufwand oder
durch externe Dienstleister händisch zusammengeführt und
ausgewertet werden. Eine Datenorganisation nach
Linked-Data-Prinzipien würde diese Zusammenführung und
Auswertung automatisiert und durch die Verwaltung selbst
ermöglichen.
Es gibt so viele großartige Datenprojekte, die von
Ehrenamtlichen oder der organisierten Zivilgesellschaft entwickelt
wurden. Unser Appell an die Gründungskommission des
Dateninstituts: Statt immer neue Pilotprojekte anschieben zu
wollen, nutzen Sie diese vielfältigen Erfahrungen und
Expertisen!
Unsere Position zum geplanten Dateninstitut haben wir in einer
ausführlichen Stellungnahme zusammengefasst und den
zuständigen Bundesministerien zukommen lassen. Jetzt
nachlesen:
1. Das größte Potenzial für das Dateninstitut
besteht in der Aufbereitung von Informationen und
Handlungsempfehlungen rund um Linked Data. Dazu muss es
Aufklärungsarbeit über die notwendigen IT- und
Datenarchitekturentscheidungen leisten – sowohl für die
öffentliche Hand als auch für viele andere Bereiche,
einschließlich der Wirtschaft.
2. In den vorgestellten Use Cases klingen immer wieder
Bestrebungen zur Vermarktung von
Fakteninformationen an. Das ist grundfalsch, denn
Fakteninformationen gehören niemandem und dürfen auch
nicht vermarktet werden. Eine künstliche Erzeugung von
Exklusivität von Daten durch technische Mittel muss
ausgeschlossen sein.
3. Der Austausch mit Ehrenamtlichen, die sich
häufig seit vielen Jahren auf hohem Niveau mit dem Thema Open
Data beschäftigen, muss verstärkt werden. Digitales
Ehrenamt ist meist nicht formal organisiert und wird deshalb
bislang nicht ausreichend dokumentiert. Wie wir bereits in unserem
Politikbrief dargestellt haben, ist es deshalb so wichtig, die
Erfahrungen der Ehrenamtlichen systematisch zu dokumentieren und
für Digitalisierungsvorhaben nutzbar zu machen.
Millionen Menschen auf der Welt nutzen Wikipedia – um sich
weiterzubilden, etwas nachzuschlagen, Fakten zu recherchieren oder
an weiterführende Informationen zu gelangen. Die freie
Online-Enzyklopädie ist eine der ersten Anlaufstellen für
Leser*innen und Forscher*innen. Entsprechend müssen sie sich
darauf verlassen können, dass die Angaben, die sie dort
finden, aktuell, neutral und korrekt sind. Ereignisse wie die
COVID-19-Pandemie oder der russische Angriffskrieg in der Ukraine
haben zuletzt einmal mehr vor Augen geführt, welche wichtige
Rolle der Wikipedia als Plattform und Quelle für
vertrauenswürdige Informationen zukommt.
Um die Qualität der Inhalte in den mehr als 300
Sprachversionen des Projekts stetig weiter zu verbessern, findet
zweimal jährlich die Kampagne #1Lib1Ref statt (one librarian,
one reference – ein*e Bibliothekar*in, eine Referenz). Frei
nach dem Motto des Wikipedia-Gründers Jimmy Wales
(„Stell dir eine Welt vor, in der jeder Mensch auf dem
Planeten freien Zugang zur Summe des Wissens hat“) regt die
Initiative an: „Stell dir eine Welt vor, in der jede
Bibliothekarin und jeder Bibliothekar der Wikipedia eine
Literaturangabe mehr hinzufügt“.
Jedes Zitat aus einer zuverlässigen Quelle ist ein Vorteil
für Wikipedia-Leser*innen weltweit. Jeder einzelne Beitrag
zählt dabei.
Einfach Mitmachen!
Bibliothekar*innen, die eine Leidenschaft für Freies Wissen
mitbringen, können sich in wenigen Schritten ohne großen
Aufwand an der Aktion beteiligen. Zunächst gilt es, einen
Artikel zu finden, der eine Quellenangabe benötigt. Dafür
gibt es viele Möglichkeiten:
Dieses spieleähnliche Tool schlägt zufällig
ausgewählte „Beleg fehlt“-Aussagen in
Wikipedia-Artikeln vor. Entspricht der Vorschlag nicht dem Wunsch,
genügt ein Klick auf „Weiter“, um zu einem
nächsten zu gelangen. Zusätzlich existiert ein
Suchmenü, in dem Interessierte Kategorien von Artikeln
auswählen können, in dem sie besonderes Fachwissen
besitzen (z. B. „Romane von Agatha Christie“).
Wikipedia-Artikel werden zudem häufig markiert, weil sie
keine Angaben zum Nachweis der Informationen im Artikel selbst
enthalten. Diese Artikel finden sich in automatisch
erstellten Listen in der deutschsprachigen Wikipedia und in
mehr als 55 anderen Sprachen. Auch hier kann nach spezifischen
Themengebieten geforscht werden – dann einfach den zu
bearbeitenden Artikel anklicken.
Im nächsten Schritt gilt es, eine zuverlässige Quelle
hinzuzufügen, die den Artikel unterstützen kann. Als
solche werden in der Wikipedia alle publizierten Quellen betrachtet
(Zeitungen, Bücher, Suchhilfen, wissenschaftliche
Zeitschriftenartikel, Webseiten mit redaktionell betreutem Inhalt).
Je besser die Reputation oder je ausgeprägter die
Autorität der Autor*innen zu dem Thema, desto besser wird der
Beleg angenommen werden.
Weitere Infos zum Mitmachen und wie Literaturangaben
gemäß den Wikipedia-Richtlinien eingefügt werden,
ist
hier zu erfahren.
Schließlich sollte nicht vergessen werden, den
Projekt-Hashtag #1Lib1Ref in der Zusammenfassung der
Wikipedia-Bearbeitung hinzuzufügen.
Hauptinformationsquelle und Ort für
Vielfalt
Für Interessierte, die bislang noch nicht zur Wikipedia
beigetragen haben, existiert eine leicht verständliche
Anleitung. Hier erfahren Sie mehr darüber, wie Sie ein
Benutzerkonto angelegt wird und welche Online-Kurse den Einstieg
erleichtern. Außerdem erwarten Sie viele aufschlussreiche
Erklärvideos zu grundlegenden Aspekten der Wikipedia, sowie
Tutorials, in denen aktive Autor*innen konkret erläutern, wie
sich etwa Artikel verbessern, Bilder einbinden oder Diskussionen
mit anderen Freiwilligen aus der Community führen lassen.
Die Kampagne #1Lib1Ref hat in der Vergangenheit stets
begeisterte Resonanz gefunden – auch über das
eigentliche Projekt hinaus. Die Wikipedianerin Nikolina
Šepić, die 2021 zur Initiative mit beeindruckenden 5.620
Edits beigetragen hat, beschreibt: „Für mich ist
Wikipedia nicht nur ein enzyklopädisches Projekt mit freien
Inhalten und die Hauptinformationsquelle, sondern auch ein Ort der
Beteiligung, der produktiven Zeitnutzung, des Anstoßes, sich
mit unterschiedlichen Themen auseinanderzusetzen. Ein Ort für
neue Bekanntschaften und Begegnungen mit wunderbaren Menschen (-),
für Achtung der Vielfalt und Gleichberechtigung“.
Webinar mit dem Deutschen
Bibliotheksverband
In Vorbereitung auf die Kampagne #1Lib1Ref haben der Deutsche
Bibliotheksverband und Wikimedia Deutschland eine
Online-Infoveranstaltung angeboten, die in das Editieren des
Online-Lexikons Wikipedia einführt. Hier geht es direkt zum
Webinar.
Für Rückfragen zur Kampagne und zum Mitmachen
können Sie sich jederzeit bei Claudia Bergmann von Wikimedia
Deutschland melden: claudia.bergmann@wikimedia.de
Bislang hat die tagesschau 55 Videos unter einer
freien Lizenz veröffentlicht,
etwa zur Zeitumstellung, dem Wahlsystem in Deutschland oder der
Corona-Pandemie. Acht dieser Videos haben in einem Pilotprojekt
bereits den Weg in die Wikipedia gefunden. Diese wurden in den
letzten zweieinhalb Monaten bereits über 150.000 Mal
aufgerufen.
Die beeindruckenden Abrufzahlen der tagesschau-Clips in der
Wikipedia unterstreichen: Wissensinhalte erreichen ein breites
Publikum, wenn sie frei lizenziert sind. Dass die ARD jetzt mehr
hochwertig produzierte Inhalte für alle zugänglich und
nutzbar macht, ist ein enormer Gewinn für den freien Zugang zu
Wissen.
Möglich machen das auch die Ehrenamtlichen des Projekts
Wiki Loves Broadcast. Sie
sichten die Videoclips und prüfen, ob diese den Anforderungen
der Wikipedia entsprechen. Wenn sie einen passenden Artikel
identifiziert haben, für den ein Erklärvideo einen
inhaltlichen Mehrwert darstellt, kümmern sie sich um die
technische
Einbindung. Bisher sind tagesschau-Videos in den folgenden
deutschsprachigen Wikipedia-Artikeln verfügbar:
Endlich wikipedia-kompatibel durch freie
Creative-Commons-Lizenzen
Freie Lizenzen
ermöglichen die Nutzung, Weiterverbreitung und Änderung
urheberrechtlich geschützter Werke. Wohl am bekanntesten sind
die Creative-Commons-Lizenzen. Wirklich frei und
wikipedia-kompatibel sind solche Lizenzen dann, wenn sie auch eine
Bearbeitung des jeweiligen Werks erlauben – und zwar selbst
für kommerzielle Zwecke.
Bislang waren die
Videoclips der tagesschau nur unter der vergleichsweise
restriktiven Creative-Commons-Lizenz BY-NC-ND 4.0
verfügbar, die Bearbeitungen und kommerzielle Nutzung explizit
ausschließt. Eine Einbindung in die Wikipedia war dadurch
nicht möglich. Nach eingehender Beratung durch Wikimedia
Deutschland und die Ehrenamtlichen von Wiki Loves Broadcast hat die
ARD sich jetzt dazu entschlossen, die Videos unter der Lizenz
CC BY-SA 4.0 zu
veröffentlichen – ein wichtiger Schritt für den
freien Zugang zu Wissens- und Bildungsinhalten.
Erklärvideo der tagesschau zur Verwendung der Videos mit
CC-Lizenz
Mehr frei lizenzierte Inhalte im Jahr 2023
Nach eigenen Angaben plant die tagesschau, die Bereitstellung
von Inhalten unter freier Lizenz in diesem Jahr auszuweiten. Jetzt
kommt es darauf an, dass die ARD ihre Bemühungen verstetigt
und regelmäßig frei lizenzierte tagesschau-Videos
bereitstellt.
Das Beispiel tagesschau zeigt: Es müssen nicht komplette
Sendungen sein, die frei lizenziert werden – hier könnte
die Rechteklärung aufgrund von eingekauftem Audio- oder
Videomaterial auch durchaus kompliziert werden. Einzelne
Videoclips, die ein Thema kurz und prägnant erklären,
eignen sich bestens für die Bereitstellung unter freien
Lizenzen. Die ZDF-Wissenssendung Terra X macht das bereits seit
Jahren vor. Auch der Bayerische Rundfunk hat bereits angekündigt,
dieses Jahr mit dem digitalen Lernangebot kolleg24 mitzuziehen.
Frei lizenzierte Inhalte der öffentlich-rechtlichen Sender
können nicht nur Wikipedia-Artikel verbessern, sondern auch
rechtssicher im
Schulunterricht genutzt werden. ARD, ZDF und Deutschlandfunk
sollten die Chance nutzen und sich 2023 noch stärker zum
Grundsatz „Öffentliches Geld
– Öffentliches Gut!“ bekennen.
Mehr erfahren?
Weitere Blogbeiträge zu freien Lizenzen
Wie frei lizenzierte Rundfunkinhalte die Wikipedia
bereichern
Zahlreiche Medien berichteten über die Entscheidung der
tagesschau, ausgewählte Erklärvideos unter freien
Creative-Commons-Lizenzen anzubieten. Eine Auswahl:
Das Jahr 2022 war wieder ein Jahr mit vielen Schlagzeilen:
Russlands Einmarsch in die Ukraine, der Tod von Königin
Elisabeth II. oder auch die umstrittene
Fußball-Weltmeisterschaft in Katar – diese Ereignisse
prägten auch die Suchanfragen in der Wikipedia. Außerdem
hat ein Mann die Wikipedia-Leser*innen in den Bann gezogen: Nachdem
Netflix eine Anthologie über den amerikanischen
Serienmörder Jeffrey Dahmer veröffentlicht hat,
schnallten die Aufrufzahlen des Wikipedia-Artikels sowohl im
englischsprachigen Raum als auch bei uns in Deutschland in die
Höhe.
Top 10 in der deutschsprachigen Wikipedia
Diese Seiten und Artikel wurden 2022 am häufigsten in der
deutschen Wikipedia aufgerufen. Die Liste der Todesfälle
(Nekrolog) ist wie jedes Jahr auch 2022 unter den Top 3.
Was haben Annalena Baerbock, Elon Musk und Queen Elizabeth II.
gemeinsam? Ihre Wikipedia-Artikel gehören zu den
meistgelesenen im Jahr 2021. Hier geht es zu den Top
10 der englischen und deutschen Wikipedia.
Bis zum Jahr 2030 will Wikimedia die größte
Wissensinfrastruktur der Welt werden – und dabei diverser,
partizipativer und gleichberechtigter sein. Im Rahmen des globalen
Strategieprozesses Wikimedia 2030 arbeiten
weltweit hunderte Menschen daran, eine gemeinsame Vision für
Wikimedia zu entwickeln. Doch wo genau stehen wir auf dem Weg zu
Wikimedia 2030? Und welche spannenden Themen gibt es im
Zusammenhang mit der Strategie?
Darüber sprechen Nicole Ebber und Nikki Zeuner von
Wikimedia Deutschland im Podcast WIKIMOVE (in englischer Sprache). Sieben Folgen
sind bislang erschienen, in denen Gäste aus der Wiki-Welt
über Themen wie den Enthusiasmus und die Kämpfe
wachsender Communitys, gegenseitiges Lernen innerhalb der Bewegung
und Initiativen gegen Wissenslücken sprechen.
Nicole Ebber, Eva Martin und Nikki Zeuner (von links nach
rechts) aus dem Team Movement Strategy and Global Relations von
Wikimedia Deutschland organisieren seit April 2022 den Podcast
WIKIMOVE.
Nikki, mit insgesamt sieben Ausgaben von WIKIMOVE habt
ihr 2022 einen spannenden Einblick in die Arbeit der
Wikimedia-Bewegung und des Strategieprozesses 2030 gewährt.
Wenn du zurückblickst, wie lautet dein Fazit? Habt ihr eure
Ziele erreicht?
WIKIMOVE ist für unser Team eines der großartigen
Highlights des Jahres! Es ist uns gelungen, mit allen Teilen
unserer Bewegung – die Wikimedia Foundation, die Affiliates
und die Freiwilligen – ehrlich über die Herausforderung
der Umsetzung der Movement Strategie 2030 zu sprechen. Gemeinsam
haben wir nicht nur Hürden identifiziert, sondern auch neue
Ideen für die Zukunft vorgeschlagen. WIKIMOVE hilft uns wach
zu bleiben und aktiv nach außen zu sein. Wir haben uns in der
Vorbereitung mit Themen befasst, deren Wichtigkeit auch fast drei
Jahre nach Abschluss des Strategieprozesses nicht abgenommen hat,
wie zum Beispiel „Wissen als Dienst“. Außerdem
haben wir neue Kontakte mit Gästen und Zuhörer*Innen
geknüpft, denen wir ansonsten nicht begegnet
wären.
Was ist dein persönliches Highlight aus einem Jahr
WIKIMOVE?
Alle Diskussionen waren faszinierend und anregend und die Themen
sind alle so wichtig. Aber besonders war für mich Folge 7 mit
Anass und Pepe, in der es um wachsende Communitys und deren
Herausforderungen geht. Da diese Folge remote aufgenommen wurde,
gab es einen stärkeren Fokus auf die inhaltliche
Auseinandersetzung und weniger Ablenkung wegen des Equipments.
Außerdem habe ich dabei nochmal festgestellt, wie divers
unsere Bewegung ist und wie privilegiert wir sind. Diese
Privilegien verpflichten uns zur Aktion.
Wie geht es mit der Podcast-Reihe 2023
weiter?
Die Evaluation hat gezeigt, dass es noch viele Topics für
weitere Episoden gibt. Zum Beispiel gibt es einen Bedarf für
mehr Aufklärung über die Movement Strategy, deshalb wird
die nächste Episode eine Einleitung dazu sein, in der wir
Fragen aus den Communitys beantworten. Ich glaube, es geht bei der
Movement Strategie nicht nur darum, unser Movement zu
vergrößern und zu demokratisieren, sondern
tatsächlich ums Überleben als relevante, globale
Grassroots-Bewegung des Freien Wissens. Diese Dringlichkeit
würde ich gerne 2023 in der Show noch stärker
rüberbringen.
Wir kommen im Februar zurück mit verkürzten Episoden,
neuen Gästen und weniger Zeitlauf zwischen Aufnahme und
Veröffentlichung, damit die News noch aktueller für
unsere Zuhörer*innen wird. Wir sind schon sehr gespannt!
Zum Auftakt geht es um die
Entstehungsgeschichte der strategischen Ausrichtung und ihre
Bedeutung für die Zukunft unserer Bewegung. Unsere
Gäste:Tochi Precious,
Gründerin der Igbo Wikimedia User Group, die sich u. a.
für mehr Wikipedias in afrikanischen Sprachen einsetzt
und Guillaume Paumier von der Wikimedia Foundation, der
maßgeblich an der frühen Phase der Strategieentwicklung
beteiligt war.
Folge 2: Movement-Strategie und Communitys
Erica Azzellini und Luca
Piantá von Wiki Movimento Brasilien zeigen einen Weg auf, wie
wir die Strategie mit Leben füllen können, um gemeinsam
mit den Communitys herauszufinden, was die nächsten Schritte
auf lokaler und regionaler Ebene sind.
Folge 3: Innovation freisetzen
In dieser Folge geht es um das
UNLOCK-Innovationsprogramm von Wikimedia Deutschland und die
Zusammenarbeit mit Wikimedia Serbien. Programmleiterin Kannika
Thaimai und Ivana Madžarević von Wikimedia Serbien
sprechen darüber, wie unsere Bewegung mehr zu einem
Innovations-Ökosystem werden kann.
Folge 4: Inhalte und Wissenslücken
In dieser Folge erfahren wir
mehr über ein in Arbeit befindliches Toolkit zur Aufdeckung
von marginalisierten Wissen und erste Ideen zur Unterstützung
der Erstellung von Wikipedias mit marginalisierten
Sprachgemeinschaften. Zu Gast: Kiril Simeonovski,
führender Wikimedianer aus Mittel- und Osteuropa, Daniel
Bögre Udell, Geschäftsführer von Wikitongues und
Lucy Crompton-Reid, Geschäftsführerin von Wikimedia
UK.
Folge 5: Gegenseitige Unterstützung
Für jede Fähigkeit
oder jedes Wissen, das Wikimedianer*innen suchen, gibt es
wahrscheinlich andere Wikimedianer*innen, die die Antwort kennen.
Aber wie finden sie sich gegenseitig? Darüber sprechen Rebecca
O’Neill von Wikimedia Community Irland und Jessica Stephenson
von der Wikimedia Foundation in dieser Folge.
Folge 6: Hubs
Regionale und thematische Hubs sind gemäß den
Empfehlungen der Strategie der Wikimedia-Bewegung ein Top-Thema. In
dieser Folge sprechen Johnny Alegre, Präsident der
philippinischen Wikimedia Community UG und Natalia Szafran,
Community Support Team Manager bei Wikimedia Polen über die
Aktivitäten der Hubs in Asien und Osteuropa.
Folge 7: Entstehende Communities
Welche Herausforderungen gibt es beim Aufbau neuer Communitys?
Wie können die Gruppen am besten unterstützt werden und
wie sieht ein Governance-Modell aus, das ihnen eine Stimme gibt?
Über diese Fragen sprechen die bekannten Wikimedia-Aktivisten
Anass Sedrati, Vorstandsmitglied der Benutzergruppe Wikimedia
Marokko und Pepe Flores, Präsident von Wikimedia Mexiko.
Was gibt es am Tag der Gemeinfreiheit 2023 zu feiern? Die in
Deutschland bekanntesten Namen sind in diesem Jahr eine
Pädagogin und ein Entdecker, deren Werke im zwanzigsten
Jahrhundert vielfach rezipiert wurden:
Die von der Italienerin Maria
Montessori begründete Montessori-Pädagogik
gilt als Meilenstein in der Geschichte der Pädagogik und wird
bis heute in der Kindererziehung angewandt, insbesondere in
Kindergärten und Grundschulen. Ihr Buch Il metodo della
pedagogia scientifica aus dem Jahr 1909 (auf Deutsch unter dem
Titel “Selbsttätige Erziehung im frühen
Kindesalter” veröffentlicht) kann nun unter anderem in
der freien Quellen-Datenbank Wikisource veröffentlicht und
dort erforscht werden.
Der schwedische Geograph Sven Hedin erlangte
weltweiten Ruhm durch mehrere Expeditionen nach Zentralasien. Unter
anderem reiste er als erster Europäer zur Quelle des Indus im
Transhimalaya. Seine Entdeckungen veröffentlichte er in
zahlreichen Büchern, darunter ein Atlas
Zentralasiens, der ab heute in Wikipedia und ihren
Schwesterprojekten nachgenutzt werden kann. Aufgrund seines
Engagements für den Nationalsozialismus wird Hedin als
Forscherpersönlichkeit jedoch mittlerweile kritisch
gesehen.
