KW 31/22: Hör- und Gucktipps zum Wochenende

Hurra, endlich Wochenende – und damit mehr Zeit zum Hören und Sehen! In unserer Samstagsausgabe präsentieren wir Euch eine Auswahl empfehlenswerter Filme und Podcasts mit Medienbezug. Viel Spaß bei Erkenntnisgewinn und Unterhaltung!

***

1. Dienstwagen-Vorwurf und Compliance-Aufklärung im rbb
(ardaudiothek.de, Jörg Wagner, Audio: 1:20:14 Stunden)
Im radioeins-Medienmagazin beschäftigt sich Jörg Wagner mit den Vorwürfen, die gegenüber der rbb-Intendantin Patricia Schlesinger erhoben werden, darunter die strittige Zurverfügungstellung eines Dienstwagens der Luxusklasse. Obwohl es das eigene Haus betrifft, stellt Wagner unbeeindruckt die richtigen Fragen.

2. Nähe oder Distanz? Podcast zum pikanten Verhältnis zwischen Journalisten und Politik
(rnd.de, Steven Geyer & Andreas Niesmann, Audio: 38:08 Minuten)
In einer Sonderausgabe widmen sich die “RND”-Hauptstadtkorrespondenten Steven Geyer und Andreas Niesmann der Frage: Wie viel Nähe darf und wie viel Distanz muss man als Journalist oder Journalistin zum Politikbetrieb pflegen? Zu Gast sind zwei ehemalige Bundespräsidentensprecherinnen: Anna Engelke, heute wieder Journalistin beim NDR, und die Journalistin Ferdos Forudastan, inzwischen unter anderem für den WDR tätig.

3. Podcasts im Kampf für die gute Sache
(deutschlandfunkkultur.de, Carina Schroeder, Audio: 35:15 Minuten)
In der aktuellen Folge “Über Podcast” geht es um die Frage: Was macht es mit einem Medium, wenn die Grenzen zwischen Journalismus und Aktivismus verschwimmen? Carina Schroeder spricht darüber unter anderem mit Sara Schurmann vom Politik-Podcast “Pod steh uns bei” sowie mit der Podcast-Expertin Arielle Nissenblatt.

Bildblog unterstuetzen

4. Medien im Gefängnis
(podcast.hans-bredow-institut.de, Audio: 44:28 Minuten)
Anne Kaun, Professorin an der schwedischen Universität Södertörn und Gastforscherin am Hans-Bredow-Institut, erforscht, wie Medien im Gefängnis funktionieren: Welche Formen der Kommunikation existieren in Gefängnissen? Wozu werden Medien im Gefängnis benutzt? Und welche Medien werden zu welchen Zwecken ins Gefängnis geschmuggelt?

5. Tatjana Ohm über Kriegs- und Krisenberichterstattung
(youtube.com, Markus Trantow & Pauline Stahl, Audio: 45:08 Minuten)
Im “turi2 clubraum” sprechen Markus Trantow und Pauline Stahl mit Welt-TV-Chefmoderatorin Tatjana Ohm, die vor Kurzem von ihrem Einsatz in der Ukraine zurückgekehrt ist. Wie ist es ihr dort ergangen? Wie sieht Kriegs- und Krisenberichterstattung in der Realität aus? Und wie hat sie die Erlebnisse verarbeitet?
Weiterer Hörtipp, jedoch in englischer Sprache: Journalismus im Krieg: “Die Journalistin Olga Tokariuk berichtet für internationale Medien aus der Ukraine. Sie beschreibt die Rolle der Oligarchen in der ukrainischen Medienwelt, warum es so viele arbeitslose Reporter gibt und wie objektiver Journalismus unter den Bedingungen der russischen Aggression funktioniert.” (youtube.com, Falter, Tessa Szyszkowitz, Audio: 33:10 Minuten)

6. “Nah dran, aber trotzdem kritisch” – Berichterstattung über Männer- und Frauenfußball
(br.de, Ingo Lierheimer, Audio: 22:13 Minuten)
Im Medienmagazin des Bayerischen Rundfunks geht es um die Berichterstattung über Männer- und Frauenfußball: Warum bekommt Frauenfußball immer noch deutlich weniger Aufmerksamkeit als der von Männern? Wie steht es um kritische Berichterstattung, um Nähe und kritische Distanz zwischen Reportern und Sportlern? Und wie viele Reporterinnen arbeiten inzwischen hinter dem Mikrofon?

Geleakter Jones, Documenta, Schlesingers (Teil)Rückzug

1. Geleakte Textnachrichten bringen Alex Jones in Bedrängnis
(spiegel.de)
Der rechte US-Moderator und Verschwörungsvermarkter Alex Jones ist anscheinend Opfer seiner eigenen Anwälte geworden. Die haben in einer juristischen Auseinandersetzung der Gegenseite offenbar eine vollständige digitale Kopie seines Handys samt aller Nachrichten zukommen lassen. Die Informationen gäben interessante Interna über das Geschäftsmodell aus Hass und Hetze preis, aber stünden auch im Widerspruch zu vorherigen Aussagen von Jones vor Gericht.
Weiterer Lesetipp: “Urteilsspruch gegen Amerikas obersten Verschwörungsideologen: Alex Jones muss den Eltern eines der Opfer des Sandy-Hook-Massakers eine Millionenentschädigung zahlen. Weitere Strafen dürften folgen.” Alex Jones muss mindestens vier Millionen Dollar Schadensersatz zahlen (spiegel.de).

2. Documenta-Bericht beim „Spiegel“: „Jagdtrieb wie ‚Bild‘, ‚Welt‘ und AfD“
(meedia.de)
“Spiegel”-Redakteur Alexander Neubacher hat in einem Meinungsbeitrag die Documenta wegen des Skandals um antisemetische Bilder als “Horrorshow” bezeichnet. Bei “Meedia” antwortet Peter-Matthias Gaede, langjähriger Chef der Gruner-Zeitschrift “Geo”, mit einem offenen Brief: “Der Jagdtrieb, den ‚Bild‘ und ‚Welt’ und in einer besonderen Volte sogar die AfD auf vermeintlich in allen Gremien der Documenta 15 verwurzelte Antisemiten entfalten, ist deren Sache. Wie aber auch Sie und weitere Kolleg*innen vom ‚Spiegel‘, ebenso wie manche von der ‚SZ‘, derart hyperventilieren, einen derartigen Furor gegenüber der gesamten Documenta 15 entwickeln, halte ich für eine Form von Erregungsjournalismus, die fassungslos machen kann.”

3. Aufklärung in München
(sueddeutsche.de, Aurelie von Blazekovic)
Der Bertelsmann-Konzern hat das Institut für Zeitgeschichte in München mit der unabhängigen Aufarbeitung der Geschichte des “Stern” und dessen Gründers Henri Nannen beauftragt. Dabei werde auch die Bildsprache des “Stern” gescannt und ausgewertet. Es gehe um die Frage, wie “Topoi, Klischees, Charakterisierungen, Perspektiven, die schon im Nationalsozialismus zur Repräsentation von Personen und Kulturen in Bildern und Texten genutzt wurden, auch nach 1945 wieder auftauchen”.

Bildblog unterstuetzen

4. Digitaler Wandel „gewinnt an Tempo“
(verdi.de, Günter Herkel)
Der Bundesverband Digitalpublisher und Zeitungsverleger hat einen Report “Zur wirtschaftlichen Lage der deutschen Zeitungen” (PDF) herausgebracht. Günter Herkel hat sich den Bericht im Auftrag einer Journalistengewerkschaft angeschaut und fasst die seiner Meinung nach entscheidenden Erkenntnisse zusammen.

5. Resilienter Journalismus
(journalist.de)
“Wie können Medienschaffende und Mediennutzer mit dem permanenten Ausnahmezustand umgehen? Wie werden die Menschen resilienter in ihrer digitalen Mediennutzung? Und was muss getan werden, damit der Journalismus selbst robuster durch die vielfältigen Krisen kommen kann?” 40 Medienprofis beschäftigen sich im Sammelband “Resilienter Journalismus” mit den Herausforderungen des Journalismus in Zeiten des permanenten Ausnahmezustands.

6. Auch RBB-Intendantin kann Schlesinger nicht bleiben
(tagesspiegel.de, Kurt Sagatz)
Die umstrittene RBB-Intendantin Patricia Schlesinger hat den ARD-Vorsitz abgegeben. Nun sei ein weiterer Schritt fällig, findet Kurt Sagatz: “Sie sollte darum ebenso wie Verwaltungsratschef Wolf-Dieter Wolf ihr Amt als RBB-Intendantin bis zum Abschluss der Untersuchungen ruhen lassen. Dieser Schritt ist ebenso unausweichlich wie ihre ARD-Entscheidung von Donnerstag.”
Weiterer Lesetipp: Der Deutsche Journalisten-Verband begrüßt die Entscheidung von RBB-Intendantin Patricia Schlesinger, von ihrem Amt als ARD-Vorsitzende zurückzutreten (djv.de).