Im Bereich der Literatur ist das Jahr 1952 in trauriger
Erinnerung geblieben: In der so genannten Nacht
der ermordeten Dichter wurden zahlreiche sowjetische Juden
in Moskau wegen ihrer Verbindung zum Jüdischen
Antifaschistischen Komitee nach Scheinprozessen hingerichtet. Unter
den Opfern waren bekannte Intellektuelle, darunter einige Autoren
jiddischsprachiger Werke. Wikipedia-Aktive können das heutige
Datum zum Anlass nehmen, an die Opfer dieses antisemitischen
Verbrechens gegen die jüdische Bevölkerung der
Sowjetunion unter Josef Stalin zu erinnern.
Erma Bossi (1875-1952): Marianne von Werefkin (1910).
Lenbachhaus, München
Erma Bossi (1875-1952): Marianne von Werefkin (1910).
Lenbachhaus, München
Wer den Tag der Gemeinfreiheit zum Anlass nehmen möchte,
weiter in die Geschichte einzutauchen und Neues zu entdecken, sei
auf das Werk des bengalischen Philosophen und Yoga-Meisters
Yogananda hingewiesen.
Außerdem sind der norwegische Literaturnobelpreisträger
und NS-Kollaborateur Knut Hamsun sowie der
französische surrealistische Dichter Paul Éluard zu
nennen. Nicht unerwähnt bleiben dürfen schließlich
der US-amerikanische Philosoph John Dewey und im Bereich
der bildenden Kunst die expressionistische Malerin Erma Bossi.
Public Domain Day in den USA: Metropolis, Steppenwolf und
Sherlock Holmes werden gemeinfrei
Und weil das Urheberrecht bislang international nur teilweise
vereinheitlicht ist, nimmt auch der Tag der Gemeinfreiheit weltweit
unterschiedliche Formen an. Ein viel beachtetes Beispiel sind hier
die USA: Dort berechnet sich die Dauer des Urheberrechts ganz
anders, so dass dort bereits heute Werke gemeinfrei werden, die
konkret im Jahr 1927 veröffentlicht wurden.
Dazu gehören unter anderem die beiden letzten
Sherlock-Holmes-Geschichten aus der Feder des 1930 verstorbenen
Arthur Conan Doyle (deren Urheberrecht aufgrund der anderen
Berechnung bei uns schon seit 2001 erloschen ist). In den USA hatte
die längere Schutzfrist zu dem Streit über die Frage
geführt, ob die Figuren Sherlock Holmes und Doktor Watson
für sich genommen urheberrechtlichen Schutz genießen. Was
2014 schon ein Berufungsgericht entscheiden musste, ist
spätestens seit heute klar: Altbekannte Stoffe werden nach
einer bestimmten Zeit zum Allgemeingut und heutige Kunstschaffende
dürfen aus dieser “kreativen Allmende” (englisch
Creative Commons) eigene, neue Geschichten spinnen.
Aus deutscher Sicht schließlich noch erwähnenswert
unter den 1927 veröffentlichten und damit ab heute in den USA
gemeinfreien Werken sind Fritz Langs Film Metropolis (in der
EU noch bis 2047 urheberrechtlich geschützt) und der Roman
Steppenwolf von
Hermann Hesse, der bei uns erst 2033 gemeinfrei wird.
Wir bleiben daher dran – und wünschen allen
Freundinnen und Freunden des Freien Wissens einen frohen Tag der
Gemeinfreiheit!
Der Krieg in der Ukraine, die Klima- und Energiekrise, die
weiter anhaltende Corona-Pandemie: Das zurückliegende Jahr war
in vielen Bereichen herausfordernd und oft kein einfaches für
viele von uns. Umso mehr freut es uns, dass sich erneut
hunderttausende Menschen in Deutschland an der
Wikipedia-Spendenkampagne beteiligt haben. Mit ihren Spenden haben
sie deutlich gemacht, dass der freie Zugang zu Wissen und
unabhängige Informationen im Netz auch und besonders in
Krisenzeiten wichtig sind.
Rund 360.000 Menschen haben sich an der diesjährigen
Wikipedia-Spendenkampagne mit einer Spende beteiligt, der
durchschnittliche Spendenbetrag lag bei 25 Euro.
Dafür werden die Gelder eingesetzt
Dank der Spenden kann sich Wikimedia auch 2023 für
Wikipedia, die ehrenamtlichen Communitys und die zahlreichen
weiteren Projekte für Freies Wissen einsetzen. Die Mittelverwendung
zeigt detailliert, wie die Spenden 2023 aufgeteilt werden. Ein Teil
der Gelder geht an die Wikimedia Foundation, die weltweit Wikipedia
und damit verbundene Projekte betreibt, voranbringt und entwickelt.
Die Jahrespläne von Wikimedia Deutschland und der Wikimedia
Foundation enthalten weitere Informationen über die
Aktivitäten in Deutschland und die
internationalen Aktivitäten.
Zahl der Dauerspenden steigt, ebenso wie
Mitgliederzahl
Ein wichtiger Fokus innerhalb der Kampagne lag darauf, die Zahl
der Dauerspenden zu erhöhen sowie noch mehr Menschen als
Vereinsmitglieder zu gewinnen. Dies verschafft dem Verein
Planungssicherheit für die kommenden Jahre.
Wir freuen uns sehr, dass dieses Ziel erreicht wurde: Die Zahl
der neuen Dauerspenden konnte verdoppelt werden. Außerdem
haben sich im Zuge der Kampagne bis jetzt weitere 5.400 Menschen
dazu entschieden, eine Mitgliedschaft bei Wikimedia Deutschland
abzuschließen. Die Zahl der Vereinsmitglieder stieg damit auf
rund 105.000.
Im Rahmen der anstehenden Dankeskampagne kommen
erfahrungsgemäß viele weitere neue Mitglieder hinzu. Wenn
auch Sie Teil dieser einzigartigen Bewegung für Freies Wissen
werden möchten, alle Informationen zur Mitgliedschaft finden Sie hier.
„Wikipedia ist großartig!“ – Ein
Blick in die Spendenkommentare
Besonders schön ist jedes Jahr der Blick in die
Spendenkommentare. Hier zeigt sich, wie unterschiedlich die
Beweggründe der Menschen sind, für Wikipedia und die
Projekte rund um Freies Wissen zu spenden. Ein Auszug:
„Wikipedia ist eine so hilfreiche Plattform.
Dafür möchte ich mich bedanken.“
Spendenkommentar 2022
„Wikipedia ist meine erste Anlaufstelle, wenn ich
etwas nachschlagen möchte. Und das ist ziemlich oft der Fall.
Muss unbedingt unterstützt werden!“
Spendenkommentar 2022
„Portale wie Wiki sind für unsere Gesellschaft
von entscheidender Bedeutung. Das sollte uns allen etwas wert sein.
Denn Wissen bildet und hilft uns die Welt ein Stückchen besser
zu machen.“
Spendenkommentar 2022
„Bildung und unverfälschte Informationen sind die
Grundlage zum Meistern der zukünftigen Herausforderungen der
Menschheit – sei es nun die Klimakrise oder ein Krieg. Darum
unterstützt die Algorithmus Schmiede Wikipedia. Die
finanzielle Förderung von Wikipedia ist effizienter und
nachhaltiger Weg, die Welt ein klein bisschen zukunftssicherer zu
machen.“
Spendenkommentar 2022
„Gemeinsam Wissen erweitern bringt uns alle
weiter.“
Spendenkommentar 2022
Ein großer Dank an alle
Unterstützer*innen
Wir möchten an dieser Stelle herzlich Dankeschön sagen
an alle, die uns mit einer Spende unterstützt haben,
Vereinsmitglieder sind und natürlich an die vielen engagierten
Ehrenamtlichen in den Wikimedia-Projekten für Ihre Initiative
und Ihren Einsatz für Wikipedia und Freies Wissen!
Immer wieder wird ein staatlich betriebenes Ehrenamtsregister
ins Spiel gebracht, um Engagement im Netz bestmöglich zu
unterstützen. Ist das sinnvoll?
KATARINA PERANIĆ: Es existieren bereits zahlreiche
Engagementbörsen und -datenbanken. Allein online gibt es rund
350 sehr unterschiedliche Angebote. Und mittlerweile wird auch das
digitale Engagement, also das freiwillige Engagement über das
Internet, hier mehr und mehr abgebildet. Meines Erachtens wird
diese Vielfalt dem Engagement und Ehrenamt in Deutschland besser
gerecht als es ein zentrales Register könnte, das dann auch
wieder mit jeder Menge Bürokratie verbunden wäre.
Bei der Förderung von Engagement im Netz kommt es darauf
an, die bestehenden Ansätze bedarfsgerecht weiterzuentwickeln
– sodass sich der Aufwand für Vereine in Grenzen
hält und gleichzeitig die Angebote auch im Sinne guter Passung
funktionieren. Als DSEE haben wir uns mit
unterschiedlichen Akteuren wie der Bundesarbeitsgemeinschaft der
Freiwilligenagenturen dazu auf den Weg gemacht, eben diese
Weiterentwicklung zu befördern.
Diesen und weitere Beiträge zum digitalen Ehrenamt jetzt
nachlesen im Wikimedia-Politikbrief.
Woran ließe sich messen, ob staatliche Förderprojekte
sinnvoll sind?
PERANIĆ: Daran, ob die Hilfen auch wirklich dort ankommen,
wo sie gebraucht werden. Das gilt natürlich immer und
unabhängig vom Engagement-Format. Vor allem aber bei
Ereignissen, die plötzlich über uns hereinbrechen –
seien es die Lockdowns in der Coronapandemie, eine neue
Flutkatastrophe oder stark steigende Zahlen flüchtender
Menschen – sehen wir immer wieder, dass spezielle
Hilfe-Bedarfe entstehen. Hier gilt es dann, schnell zu
identifizieren, welche Angebote schon gut funktionieren – und
diese so zu unterstützen, dass sie wachsen können und
bekannter werden.
Digitales Engagement kommt hier immer wieder in den Fokus, weil
die Angebote schnell skaliert werden können. Das haben wir zum
Beispiel in dem Sonderprogramm ZukunftsMUT beobachtet. Was es
allerdings auch braucht, sind Anlaufstellen für Menschen, die
sich digital engagieren wollen. Es lohnt sich, darüber
nachzudenken, welche Akteure in der Vielzahl von Möglichkeiten
Orientierung bieten und unterstützen könnten.
Welche politischen Rahmenbedingungen braucht das digitale
Ehrenamt?
PERANIĆ: Politik und Verwaltung können durchaus starke
Partner sein, was Engagement und Ehrenamt insgesamt angeht. Was das
digitale Engagement betrifft, war vor allem in den letzten Jahren
ein großer Sprung nach vorn zu beobachten. Sowohl bei der
Anerkennung und Würdigung des freiwilligen Engagements
über das Internet als auch bei der Förderung engagierter
Gestaltung des Digitalen. Das Digitale wurde in den letzten Jahren
in immer mehr Förderprogramme aufgenommen.
Als DSEE haben wir mit 100xDigital sogar ein
Förderprogramm, das ausschließlich diesem Thema gewidmet
ist. Zudem gibt es seit Längerem schon den Prototype Fund, der
über die Open Knowledge Foundation abgebildet wird, und seit
Kurzem auch den Sovereign Tech Fund bei SPRIN-D. Auch der Freifunk
ist mittlerweile in die Familie der Gemeinnützigkeitszwecke
aufgenommen worden.
Solche Sachen zählen für mich zu Rahmenbedingungen,
die geschaffen und bekannt gemacht werden müssen. Generell
aber sollte Politik mehr auf die Zivilgesellschaft hören:
Welche Bedarfe es gibt und was vor Ort und in den
Engagement-Communitys „buttom up“ wächst. Die
Leute vor Ort wissen schließlich am besten, was sie
brauchen.
Die Bundesregierung hat im Koalitionsvertrag von 2021
angekündigt: „Wir werden das digitale Ehrenamt
sichtbarer machen, unterstützen und rechtlich
stärken.“ Als Förderverein des größten
digitalen Ehrenamtsprojektes in Deutschland begrüßen wir
das sehr. Es braucht dafür folgende politische
Maßnahmen:
1. Förderstrukturen dem digitalen Ehrenamt anpassen
Im digitalen Raum sind neue Formen des Ehrenamts entstanden. Sie
kennzeichnet oft eine spezifisch digital geprägte Perspektive
oder das Engagement für Netzthemen. Häufig entstehen sie
als offene, partizipative Projekte. Das Milieu der digitalen
Ehrenamtlichen kennzeichnet das gemeinsame Neu-Aushandeln von
Organisationsformen und Regeln.
Das kann dazu führen, dass digital Engagierte nicht im
gleichen Maß wie klassische Vereine Fördermittel
beantragen können. Wir halten daher eine entsprechende
Neuausrichtung von staatlichen Förderstrukturen für das
Ehrenamt für notwendig. Dabei sollte ein Grundsatz sein:
Weniger Projektförderung und mehr Strukturförderung.
2. Definition von Gemeinnützigkeit modernisieren
Die Liste der Tätigkeitsfelder, die in der Abgabenordnung
als gemeinnützig definiert werden, ist lang ‒ aber
veraltet. Neue Engagementformen oder -zwecke werden durch diese
Liste benachteiligt. Eine Modernisierung im Sinne einer Anpassung
an die digitale Realität ist notwendig.
Wir fordern, dass neben dem freiwilligen Einsatz zur
Förderung von Kultur, Naturschutz oder Sport auch die
Erstellung gemeinwohlorientierter Plattformen, Apps oder Software
explizit als gemeinnützig genannt werden. Insbesondere bei der
Plattformregulierung sind zudem sachgerechte Sonderregeln für
gemeinwohlorientierte Internet-Strukturen nötig, die
ehrenamtliche Selbstverwaltung fördern und Haftungsrisiken
senken.
Diesen und weitere Beiträge zum digitalen Ehrenamt jetzt
nachlesen im Wikimedia-Politikbrief.
3. Freiwilliges Digitales Jahr – bundesweit
Jedes Jahr verlassen Digital Natives deutsche Schulen. Viele von
ihnen sind auf der Suche nach einer sinnvollen und
gemeinwohlorientierten Tätigkeit vor dem Studium oder der
Ausbildung. Sie bringen digitale Kompetenzen mit, die sie auch
gemeinwohlorientiert einsetzen wollen. 2013 hatte die schwarz-rote
Koalition angekündigt, das
FSJ Digital einführen zu wollen. Ab 2015 folgten
Modellprojekte in Rheinland-Pfalz und Sachsen-Anhalt, für die
es mehr Bewerber*innen als verfügbare Plätze gab.
Wikimedia Deutschland fordert die Bundesregierung auf, das
Freiwillige Digitale Jahr bundesweit und gleichwertig mit den
existierenden Freiwilliges-Jahr-Formaten einzuführen. Die
Vielfalt der Möglichkeiten ist da. Sie reicht von der
Medienbildung in Alten- und Pflegeeinrichtungen bis hin zur
Social-Media-Arbeit für offene Kanäle oder digitale und
informatische Bildungsarbeit an Schulen.
4. Öffentliches Geld – Öffentliches Gut!
Freie Inhalte und Daten sind die Voraussetzung für digitale
Koproduktion. Die besten Beispiele dafür sind Wikipedia,
Wikidata und Wikimedia Commons. Hinter ihnen steht die
Überzeugung, dass alle Menschen Zugang zu Wissen haben sollen,
es weiterverbreiten und -nutzen können. Das heißt, dass
alle die Inhalte der Wikipedia nutzen, verbreiten und
verändern dürfen. Dies kann nur funktionieren, wenn auch
Inhalte unter freier Lizenz zur Verarbeitung bereitgestellt werden.
Dazu gehören Informationen öffentlicher Stellen wie
Statistiken, Gutachten oder Bildarchive.
Viele dieser Daten und Medieninhalte müssen allerdings erst
noch unter eine freie Lizenz gestellt werden. Künftig ist
sicherzustellen, dass steuerfinanzierte Inhalte von der
Gesellschaft frei genutzt werden können. Grundsätzlich
sollte für alle, die staatliche Fördermittel beziehen,
festgelegt sein, dass ihre Arbeitsergebnisse frei verfügbar
und frei verwendbar bereitgestellt werden müssen. Die
Kurzformel dafür lautet: Öffentliches Geld
– Öffentliches Gut!
Die Freiwilligen, die in Projekten von Code for Germany
öffentliche Daten gemeinwohlorientiert nutzbar gemacht haben,
zeigen: In der digitalen Zivilgesellschaft schlummert ein
großer Wissensschatz. Die Deutsche Stiftung
für Engagement und Ehrenamt unterstützt bereits die
ehrenamtliche Arbeit mit offenen Daten und das Engagement zur
Entwicklung von Open-Source-Software mit Fördermitteln. Und in
regionalen Open-Government-Laboren konnten Verwaltungen erleben,
dass sie von offenen Verwaltungsdaten und Kooperation oder
Co-Kreation mit Bürger*innen profitieren. Aber da ist noch
mehr möglich.
Wikimedia Deutschland fordert, dass ehrenamtliche Expertise
nicht nur punktuell eingebunden wird. Vielmehr müssen die
Erfahrungen digital Ehrenamtlicher systematisch dokumentiert werden
und verpflichtend in Digitalisierungsprojekte einfließen.
Dieser Wissenstransfer muss sich an den Bedarfen der Ehrenamtlichen
orientieren.
6. Vielfalt im digitalen Ehrenamt fördern
Im digitalen Ehrenamt engagiert sich nicht die gesamte
Zivilgesellschaft gleichermaßen. Migrant*innen, Frauen,
Menschen aus dem ländlichen Raum oder mit geringem Einkommen
sind unterrepräsentiert. Damit sich möglichst viele
Menschen auch digital an der gesellschaftlichen Gestaltung
beteiligen können, braucht es mehr Mikroförderung und
Förderprogramme, die sich an genau diese
unterrepräsentierten Gruppen richten und ihnen unkompliziert
Finanzmittel zur Verfügung stellen.
Ein Beispiel dafür ist „Digital.Vernetzt –
Frauen im Ehrenamt stärken“ vom Bundesministerium
für Ernährung und Landwirtschaft, das Frauen im
ländlichen Raum gefördert hat. Auch „Jugend
hackt“ ist ein gutes Beispiel für die Förderung
digitaler Kompetenz. Staatliche Unterstützung von Care-Arbeit
für die Betreuung von Kindern oder pflegebedürftigen
Angehörigen und haushaltsnahe Dienstleistungen kann dazu
beitragen, Ehrenamt stärker zu ermöglichen.
Deutschland ist das Land des Ehrenamts. Rund 600.000 Vereine gibt
es in Deutschland. Etwa 40 Prozent der Bevölkerung über
14 Jahre üben eine freiwillige
Tätigkeit aus und engagieren sich für Sport, Kultur,
Soziales oder politische Anliegen. Doch längst findet
zivilgesellschaftliche Teilhabe nicht mehr nur klassisch im
Vereinsheim statt. Auch im digitalen Raum sind vielfältige
Möglichkeiten zur ehrenamtlichen Betätigung entstanden.
Die Initiative Freifunk etwa ermöglicht mit freien Datennetzen
mehr Menschen einen Zugang zum Netz. Die Digitalen Engel wiederum
vermitteln digitale Kompetenzen. Andere Initiativen
ermöglichen datenbasierte Innovationen für die
Gesellschaft oder widmen sich dem Schutz der Persönlichkeit im
digitalen Raum. Immer mehr Menschen engagieren sich in neuen
Ehrenamtsformen wie Crowdsourcing oder Citizen Science.
Diesen und weitere Beiträge zum digitalen Ehrenamt jetzt
nachlesen im Wikimedia-Politikbrief.
Das wohl bekannteste Beispiel für digitales Engagement ist
die freie Enzyklopädie Wikipedia. Mehr als 2,7 Millionen
Artikel gibt es allein in der deutschen Sprachausgabe, bei
insgesamt rund einer Milliarde Seitenaufrufen pro Monat. Auch in
den anderen Wiki-Projekten steht Freies Wissen jederzeit und
ortsunabhängig zur Verfügung. Möglich wird das nur
durch die unverzichtbare Arbeit Tausender Freiwilliger allein im
deutschsprachigen Raum. Die Ehrenamtlichen schreiben oder editieren
fundierte Artikel. Sie stellen Bilder und Videos digital bereit und
pflegen die freie Datenbank Wikidata.
Den Wikipedianer Gereon Kalkuhl reizt am digitalen Ehrenamt,
dass man „sehr selbstbestimmt ist, was Arbeitsort und -zeit
angeht, und die Regeln des Projekts mitgestalten kann. Wir brauchen
nur einen Internetzugang und können loslegen. Darüber
hinaus sind natürlich die Skalierung und Reichweite online
viel höher als bei einem Offline-Ehrenamt: Was ich in der
Wikipedia editiere, kann man sofort weltweit einsehen“,
erklärt
Kalkuhl.
Digitales Ehrenamt braucht mehr Anerkennung
Digitale Ehrenamtsformen erhalten im Vergleich zum
traditionellen Ehrenamt zu wenig Aufmerksamkeit und Anerkennung.
Das hat sehr konkrete negative Konsequenzen für digitale
Freiwillige: Staatliche Förderangebote und die Abgabenordnung
werden den Strukturen der digitalen Ehrenamtstätigkeit und der
Vielfalt der Themen, für die sich Menschen einsetzen, nicht
mehr gerecht. Förderangebote, die Vereine bei der
Digitalisierung unterstützen, gibt es seit der Pandemie immer
mehr. Spezielle Förderprogramme, die explizit auf das digitale
Ehrenamt zugeschnitten sind, finden die Freiwilligen hingegen
kaum.
Das ist ein Problem auch für junge Menschen, die sich
zivilgesellschaftlich engagieren wollen. Sie üben
ehrenamtliche Tätigkeiten vermehrt im Netz und für
Netzthemen aus. Jugendliche „sind viel zielorientierter als
die Älteren und haben Lust, sich zu engagieren. Aber sie
nutzen dafür viel stärker digitale Medien“,
sagt Jan Holze,
Co-Vorstand der Deutschen Stiftung für Engagement und
Ehrenamt. Je mehr Bürokratie Menschen zugemutet wird, desto
größer ist das Hindernis, sich einzubringen. Auch der
Dritte
Engagementbericht der Bundesregierung hat gezeigt: 64 Prozent
der jungen Menschen wollen sich gesellschaftlich einbringen. Diese
Engagementbereitschaft sollte die Bundesregierung auch rechtlich
und finanziell fördern.
Seit 2021 sitzt Heidi Reichinnek für DIE LINKE im
Bundestag. Als Sprecherin ihrer Fraktion für Frauen-,
Senior*innen-, Kinder- und Jugendpolitik beschäftigt sie sich
im Bereich Digitalpolitik u. a. mit der Frage, wie Kinder und
Frauen im Netz vor Gewalt geschützt werden können:
„Digitale Gewalt ist ein unglaublich wichtiges Thema und mehr
als nur Hasskommentare. Digitale Gewalt ist zum Beispiel auch
Cyberstalking oder das Tracken von Handys.“ Auch das
Veröffentlichen intimer Aufnahmen sei eine Form der Gewalt.
Polizei und Justiz hätten bei solchen Themen noch großen
Nachholbedarf und seien teils schlecht ausgebildet.
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Auch die Pläne der EU-Kommission zur Einführung der
sogenannten Chatkontrolle sieht Heidi Reichinnek kritisch. Da werde
unter dem Vorwand des Kinderschutzes die Sicherheit privater
Kommunikation ausgehebelt. „Es droht eine
Massenüberwachung“, findet sie. Statt mit dem
„digitalpolitischen Hammer draufzuschlagen“ brauche es
stärkere Maßnahmen zur Prävention digitaler Gewalt
an Kindern.
Bei der Verwaltungsdigitalisierung und der Einbeziehung der
Zivilgesellschaft in politische Prozesse sieht Heidi Reichinnek
ebenfalls Nachholbedarf. Die Ampel hatte im Koalitionsvertrag
versprochen, die Zivilgesellschaft besser einzubinden und
transparenter zu agieren. Diesem Anspruch werde die Ampel bislang
aber nicht gerecht, findet Heidi Reichinnek. Bei der Erstellung der
Digitalstrategie etwa sei die Zivilgesellschaft „exakt null
mal einbezogen”.
Ausgabe 2
Lena Werner: Digitalisierung im ländlichen Raum
stärken
In der zweiten Ausgabe haben wir mit Lena Werner gesprochen. Sie
sitzt seit 2021 für die SPD im Bundestag und beschäftigt
sich vor allem mit Wirtschaftspolitik und Tourismus. Beim Thema
Digitalisierung ist für sie als Abgeordnete aus der Eifel eine
Stärkung des ländlichen Raums wichtig: „Die
Digitalisierung bringt uns auch nur so viel, wenn wir alle Menschen
mitnehmen können. Da zählt dann dazu, dass im
ländlichen Raum auch genug Internet zur Verfügung steht.
Das ist ein großer Teil für die Gleichberechtigung, wenn
wir von Digitalisierung sprechen.“
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Kritisch sieht Lena Werner die Verbreitung von Fake News.
Für sie ist es wichtig, ein Problembewusstsein schaffen und
für Aufklärung zu sorgen. Man müsse den Menschen
helfen, Fake News zu erkennen und sie dazu ermutigen, diese dann
auch zu melden. Letztlich liege dann auch die Verantwortung bei den
Plattformen, die gemeldeten Fake News zu prüfen und ggf.
herunterzunehmen.
Ausgabe 1
Misbah Khan: Wichtige Digitalprojekte im ersten Quartal
2023
Den Start machte Misbah
Khan von den Grünen. Sie ist in ihrer Fraktion unter
anderem für die Themen gemeinwohlorientierte digitale
Infrastruktur, Open-Source-Lösungen, Datenschutz,
Menschenrechte und im digitalen Raum zuständig. Wir haben die
Pfälzerin auch gefragt, was sie unter Wissensgerechtigkeit und
feministischer Digitalpolitik versteht.
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Von den digitalpolitischen Vorhaben aus dem Koalitionsvertrag
konnte bisher
noch nicht viel umgesetzt werden. Misbah Khan sagt, jetzt nach
der Sommerpause soll es endlich losgehen. Das Onlinezugangsgesetz,
die Registermodernisierung und das Recht auf Open Data sollen in
Angriff genommen werden. Anfang 2023 sollen die neuen Gesetze
beschlossen werden.
Die neugewählte Abgeordnete setzt sich dafür ein, dass
Digitalpolitik immer auch Gesellschaftspolitik sein muss.
Wissensgerechtigkeit bedeutet für sie, dass alle Menschen,
egal wer sie sind und woher sie herkommen, gleichberechtigten
Zugang zur Bildung haben müssen – und das auch im
digitalen Bereich. Zuletzt sprach sie im Bundestag zur
Digitalstrategie der Bundesregierung und lobte, dass diese sich mit
feministischen Perspektiven beschäftigen will. Passend zum
Thema:
Podcast “Brauchen wir eine feministische
Digitalpolitik?” von Wikimedia Deutschland e. V. und
Deutschlandfunk Kultur.
Im Interview erfährst du, was Misbah Khan an einem Menschen
immer als Erstes auffällt, was ihr Lieblingsort im Internet
ist und wieso sie gerne für einen Tag Olaf Scholz
wäre.
Über unseren Kooperationspartner
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the Vote ist ein Projekt, das vom Wikimedia-Programm Unlock
Accelerator gefördert wurde. Die mobile App soll
politisches Engagement für junge Menschen zu einer
spielerischen und informativen Gewohnheit machen, indem sie Fakten
mit Gamification kombiniert. Sie konfrontiert Nutzer*innen
täglich mit Informationen zu einer politischen Frage, die
aktuell im Bundestag verhandelt wird. Nutzer*innen können dann
über die App den eigenen Standpunkt teilen, erfahren, wie
verschiedene Parteien sich zu der Frage positionieren oder
über Petitionen zu dem Thema erfahren.
Bezahltes Schreiben im PR-Auftrag in der Wikipedia, ist ein
Thema, das mich und die Wikipedia-Community seit einigen Jahren
umtreibt. Das Thema wabert seit etwa 2010 durch die Wikipedia, mal
intensiver und mal weniger intensiv diskutiert; mal mit Skandal und
mal ohne. Aber wenn man sich, ganz ohne Insiderkenntnisse, einfach
mal durch Wikipedia-Artikel lebender Personen clickt (sei es in der
deutschen Ausgabe oder der englischen): normalerweise riecht man
die gekauften und geschönten Artikel 500 Kilobyte gegen den
Wind. Die peinlichen PR-Artikel: weil auch die siebte Teilnahme am
Rettet-die-Bergdackel-Benefiz-Gala-Dinner getreulich unter dem
Punkt „gesellschaftliches Engagement“ gelistet wird.
Die weniger peinlichen PR-Artikel: weil sie so nichtssagend
sind.
Wie lange das Problem existiert und wie sehr es schon vor vielen
Jahren auffiel, wurde mir letztens beim lesen gewahr. Es war ein
Fantasy-Crime Roman – komplett fiktiv, mit vagen
Bezugspunkten zu unserer Welt. Und selbst dort kommt
Wikipedia-PR-Schreiben vor. Es geht um „Moon over Soho“
von Ben Aaronovitch. Erstmal erschienen 2012 bringt es der Roman
auf den Punkt:
Auf deutsch etwa:
„Die Reichen, vorausgesetzt sie vermeiden Prominenz,
können etwas Unternehmen um ihre Anonymität zu bewahren.
Lady Tys Wikipedia-Artikel las sich als wäre sie von einem
PR-Schreiber verfasst worden, denn zweifellos hatte Lady Ty einen
PR-Schreiber beschäftigt, um sicherzustellen, dass die Seite
ihren Vorstellungen entsprach. Oder wahrscheinlicher: Einer ihrer
„Leute“ hatte eine PR-Agentur beauftragt, die einen
Freelancer beschäftigt hatte, der das in einer halben Stunde
runtergeschrieben hatte, damit er sich schneller wieder auf den
Roman konzentrieren konnte, den er grade schrieb. Der Artikel gab
preis, dass Lady Ty verheiratet war, zu nicht weniger als einem
Bauingenieur, dass sie zwei schöne Kinder hatten von denen der
Junge 18 Jahre alt war. Alt genug um Auto zu fahren aber jung genug
um noch zu Hause zu wohnen.“
Diese Beschreibung trifft auch zehn Jahre später auf einen
Großteil aller PR-Artikel zu. Schnell und lieblos, aber
professionell gemacht. Oft genug mit Versatzstücken aus
anderen Werbematerialien; zu unauffällig, um jemand ernstlich
zu stören. Aber auch zu nichtssagend, um der Leser*in auch nur
den geringsten Mehrwert zu bieten.
Damit hat ein Roman-Autor, der selber kein aktives Mitglied der
Wikipedia-Community ist, die PR-Problematik schon im Jahr 2012
richtiger eingeschätzt als ein relevanter Teil der
diskutierenden Community im Jahr 2022.
(Und Randbemerkung: die Community rächte sich, indem sie
Aaronovitchs Autoren-Artikel mit einem unvorteilhaften Autorenfoto
versah – no PR-flack weit und breit war hier unterwegs.)
Von einer anderen Form des beeinflussten Schreibens erfuhr ich
heute beim Mittagsessen. In immer mehr autoritären Regimes
scheint es vorzukommen, dass einzelne Wikipedia-Autor*innen, die in
dem jeweiligen Land leben, einen Anruf oder einen Besuch bekommen.
Mit dem freundlichen Tipp, doch den ein oder anderen Artikel zu
„verbessern“ sonst.. Das ist natürlich noch
raffinierter: Einfach einen etablierten Nutzer und dessen
Vertrauensvorschuss nehmen und in dieser Tarnung PR-Edits
durchführen.
Menschen können auf der Wikipedia:Auskunft
Fragen an die Wikipedia richten. Die Fragen sind mal banal, mal
lehrreich, und manchmal hohe Poesie. Daran solltet ihr
teilhaben.
Ich stelle mich auf, Brust nach vorne, Kinn nach oben,
räuspere mich noch einmal und deklamiere:
Wir waren dieses Jahr mit WikiAhoi wieder bei der SMWCon dabei. Die
Konferenz zu Semantic MediaWiki findet zweimal pro Jahr statt, im
Frühling in Nordamerika und im Herbst in Europa. Letztes Jahr
waren wir schon in Wien dabei und dieses Jahr gings ins
herbstlich-sonnige Barcelona. In freundlicher, persönlicher
Atmosphäre wurden technische Neuigkeiten, innovative Projekte
und besondere Anwendungsfälle besprochen. Wir möchten Sie
an den wichtigsten Neuerungen teilhaben lassen.
Neuigkeiten aus der Semantic MediaWiki-Welt
Semantic
Forms (Version 3.4 September 2015) hat sich
mittlerweile als eigenständige Erweiterung etabliert und ist
nun technisch nicht mehr von der Grunderweiterung Semantic
MediaWiki abhängig. Weitere wichtige Änderungen:
Statt den Spezialattributen werden nun ParserFunctions
eingesetzt.
Kartenbasierte Eingabeformate (Google Maps, Open Layers) sind
nun möglich – diese werden nur eingesetzt, wenn Semantic Maps nicht
vorhanden ist.
Weiters wird nun Cargo unterstützt,
es lassen sich in Formularen auch Eingabeformate und die
Autovervollständigungsfunktion aus Cargo nutzen.
Dazu kann man nun auch „mapping“-Werte hinterlegen,
das sind andere Werte, als auf der Seite angezeigt werden.
Ein neuer Parameter erlaubt es, nur einzigartige Werte
speichern zu lassen.
Alle roten Links können nun mit einer einzelnen
Einstellung auf eine Formularauswahlliste weitergeleitet
werden.
Die MediaWiki
Stakeholder’s Group nahm die Konferenz zum
Anlass, um weitere Schritte zu besprechen: Ziel der Gruppe ist die
Koordination und die Kommunikation mit Wiki-Nutzern in
Unternehmen, die Unterstützung von Entwicklern und
Administratoren und die offizielle Kommunikation mit der Wikimedia Foundation. Wikipedia hat etwas
andere Ziele als einzelne Drittnutzer der Software MediaWiki. Es
geht also stark darum, die Interessen der Nutzer von Wiki in
Unternehmen zu vertreten und in der Weiterentwicklung der
Software voranzutreiben.
Interessante neue
semantischeErweiterungen
gibt es zu Breadcrumbs, Zitaten, Sprachenlinks und
Metatags:
Semantic Breadcrumb
Links – mittels Attributen können Breadcrumbs
erstellt werden, die eine Hierarchie erzeugen, ohne Unterseiten
erstellen zu müssen.
Semantic Cite –
unabhängig von der Cite
Erweiterung, ermöglicht das seitenübergreifende Verwenden
von Zitaten und eine automatische/manuelle Quellenliste.
Semantic
Interlanguage Links – automatische Sprachanzeigen
(gibt es diese Seite in anderen Sprachen?) in Wikis mit
Interwikis.
Und warum „eine Konferenz mit Folgen“? Diese
Konferenz hat Folgen auf mehreren Ebenen: Wir haben
persönliche Kontakte für Zusammenarbeit und Austausch
geknüpft, es wurden Ideen beflügelt und
Inspirationen für neue Projekte ausgetauscht, die Motivation
wieder gestärkt, das Projekt MediaWiki als Ganzes
voranzubringen und nicht zuletzt viele Features und
Software-Änderungen besprochen, die in der Regel meist
recht schnell umgesetzt werden. Die Konferenz war somit ein
voller Erfolg.
Die Konferenz fand von 28.–30.10.2015 in Barcelona statt,
in der schönen Fabra i
Coats Kunstfabrik im Stadtteil Sant Andreu. Knappe 40
Teilnehmer nahmen an einem Tutorial- und zwei Konferenztagen
teil.
Die deutschsprachige Wikipedia-Community versucht wieder einmal,
die Regeln zum bezahlten Schreiben zu verschärfen. Das Thema
wabert ungelöst seit Jahren durch das Wikiversum. Und auch
dieses Meinungsbild ist ein notwendiger Schritt voran. Aber der Weg
ist noch weit. Der beste Kommentar meinerseits wäre die
Komposition eines Quartetts für Singende Säge, Bassdrum,
Cembalo und Spottdrossel.
Aber ich kann nicht komponieren. Deshalb kommt das
Nächstbeste: ein Gedicht.
Wikipredia
Die Regeln existieren und doch
nicht nach Mondstand
Die Ethik absolut seit
Anbeginn nein denn ja
Die Praxis gesperrt verworfen
gelöscht freigeschaltet
Wikipredia Darwinismus der
Agenturen Überleben des
Dreistesten
Darmstädter Madonna
Hans Holbein der Jüngere, 1526/1528
Öl auf Nadelholz (?), 146,5 × 102 cm
Sammlung Würth, Johanniterhalle (Schwäbisch
Hall)
Wikipedia-KNORKEerwähnte ich ja an
dieser Stelle schon einmal. Berliner Wikipedianerinnen und
Wikipedianer treffen sich und erkunden zusammen eine ihnen
unbekannte Gegend. Soweit so üblich. Diesmal jedoch gab es
etwas besonderes: Auf ins Museum!
In Berlin gastiert gerade die Darmstädter
Madonna, ein 1526 entstandenes Gemälde von Hans Holbeim
dem Jüngeren. Diese Madonna hat eine bewegte Lebens- und
Reisegeschichte, ist eines der bedeutendsten deutschen Gemälde
des 16. Jahrhunderts und kann Menschen auch über Jahre
faszinieren. Wunderbar, wenn man eine kundige Bilderklärung
der Autorin des exzellenten Wikipedia-Artikels dazu bekommt.
Wir trafen uns einige Minuten vor der Öffnung in kleiner
Gruppe vor dem Bode-Museum und konnten - da alle Anwesenden
über eine Jahreskarte verfügten - auch sofort zur Madonna
und zur Sonderausstellung "Holbein
in Berlin" begeben. Der Raum war noch leer, die
Museumswachmannschaft ließ freundlicherweise die leise aber
engagiert redende Gruppe gewähren. Ein einziger Saal, in
dessen Mittelpunkt die Madonna hängt. Links davon einige
Holbein-Teppiche, ansonsten weitere Bilder und Zeichnungen von
Holbein, Inspiratoren und andere Madonnen. Nicht überladen,
sinnvoll aufbereitet und mit einem klaren Konzept - eine der
besseren Kunstausstellungen.
Und dann ging es los: Es begann mit Schilderungen von der bewegten
Entstehungszeit zur Zeit des Basler Bildersturms im Auftrag des
Basler Ex-Bürgermeisters Jakob Meyer zum Hasen. Die Aussage
des Bildes traditioneller Marienfrömmigkeit in Zeiten der
Reformation war Thema, ebenso natürlich wie der Teppich und
seine Falte. Wir staunten über die Eigentümlichkeit, dass
sich niemand auf dem Gemälde eigentlich anschaut und wurden
über dden Unterschied zwischen Schutzmantelmadonnen und
Stifterbildern aufgeklärt. Vermutungen tauchten auf, wo das
Bild wohl im Original hing - vermutlich in der Martinskirche
als Epitaph - und wir verfolgten gedanklich seine Wanderung aus
Basel über den Grünen Salon im Berliner Stadtschloss bis
hin zum Hause Hessen und das Frankfurter Städelmuseum bis hin
zum spektakulären Verkauf an die Privatsammlung Würth.
Die Meinungen über die Sammlung Würth in der Gruppe waren
durchaus geteilt, ebenso wie die richtige Benennung des Bildes: ist
es nun eher die Darmstädter Madonna oder eher die
Madonna des Bürgermeisters Jakob Meyer zum Hasen?
Über die Darmstädter Madonna ging es dann zur Dresdner
Madonna und einem der prägenden Momente deutscher
Kunstgeschichte: dem Dresdner
Holbeinstreit. Im 19. Jahrhundert wurde es den Menschen
bewusst, dass es zwei fast identische Holbein-Madonnas gab und nur
eine die echte sein konnte. In einer großen Ausstellung, unter
lebhafter Anteilnahme der Öffentlichkeit und erregten Debatten
der Experten entschieden sich die Kunsthistoriker schließlich
für das Darmstädter Gemälde. Eine Sensation,
da die Kunstkennerschaft vorher felsenhaft von der
Originalität des Dresdner Gemäldes ausging. Hier zeigte
sich erstmals das Bemühen, um eine rein sachlich, objektive
Abwägung der verschiedenen Gesichtspunkte - der Dresdner
Holbeinstreit ist einer der Ausgangspunkte um die Kunstwissenschaft
als Wissenschaft zu etablieren. Und - wie sich später
herausstellte - lag die Kunstwissenschaft auch in diesem ihren
Anfangsurteil richtig; sämtliche mittlerweile vorhandenen
naturwissenschaften Verfahren die Darmstädter Madonna als die
originale der beiden bestätigten.
Erkenntnisse am Rande: eine weitere Kopie des Gemäldes
(beziehungsweise eine Kopie der Kopie - es stellt aus
unerfindlichen Gründen das Dresdner Exemplar dar) hat sich in
das Set des James-Bond-Filmes "Man lebt nur zweimal verirrt".
Hans Holbein der
Jüngere: Bildnis des Danziger Hansekaufmanns Georg Gisze
in London, 1532. Eichenholz, 96,3 × 85,7 cm.
Gemäldegalerie Dahlem der Staatlichen Museen zu Berlin –
Preussischer Kulturbesitz
Und nachdem wir dann auch noch gerätselt hatten, wer die
beiden Knaben unterhalb der Madonna sind, den verschwundenen Haaren
der Tochter nachspürten und weiter über den Teppich in
der Renaissancemalerei sinniert hatten, kamen wir dann nach knapp
einer Stunde noch zu Georg Giesze. Giesze (auch Georg Giese) ist
Titelheld in einem anderen Holein-Hauptwerk, das praktischerweise
fünf Meter weiter links hing. Wieder mit Teppich und nun auch
noch mit Glas, Metall, Bücherregalen und Briefen. Gedanklich
begleitete wir Holbein dann weiter von Basel nach Antwerpen und
London. Mittlerweile hatte sich der Raum etwas gefüllt.
Nachdem wir dann noch den Weg aus dem Museum gefunden hatte (wie
immer im Bodemuseum nicht ganz einfach und jedes mal findet man
zwischendurch neue Säle) folgte noch ein erschöpfter
Abschlusskaffee.
Eine Stunde fast allein mit der Madonna. Und immer noch Neues zu
entdecken.
Über den Dächern, Türmen und Gasometern
Westberlins senkte sich die Abendsonne. Ich stand auf den Zinnen
des Ullstein Castles und sinnierte. Direkt unter mir
Straßentreiben, Sirenen, betrunkene Jugendliche, ein
Ausflugsboot auf dem Teltowkanal, radelnde Ausflügler
überquerten die Stubenrauchbrücke.
In der Ferne betrachtete ich die Türme des
Spitzenlastheizkraftwerks Lichterfelde, der Sendeturm auf der
Marienhöhe, den BfA-Büroturm und den ehemaligen
Wasserturm im Naturpark Schöneberger Südgelände.