Diversität in Aufsichtsgremien, Absturz bei Jüngeren, Rolf Kauka

1. Wen vertreten eigentlich die Rundfunkräte von ARD und ZDF?
(uebermedien.de, Fabian Goldmann)
Die Neuen deutschen Medienmacher*innen haben eine Untersuchung über Diversität in Aufsichtsgremien des öffentlich-rechtlichen Rundfunks veröffentlicht (PDF). Es gehr dabei um die Fragen: Welche gesellschaftlichen Gruppen sind in den Gremien vertreten? Welche Stimmen bleiben ungehört? Welche informellen Faktoren wie Zugang zu Ressourcen oder politische Loyalitäten beeinflussen die Machtverhältnisse in den Gremien? Fabian Goldmann war für die Untersuchung als Autor verantwortlich. Bei “Übermedien” stellt er die wichtigsten Ergebnisse vor.
Kritik an der Auswertung kommt von “DWDL”-Chef Thomas Lückerath bei Twitter – wiederum mit Widerspruch zur Kritik in den Antworten.

2. “Mein Postfach muss nicht jede Beleidigung der Welt schlucken”
(mdr.de, Marc Zimmer)
Nach sieben Jahren nahezu täglicher Twitter-Präsenz hat die Ärztin und Autorin Natalie Grams-Nobmann ihren Account gelöscht. Im Interview mit dem MDR hat sie über ihre Beweggründe gesprochen, die mit dem Tod ihrer österreichischen Kollegin Lisa-Maria Kellermayr zu tun haben: “Ich ertrage es nicht mehr, in diese Hölle zu blicken, wo Menschen den Tod eines anderen Menschen, den Suizid eines anderen Menschen regelrecht feiern – und das als Schuldeingeständnis dieser wirklich bedrohten und verfolgten Ärztin sehen und sich so darüber erheben.”

3. Weiblicher Auslandsjournalismus weltweit: Berichterstattung aus dem Libanon
(fachjournalist.de, Julia Neumann)
Julia Neumann berichtet als Auslandskorrespondentin aus dem Libanon. In ihrem Beitrag für den “Fachjournalist” geht es um die Vorurteile hinsichtlich Gefahrenpotenzial und Diskriminierung. Neumann kann die gängigen Klischees nicht bestätigen. Das Gegenteil sei der Fall: “Tatsächlich erfahre ich im Libanon, aber auch in Jordanien oder in den Emiraten kaum Diskriminierung als Reporterin. Im Gegenteil: Ich kann unverblümt mit aus Syrien geflüchteten Frauen in einem Zelt sitzen und zuhören, wie sie über Genitalhygiene oder die Periode reden. Auch im Iran habe ich viele Frauen zu ihrer politischen Meinung bei den Wahlen befragen können. Als Reporterin habe ich einen direkten Zugang, vor allem zu Frauen in ländlichen Gegenden.”

Bildblog unterstuetzen

4. Absturz bei Jüngeren: So schnell altert das lineare Fernsehen
(dwdl.de, Uwe Mantel)
Mit 59 Jahren habe das Durchschnittsalter des deutschen TV-Publikums im ersten Halbjahr 2022 einen neuen Höchststand erreicht, berichtet Uwe Mantel bei “DWDL”. Dies hänge mit der allgemeinen demografischen Entwicklung, mit dem Wandel der Mediennutzung und mit dem Umstand zusammen, dass TV-Geräte bei den Älteren immer länger laufen würden.

5. Neue Narrative für den Krieg
(taz.de, Barbara Oertel)
Zwei Handreichungen aus der russischen Präsidialverwaltung von Mitte Juli würden festlegen, wie staatstreue Medien über den Krieg, der so offiziell nicht heißen darf, berichten sollen. Barbara Oertel fasst zusammen, mit welchen Argumenten die Medien der Bevölkerung den Krieg mitsamt seiner Folgen erklären sollen.