Heute Nacht auf dem Heinweg: Welchen Weg sollte ich wählen?
Unten, im Süden, über den Prellerweg vorbei am Sommerbad
am Insulaner? Die Nordvariante über den Tempelhofer Damm und
durch die Kopfsteinpflaster Tempelhofs? Oder die Mittelweg, mit
Erklimmen der Höhe am Attilaplatz und später über
den Ikea-Parkplatz? So viel zu wählen.
Wahlen spukten in meinem Kopf herum. Da war die
Mitgliedsversammlung unseres Dauergartenvereins. Die
Vorstandswahlen dort sollten wahrscheinlich, hoffentlich,
unspektakulär verloren. Aber die Anträge. Wenn ein
einzelnes Mitglied auf einem A4-Blatt 40 verschiedene Anträge
stellt, richtig ernsthaft, dann verspricht das Unterhaltung.
Die Bundestagswahl: Auf dem Weg zum Ullstein Castle passierte
ich zahlreiche Bundestagstagswahlplakate: den unlesbaren Blob der
Grünen in Tarnfarbenoliv, die bildhaft dargestellte Biederkeit
der Berliner SPD, zahlreiche Kleinparteien von Team
Tödenhöfer über Volt bis zur Tierschutzpartei. Und
so sehr es mich schmerzte das zu sagen: Das Plakatgame gewannen
bisher die CDU und ihr Wahlkreiskandidat Jan-Marco Luczak. Sowohl
optisch – als auch damit, überhaupt inhaltliche Aussagen
fern von Plattitüden zu machen.
Vor allem aber war ich innerlich bei einer ganz anderen Wahl.
Die Wikimedia Foundation wählte und wählt ihr Board, auf
Deutsch das ehrenamtliche Präsidium der Wikimedia Stiftung.
Die Wikipedia steht meinem Herzen näher als der Bundestag und
selbst als der Dauergartenverein. Aber die Board-Wahlen erfordern
merh Gedanken. Diese Gedanken bedurften des Kontextes.
Was ist die Wikimedia Foundation?
Die Wikimedia
Foundation (WMF) ist die Betreiberin der Wikimedia-Projekte wie
zum Beispiel der Wikipedia aber auch Wikimedia Commons und
Wikidata. Die Foundation hostet die Server, stellt die Technik,
ist am Ende rechtlich dafür verantwortlich was in den
Wikipedien passiert. Dafür hat die Foundation derzeit etwa 450
Angestellte, ein Endowment von 90
Millionen Dollar und hatte 2020 Jahreseinnahmen von 127 Millionen
US-Dollar.
Wo genau die Grenzen zwischen dem Einfluss der Wikimedia
Foundation und den Communities liegen, ist umstritten. Letztlich
kann die Foundation alles ändern und machen in den Projekten.
Sie ist meistens weise genug, es nicht zu tun. Insbesondere
schreiben keine Foundation-Mitarbeiter*innen in ihrer Arbeitszeit
Artikel oder legen Inhalte in den Projekten an.
Die Foundation ist eine Organisation eigener
selbstgenügsamer Vollkommenheit. Sie hat keine Mitglieder und
ist – rechtlich – niemand rechenschaftspflichtig. Das
Board besetzt sich prinzipiell aus sich selbst heraus. Es hat
entschieden die Hälfte der Sitze Wahlen der weltweiten
Wikip/media-Communities besetzen zu lassen zu lassen.
Was ist das Board of Trustees?
Das Board of Trustees ist das
ehrenamtliche Aufsichtsgremium der Foundation. Es hat derzeit 16
Sitze. Davon steht einer Jimmy Wales als Gründer zu, sieben
Sitze besetzt das Board selber, acht Sitze werden durch eine
weltweite Communitywahl bestimmt.
Nun ist allein aus den Worten „ehrenamtlich“ und
„weltweit / 450 Mitarbeiter / 127 Millionen Dollar
Einnahmen“ klar, dass das Board eine abstrakte
Leitungsposition einnimmt. Alleine, einen Überblick über
so eine Organisation zu behalten, ist eine Mammutaufgabe. Dieser
Organisation noch Vorgaben zu machen und sie in eine bestimmte
Richtung zu lenken, eine Herausforderung.
Die Gefahr, in Detailinformationen zu ertrinken oder sich
hoffnungslos im Alltagsgeschäft zu verfangen, ist groß.
Seiner Aufgabe nach, beaufsichtigt das Board, was die
Vollzeitkräfte machen und besetzt die
Geschäftsführung.
Was zur Zeit ein besonderer Job ist: Die
Geschäftsführerin der Foundation Catherine Maher
verschwand im April 2021 überraschend. Der Posten ist seitdem
unbesetzt. Ebenso wie sich die Chief Operations Officer im Jahr
2021 verabschiedete, die Abteilungen Communication und Technology
auch niemand im Vorstand haben. Auf dem Schiff besetzt nur eine
Notbesatzung an Offizier*innen die Brücke. Dem Board obliegt
es derzeit, dieses Führungsvakuum schnell und kompetent zu
beenden.
Welche Kriterien habe ich?
Grundsätzlich sollte jede*r Kandidat*in zwei
Kriterien erfüllen. Sie sollte meine inhaltlichen Ziele
teilen. Und sie sollte in der Lage sein, sich in einem
ehrenamtlichen Job gegen eine komplette Organisation aus
Vollzeitangestellten zu behaupten. Oft genug stehen bei solch
ehrenamtlichen Gremien Kandidat*nnen zur Wahl, bei denen ich denke
„Will Schlechtes, aber wird das erreichen“ und
„Will Gutes, ist aber planlos. Am Ende werden die
Hauptberuflichen machen was sie wollen. Oder es gibt
Chaos.“
Angesichts der bewegten Zeiten, in denen wir leben; angesichts
der latenten Führungslosigkeit der Foundation derzeit,
möchte ich Kandidat*innen, die sich durchsetzen können.
Kandidat*innen, die nach Möglichkeit die US-Zentrik der
Foundation aufbrechen können. Ich möchte Kandidat*innen,
die verstehen, dass Wikip/media keine allgemeine
Weltbeglückungsorganisation ist, sondern sehr spezifische
Sachen sehr gut durchführt – und andere überhaupt
nicht kann. Es bringt nichts, sich auf allgemeine
Weltbeglückungsziele zu stürzen, die weder die Foundation
noch die Communities umsetzen können.
Welche Kandidaten?
Insgesamt stehen 19 Kandidat*innen zur Auswahl, die um vier
Plätze streiten. Dabei sind Wikimedia-Urgesteine ebenso wie
Newbies, viele Männer, mir auffallend viele Inder, viele
Kandidat*innen mit NGO-Hintergrund, kaum eine*r, der/die
fortgeschrittene IT-Kenntnisse hat.
Die Urgesteine
Dariusz
Jemielniak – Professor of Management,
daueraktiv auf allen Ebenen und vielleicht der einzige Mensch, der
intellektuell versteht wie Wikipedia funktioniert.
Rosie
Stephenson-Goodknight – WikiWomensGroup,
Women in red, you name it. Bei überraschend vielen der
Wikipmedia-Genderaktivitäten, die funktionieren, ist Rosie
Stephenson-Goodknight beteiligt.
Gerard Meijssen –
gefühlt war Gerard schon Wikipedianer bevor es Wikipedia gab.
Vielleicht der spannendste Autor des Meta-Wikiversums und ein
Chaot.
Mike Peel –
langjähriges Mitglied des Funds Dissemantion Committees. (FDC)
Hat bei mir in der Rolle durchgehend einen schlechten Eindruck
hinterlassen.
Ravishankar Ayyakkannu
– Mr. Tamil Wikipedia, der seinem Resumee zufolge seit 2005
in der Community und mit externen Partnern (wie Wikipedia Zero,
Google) zusammenarbeitete. Gewinnt bei mir Diversitätspunkte,
weil er nicht nur aus dem Global South stammt, sondern auch
Ausbildung und Berufstätigkeit dort durchführte.
Lorenzo Losa –
Ex-Vorsitzender von Wikimedia Italia.
Farah Jack Mustaklem – Software
Engineer, einer der wenigen Kandidaten mit Ahnung von Software.
Aktiv bei den Wikimedians of the Levant und der Arabic language
User Group. Mir persönlich zu sehr USA-sozialisiert für
eine Board-Mitgliedschaft, andererseits sicher in jeder Hinsicht
kompetent.
Douglas Ian Scott –
Präsident von Wikimedia South Africa, Organisator der
Wikimania 2018 und einziger Kandidat, den ich dank eines langen
Wartepause am Kofferband irgendeines Wikimania-Flughafens
persönlich besser kennenlernte – und begeistert
war.
Iván Martínez
– langjährig engagiert bei Wikimedia Mexiko,
LGBTQ+-Aktivist und soweit ich hörte, das Wikiversum
Lateinamerika ist begeistert von ihm.
Pavan Santhosh Surampudi
– Community Manager at Quora. Versteht also vermutlich
professionell etwas von Communities.
Adam Wight –
Programmierer, Ex-Angestellter und WMF und WMDE und neben Gerard
der Vertreter des Ur-basisdemokratischen, selbstorganisierten und
Gegen-Informationsmonopole-Geistes des frühen
Movements.
Vinicius Siqueira – in
Wiki Movimento Brasil
Newbies
Es kann sich hierbei um langjährige und erfahrene
Wikipedianer*innen handeln, die im kleinen Rahmen auch Projekte
oder Gruppen organisiert haben. Erfahrungen in oder mit
größeren Organisationen im Wikiversum fehlt
vollkommen.
Lionel Scheepmans
Pascale Camus-Walter
Raavi Mohanty
Victoria Doronina
Eliane Dominique Yao
Ashwin Baindur
Wen werde ich wählen?
Leute, die sich durchsetzen können, und die auch die
Grenzen des Wikiversums sinnvoll einschätzen können.
Perspektiven auf das Leben, anders aussehen als „in US-NGOs
sozialisiert“ werden bevorzugt.
Die Top 4
Douglas Ian Scott
Iván Martínez
Adam Wight
Dariusz Jemielniak
Top 8
Rosie Stephenson-Goodknight
Lorenzo Losa
Farah Jack Mustaklem
Gerard Meijssen
Wählbar
Reda Kerbouche
Pavan Santhosh Surampudi
Ravishankar Ayyakkannu
Wer wird wählen
Es wählen alle Menschen, die vage aktive Accounts in einem
Wikimedia-Projekt haben. Die Bedingungen dafür sind niedrig
angesetzt. Für Autor*innen ist es nötig 300 Bearbeitungen
zu haben, kein Bot zu sein und höchstens in einem Projekt
gesperrt zu sein. Die Bedingungen für die Board-Wahlen sind
somit einfacher zu erfüllen als die Bedingungen zum Sichten in
der deutschen Wikipedia. Die Kriterien mussten am 5. Juli 2021
erfüllt sein. Es hilft nicht, jetzt noch schnell zu
editieren.
Das Wahlsystem
Es gilt das Präferenzwahlsystem.
Dieses wird weltweit von einschlägigen Fachleuten als
besonders fair bezeichnet. Es verzerrt den Wählerwillen
weniger als viele andere Wahlsysteme. Praktisch wird es allerdings
nur selten eingesetzt. Die bekannteste Wahl mit Präferenzwahl
in letzter Zeit war die Bürgermeister*in-Wahl in New York, New
York.
Bei Wahlsystem nummeriert man „seine“ Kandidat*nnen
nach Präferenzen. Die beste Kandidatin bekommt eine Eins, der
Kandidat danach eine zwei und so weiter. Hält man keine
Kandidatin mehr für geeignet, hört man auf zu
nummerieren.
Bei der Wahl werden in der ersten Runde alle Präferenzen
mit „1“ gezählt. Ein Kandidat hat am wenigsten
davon. Dieser scheidet aus. Von allen
„1“-Wählerinnen des Kandidaten werden nun die
„2“-Präferenzen seiner Wählerinnen auf
die entsprechenden weiteren Kandidaten verteilt. Und so weiter, bis
nur noch so viele Kandidatinnen übrig sind, wie es
Plätze zu besetzen gilt.
Im ICE ist Deutschland. Der Zug fährt ein und hält. Das
Schild am Gleis behauptet tapfer „Zugdurchfahrt“. Die
Türen lassen sich öffnen. Am Zug steht nichts
geschrieben, außer Wagennummern, die nicht zu den
Reservierungen passen. Das Publikum bleibt irritiert. Etwa die
Hälfte der Anwesenden geht in den Zug und bleibt im
Wageninnern ratlos stehen. Die andere Hälfte steht ratlos am
Bahnsteig.
Schließlich: Lichter gehen an. Der Zug verkündet mittels
seiner Anzeigen nun auch, nach Kassel zu fahren. Eine Frau
entschuldigt sich über die Lautsprecheranlage über die
falschen Wagennummern, man solle ich immer zehn wegdenken
„Also 22 statt der angezeigten 32.“
Ein Mensch mit re:publica-Bändchen am Arm verscheucht die
ältere Dame ohne Reservierung von seinem Platz und liest den
gedruckten Spiegel. Ich höre ein angeregtes Gespräch
zwischen einem Musicaldarsteller und einer Abteilungsleiterin im
Innenministerium, die sich gerade kennenlernen über, den
relativen Wert von Musikgymnasien in Berlin. Geht es noch
deutscher?
Illustration aus
dem Buch ""Le tour du monde en quatre-vingts jours" Alphonse de
Neuville & Léon Benett
Passenderweise habe ich ein entsprechendes Buch mitgenommen. Nils
Minkmars „Mit dem Kopf durch die Welt.“ Das hat schon
auf dem Cover ein ICE-Fenster und geht der Frage nach, was
Deutschland bewegt. Minkmar lässt sich über deutsche
Normalität aus. Der deutsche Ingenieur, lange Jahrzehnte
Sinnbild der Normalität, sei nicht mehr normal. Minkmar
erzählt aus seiner französisch-deutschen Kindheit:
„Meine Mutter nannte dann immer
eine Berufsgruppe, die uns besonders fern war, nämlich les
ingenieurs. Wir waren in Deutschland […] und das ganze
frisch aufgebaute Land ruhte auf Säulen, die les
ingenieurs berechnet, gegossen und zum Schluss noch
festgedübelt hatten. […] Viele Jahre später sollte
ich die Gelegenheit haben, diese seltene Spezies besser studieren
zu können. Sie saßen direkt hinter mir, zwei
ausgewachsene Exemplare: Ingenieure, Familienväter, auf der
Rückfahrt von einer Dienstreise. Sie plauderten über die
sich verändernden Zeiten. […] Fernsehen, Marken,
Politiker, auf keinem Gebiet fanden sich diese beiden braven
Männer wieder, alles zu grell und bunt, zu aufgeregt. Ihre
spezifischen Werte und Tugenden, Sorgfalt und diese stille Freude
an der eigenen Biederkeit, das alles war an den Rand gerückt.
Ingenieure waren nun Exzentriker. […] Diese Männer
fanden sich kulturell kaum zurecht.“
Wenn „der deutsche Ingenieur“ nicht mehr normal in
Deutschland ist, sind es jetzt Ministerialbeamtinnen und
Musicaldarsteller?
Forschung Maschinenbau Braunschweig
Minkmar war noch nicht in Braunschweig. Oder Braunschweig ist nicht
normal. Da steige ich harmlos aus dem Zug und die Stadt
schlägt mir „Deutscher Ingenieur“ rechts und links
um die Ohren. Braunschweig hebt das Thema "autogerechte Stadt" in
Höhen, die selbst mir als gebürtigem Hannoveraner
unerreichbar schienen.
Braunschweig.
Bahnhofsvorplatz.
VW ist daran beteiligt, ist klar in der Gegend. Aber nicht nur. Ich
wandelte also Freitagabend gegen 21 Uhr auf der Suche nach einem
Wegbier durch das verlassene Braunschweig, passierte die Stadthalle
und wurde prompt begrüßt mit „Tag des
Maschinenbaus. Herzlich Willkommen.“
Vor allem aber fiel mir bei diesem Wandeln auf, wie
unglaublich gepflegt diese Stadt aussieht. Ich erblickte
keine einzige Kippe auf dem Weg. Selbst die Großbaustelle,
über die irrte, wirkte irgendwie aufgeräumt. Viel
verwunderlicher war, dass selbst die in Braunschweig reichlich
vorhandenen 1970er-Großbauten gepflegt und sorgsam
hergerichtet wirkten. Die Stadthalle selber, offensichtlicher
spät 1960er/früh 1970er-Stil wirkte besser gepflegt als
Berliner Gebäude nach zwei Jahren. Die Wege und Lampen darum
herum: offensichtlich keine zehn Jahre alt. Sie wirkten wie frisch
aus der Packung genommen.
Wegbier. In
Braunschweig nur schwerlich aufzutreiben, dann aber
stilgerecht,
Selbst die Schwimmbäder sind alle gepflegt(*), alle haben
gleichzeitig geöffnet und keines ist aus obskuren Gründen
gesperrt. Da spielt nicht nur bürgerschaftliches Engagement
eine Rolle, sondern offensichtlich ist auch Geld vorhanden.
Auf dem Hotelzimmer, noch so ein sehr gut gepflegter und
hergerichteter Bau, der einem „1970er!“ ästhetisch
schon ins Gesicht schreit, mit dem Hotel-Wlan (7 Tage, 7
Geräte) nachlesend, wie das nun ist mit Braunschweig.
Bekanntes taucht beim Nachlesen auf: Die physikalische-technische
Bundesanstalt mit der Atomuhr; geahntes lese ich (Volkswagen
– hey, das ist Niedersachsen und die Technische
Universität existiert ja auch) und nicht bekanntes:
„Im gesamten Europäischen
Wirtschaftsraum (EWR) verfügt die Region Braunschweig
über die höchste Wissenschaftlerdichte,[103] im
bundesweiten Vergleich über eine hohe Ingenieurquote[104]
sowie über die höchste Intensität auf dem Gebiet der
Ausgaben für Forschung und Entwicklung. In der Region
Braunschweig arbeiten und forschen mehr als 16.000 Menschen aus
über 80 Ländern[105] in 27 Forschungseinrichtungen sowie
20.000 Beschäftigte in 250 Unternehmen der
Hochtechnologie[106]“
Dazu noch „Braunschweig ist die Stadt mit der niedrigsten
Verschuldung Deutschlands.“ Und nach einer obskuren
EU-Rangliste ist Braunschweig die innovationsfreudigste
Region der EU vor Westschweden und Stuttgart. Hier lebt der
deutsche Ingenieur. Hier lebt die deutsche Technik. Was für
ein passender Ort für Jules Verne.
Jules Verne
Jules Verne; französischer Erfolgsautor des 19. Jahrhunderts
und vor allem bekannt als "Vater der Science Fiction." Von seinem
vielfältigen Werk sind vor allem die Abenteuer-Techno-Knaller
wie Zwanzigtausend Meilen unter dem Meer, die Reise Von
der Erde zum Mond oder die Reise zum Mittelpunkt der
Erde bekannt. Wikipedia und die Deutsche
Jules-Verne-Gesellschaft hatten ein gemeinsames Wochenende
organisiert mit einer Tagung zu Jules Verne und Gesprächen zu
Wikipedia.
Volker Dehs
bestreitet das halbe Programm
Jules Verne, mir vor allem bekannt durch vage Erinnerungen an den
1954er Nemo-Film, Weiß-orange Taschenbücher und einen
blau eingebunden Robur-Roman, der mich verstörte, weil er so
anders war als die großen mir bekannten Abenteuerromane von
Jules Verne. Warum ich überhaupt fuhr: Intuition. Ich
hätte nur schwerlich begründen können, was genau
mich reizte, aber die Mischung aus Vertrauen in die Veranstalter,
Science Fiction und Neugier auf diese andere niedersächsische
Stadt nach Hannover, trieben mich dorthin.
Verne selber gilt als Begründer Science Fiction. Und so bringt
er als Autor frankophile Literaten und Groschenromanfans,
Ingenieure und Naturwissenschaftler zusammen. Besessene
Bibliographen waren Thema und Anwesend, ebenso wie die
phantastische Bibliothek in Wetzlar – die Mischung der
Jules-Verne-Aktiven unterscheidet sich gar nicht so sehr von der
Mischung der Wikipedia-Aktiven. Die Perspektiven, aus denen Verne
hier unter die Lupe genommen wurden, waren vielgestaltiger als sie
es in der Literatur sonst sind. Faszinierend hier war die Neigung
unterschiedlicher und leicht besessener Menschen sich zu einem
Thema auseinanderzusetzen.
Haus der
Braunschweigischen Stiftungen - Veranstaltungsort.
Dementsprechend hatte der Veranstalter, der Wikipedia-Autor
Brunswyk das Programm gestaltet: ist Verne eher katholisch oder
eher laizistisch? Kam der Wille zur Aufklärung in seinen
Büchern durch seinen Verleger Pierre-Jules Hetzel hinein,
während auf Verne eher zurückgeht, dass alles menschliche
Streben gegenüber der göttlichen Macht sinnlos bleibt?
Wen inspirierte er? Ist es eine sinnvolle Frage, dem nachzugehen,
welche seiner Voraussagen, sich bewahrheiten? Dazu kamen dann noch
Exkursionen zu Friedrich Gerstäcker, Fenimore Cooper, die
Ingenieure, die ihre U-Boote dann nach Jules Verne
„Nautilus“ nannten – und stark von diesem
beeinflusst waren
Für mich brachte das Treffen interessante Erkenntnisse, wie
die Tatsache, dass Verne immer Theaterautor oder – produzent
werden wollte und wie sehr der Katholizismus sein Denken
beeinflusste. Romancier war er eher gezwungenermaßen –
und verdiente mit seinen zwei erfolgreichen Theaterstücken in
seinem Leben ein Viertel so viel Geld wie mit etwa 80 bis 100
Romanen.
Interessant das Rätseln aller Anwesenden, warum Vernes Roman
"der Grüne Strahl" so ein kommerzieller Erfolg war, was
niemand der Anwesenden nachvollziehen konnte. Und dann eine
Dreiviertelstunde später kam die Bemerkung in einem
anderen Zusammenhang, dass "der Grüne Strahl" quasi Vernes
einziges Buch mit einer weiblichen Hauptfigur war. Ich ahne einen
Zusammenhang,Update: Es kam wie es kommen musst.
Da denke ich mal, ich habe etwas entdeckt, dabei habe ich nur etwas
falsch verstanden. Tatsächlich ist Der Grüne Strahl nicht
das einzige Werk mit einer Protagonistin. Das prägnanteste
Buch ist dabei Mistress Branican*, da hier die Titelfigur
die komplette Handlung quasi im Alleingang bestreitet. Aber auch in
anderen Büchern spielen Frauen eine wichtige Rolle (und dieser
Umstand war Jules Verne sogar so wichtig, dass er in Interviews
darauf hinwies): Die Kinder des Kapitän Grant*, Nord gegen Süd*, Reise um die Erde in 80 Tagen*, Ein Lotterielos* ... und einige mehr.
(*Affiliate Links)
Für mich neu war die Erkenntnis, dass ein Großteil von
Vernes Werk gar nicht in den Bereich Science Fiction gehört,
sondern es (fiktive) Reisebeschreibungen sind. Und selbst dort wo
Verne Maschinen und phantastische Gerätschaften erfindet,
dienen diese vor allem dem Zweck zu reisen.
Und jetzt recherchiere ich, natürlich, zum Grünen
Strahl.
Die Phantastische Bibliothek
Meine beiden Programmhighlights beschäftigten sich nur
mittelbar mit Jules Verne. Sie kamen von der Phantastischen
Bibliothek Wetzlar: zum einen der Rückblick von Thomas Le
Blanc auf Wolfgang Thadewald. Den großen Phantastik- und
Jules-Verne-Sammler. Thadewald verstarb 2014. Er
lebte in Langenhagen. Mehrere der Anwesenden hatten ihn noch
persönlich gekannt. Und die Schilderung seiner
Sammlertätigkeit, seiner Liebe zu Büchern und zu
Menschen, aber auch die Besessenheit mit der Thadewald an ein Thema
heranging und auch von Krankheit schon schwer gekennzeichnet das
Arbeiten an Bibliographien nicht lassen konnte – es ließ
sich nicht anders beschreiben als bewegend. Sicher war dieser
Vortrag mein emotionaler Vortrag des Programms.
Wer auch immer aber auf die Idee kam, den Vortrag von Klaudia
Seibel zu Future Life: Wie (nicht nur) Jules Verne dabei
hilft, die Zukunft zu gestalten an Ende der Konferenz zu legen:
Chapeau! Das Projekt ist, kurz gesagt, ein Projekt der
Phantastischen Bibliothek. Die stellt zu bestimmten Themen Dossiers
zusammen, wie Science-Fiction-Autoren sie sich vorstellen. Die
Berichte werden manchmal von öffentlichen Stellen,
öfter von Großunternehmen bestellt, die damit selber
zukunftsfähig werden wollen und in die Zukunft denken.
Wobei Auftraggeber von Staats wegen selten sind. Die meisten
Aufträge kommen aus der Privatwirtschaft. Die allerdings meist
gleich umfangreiche Verschwiegenheitsklauseln verlangt, weshalb die
Phantastische Bibliothek da wenig zu sagen kann.
Da haben also Autoren und Mitarbeiter der Bibliothek ein profundes
Wissen über die Science-Fiction-Literatur und die
größte Bibliothek ihrer Art im Hintergrund und seit
mittlerweile einigen Jahren eine große Datenbank aufgebaut,
was Autoren zu verschiedenen Themen schreiben.
Als jemand, der ich selbst weiß, wie viele Situationen ich
durch gelesene Bücher interpretiere – Bilder aus diesen
Büchern im Hinterkopf habe und mir immer wieder mal sagen
muss, dass ein Roman nur bedingt real ist, glaube ich sofort, dass
es nichts gibt, was so sehr Denkprozesse auslösen und
Kreativität triggern kann, wie Romane. Der befreit das Hirn
gerade vom strikt logisch-folgerichtigen Denken, verrückt die
Perspektive etwas nach links oder oben, und schon öffnen sich
vollkommen neue Gedankenwege. Die Idee ist so brillant, dass es
überraschend ist, dass sie wirklich angenommen wird.
Anscheinend wird sie das.
Mensch Maschine Normal
Und nachdem ich dann wieder im Zug saß und das erste
Handy-Ticket meines Lebens gekauft hatte, fragte ich mich wieder.
Ist diese Stadt – die mir in vieler Hinsicht – so
unfassbar „normal“ vorkommt, vielleicht die große
Ausnahme? Sind die Musicaldarsteller, die mit „dem
Alex“ [Alexander Klaws] telefonieren, normal? Die Menschen im
Ministerium? Die größten Jules-Verne-Experten des Landes,
die alle noch einen anderen Brotjob haben? Oder eher die
Normalität vieler Menschen, die darin besteht, am Ende des
Monats zu überlegen, wie denn die letzten 10 Tage mit dem
leeren Konto noch überbrückt werden können?
Brauschweig ist die verstädterte Mensch-Maschine-Kopplung. In
seiner Normalität sicher schon wieder ein Ausnahmefall in
Deutschland. Aber ich sah die Zukunft: sie sitzt in einer
Bibliothek in Wetzlar und liest Science-Fiction-Romane.
Auch zu Schwimmbädern ein schönes Minkmar-Zitat aus dem
Mit-dem-Kopf-durch-die-Welt.Buch:
„Nichts gegen das große Geld
und die wenigen, die es genießen können, aber die
Stärke mitteleuropäischer Gesellschaften liegt gerade in
der Mischung. Für Reiche ist es in Singapur, Russland und
Malaysia ideal. […]Glaspaläste und Shopping Malls gibt
es auf der ganzen Welt, bald vermutlich auch unter Wasser und auf
dem Mond. Öffentliche Freibäder, Stadtteilfeste oder
Fußgängerzonen, in denen sich Reiche und Arme, Helle und
Dunkle, Christen und Muslime mit ihren Kindern vergnügen und
drängeln, gibt es nur hier. Ich fand es immer erstaunlich,
dass es in Algerien beispielsweise keine öffentlichen
Schwimmbäder gibt oder dass man in den USA oder in Brasilien
Mitglied in einem Club werden muss. Das ist eine teure und in
vieler Hinsicht sozial sehr voraussetzungsreiche Angelegenheit, nur
um mit den Kindern mal schwimmen zu gehen, es sei denn
natürlich, jeder hat seinen eigenen Pool im Garten, was,
für mich zumindest, wie eine Definition von struktureller
Langeweile klingt.“ (s. 104)
*Dieser Post enthält Affiliate Links zu geniallokal. Es
handelt sich dabei um Werbung. Ich bekomme eine kleine Provision,
wenn ihr dort bestellt, und ihr habt bei den Guten
bestellt.
I still remember the time when real life meetings for
Wikipedians were new and adventurous and a bit scary. Did one
really want to meet these strange other people from the Internet?
How would they be? Could they even talk in real life or would they
just sit behind a laptop screen staring on it for hours?
My first meeting in Hamburg – THE first Wikipedia meeting in
Hamburg - would consist of three people (Hi Anneke, Hi Baldhur!)
sitting in a pub, and just waiting and seeing what would happen.
These meetings were kind of improvised, in a pub, quite private and
personal in nature and no talk about projects, collaborations,
“the movement” whatever. Just Wikipedia and Wikipedians
having a nice evening.
So what a fitting setting to celebrate this day in Berlin just the
old school way. Half improvised, organized by our dearest local
troll user:Schlesinger
on a talk page, we met in a pub, it was not clear who would come
and what would happen except some people having a good time.
And so It was. In the “Matzbach” in the heart of
Berlin-Kreuzberg seven people promised to come, in the end we were
almost twenty. Long time Wikipedians, long-time-no-see-Wikipedians,
a Wikipedian active mostly in Polish and Afrikaans, some newbies
and two and a half people from Wikimedia Deutschland. Veronica from
Wikimedia Deutschland brought a tiny but wonderful home-baked cake,
and we just talked and laughed, talked about history and
future. Actually, mostly we talked about future.
About the Wikipedian above 30, who has just started a new a
university degree in archaeology, the question whether the Berlin
community should have its own independent space, industrial beer,
craft beer and the differences, the district of Berlin-Wedding, the
temporary David-Bowie-memorial in Berlin-Schöneberg, the
vending machine for fishing bait in Wedding, new pub meet-ups in
the future, who should come to the open editing events, how to work
better with libraries, colorful Wikipedians who weren’t
there, looking for a new flat, whether perfectionism is helpful or
rather not when planning something for Wikipedians, explaining
Wikipedia to the newbie, the difficulties of cake-cutting and
whatsoever.
No frustration, almost no talk about meta and politics, just
Wikipedians interested in the world, Wikipedia and eager to be
active in and for Wikipedia and with big plans for the future. Old
school. So good.
Crossposting eines Posts von mir aus demWikipedia
Kurier. Erfahrungsgemäß lesen das dort und hier ja
doch andere Menschen.
Wikipedistas kommen und gehen. Manchmal gehen mehr, manchmal
weniger. Einzelne davon fallen durch ihr Wirken in der gesamten
Wikipedia auf oder versuchen sich wenigstens durch einen
spektakulären Abgang in Szene zu setzen. Die meisten Autoren
und Autorinnen aber gehen genauso still und leise wie sie gekommen
sind und gearbeitet haben.
Die unseligen Autorenschwund-Debatten der unseligen Wikimedias
kümmern sich ja um Zahlen und nicht um Autorinnen und Autoren.
Wie armselig! Den Meta-aktiven Communitymitgliedern - aka
Wikifanten - fallen vor allem die anderen Wikifanten auf, die
entschwanden. Dabei zeigt sich bei genauerer Betrachtung, dass es
um lauter einzelne Individuen mit verschiedenen Vorlieben,
Arbeitsstilen und Interessen geht, die in Wikipedia tätig
waren und sind. Es gibt vor allem diejenigen, die kommen, einen
Beitrag leisten und dann wieder verschwinden. Der größte
Teil der tatsächlichen Wikipedia wird von Menschen und
Accounts gestaltet, deren Edits fast nur im Artikelnamensraum
aufzufinden sind. Manchmal arbeiten sie unermütlich über
viele Jahre, manchmal auch nur einige Wochen an einen oder zwei
Artikeln. Viele davon sind als IP aktiv, so dass sich fast nichts
über sie sagen lässt. Vielleicht sind die Beitragenden
per IP auch gar nicht viele, sondern eine einzige sehr
fleißige Autorin? Wer weiß?
Viele Wikipedianerinnen und
Wikipedianer sind derzeit inaktiv.
Anlässlich des Projektes
WikiWedding und in meinem Bestreben möglichst viele
Wedding-Aktive daran zu beteiligen, lese ich ja derzeit viele
Artikel zu einem Themengebiet, das mir in den letzten Jahren eher
fremd war und an dessen Entstehung ich nicht beteiligt war. Wer
sich in den letzten Monaten am Thema beteiligt hat, ist mir
bewusst, wer sich von 2001 bis 2014 des Weddings angenommen hat,
musste ich nachlesen. Eine spannende Lektüre voller mir
unbekannter Namen und Accounts. Neben einigen mir bekannten
Wikipedistas waren dort vor allem mir unbekannte Accounts.
Accounts, die oft aufgehört haben zu editieren. Meist sind sie
still und leise gegangen. Ihre Edits und Kommentare geben keinen
Hinweis warum. Aber anscheinend war es anderswo schöner. Oder
sie hatten den Einruck, alles in Wikipedia geschrieben zu haben,
was sie beitragen wollten. Um diesen Autorinnen und Autoren
zumindest nachträglich etwas Aufmerksamkeit zu geben, um ihre
Namen kurz aus den Tiefen der Versionsgeschichten zu retten, sollen
hier einfach einige Autorinnen(?) und Autoren gewürdigt
werden, die sich um den Wedding in Wikpedia bemühten bevor sie
verschwanden.
Da ist zum Beispiel der Artikel zur Chausseestraße.
Ein Mammutwerk von Gtelloke,
dessen Wikipedia-Edits sich von Juni bis Dezember 2012 fast
ausschließlich auf diesen Artikel beschränkten.
Bild: Die Chausseestraße 114-118 in
Richtung Invalidenstraße von Gtelloke
Da ist der Artikel zum Wedding selber.
Angelegt 2002 von Otto, dessen
letzter Edit aus dem Dezember 2004 stammt. Im November 2004 dann
maßgeblich ausgebaut von Nauck, der sich
auch sonst dem Ortsteil und seinen Themen widmete. Artikel zu
Moabit, den Meyerschen Höfen, Mietskasernen und
Schlafgängern waren Teil seines kurzen Werks, das im
Wesentlichen nur zwei Wochen im November 2004 dauerte, aber die
Grundlagen wichtiger Artikel zur Berliner Sozialgeschichte legte.
Ein Blick auf seine Benutzerseite zeigt auch den Geist der
Wikipedia-Frühzeit: ''GNU rockt! Der König ist tod, lang
lebe das Volk! Lang lebe die Anarchie des Netzes! Licht und
Liebe''
Weiterer Ausbau erfolgte durch 87.123.84.64,
auch zu wikipedianischen Urzeiten. Dann passierte 500 Edits und
acht Jahre im Wesentlichen nichts – mal ein Halbsatz hier,
mal die Hinzufügung von drei Bahnstrecken dort,
Hinzufügen und Löschen von berühmten
Persönlichkeiten bis im Dezember 2014 der erste heute noch
aktive Wikipedianer hinzukommt: Fridolin
freudenfett verpasst dem Artikel mit „Katastrophalen
Artikel etwas verbessert)“ eine Generalüberholung.
Der Leopoldplatz;
angelegt von Frerix, der in
den immerhin fünf Jahren seiner Wikipedia-Aktivität nie
auch nur eine Benutzerseite für nötig hielt und
anscheinend auch in keine Diskussion verwickelt wurde. Zu
seinen wenigen Beiträgen gehören neben der Anlage des
Leopoldplatzes auch noch die Anlage der englischen Stadt Sandhurst,
die Anlage des Kreuzviertels in Münster und des Three Horses
Biers. Dann war er/sie wieder weg. Mutter des Artikels ist hier
aber 44Pinguine,
die den heutigen Inhalt maßgeblich prägt und auch heute
noch aktiv ist.
Nichts war für die Entwicklung des Weddings wohl so
entscheidend wie die Geschichte der AEG. Dieser Artikel stammte
in seiner Frühzeit von WHell,
engagiertem Wikifanten, mit ausführlicher
Artikelliste und Diskussionsseite, der uns 2007 verließ.
Der letzte Eintrag auf seiner Diskussionsseite war „Hallo
WHell, ich möchte Dich als den Hauptautor darüber
informieren, dass ich den Artikel John Bull (Lokomotive) in die
Wiederwahl zum Exzellenten Artikel gestellt habe,“
Größere Beiträge zur WEG folgten in den
späteren Jahren durch Peterobst
– aktiv von Februar bis April 2006 vor allem mit
Beiträgen zur Berliner Industriegeschichte, nach seiner
Benutzerseite AEG-Kenner und in Arbeit an einem Buch über den
Konzern. Es folgten
80.226.238.197, von Georg
Slickers 2006 (auch heute noch aktiv, wenn auch recht
unregelmäßig), Flibbertigibbet
2006 ,
79.201.110.89 im Jahr 2008 und der unermüdlichen
44Pinguine. Weiter ausgebaut von Onkel
Dittmeyer, aktiv von 2009 bis Juli 2015 in Technikthemen und
vielleicht immer noch unter neuem Account? Begann seine Karrier mit
der Nutzerseite „Hier ist Nichts und das soll so bleiben
!“ und hielt sich im Wesentlichen daran.
Da ist der Volkspark
Rehberge. Angelegt von Ramiro 2005,
aktiv 2005/2006, vor allem zum Thema Fußball. Maßgeblich
ausgebaut, umfassend überarbeitet 2007 von
84.190.89.208 und noch einmal 2010 stark erweitert von Katonka.
Landschaftsplaner mit unregelmäßigen Edits zwischen 2009
und 2014, die Edits waren wenige, aber die Qualität war
hoch.
Bild: LSG-6 Volkspark Rehberge Berlin
Mitte - Panoramabild auf die Wiesen des Volkspark Rehberge in
Berlin, Wedding (Mitte). Von:
Patrick Franke Lizenz: CC-BY-SA
3.0
Neben diesen Verschwundenen tauchen glücklicherweise aber auch
heute noch aktive Wikifanten auf. Immer wieder 44Pinguine und
Fridolin freudenfett. Darüber hinaus Definitiv,
Magadan,
Flibbertigibbet und Jo.Fruechtnicht.
Die Artikel entstanden durch Wikifanten und IPs. Accounts mit nur
einem Thema oder anderen, die über Jahre thematisch sprangen.
Während in der Frühzeit aber viele verschiedene Accounts
und IPs an den Artikel beteiligt waren, waren in den letzten Jahren
deutlich weniger Menschen aktiv. Fast alle inhaltlichen Edits in
den von mir angesehenen Artikeln verteilen sich auf
44Pinguine, Fridolin freudenfett und Definitiv. Wikipedia
wird kleiner und noch lebt sie. Aber wir können all‘ den
Verschwundenen danken, die vor uns kamen.
Seit nun schon ein paar Jahren hört man immer wieder
über Probleme in der kroatischen (und zu einem gewissen Grad
auch der serbischen) Wikipedia. Rechte Gruppen sollen das Projekt
übernommen haben und alle Wikipedianer, die nicht ihrer
Meinung sind, rausgeekelt oder einfach gesperrt haben.
Lange war nichts passiert, aber seit Ende letzten Jahres sah
sich die WMF dann doch mal die Situation an und es wurde schon
zumindest ein Admin gebannt.
Nun hat die WMF ein Abschlußdokument veröffentlicht;
oder genauer schon Mitte Juni und ich habe es erst heute bei reddit
gesehen. In dem Dokument finden sich solche Perlen, als das in hrwp
behauptet wurde, Nazi-Deutschland habe Polen überfallen weil
Polen einen Genozid an Deutschen verübt hätten.
Der ganze Bericht kann
hier gefunden werden. Mich macht die ganze Geschichte sowohl
traurig als auch wütend. Wikipedia soll die Leute so gut es
geht aufklären und nicht Propaganda verbreiten!
Ich habe heute dieses Blog auf einen neuen Server umgezogen,
sein DNS aktualisiert und sein SSL repariert. Werde versuchen, es
nun wieder öfters zu befüllen. Wünscht mir
Glück 🙂.
Bereits seit gestern und noch bis zum 28. April laufen die
Oversighter-Wahlen. Doc Taxon, User:He3nry
und Nolispanmo treten zur Wiederwahl an. Ich wünsche:
Viel Erfolg!
Eine der schöneren unbekannten Ecken der Wikipedia ist die
Seite zur
Auskunft. Dort können Menschen mögliche und
unmögliche Fragen stellen, die dann mal launisch, mal
larmoyant, mal ernsthaft oder auch gar nicht beantwortet werden.
Wie im wahren Leben und eine ewige Fundgrube obskuren Wissens,
seltsamer Fragestellungen und logischen Extremsports.
Nicht die DDR. Bild: Giorgio Conrad
(1827-1889) - Mangiatori di maccheroni. Numero di catalogo:
102.
Dort nun fragte vor ein paar Tagen ein unangemeldeter Nutzer:
"Warum
gab es in der DDR eigentlich nur Makkaroni (die in Wirklichkeit
Maccheroncini waren), aber keine Spaghetti? Das erscheint mir nach
Lektüre einiger Bücher aus der DDR so gewesen zu sein und
ist mir auch so von meiner aus Ex-DDR-Bürgern bestehenden
Verwandtschaft bestätigt worden. Warum?"
Es folgte eine längere und mäandernde ausgiebige
Diskussion, die immerhin folgendes ergab:
* Anscheinend gab es in der DDR Spaghetti, zumindest erinnerten
sich einige der Diskutanten an derartige Kindheitserlebnisse.
* Ob Spaghetti so verbreitet waren wie Makkaroni oder Spirelli,
darüber bestand Uneinigkeit.
* Die Nudelsaucensituation war in Berlin besser als im Rest der
DDR.
* Die DDR allgemein pflegte in vielerlei Hinsicht traditionellere
Essgewohnheiten als Westdeutschland, die Küche der DDR
ähnelte in vielem mehr der deutschen Vorkriegsküche als
dies für die westdeutsche Küche gilt.
* In Vorkriegszeiten waren Makkaroni verbreiteter als
Spaghetti.
* Schon bei Erich Kästner wurden Makkaroni gegessen
* Der Makkaroni-Spaghetti turn im (west-)deutschen Sprachraum war
Mitte der 1960er
* Schuld könnten wahlweise das mangelnde Basilikum, die
mangelnde Tomatensauce, überhaupt mangelnde Kräuter,
Italienreisen, Gastarbeiter, Miracoli oder auch was ganz anderes
sein.
* Klarer Konsens im Rahme: Sahne gehört keineswegs in Sauce
Carbonara!