6. Fix & Foxi als ewige Pimpfe
(kreuzer-leipzig.de, Stefan Pannor)
In seinem Buch “Fürst der Füchse” beschäftigt sich der Historiker Bodo Hechelhammer mit dem Leben des Comic-Verlegers Rolf Kauka (unter anderem “Fix & Foxi” und “Bussi Bär”), dessen Verstrickungen mit dem Bundesnachrichtendienst und Kaukas rechter Gesinnung. Für den Journalisten und Comic-Spezialisten Stefan Pannor ergibt sich nach Lektüre des Buchs folgendes Bild: “Kauka wie seine Comics waren Produkte bundesdeutscher Kontinuitäten über den NS-Staat zur Adenauer-Republik bis zur Kohl-Kanzlerschaft. Der Finanzminister Klaus Kinkel, ebenfalls Wessel-Intimus, besorgte Kauka das Bundesverdienstkreuz. Erster Klasse, natürlich. In Kaukas Lebensgeschichte, wie der vieler, die nach der NS-Zeit zu Ruhm und Geld gelangten, zeigt sich das Bild eines Menschen, der gleichzeitig unfassbar reich und mächtig war, der sich aber dennoch nach zwei verlorenen Weltkriegen als zu kurz gekommen sah, als ‘Herrenmensch’, der keiner sein durfte.”

Reichelts Apokalypse, Schutzkonzepte für Herbst nötig, Das Bier der Polizei

1. Aufmerksamkeitssuche mit Apokalypse
(belltower.news, de:hate)
“Belltower.News”, das Internetportal der Amadeu Antonio Stiftung, analysiert, mit welchen Mitteln Ex-“Bild”-Chefredakteur Julian Reichelt auf Youtube operiert. Bei Reichelts Videos handele es sich um “geistige Brandstiftung mit aggressiver Rhetorik”, wie man sie aus den USA kenne: “Sein neues YouTube-Format ‘Achtung, Reichelt!’ ist dabei nicht innovativ, sondern stark am rechtspopulistischen Meinungsjournalismus des amerikanischen Nachrichtensenders Fox News angelehnt. Insbesondere die rhetorischen Mittel des verrufenen Fox News Talkers Tucker Carlson scheinen den Ex-BILD-Chef überzeugt zu haben.”

2. Frankreich schafft Rundfunkgebühren ab
(tagesschau.de)
In Frankreich rücke das Ende der Rundfunkgebühren näher: Nach der französischen Nationalversammlung habe nun der Senat für die Abschaffung der Rundfunkgebühren gestimmt. Künftig solle der öffentlich-rechtliche Rundfunk durch den Staat finanziert werden. Der Deutsche Journalisten-Verband kritisiert die Entwicklung: “Zum einen ist die Höhe der staatlichen Finanzierung unklar, zum anderen gerät die journalistische Unabhängigkeit unter die Räder, wenn der Staat die Finanzierung übernimmt.”

3. Deshalb habe ich meinen Twitter Account deaktiviert
(youtube.com, Anwalt Jun, Video: 20:55 Minuten)
Nach dem Tod der österreichischen Ärztin Lisa-Maria Kellermayr, der im Netz viel Hass entgegengeschlagen war (BILDblog berichtete), haben sich einige prominente Stimmen von Twitter verabschiedet, darunter der Anwalt Chan-jo Jun. Auf Youtube erklärt Jun noch einmal ausführlich die Beweggründe für seine Entscheidung.
Weiterer Lesehinweis: Nach dem Tod von Lisa-Maria Kellermayr “stehen Polizei, Justiz und die Plattformen in der Pflicht”, findet Tanja Tricarico in der “taz”.

Bildblog unterstuetzen

4. DJV fordert Schutzkonzepte
(djv.de, Hendrik Zörner)
Der Deutsche Journalisten-Verband fordert von den Polizeibehörden des Bundes und der Länder Schutzkonzepte für Medienschaffende, die über Protestkundgebungen berichten: “Es ist höchste Zeit, dass die Polizeiführungen festlegen, wie sie uns schützen wollen.” Wenn der von Impfgegnern und “Querdenkern” angekündigte heiße Herbst erst begonnen habe, sei es für vorausschauende Maßnahmen zu spät.