Gab es in der DDR nicht: Miracoli. Bild:
Miracoli-Nudeln mit Mirácoli-Soße von Kraft. Von:
Brian
Ammon, Lizenz: CC-BY-SA
3.0
Daneben tauchten eine ganze Menge Kindheitserinnerungen auf an
exotische Spaghettimahlzeiten mit kleingeschnittenen Spaghetti,
Ketchup-basierter Tomatensauce und anderen kulinarischen Exotika
des geteilten Deutschlands.
Einige Antworten, viel mehr Fragen:
* seit wann wird in Deutschland überhaupt Pasta gegessen?
* wie lange schon ist Tomatensauce verbreitet?
* seit wann essen westdeutsche Spaghetti?
* Und wer ist Schuld? Die Gastarbeiter? Die Italienurlauber?
Miracoli?
* Und wie kommen eigentlich die Löcher in die Makkaroni?
Also verließen wir dann erst einmal die Auskunft und die
dortige Diskussion und betrieben etwas weitere Recherche. Das
heimische "Kochbuch der Haushaltungs- und Kochschule des
Badischen Frauenvereins", veröffentlicht 1913 in
Karlsruhe, kennt sowohl Makkaroni wie auch Spaghetti. Ungewohnt
für heute: die Makkaroni werden in "halbfingerlange
Stückchen gebrochen" und dann 25 bis 30 Minuten gekocht.
Neben den diversen Makkaroni-Gerichten gibt es auch einmal
Spaghetti. Die Priorität ist klar. Spaghetti werden
erklärt als "Spaghetti ist eine Art feine Makkaronisorte.
Beim Einkauf achte man darauf, daß sie nicht hohl
sind"
Die "Basler Kochschule. Eine leichtfaßliche Anleitung zur
bürgerlichen und feineren Kochkunst" von 1908 kennt keine
Spaghetti aber diverse Gericht mit "Maccaronis". Darunter sogar
schon die Variante "a la napolitaine" mit Tomatensauce.
Weitere Recherche. Weitere Erkenntnisse bringt das Buch "Meine
Suche nach der besten Pasta der Welt: Eine Abenteuerreise durch
Italien", das die Ankunft der Makkaroni in Deutschland auf das
frühe 18. Jahrhundert verlegt. Die 1701 nachweisbaren
"Macronen" waren wohl eher Lasagne, aber Anfang des 18.
Jahrhunderts entstanden in Prag und Wien echte
Makkaroni-Fabriken.
Die Pasta folgte anscheinend den jungen Männern der Grand Tour aus
Italien in das restliche Europa. Bestimmt waren die Grand Tours
für junge Männer, die mal etwas von der Welt sehen und
klassische europäische Bildung mitbekommen sollten, die auf
der Tour aber anscheinend nicht nur Statuen und Kirchen
kennenlernten, sondern auch Pasta.
Der Macaroni. Der Hipster seiner Zeit. Bild:
Philip Dawe: The Macaroni. A Real Character at the Late Masquerade,
1773.
In England gab es sogar einen eigenen Modestil Macaroni
für exaltierte junge Männer - "a fashionable fellow
who dressed and even spoke in an outlandishly affected and epicene
manner". Die englische Wikipedia schreibt dazu lakonisch:
"Siehe auch: Hipster. Metrosexuell." Komplett falsch wäre wohl
auch die Assoziation zur Toskana-Fraktion nicht.
Nach diesen extravagant und auffallend auftretenden jungen
Männern ist nun wiederum im Englischen der Macaroni
penguin - auf deutsch der Goldschopfpinguin - benannt.
Makkaroni-Penguin. Benannt nach dem Stil,
nicht nach den Nudeln. Bild: Macaroni Penguin at Cooper Bay, South
Georgia von Liam Quinn,
Lizenz: CC-BY-SA
2.0
Wie aber kommen nun die Löcher in die Makkaroni? Und seit
wann? Licht in dieses Dunkel bringt die "Encyclopedia
of Pasta." Diese lokalisiert die Entstehung der maschinellen
Pastafertigung - die für Makkaroni in zumutbarer Menge
unvermeidlich ist - in die Bucht von Neapel in das 16. Jahrhundert.
Dort existerte eine Heimindustrie mit Mühlen, an die sich
relativ problemlos eine im 16. Jahrhundert aufkommende
’ngegno da maccarun anschließen lies, die es den
Neapolitanern ersparte stundenlang im Teig herumzulaufen, um ihn zu
kneten: im Wesentlichen Holzpressen mit einem Einsatz aus Kupfer,
je nach Form des Einsatzes entstehen verschiedene Nudelsorten und
damit unter anderem Makkaroni. Die Makkaroni wurden dann in langen
Fäden zum trocknen in die süditalienische Sonne
gehängt.
Neapel, 19. Jahrhundert. Bild:
Giorgio Sommer (1834-1914), "Torre Annunziata-Napoli - Fabbrica di
maccheroni". Fotografia colorita a mano. Numero di catalogo:
6204.
Das hat alles nicht mehr wirklich etwas mit Spaghetti und der DDR
zu tun, beantwortet nicht, warum die Deutschen in den 1960ern
plötzlich lieber Spaghetti als Makkaroni mochten, oder warum
die Makkaroni bei ihrem ersten Zug über die Alpen die
Tomatensauce in der Schweiz ließen? Warum gibt es in
Deutschland kein Äquivalent zu "Macaroni and cheese" (mehr)?
Gab es ein Miracoli-Äquivalent in der DDR, bei dem es Pasta,
Sauce und Käse schon in einer Packung gab? Warum sind
Makkaroni in Deutschland tendenziell lang und dünn in vielen
anderen Ländern aber dicker und
hörnchenförmig-gebogen? Es ist hochspannend. Und ein
Grund, noch viel mehr zu recherchieren.
Seit 2019 wählt das Wikiversum die coolsten Tools, die
besten Hilfsmittel, um in Wikipedia und anderen Wikis zu werken.
Eines davon ist der Pywikibot, der Bot aller Bots.
Schneeregen fegte waagerecht über Vorplatz des Tempelhofer
Hafens. Mein Pullover war gar nicht so kuschlig und dicht wie ich
ihn in Erinnerung hatte. Die Handschuhe waren im Laufe der Jahre so
fadenscheinig geworden, dass eine einzelne kurze Radtour die Finger
vereisen ließ.
Ein einsamer, von Weihnachten übrig gebliebener,
Quarkkeulchen-Stand vor dem Tempelhofer Hafen. Seine Lichter
verhießen Wärme. Der Weg dorthin: Von Entbehrungen
gezeichnet. Der Wind, der einem aus allen Richtungen ins Gesicht
blies, trieb die Leute davon. Sie wussten nicht wohin, denn alles
war geschlossen und zu Hause wollten sie ihre Mitbewohner nicht
mehr sehen. Über der Szene kreiste ein hungriger
Taubenschwarm.
„Ist es nicht herrlich“, fragte ich DJ
Hüpfburg. „So viel Platz! Fast das ganze
Hafengelände gehört uns. Und wir können uns
problemlos aus drei Meter Sicherheitsabstand anschreien.“
– Sie antwortete „Du spinnst. Es ist scheißkalt.
Ich bibbere. Das letzte Mal, als ich so gefroren habe, bin ich im
Rozbrat mit meiner ehemaligen Band aufgetreten:
„Pierdzące Zakonnice“.
Wir spielten Prog-Punk. Kein Wasser, keine Heizung und ein
sibirischer Windhauch kam aus Richtung Minsk. Wer auf Toilette
wollte, hat einen Eispickel in die Hand bekommen, falls das
Plumpsklo wieder zugefroren war. Und am Ende des Abends haben wir
Wahlplakate im Konzertsaal verbrannt, um nicht ganz zu
erfrieren.
Aber wir haben gerockt: Kasia an der Geige, die andere Kasia am
Theremin, ich an der KitchenAid und Anna am Gong und an der
Rezitation. So viel Kunst war nie wieder davor oder danach im
Rozbrat. Leider war es den Pferden zu kalt, so dass die weiße
Kutsche ausgefallen ist. Hier am Hafen ist keine Kunst. Hier ist es
nur scheißkalt. Ich gehe.“
Später, im Chat. Hüpfburgs Schilderung hatte mich an
ein Video erinnert, das ich kurz vorher gesehen hatte:
„Wikimedia
Coolest Tool Award 2020.“ in meinen Versuchen, DJ
Hüpfburg für die Wikipedia und ihr Umfeld zu begeistern,
postete ich ihr den Link.
Southgeist: Aber Tools. Nur mit ausgewählten Menschen.
Fast nur Technik und kreative Sachen.
Hüpfburg: Wikipedia spießerfrei? Du meinst, das soll
gehen?
Southgeist: Schau doch mal.
Hüpfburg: Ich sehe jetzt schon drei Minuten lang
Berliner Straßen ohne Ton. Ich dachte schon, meine
Lautsprecher wären kaputt.
Hüpfburg: I like the music.
Southgeist: Eben. Warte erst auf die Tools.
Hüpfburg: 52 Minuten! So lange soll ich Wikipedia
schauen? In der Zeit zerstöre ich zwei Ehen, bringe einen
Priester vom Glauben ab und bringe drei Paare neu zueinander. Sage
mir lieber, was für Tools vorkommen.
Die coolest Tools
Ich erzählte.
Im Video werden vorgestellt: Der AutoWikiBrowser
(Hüpfburg: „Da klingt der Name schon langweilig“),
SDZeroBot
generiert Benutzerseitenreports („Mich interessieren weder
Benutzer noch ihre Seiten“), Proofread
Page Extension („Korrekturlesen, geht es noch
spießiger?“), Listen to Wikipedia
(„Schön, aber reichlich Kitsch. Wenn eines Tages zwei
Wikipedianer kommen und einander heiraten wollen, werde ich das
Tool in den Event integrieren“), AbuseFilter
(„Zu sehr Polizei“), LinguaLibre
(„I like“), und Pywikibot – ein Tool zum
Erstellen weiterer Tools. („Das klingt spannend –
erzähle mir mehr.“)
Pywikibot
Pywikibot ist ein Framework zum Erstellen von Bots. Oder anders
gesagt: wer sich den Pywikibot installiert, kann mit
überschaubarem Aufwand eigene Bots schaffen. Oder sich an
einem der bereits auf dieser Basis geschaffenen Skripte bedienen.
Die Bots können prinzipiell alles, was menschliche Nutzer von
MediaWiki-Wikis auch können – nur schneller.
Wobei können in diesem Zusammenhang natürlich
bedeutet: jemensch muss dem Bot vorher sagen, was er tun soll. Das
dauert länger als ein Edit. Der Bot kommt sinnvoll ins Spiel,
wo es eine hohe Zahl gleichartiger Edits gibt. Zum Artikelschreiben
ist das wenig – zum Anpassen von Formalien ist es super. Und
dazwischen liegt ein Graubereich. Nicht alles ist sinnvoll, nicht
alles ist erlaubt – und um die Kontrolle zu wahren, hat der
Pywikibot einen automatischen Slow-Down-Mechanismus, der den Bot
absichtlich ausbremst.
Pywikibot geht zurück auf verschiedene Bots und Skripte aus
dem Jahr 2003, existiert in dieser Form seit etwa 2008. Die
aktuelle Variante ist in und für Python 3 geschrieben. Die
Community, die sich um das Framework kümmert, hat eine
dreistellige Zahl von Mitgliedern und ist so international, wie es
die frühe Wikipedia war. Rein aus dem Bauchgefühl heraus
würde ich auch sagen, was Charaktertypen und Soziodemographie
angeht, ist die Pywikibot-Gruppe sehr viel näher an der
Ur-Wikipedia als die heutigen Wikipedistas.
DJ Hüpfburg: „Du sagst es. Alt-Wikipedia. Diese
Tool-Awards sind solche Lebenswerkauszeichungen? Das Bot-Framework
gibt es seit fast 20 Jahren, das Proofread-Tool existiert seit fast
15 Jahren. Ist der Award so langsam oder gibt es so wenig
Neues?“
Ich glaube, der Award ist langsam. Beziehungsweise er existiert
erst seit letztem Jahr. Jetzt muss er die ganzen Tools der letzten
Jahrzehnte durchprämieren, damit die nicht vergessen werden.
Wie bei der Wikipedia auch: Die Grundlagen wurden vor langer Zeit
gelegt. Alles, was jetzt kommt, baut darauf an, verbessert, schafft
aber nur selten fundamental Neues.
Change Musiker to Musiker*innen
„Außer dem Tool-Award. Der ist neu? Und dem Video
nach zu urteilen reichlich großartig.“
Yup. Und er hat mir und dir den Pywikibot gelehrt und damit eine
wichtige Aufgabe erfüllt.
DJ Hüpfburg: „Ich kann also auf Basis von Pywikibot
alle ‚Musiker‘ in Wikipedia durch
‚Musiker*innen‘ ersetzen?“
Ich: „Theoretisch ja. Praktisch gibt es verschiedene
Hindernisse. Und du wirst auf ewig gesperrt werden.“
DJ Hüpfburg: „Dachte ich. Noch so jung und schon so
strukturkonservativ diese Website. Wäre sie ein Mensch,
würde sie einen beigen Pullunder über weißem Hemd
tragen und Leserbriefe an die Fernsehzeitschrift schreiben. Aber
ich kann mein eigenes Wiki aufsetzen und da noch Herzenslust alles
bot-mäßig umbauen?“
Ich: „Yup. Wikidata freut sich auch. Da gibt es noch viel
zu tun und die sind superfreundlich dort.“
DJ Hüpfburg: „Ich auf meinem Pybot einreitend in
Wikidata! Das wäre fast so gut wie im Rozbrat. Mit der
Kutsche, die dann doch nicht kam. Irgendwann im Laufe des Abends
spielten wir Mozart. Da haben die Squatter angefangen mit
Äpfeln zu werfen. Wir uns hinter dem Gong geduckt und ich ein
Kitchen-Aid-Solo. Ich erinnere mich noch an den einen Tänzer,
der allein Stand und Luft-Küchenmaschine gespielt hat. Ein Arm
angwickelt am Körper als würde er die Maschine an sich
drücken, mit dem anderen weit ausholende Bewegungen, um dann
auf dem Einschaltknopf zu laden.“
„Leider hatten wir dem Publikum einen Mozart-Schock
versetzt und die wollten uns nicht mehr gehen. Dadurch hatten wir
alle Auftrittsorte in Posen durch. Kasia ging nach Prag und Paris,
Jazz-Theremin studieren. „Ein Juwel unter unserer
Studentinnen“ sagte mal eine Professorin. Kasia wäre
fast dieses Jahr in der Philharmonie aufgetreten. Aber Deine
komische Wikipedia hat immer noch keinen Artikel von
ihr.“
Ich: „Es ist nicht meine Wikipedia.“
Ruhe. Hüpfburg dachte.
„Dieser Bot. Der kann doch sicher in Wikidata alle
Personen auslesen, die Theremin spielen. Und dann eine Liste in
Wikipedia anlegen. Die regelmäßig erneuert wird. Das
müsste doch gehen. Vielleicht ist es einen Versuch
wert.“
SPARQL ist wie SQL, nur mit mehr Kontext. SPARQL ist eine
Datenbanksprache, die es erlaubt, das Semantic Web zu befragen.
Eine Sprache, die nicht nur Daten liefert. Sie ergründet auch
das logische Verhältnis zwischen diesen Daten. Zumindest in
der Theorie. In der Praxis ist es schwieriger. Ein Selbstversuch
mit SPARQL, Wikidata und Schwimmbädern.
Es nieselregnet. Auf dem „Street Food Market“ am
Tempelhofer Hafen versucht Schlagermusik die Trostlosigkeit zu
vertreiben. Hinter DJ Hüpfburg und mir steht der „Irish
Pub“-Wagen, ein Fleischer-Wagen und Curry Paule.
Streetfood is coming home.
Street Food kam zurück von den Hipstern, die nach dem
Thailandurlaub ihre Liebe zu Street Food entdeckt haben, zu den
Leuten, die schon seit Jahrzehnten Essen an Deutschlands
Straßen zubereiten. Die einzigen Gäste bei Curry Paule
sind die Mitarbeiter vom Irish Pub. Am Irish Pub Wagen steht
niemand. Ein eisiger Herbstwind verleidet den Aufenthalt
draußen. Curry Paule bietet als große Attraktion vegane
Wurst. Das hätte es 1985 nicht gegeben.
DJ Hüpfburg heuchelt Interesse gegenüber meinen Rede.
Wir sitzen auf den Stufen am Hafen, betrachten die wöchentlich
kleiner werdende Gruppe der Freizeitboote dort. Ich erzähle
die letzten Züge einer Anekdote. Es geht um Mund-Nasen-Masken
und Kommunikation:
„Ich stehe also mit Madame im IKEA. Wir hoffen auf die
letzten Karlhugo-Stühle. Die sind quasi immer
ausverkauft. Schaust du auf die Website bei unserem Laden, siehst
Du einen oder zwei. Dann wieder null. Dann einen halben Tag lang
acht Stühle, dann wieder null. Wir fürchten, bald gibt es
sie gar nicht mehr. Wir fürchten, IKEA nimmt sie aus dem
Programm. Also online geschaut, ob sie im IKEA Schöneberg
vorhanden sind. Schnell die Gelegenheit ergriffen. Wir fuhren zum
Bestellschalter, natürlich brav mit Maske, wie die Dame hinter
der Plexiglasscheibe auch. Die Sprache wird durch die Masken
vernuschelt.
Madame: Wir würden gerne einen Karlhugo
abholen.
Verkäuferin schaut skeptisch: Karlhugo? Nie
gehört. Sicher, dass es Karlhugo ist?
Madame: Doch, sicher: Karlhugo.
Verkäuferin tippt zweifelnd in ihren Rechner:
„Ne, nichts.“
Madame: „Sicher, im Internet stand hier sind noch
wir.“
Verkäuferin tippt weiter, kopfschüttelnd:
„Kein. Karlhugo. Gar nicht.“
Madame hat mittlerweile die Website aufgerufen, zeigt sie
der Dame in Blau-Gelb: „Hier. Acht Exemplare Karlhugo im IKEA
Schöneberg.“
Verkäuferin: „Ach, Karlhugo! Gar nicht
Karlhugo!“ Sie tippt energisch.
„Hätten sie doch gleich Karlhugo
gesagt!“
Sie druckt den Zettel für die Kasse aus. Madame fragt
mich: Hast du verstanden, was sie gesagt hat? Ich:
„Karlhugo“.
DJ Hüpfburg ist beeindruckt. Ich bilde mir ein, einen
Mundwinkel zucken zu sehen. „Du solltest Stand-Up-Comedy
machen. Am besten mit Maske. Dann verstehen die Leute Dich
schlechter.“
Ihre Gedanken werden düsterer: Weißt Du, wo man
schnell einen Corona-Test herbekommt? Eine Freundin, Schneiderin,
hatte einen Kunden, der jetzt positiv getestet ist. Das war ein
schöner Auftrag: Dark Academia meets Southern Gothic, dunkle
Mäntel, Cardigans, Wollpullover und künstliche
Spinnenweben. Sie hatten vier Treffen in der letzten Woche zur
Absprache. Mich hat sie gefragt, ob ich eine Quelle für
schicke Brillen dazu habe. Hat Spaß gemacht. Also schön,
bis der Kunde anrief mit dem Testergebnis. Nun ist alles
Grütze.
Sie will gar nicht den Laden zumachen und schnell einen
negativen Test. Aber dafür muss sie überhaupt an einen
Test kommen. Und jeder geschlossene Tag schmerzt. Ich
überlege: „Ich glaube, ich kenne eine Ärztin mit
Corona-Sprechstunde. Müsste ich zu Hause suchen.“
Wir schweigen. Nieselregen und Herbststurm werden durch Gedanken
an überfüllte Intensivstationen ergänzt. Eine
Lachmöwe mit einem Pommes im Schnabel fliegt vorbei. Dj
Hüpfburg steht wortlos auf, vegane Currywurst kaufen.
Sie kommt mit einer Wurst und einem Prospekt zurück.
Große gelbe Buchstaben fordern mich auf: „Curryspargel!
Freu Dich auf den Sommer!“
„Dirk, du hast mir Unsinn erzählt. Sparkel spricht
sich gar nicht Spargel aus.“ Ich: „???“ Diese
Datenbanksprache: SPARQL. Die wird „Sparkel“
ausgesprochen, wie im Englischen to sparcle
leuchtend/blinkend. Sterne sparclen. Nicht wie im
deutschen „Spargel.“
„Okay. Aber wie kommst du darauf?“
Ich spielte im Internet herum. Mir war langweilig. Hochzeiten im
Oktober bei Corona ist kein Business. Also dachte ich, ich nutze
die Zeit und beschreite innovative Recherchewege nach
Eventlocations. Schlösser, Burgen, Industrieruinen. Als du mir
wieder mit Wikipedia auf die Nerven gegangen bist, hast du von
Wikidata erzählt. Ich dachte, Zahlen kann ich. Ich schaue wie
das geht. Jetzt schaue ich Videos und ich teste.
Wikidata
Wikidata ist eine offene Datenbank. Das heißt: eine
große Datenbank, in der Daten über alles stehen. Von der
vagen Grundidee her so wie Wikipedia, aber mit weniger Gelaber.
Wobei die Inhalte nicht einfach in der Datenbank stehen. Sie sind
logisch verknüpft.
Es stehen nicht nur A, B und C in der Datenbank, sondern ihre
Beziehung. Wenn dort steht „A ist Kind von B“. Und dort
steht: „B ist Kind von C“. Dann kann man Abfragen, dass
A das Enkelkind von C ist, ohne dass dies so explizit vorher
eingegeben werden muss. Steht dort auch noch „D ist Kind von
B“, kann man Abfragen, dass A und D Geschwister sind, ohne
dass dies explizit in der Datenbank steht.
Bei Wikidata kann jede auf die Daten zugreifen, und etwas mit
ihnen machen. So als einfache Idee: in Wikidata stehen immer die
aktuellen Einwohnerzahlen jeder Stadt. Dann muss Wikipedia diese
nicht mehr in jeder Sprachversion nachtragen, sondern kann diese
aus Wikidata ziehen. Aber auch externe Anbieter.
Es ist möglich, Wikidata, direkt als Mensch aus quasi
ocioell per Auge zu lesen. Hier zum Beispiel der Eintrag für das
Stadtbad Mitte in Berlin: Aber das ist ehrlich gesagt,
hässlich, unübersichtlich und keinerlei Gewinn
gegenüber Wikipedia. Da gefällt mir die Quartettkarte
besser:
Besser für Wikidata ist eine Abfrage, die die gesuchten
Daten hübsch arrangiert. Man befrage die Datenbank. Da man mit
einem Computer Computersprech reden muss, gibt es SPARQL.
SPARQL
SPARQL ist eine Sprache zum Abfragen solcher semantischer
Datenbanken. Sie existiert als offizielle Empfehlung des
W3C-Konsortiums seit 2008. Inspiriert wurde sie durch SQL, hat aber
Features, die ihr das logische Denken ermöglichen.
SELECT?item ?itemLabel WHERE { ?itemwdt:P31 wd:Q357380.
SERVICE wikibase:label { bd:serviceParam
wikibase:language „[AUTO_LANGUAGE],de“.
} }
Ich: Aha?
Hüpfburg: Also von Anfang an. SELECT
– sagt, zeige mir Folgendes an: ?item und ?itemlabel
?item – ist jeder
Gegenstand mit seiner Nummer in der Datenbank. SELECT?item sagt „Zeige mir
Gegenstände an, wie sie in der Datenbank stehen.“ Also
zum Beispiel Q1292740.
SELECT?itemlabel sagt „Zeige mir
Gegenstände an, mit dem Namen, mit dem Menschen sie
benennen.“ Also zum Beispiel „Stadtbad
Mitte“.
Okay. Aber noch zeigt SELECT?item
?itemLabel ja ALLE Gegenstände an. Nicht nur die
Schwimmbäder.
Genau. Deshalb kommt ein Filter. Der wird gesetzt mit
WHERE{ }. Also zeige mir alle Gegenstände
und ihre Bezeichnung, die folgende Bedingung erfüllen:
?itemwdt:P31 wd:Q357380.
Total klar.
Okay: ?item –
heißt für jeden Gegenstand muss eine Bedingung
gelten. wdt:P31 – jeder der
Gegenstand muss zu einer bestimmten Klasse gehören, die im
nächsten Wert steht. wd:Q357380 – Das ist die
Klasse, zu der der Gegenstand gehören muss. Hier:
Hallenbad.
In Worten steht dort: Zeige mir alle Gegenstände, wenn
diese Gegenstände zur Klasse Hallenbad gehören.
Die letzte Zeile – SERVICE wikibase:label… –
sagt nur, dass wir nur die deutsche Bezeichnung haben wollen, nicht
auch die englische, finnische und japanische
Hier we go!
Ich „109 Bäder. Weltweit. Ich bin nicht beeindruckt.
Das sind weniger Bäder als Berlin und Brandenburg
haben.“
Alle Schwimmbäder mit Bild
Hüpfburg: Aber es geht noch mehr. Die kannst dir jedes Bad
mit einem Bild anzeigen lassen.
#defaultView:Map SELECT * WHERE { ?itemwdt:P31/wdt:P279* wd:Q357380; wdt:P625?geo . }
SELECT: Wie vorher auch,
nur dass du dieses Mal nichts angeben musst oder kannst, was
gezeigt wird. Das macht #defaultView:Map
Der Filter, also WHERE hat
nun noch wdt:P625?geo – es zeigt die nur
Gegenstände an, die auch einen Platz auf der Karte haben.
Okay. Und wenn ich darauf gehe, sehe ich, dass es in den USA
wd:Q15263936 gibt. Erstaunlich! Ich weise Hüpfburg darauf hin:
Aber du kennst schon den Bäderatlas? Da gibt es alle
deutschen Bäder – mehrere tausend, nicht einige Dutzend.
Auf einer Karte. Mit allen wichtigen Infos. Und ich muss vorher
nicht rumspargeln, um an die Infos zu kommen. Da reicht es, auf die
Seite zu gehen.
So viele Möglichkeiten
Und wo sind die logischen Verknüpfungen in diesen
Wikidata-Abfragen? – Die müssen erst in der Datenbank
stehen. Wenn bei den Bädern der Architekt stünde,
könntest du eine Abfrage bauen: „Zeige mir alle
Gebäude von Schwimmbadarchitekten, die vor 1900 geboren
wurden.“
Oder zeige mir alle verschollenen Filme, die als Handlungsort
ein Schwimmbad haben. Oder zeige mir Schwimmbäder in
Deutschland, die nach 1970 eröffneten und schon wieder
außer Funktion genommen wurden. Nur fehlen dafür die
Daten in der Datenbank. Daten, die nicht vorhanden sind, kannst Du
nicht abfragen.
Ich stelle fest: „Als Schwimmbadsuchmaschine bin ich
enttäuscht.“
„Ja“, wendet DJ Hüpfburg ein. „Aber ich
suche keine Bäder. Ich suche Schlösser, Burgen und
Industrieruinen. Für die gibt es keinen Atlas. Und Dirk, wie
immer. Du denkst zu kurzfristig. Irgendwann stehen in Wikidata die
Bahnlängen und die Gastro und die Beckentiefe und der
Architekt und alles in der Nähe. Dann kannst du alle
Bäder in der Nähe eines Bahnhofs suchen. Oder
Hallenbäder mit 50-Meter-Bahnen. Oder alle historischen
Bäder Italiens.“
„Okay, und wann? Bei dem Tempo dauert das bis 2050 oder
so.“
Kann es sein, dass eine Datenbank da wirklich anders
funktioniert als ein Lexikon? Wikidate andere Bedingungen
erfüllen muss, um zu funktionieren als Wikipedia? Wenn das
Lexikon große Lücken hat, freut man sich halt, über
die Teile, die da sind. Da hat jeder Eintrag für den Leser
einen Wert an sich. Wenn eine Datenbank große Lücken hat,
ist sie nicht nutzbar, weil die Ergebnisse zufällig wirken.
Dort bekommen die Einträge ihren Wert erst durch ihre
Menge.
Sie gibt sie nicht geschlagen: „Denke an die
Möglichkeiten. Du kannst es in deine Website integrieren.
Stell dir vor du hast exklusive Schwimmbadvideos. Oder machst eine
Seite über den Architekten Ludwig Hoffmann. Oder über
Bahnhöfe in der Nähe von Sportstätten. Dann musst du
dafür keine eigene Datenbank pflegen, sondern kannst ganz
einfach die Daten aus Wikidata importieren.“
„Ganz einfach“, klar, lästere
ich.„Einfacher als selber pflegen. Wenn ihr drei Leute
findet, die das für ihre eigene Website machen, ist das
Ergebnis besser, als wenn jeder seine eigene Datenbank
hat.“
Da sage ich „das kenne ich“. Am Ende greifen Google
und Facebook die ganzen Daten ab, bauen die in ihre Oberfläche
ein – und das war es dann mit meinem Schwimmbadblog. Aber ich
bin versucht. Mag die Hoffnung nicht fahren lassen.
„Okay. Ich trage jetzt ein, dass das Stadtbad Mitte eine
50-Meter-Bahn hat!“ Aber wie mache ich das?
„Bahnlänge“ finde ich nicht als Kategorie. Muss
ich die jetzt erfinden. Sinnvollerweise ja beim Oberbegriff
„Hallenbad“? Aber wie lege ich das da an? Und was
passiert mit Bädern, die mehrere Becken mit verschiedenen
Bahnlängen haben? Es gibt auf jeden Fall noch viel zu tun.
Oder ich stelle Wohnzimmerstühle ein. Vielleicht sind die
weniger komplex. Aber gibt es Kriterien für Relevanz in
Wikidata? Fragen über Fragen.
Die Brockhaus Enzyklopädie ist ein mehrbändiges
Nachschlagewerk in deutscher Sprache, das zuletzt von dem zum
Bertelsmann-Konzern gehörenden Wissen Media Verlag
herausgegeben wurde. Ist es ein Nachschlagewerk? War es ein
Nachschlagewerk? Seit einigen Jahren befindet sich der Brockhaus in
einer Art Limbo des Untotseins. Irgendwie existiert er noch. So
richtig aber auch nicht mehr. Ohne jetzt die Irrungen und Wirrungen
des ehemaligen Goldstandards der deutschen Nachschlagewerke
nachzuerzählen, reicht es mir zu erwähnen, dass noch vor
10 Jahren der Brockhaus quasi das unerreichbare Ziel, die
große Messlatte und die ferne Vision dessen war, was Wikipedia
werden sollte. Genau wie Wikipedia den Brockhaus anscheinend
maßlos überschätzte, so war und ist der Brockhaus
selbst ratlos wie er mit der Wikipedia umgehen sollte. Man
weiß nicht, ob man von vertanen Chancen reden soll. Denn hatte
der Brockhaus je Chancen?
Chiara Ohoven ist ein deutsches It-Girl. Viel mehr wissen
wir nicht, da Wikipedia den zu Chiara gehörigen Artikel
permanent löscht. Vor einigen Jahren erlangte sie kurzzeitig
deutschlandweite Berühmtheit durch eine Do-it-Yourself
Schönheits-OPs mit Schlauchbootlippen als Ergebnis, fand aber
vor den Do-it-Yourself-Enzyklopädisten damit keine Gnade.
Ansonsten folgt Chiara ihrer Mutter und ihrem Vater auf das Parkett
der High Society und des Glamours. Und da kein Wikipedianer je zur
High Society gehörte oder gehören wird, gilt sie in
Wikipedia weiterhin als nicht-relevant.
Donauturm
Der Donauturm ist ein Aussichtsturm[4] inmitten des
Donauparks im 22. Wiener Gemeindebezirk Donaustadt.
Darüberhinaus sieht der Donauturm aus wie ein Fernsehturm, was
zu einem der erbittertsten Editwars in der Wikipedia-Geschichte
führte. Dort der Fachmensch für Fernsehtürme, der
sich sehr sicher war, dass Fernsehturm die Bezeichnung eines
bestimmten architektonischen Typs ist, dort eine Gruppe Wiener und
Österreicher, die darauf verwiesen, dass von diesem Turm kein
Fernsehsignal übertragen wird, noch nie ein Fernsehsignal
übertragen wurde und niemand je plante von diesem Turm aus ein
Fernsehsignal zu übertragen. Beide Seiten standen fester zu
ihrem Standpunkt als der Donauturm im Wiener Boden.
Schlußendlich führte der Editwar zu einem mehrseitigem
Artikel im Spiegel, gebrochenen Herzen, frustrierten Wikipedianern
und der Tatsache, dass jeder Wikipedianer weiß wie der
Donauturm aussieht.
Elian
Elian ist ein in den 1980er Jahren aus dem
Französischen entlehnter männlicher Vorname. Er geht auf
den Beinamen Aelianus, eine Ableitung des römischen
Geschlechternamens Aelius, zurück. elian (klein
geschrieben und gesprochen eher wie Alien) kann auch als weiblicher
Internetnickname genutzt werden. Ohne elian keine Wikipedia so wie
wir sie kennen.
Danzig (polnisch Gdańsk Zum Anhören bitte
klicken! [ɡdaɲsk],[3] kaschubisch Gduńsk), die
Hauptstadt der Woiwodschaft Pommern im Norden von Polen, liegt an
der Ostsee rund 350 km nordwestlich von Warschau und steht mit
über 460.000 Einwohnern auf der Liste der
bevölkerungsreichsten Städte Polens auf Platz sechs.
Außerdem ist Gdansk Anlass des ersten Edit Wars, den ich
persönlich mitbekommen habe. Es war 2003. Es war in der
englischen Wikipedia. Deutsche und polnische Nationalisten
ähnlicher Angestrengtheit konnten sich nicht einigen, ob die
Stadt nun Danzig oder Gdansk heißt. Hilflos naive und
offensichtlich überforderte Amerikaner versuchten zu
vermitteln. Der interessante Moment kam, als der Edit-War zur Frage
überging, ob die Band Danzig nun "benannt ist nach der Stadt
Gdansk, ehemals Danzig" oder "benannt ist nach der Stadt Danzig,
heute Gdansk".
Hubertus
Hubertus ist ein männlicher Vorname. Er wird NICHT Atze
abgekürzt.
Das Kreuz ist ein weltweit verbreitetes Symbol, das
insbesondere religiöse und kulturelle Bedeutung hat. In
diesen Bedeutungen hat sich Wikipedia unentrinnbar verheddert.
Einerseits ist das Kreuz-Symbol ein wunderbares Beispiel
dafür, welche Probleme das Internetprojekt mit Ambivalenzen
und Mehrdeutigkeiten jeder Art hat. Andererseits ist der Streit
darum ein tragischer Fall epischen Ausmaßes, der die
Wikipedia-Community über Jahre in Aufregung hielt, die Nerven
dutzender Wikipedianer verschliss und für Verzweiflung und
Frustration allüberall sorgte. Um eine lange Geschichte kurz
zu machen: das Kreuz ist natürlich DAS Symbol des Christentums
und symbolisiert Jesu Tod. Daraus folgend wurde † zum Symbol
für den Tod. Das † kommt in der Wikipedia in Lebensdaten
vor. (Beispiel: * 1600 †1666). Nun waren und sind sich die
Wikipedianer nicht einig, ob †ein Symbol ohne jede Bedeutung
ist, die einfach Standard ist, oder ob es immer noch christlich
konnotiert ist. Bei Artikeln zu Menschen nicht-christlichen
Glaubens kam und kommt es zum Streit. Ist das Kreuz nun eine
christliche Usurpation von Nicht-Christen oder ist der Versuch
deren Tod anders darzustellen - beispielsweise durch "gestorben
1666" ein Verbrechen an enzyklopädischer Neutralität und
verstößt gegen die Einheitlichkeit der Form, die
anzustreben ist?
Lutz Heilmann
Siehe → Streisand-Effekt
Narrenschiff
Das Narrenschiff (alternativ: Daß Narrenschyff ad
Narragoniam) des Sebastian Brant (1457–1521), 1494 gedruckt
von Johann Bergmann von Olpe in Basel, wurde das erfolgreichste
deutschsprachige Buch vor der Reformation. Es handelt sich um eine
spätmittelalterliche Moralsatire, die eine Typologie von
über 100 Narren bei einer Schifffahrt mit Kurs auf das fiktive
Land Narragonien entwirft und so der Welt durch eine unterhaltsame
Schilderung ihrer Laster und Eigenheiten kritisch und satirisch den
Spiegel vorhält. Im Wikipedianischen Zusammenhang war das
Narrenschiff eine Art Mitteilungsblatt des Hans Bug, in dem er die
Wikipedianer und ihre Laster und Untaten kritisierte. Bugs
Narrenschiff war inhaltlich und qualitativ von Sebastian Brants
Narrenschiff entfernt, wie es heutige Nachwuchswikipediakritiker
von Bugs Narrenschiff sind. Wenn etwas in den letzten Jahren extrem
gelitten hat, dann das Niveau der internen Wikipedia-Kritik.
München?/i [ˈmʏnçn̩] (
bairisch Minga?/i) ist die Landeshauptstadt des Freistaates
Bayern. Sie ist mit ca. 1,45 Millionen Einwohnern die
einwohnerstärkste und flächengrößte Stadt
Bayerns und, nach Berlin und Hamburg, die nach Einwohnern
drittgrößte Kommune Deutschlands und die
zwölftgrößte der Europäischen Union.
Wikipedia-historisch ist München wichtig, da hier am 28.
Oktober 2003, organisiert von → elian, das allerallererste
Wikipedia-Treffen überhaupt stattfand. Und nachdem sich die
Münchner einmal getroffen hatten und feststellen, dass es gar
nicht so schlimm ist, folgten Treffen in Hamburg, Berlin,
Köln, Frankfurt, Boston, Taipeh, Alexandria bis es dann 2014
zum bisher größten Treffen in London mit knapp 2.000
Teilnehmern kam. Siehe auch → Wikimania, Stammtisch.
Nordsee
Die Nordsee ist ein Mehr, ein teil der Atlant, zwischen
Grossbritannien, Skandinavien, und Friesland. Siehe auch Kattegatt,
die Niederlanden, Deutschland.
Polymerase-Kettenreaktion
Der Artikel zur Polymerase-Kettenreaktion war im Mai 2001 der erste
Artikel der deutschsprachigen Wikipedia. Vielleicht war es aber
auch der Artikel zu Vergil. Oder der zur -> Nordsee. Die
frühen Anfänge der Wikipedia liegen im Nebel. Mehr dazu:
Wikipedia Manske Polymerase-Kettenreaktion.
Relevanz
Relevanz (lat./ital.: re-levare „[den Waagebalken,
eine Sache] wieder bzw. erneut in die Höhe heben“) ist
eine Bezeichnung für die Bedeutsamkeit und damit sekundär
auch eine situationsbezogene Wichtigkeit, die jemand etwas in einem
bestimmten Zusammenhang beimisst. Das Wort ist der Bildungssprache
zugeordnet[1] und bezieht sich auf Einschätzungen und
Vergleiche innerhalb eines Sach- oder Fachgebietes. Das Antonym
Irrelevanz (Adjektiv: irrelevant) ist entsprechend eine Bezeichnung
für Bedeutungslosigkeit im gegebenen Zusammenhang,
umgangssprachlich vereinfacht auch für allgemeine
Sinnlosigkeit oder Unwichtigkeit. Das Fremdwort für eine
allgemeine, qualitativ messbare Wichtigkeit ist Importanz.
Siehe auch → Löschkandidaten, Relevanzkriterien,
Inklusionismus, Exklusionismus, Tschunk.
Eisenbahnstrecke wird die Verbindung von Orten mit einem
Schienenweg genannt. Im Gegensatz dazu bezeichnet der Begriff
(Eisen-)Bahnlinie den auf diesen Strecken regelmäßig
stattfindenden Verkehr. So können auf einer Strecke mehrere
Bahnlinien oder eine Bahnlinie auf mehreren Strecken verkehren.
Nach herrschender Meinung in der Wikipedia sind Strecken relevant
und Linien irrelevant. Oder umgekehrt. Ich kann es mir nicht
wirklich merken. Wobei die Regel zwar grundsätzlich gilt, bei
Wiener Straßenbahnlinien gelten allerdings Sonderregeln und es
ist andersrum. Und da wundert man sich, warum sich niemand mehr an
Artikel zu Eisenbahnen herantraut.
Volker Grassmuck
Volker Grassmuck (* 1961 in Hannover) ist ein deutscher
Publizist und Soziologe. Er ist assoziierter Professor für
Mediensoziologie an der Leuphana Universität
Lüneburg. Wikipediahistorisch ist Grassmuck gleich zweimal
wichtig. Zum einen war er auf der Gründungsversammlung von
→ Wikimedia Deutschland anwesend, was uns
ein wunderbares Video bescherte.
Zum anderen veröffentlichte er 2002 ein Buch über Freie
Software. Dieses Buch enthielt eine Fußnote, in der Wikipedia
erwähnt wurde. Diese Fußnote brachte nicht nur den
Verfasser dieser Zeilen zur Wikipedia, sondern auch → elian
zur Wikipedia brachte.
Ich sitze am Teltowkanal. An mir ziehen die
Mittagspausenspaziergänger aus Finanzamt, Arbeitsamt,
Ufa-Fabrik und Ullstein Castle vorbei. Ich schaue sie nur aus den
Augenwinkeln heraus an. Ich lerne italienisch. Dazu wähle ich
Kacheln in der Sprachlern-App „Duolingo“ aus. Duolingo
gibt Sätze vor, ich klicke auf dem Handy die entsprechenden
Wörter aus einer kleinen Auswahl an.
„Ich trinke den Tee“ – Ich wähle
die Kacheln „Io“ und
„bevo“, „il“ und
„té“. „Io bevo il
té.“
„Das schwarze Pferd kauft rosa Hosen“ – Il
cavallo nero compra i pantaloni rosa.
„Die Vögel spielen Flöte“ – Gli
uccelli sounano il flauto.
„Mario und Luigi sind Klempner“ – Mario e
Luigi sono idraulici.
Ich erreiche den fortgeschrittenen Teil oder Übung. Ich
darf keine Kästchen mehr anklicken. Die Wörter sind nicht
vorgegeben. Ich muss selber den Text schreiben, die entsprechende
grammatikalische Form kennen. In die nächste Runde komme ich
erst, wenn ich den ganzen Satz fehlerfrei auf der Handytastatur
tippe. Duolingo gibt vor:
„Du hast mir gesagt, dass er jeden Montag im Sommer zu
ihr kommen würde, damit sie nachmittags die Kaninchen auf dem
Hügel in der Stadt mit dem rohen Gemüse füttern
können.“ – WHAT?
Zum Glück erlösen mich Schritte. Ich höre DJ
Hüpfburg den Kiesweg am Kanal entlang laufen. Hüpfburg
war kurz beim Asia-Streetfood-Wagen und hat sich die Nummer 9
gekauft (Reis mit Huhn). Sie läuft den Weg hinunter, grinsend.
„Ich hoffe wir werden die PiS endlich los.“ Sie freut
sich über die
polnischen Präsidentschaftswahlen.
„Ist Dir aufgefallen, dass ich tiefer deutsch rede als
polnisch. Hat meine Freundin letztens bemerkt. Mit der Freundin
rede ich in beiden Sprachen. Habe ich nie gemerkt. Aber sie hat
recht. Wenn ich deutsch rede, rutsche ich nach unten. Oder nach
oben wenn ich polnisch rede.“
Ich: „Nein“.
Sie: „Du hast doch letztens von den Wildbienen und dem
Befruchten erzählt. Ich hab‘ jetzt von Z gehört,
dass in Japan Befruchtung per Seifenblasen getestet wird. Nicht
so effektiv wie Bienen aber besser als Befruchtung von Hand. Die
Seifenblasen werden mit Pollen bestäubt und dann über die
Pflanzen geblasen. Stand wohl in der New York Times. Fiel mir
wieder ein, als ich letztens vor dem Rathaus Schöneberg eine
Hochzeit mit vielen Seifenblasen gesehen hab. Vielleicht steht ja
in Deiner Wikipedia was dazu.“
„Es ist nicht meine Wikipedia!“
„Seifenblasenpflanzenbefruchtung finde ich ich nicht. Aber
sag: Warum ist Deine Wikipedia so hässlich. Und sie sieht so
aus als wäre sie 2004 stehen geblieben.“ Ich ringe um
Worte.
„Es ist nicht meine Wikipedia. Und sie ist nicht..“
Oder doch? Ob Wikipedia schön ist? Ich wohne seit 2004
gedanklich in der Wikipedia und im Wikipedia-Layout. Jegliche
Fähigkeit, die „Schönheit“ des Layouts von
Außen zu erkennen, ist mir vor Jahren abhandengekommen.
Aber die Wikipedia sieht altbacken aus. Dem stimme ich zu. Sie
erscheint, wie das Internet 2005 aussah, nicht wie das Internet von
2020 wirkt. Gerade will ich zu längeren Erklärungen und
Entschuldigungen ansetzen.
Wieder rettet mich ein Geräusch. Hufgetrappel. Auf einem
Schimmel reitet Lukas von Gnom den Kiesweg hinab. Das Hemd
geöffnet, das wallende blonde Haar wehend im Wind. Er spielt
die Klarinette der Erkenntnis.
Reading/Web/Desktop Improvements
Die Töne dringen in mein Hirn hinein. Aus dem Nebel heraus
formt sich in meinem Kopf die Erkenntnis:
Reading/Web/Desktop Improvements (Lesen / Web / Computer) Es
gibt ein Projekt Wikipedia schöner zu gestalten. Und es hat
Chancen auf Umsetzung!
Ich versuche, den Vorwurf der Wikipedia-Altbackenheit zu
kontern. „Aber es gibt das Projekt Reading/Web/Desktop
Improvements zum Zusammenklappen der Seitenleiste in der
Wikipedia.“
Hüpfburg wirkt nicht beeindruckt.
Ich versuche das Projekt zu erklären. Leider hat es keinen
Namen, was das Sprechen und Schreiben über das Projekt
verkompliziert. Deshalb werde ich es Projekt Desktop
Improvements oder kurz Projekt DImp nennen.
DImp möchte Wikipedia leserfreundlicher machen. Dies soll
geschehen, indem die linke Seitenleiste versteckt wird. Diese wird
ausklappbar. Im Normalfall sieht man dort nur einen kleinen Pfeil.
Erst man auf den Pfeil klickt, kommen alle Menüs zum
Vorschein.
Dem fragenden Blick von Hüpfburg sehe ich an, dass sie
denkt „Welche Seitenleiste?“ Sie bestätigt damit,
dass man gedanklich verdrängt, was man nicht braucht.
Welche Seitenleiste?
In der Seitenleiste stehen links auf verschiedene
Wikipedia-Funktionen. Sie sind inhaltlich wild gemischt. Warum sie
dort in dieser Anordnung auftauchen: „Das ist in 15 Jahren
historisch gewachsen und logisch kaum erklärbar.“
Links finden sich dort für die Leser. Die Links in der
Leiste lenken zu Hinweisen für Neulinge oder
Gelegenheitsautoren. Langjährige Hardcore-Autoren können
in der Leiste Spezial-Werkzeuge finden. Alle sind bunt gemischt.
Die Links haben sich über die Jahre angesammelt. Sie wurden
umgetauft und inhaltlich umgewandelt. In seltenen
Ausnahmefällen ist sogar ein Link verschwunden.
Die ganze Leiste zu erklären wäre müßig. Zu
verschieden sind die Zielgruppen, so dass es niemand gibt, der alle
Funktionen benötigt.
Für Leser am spannendsten sind die Links unten: die
Sprachversionen. Dort können sich die Leser Wikipedia-Artikel
zum selben Thema in anderen Sprachen finden. Es handelt sich bei
den Artikeln in anderen Sprachen um eigenständige Artikel. Es
sind keine Übersetzungen. Sie unterscheiden sich oft
inhaltlich. Auf jeden Fall bieten sie eine andere Sichtweise auf
dasselbe Thema.
Ein Hinweis auf die Sprachlinks soll in den Kopfbereich der
Seite wandern, sichtbarer werden. Alles andere soll unsichtbarer
werden. So will es das DImp-Team.
Das, dessen Namen nicht genannt werden kann
Der Prozess ist schwierig zu finden. Denn er hat keinen Namen.
Selbst der Behelfsbezeichnung Reading/Web/Desktop Improvements ist
kaum zu entnehmen: Ist es die Bezeichnung für den Prozess? Ist
es die Bezeichnung für das Team in der Wikimedia
Foundation?
Kann man über etwas reden, dass keinen Namen hat? Ist
jemand das Problem aufgefallen? Ist es Absicht? In den Tiefen der
Wikimedia-Diskussion lassen sich Vorschläge finden, dem Kind
einen Namen zu geben. Da bleibt es bei der ausufernden
Umständlichkeit. Oder halt bei Projekt DImp.
Das Team
Das Team hinter DImp ist das „Readers Web
Team“ aus Angestellten der Wikimedia Foundation. Das
wiederum gehört zur „Abteilung“(?)
Readers oder Reading. Die Wikimedia Foundation
ist sich nicht sicher, wie die Abteilung heißt. Diese
Reading-Abteilung wiederum gehört zur Gruppe
„Product“. Product ist eine der zwei technischen
Gruppen in der Wikimedia Foundation. Die wiederum..
DJ Hüpfburg ignoriert mich und schaut dem Mann mit der
Bierflasche in der rechten Hand zu, der vollkommen in sich gekehrt
mit links sein T-Shirt bis zur Schulter hochzieht. Ich bin so in
Wikipedia-Inside-Detailtum verfallen, dass ich mir selbst nicht
mehr zuhöre.
..Auf jeden Fall: Es geht nicht um die App oder die
Mobilansicht, sondern die Ansicht am PC. Das Desktop-Ansichts-Team
will am PC die linke Seitenleiste einklappbar machen.
Ausgangslage
Es begann im Mai 2019 ausgehend von der Prämisse: Wikipedia
ist unübersichtlich.
Das DImp-Team brach die Prämisse herunter in drei
Leitsätze: Kein Leser versteht, wie das Wiki funktioniert. Die
Bedienung ist unnötig umständlich. Es sieht nicht
einladend aus.
Daraus folgten die Ziele des Teams: 1) Die Oberfläche der
Wikipedia soll übersichtlicher werden. 2) Die Oberfläche
soll die Blicke auf den Inhalt der Artikel lenken. 3) Die wichtigen
Bedienelemente sollen schneller zu finden sein.
Um die Verwerfungen mit der Community klein zu halten, gab es
von Beginn an Bedingungen. Die Verbesserung sollte nicht in Chaos
und Streit enden. Deshalb gab es Einschränkungen an der
Reichweite von Projekt DImp: 1) Keine drastischen Änderungen
am Layout. 2) Der eigentliche Inhalt aller Bedienelemente bleibt
bestehen.
Anders gesagt: Alles sollte besser werden, aber nichts sollte
sich ändern.
Der Prozess
Es begann mit Mai 2019 mit ersten Gedanken. Es dauerte bis
September des Jahres mit Vorüberlegungen. Bereits im Juli 2019
entstanden programmierte Gedankenspiele. Auf der Wikimania im
August 2019 gab es längere Diskussionen und Tests mit
anwesenden Teilnehmern.
Nach weiteren Tests wurde es im Mai 2020 ernst: Die ersten
beiden Prototypen für echte Features entstanden: zum Beispiel
die zusammenklappbare Seitenleiste. Die wurden zuerst in internen,
semiöffentlichen Wikis eingesetzt.
Es gibt das Feature im Officewiki, das die Wikimedia intern
nutzt. Und es gibt das Feature im Testwiki. Ursprünglich
sollte das Feature bis jetzt schon in „echten“
Wikipedias wie der hebräischen oder französischen
getestet werden. Aber Corona.
Normalnutzer können dennoch etwas sehen: Das Feature
lässt sich in jeder Wikipedia anzeigen. Einfach
?useskinversion=2 an den URL hängen. Also wenn der
Link zum Artikel UI (User Interface) in Wikipedia lautet:
Hüpfburg staunt: „Ich dachte, Wikipedia ändert
sich nie. Aber es ist ja noch schlimmer! 30 Angestellte, ein Jahr
mit Gerede und Fragen und wieder Gerede und wieder machen und am
Ende kommt ein elender Balken zum Zusammenklappen raus?“ Da
war ja der Kommunismus effizienter.
Jein, wende ich ein. Es mag ein kleiner Schritt für den
Sidebar sein. Aber es geht um Millionen Menschen. Bei 12 Milliarden
Schritten im Monat führen auch kleine Schritte sehr weit. Bei
den Autoren, die jeden Tag mit dem Anblick umgehen müssen,
für die die Wikipedia-Oberfläche oft ein wichtiger Teil
ihres Lebens ist, geht es um zehntausende Menschen. Angesichts der
Auswirkungen, die selbst eine kleine Änderung der
Wikipedia-Oberfläche in der Welt hat, ist der Aufwand
klein.
„Wenn du meinst? Ich bleib lieber bei meinen
Hochzeitswebsites. Dort muss ich nur den Geschmack der Braut
treffen. Das geht einfacher.“
Wikipedia ist nicht nur eine Enzyklopädie mit dem Anspruch
auf Ewigkeit, sondern auch ein Nachschlagewerk für Ephemeres
und zeitgemäß Aktuelles. In der Wikipedia stehen nicht
nur Artikel über Themen von Bach und Barock bis zu Bismarck
oder zur Binomialverteilung. Im Bastelbrockhaus stehen auch
Einträge über lebende Künstler, Sänger,
Sportler, Unternehmen, Vereine und Stiftungen.
Nun können diese Künstler, Sänger und andere diese
Einträge auch lesen und sind – mal zu Recht mal zu
Unrecht – nicht glücklich mit diesen Artikeln. Mal sind
die Artikel eigenwillig gewichtet, mal lassen sie das Wesentliche
aus, mal sind Daten veraltet und ab und an enthalten die Artikel
auch echte inhaltliche Fehler.
Artikel über sich selbst oder seine Organisation zu
ändern, ist nicht einfach. Manchmal ist es aber für
Wikipedia und die Betroffenen hilfreich. Deshalb hier einige Regeln
zum Umgang mit dem eigenen Wikipedia-Artikel.
Die Grundregeln für den Umgang mit der eigenen Person oder
Organisation in Wikipedia ist einfach: existiert noch kein Artikel,
so ist das gut. Wikipedianer schätzen es gar nicht, wenn
Betroffene über sich selbst Artikel anlegen. Die geschriebenen
Regeln verbieten die Artikelanlage in eigener Sache nicht explizit.
Die - wichtigeren - ungeschriebenen Regeln sprechen sich stark
dagegen aus. Umso kritischer werden Wikipedianer die neuen Artikel
begutachten, nach Schwächen und Fehlern suchen. Umso schlimmer
wird das Spießrutenlaufen für denjenigen, der diesen
Artikel anlegt.
Selbst wenn der Artikel durchrutscht, zumindest am Anfang keine
Kritik erfährt: Viele der Ersteller und Objekte von Artikeln
rechnen nicht damit, was für eine eindrückliche Erfahrung
es sein kann, die Kontrolle aus der Hand zu geben, einer anonymen
Gruppe von Menschen eine große Bühne zu geben, das eigene
Leben oder die eigene Organisation darzustellen. Eine eigene
Website oder ein Facebookauftritt kann dasselbe wie ein
Wikipedia-Artikel. Aber man behält die Kontrolle.
Wenn eine Person oder Organisation keinen Wikipedia-Artikel hat,
dann sollte sie eine Flasche Sekt öffnen, dankbar sein und
sich auf andere Formen der Öffentlichkeitsarbeit verlegen. In
vielen Fällen allerdings existiert der Artikel schon, oftmals
nicht zur Zufriedenheit der betroffenen Person. Manchmal muss die
Person oder Organisation halt damit leben, dass die eigene Existenz
nicht nur Feiernswertes enthält. Manchmal hat sie aber auch
legitime Gründe zur Kritik: Veraltetes, Unvollständiges,
Fehlerhaftes oder eigentümlich Gewichtetes findet sich in
vielen Wikipedia-Artikel. Es gibt die Möglichkeit, etwas daran
zu ändern.
(1) Transparenz
Wikipedia ist überaus kritisch gegenüber Bearbeitungen in
eigener Sache. Jeder, der Artikel über sich selbst bearbeitet,
muss Grundmisstrauen überwinden und Vertrauen gewinnen.
Vertrauen gewinnt man durch Offenheit.
(2) Verifizierung
Speziell für Bearbeiter in eigener Sache und ganz speziell
für Menschen, die professionell unterwegs sind, existiert in
der deutschen Wikipedia das Mittel der Verifizierung. Bearbeiter
melden sich unter dem Namen ihrer Organisation/ ihrer Person an und
stellen damit eine Grundtransparenz her. Danach schicken Sie eine
Mail an info-de-v@wikimedia.org und werden dann von
Freiwilligen verifiziert. Weitere Details finden sich unter:
Wikipedia:Benutzerverifizierung
(3) Diskussionsseiten
Zu jedem Eintrag in der Wikipedia gehört eine
Diskussionsseite, auf der dieser Eintrag diskutiert wird. Um
Konflikte und Konfrontationen zu vermeiden, empfiehlt es sich, jede
größere Änderung erst auf der Diskussionsseite mit
einigen Tagen Vorlaufzeit anzusprechen. Erst wenn dort kein
Widerspruch, oder gar Zustimmung, gekommen ist, sollte der Artikel
selbst geändert werden. Taucht auf der Diskussionsseite
Widerstand auf, so ist die Diskussionsseite zur Diskussion zu
nutzen.
(4) Belegen
Wikipedia ist eine Enzyklopädie, die verlässlich sein
will, die aber jeder anonym bearbeiten kann. Zum Ausgleich legt die
Community starken Wert darauf, dass jeder inhaltliche Beitrag
belegt wird. Als Belege gelten nur Fakten, die anderswo
veröffentlicht sind. Sei es in Büchern, Zeitschriften
oder Websites. Diese Pflicht geht so weit, dass selbst Aussagen der
Person selbst oder amtliche Dokumente nicht akzeptiert werden
– sofern diese nicht an einer externen Stelle
veröffentlicht wurden.
Belege im
Artikel zur Wikipedia (kleiner Ausschnitt)
Dies klingt auf den ersten Blick aufwendiger als es ist. Zumindest
in heutiger Zeit. So gut wie jede Wikipedia-relevante Person oder
Organisation wird Zugriff auf eine Website haben, auf der sie etwas
veröffentlichen kann. Im Zweifel besitzt zwar eine externe
Veröffentlichung eine höhere Reputation.
Aber gültig sind auch Inhalte auf eigenen Websites. Wenn also
Wikipedia ihren zweiten Vornamen falsch schreibt: beginnen Sie
keine Diskussion mit der Community, sondern schreiben Sie ihn
richtig auf der eigenen Website. Wenn die Community nicht glaubt,
dass die Rolling Stones ihr größter literarischer
Einfluss sind - schreiben Sie es auf der eigenen Website.
(5) Klare, harte Fakten. Keine Adjektive
Artikel über sich selbst zu ändern, ist selbst unter den
besten Umständen ein Drahtseilakt. Die Gefahr besteht, auf
andere Autoren zu treffen, die dies aus Prinzip ablehnen und
versuchen gegen die Edits zu arbeiten. Aber auch diese Autoren sind
an Regeln gebunden. Je besser eine Bearbeitung nachgeprüft
werden kann und je eindeutiger diese ist, desto höher sind die
Chancen, dass sie bestehen bleibt.
Am besten hierfür eigenen sich unstreitige Zahlen und Fakten.
Während Fakten einfach und erwünscht sind, ist dies mit
Interpretationen schwierig. Diese sind generell in der Wikipedia
verpönt. Je niedriger das Vertrauen ist, das ein Autor
genießt, desto schwieriger wird es, Text einzubauen, der auch
nur entfernt nach Interpretation aussieht. Adjektive sehen immer
nach Interpretation und Wertung aus. Sie haben in einem Artikel
über einen selbst nichts verloren.
(6) Verständlich bleiben
Nun gibt es nicht nur die Community, für die ein Text
geschrieben wird, sondern auch die Leser. Leser lieben Wikipedia,
weil er hier klare, verständliche Informationen gibt, die sich
beim ersten Lesen erschließen. Buzzwords,
unverständliches, aber auch Fachsprache und Insiderlingo sind
verpönt. Die Community achtet darauf dies durchzusetzen.
„Geschwurbel“ ist einer der liebsten Begründungen
innerhalb der Community um Text zu streichen.
Gerade professionelle PR-Personen stellt dies oft vor besondere
Herausforderungen. So ist nicht ratsam zu schreiben, dass ein
Unternehmen "Verbindungen herstellt zwischen den Grundbestandteilen
der Industrieproduktion", sondern es stellt Schrauben her. Jemand
"entführt nicht in Welten der zwei Sonnen", sondern schreibt
Fantasy-Romane. Am besten haben Leserin oder Leser bereits beim
ersten Lesen eine klare Vorstellung davon, um was es
geht.
(7) Mit der Community zusammen
Wikipedia ist ein grundsätzlich offenes System, das von
zahlreichen Vandalen, Trollen und Manipulatoren heimgesucht wird.
Dementsprechend ausgebildet und etabliert sind mittlerweile die
Mechanismen, unerwünschte Bearbeitungen fernzuhalten. Die
etablierte Community hat die informellen, formalen und technischen
Mittel Text zu verhindern, kann aber auch unglaublich
Großartiges vollbringen. Jede Mitarbeit in Wikipedia, die von
Erfolg gekrönt sein soll, funktioniert nur im gegenseitigen
Vertrauen mit der Community.
Leider hat die Community die Eigenschaft die unkooperativsten und
unfreundlichsten Mitarbeiter vorzuschicken, wenn es um das Sichten
neuer Artikel geht. Oder anders gesagt: Die unfreundlichsten
Mitarbeiter sind besonders motiviert darin, sich auf Neulinge zu
werfen. Warum das so ist, darüber kann ich spekulieren,
möchte es aber nicht. Aber nicht aufgeben: es gibt nette und
freundliche Wikipedianerinnen und Wikipedianer. Mit etwas Ausdauer
lassen sie sich finden.
(8) Zu vermeiden: Freunde holen
Manche Autoren fühlen sich von der Wikipedia-Community
übermannt oder ungerecht behandelt und versuchen, Freunde zu
motivieren, ihnen beizustehen. Kaum etwas ist schlimmer. Die reine
Anzahl von Teilnehmenden in der Diskussion hat kaum ein Gewicht.
Wesentlich bedeutender ist das Vertrauen, dass den einzelnen
Beteiligten in der Community beigebracht wird.
Die Community hat ein eingebautes internes Vertrauenssystem, das
maßgeblich auf bisherigen Beiträgen beruht. Wenn aus
heiterem Himmel plötzlich eine größere Anzahl neuer
Nutzer bei einem Thema auftaucht, lässt das bei vielen
erfahrenen Wikipedianern Alarmglocken schrillen. Sie reagieren
skeptischer und aggressiver. Dabei gilt: gegen eine skeptisch und
aggressive Community zu agieren, hat nie Erfolg. Der Versuch,
Freunde zu mobilisieren ist bisher immer nach hinten
losgegangen.
(9) Das Sichtungsproblem
Speziell die deutsche Wikipedia hat das Instrument der Sichtungen
eingeführt. Das bedeutet: Änderungen an Artikeln werden
sofort gespeichert. Wenn diese Änderungen von einem neuen
Autor stammen, sind sie aber nicht sofort für die
Öffentlichkeit sichtbar. Dafür muss erst ein erfahrener
Wikipedianer sein OK geben. Je einfacher die Edits sind und je
einfacher sich ihr Inhalt extern überprüfen lässt,
desto schneller wird die Freigabe erfolgen.
Übersicht
über die Seiten, die am längsten nicht gesichtet
wurden.
(10) Fotos unter freier Lizenz
Ein einfacher Weg, das Vertrauen der Community zu gewinnen, Inhalte
beizutragen und es Wikipedia zu ermöglichen eigene Inhalte zu
nutzen, ist das Bereitstellen von Fotos unter freier Lizenz. Das
bedeutet, dass diese Fotos im Nachhinein genutzt, verändert
und eingebaut werden können. Allerdings muss dabei der Autor
genannt werden ebenso wie der Titel des Fotos. So in Wikipedia und
von dort aus dann viral durch das halbe Netz.
Der Wikipedia mangelt es nicht an Seiten mit Regeln, Vorschriften
und Anleitungen. Auch zu diesem Themenkomplex gibt es eher zuviel
als zu wenig zu lesen. Als Einstieg empfiehlt sich: Wikipedia:Interessenkonflikt
und die dortigen Links.
Bei Rückfragen zu bestimmten Einzelfällen, gerne auch
eine Mail an mich, dirkingofranke@gmail.com