5. Dem Kreml glaubt fast niemand
(faz.net, Lara Kirschbaum)
Gemäß einer repräsentativen Umfrage des Digitalverbands Bitkom verfange die russische Staatspropaganda in Deutschland nicht: “Von den 1004 befragten Bürgern ab 16 Jahren, die Teil der Studie waren, gab die Mehrheit von 87 Prozent zum Thema an, sie misstraue der russischen Regierung, 80 Prozent sagten dies mit Blick auf die russischen Medien. Nur vier Prozent gaben an, sie mäßen russischen Medien Wahrheitsgehalt zu, der Rest der Befragten enthielt sich.”

6. Polizei Essen bittet nach Twitter-Panne um Entschuldigung
(spiegel.de)
“Fürs Biertasting am Freitag im Café Kram in Bottrop sind noch Plätze frei”, verkündete die Polizei Essen auf Twitter und sorgte damit für größere Verwirrung, offenbar auch in den eigenen Reihen: “Wir können uns nicht erklären, wie dieser Beitrag in unser Profil gelangen konnte, Nachforschungen diesbezüglich laufen.” Mittlerweile sind diese “Nachforschungen” abgeschlossen, die Polizei konnte den Täter ermitteln.

Letzte Dienstfahrt, Zu viel Hass im Netz, Nannens Story

1. Letzte Dienstfahrt für Patricia Schlesinger
(uebermedien.de, Stefan Niggemeier)
Stefan Niggemeier kommentiert die Aufarbeitung der Vorwürfe gegen die rbb-Intendantin Patricia Schlesinger: “Die komplexe Frage, wer wann welchen mit wem bekannten Berater unter welchen Bedingungen engagierte, werden die Untersuchungen möglicherweise irgendwann klären. Aber akut schädlicher für Schlesinger und damit auch den rbb und die ARD insgesamt ist der Eindruck, der durch viele in diesem Zusammenhang geschilderte Vorgänge entsteht: Dass sich hier jemand persönlich bereichert und mitnimmt, was geht – ohne ein Gespür, was unanständig ist, selbst wenn es rechtlich zulässig ist.”

2. “Hatern nicht das Feld überlassen”
(taz.de, Tanja Tricarico)
Weil ihnen der Hass, der ihnen entgegenschlug, zu viel wurde, haben sich in den vergangenen Tagen einige prominente Stimmen von Twitter verabschiedet, darunter der Anwalt Chan-jo Jun und die Ärztin Natalie Grams-Nobmann. Netzexpertin Katharina Nocun, selbst betroffen von Beschimpfungen und Bedrohungen, kann diese Entscheidung nachvollziehen: “Wenn irgendwann der Hass zu viel wird, dann steht das in keinem Verhältnis zu all dem schönen Austausch, den Kontakten auf den Plattformen. Als Expertin kann man ja auch Einfluss auf die Berichterstattung nehmen, auch zum Thema verschwörungsideologisches Milieu. Eigentlich wäre es ja wichtig, dass wir dem etwas entgegensetzen. Ich kann es aber auch verstehen, wenn Leute sagen: Ich habe keine Kraft mehr. Ich will den Hatern aber nicht das Feld überlassen.”
Hörtipp: Zu viel Hass im Netz: Immer mehr Stimmen ziehen sich zurück – Interview mit Chan-jo Jun (deutschlandfunk.de, Michael Borgers, Audio: 8:31 Minuten).

3. Historiker prüfen Henri Nannens Story
(faz.net)
Der Bertelsmann-Konzern hat das Münchner Institut für Zeitgeschichte damit beauftragt, die Zeit von der Gründung des Magazins “Stern” durch Henri Nannen bis zum Jahr 1983, dem Ausscheiden Nannens, aufzuarbeiten. Dem vorausgegangen waren Recherchen des NDR-Magazins “Strg_F”, das sich mit Nannens Rolle während der Nazi-Zeit beschäftigte.

Bildblog unterstuetzen

4. Was verboten ist, muss auch geahndet werden
(tagesspiegel.de, Malte Lehming)
“Menschen machen virtuell Jagd auf andere Menschen. Die Dynamik, die das auslöst, ist unberechenbar. Es ist höchste Zeit für eine Grenzziehung.” Malte Lehming erinnert daran, dass die Sozialen Medien kein rechtsfreier Raum sind: “Nicht zuletzt aus eigener Betroffenheit ist bei vielen Politikern die Einsicht gewachsen, dass die Kausalkette vom Wort zur Tat, von der Agitation zur Aktion, frühzeitig durchbrochen werden muss. Das gilt im nationalen wie im internationalen Rahmen.”

5. Ich traue meinen Augen nicht – Deepfakes oder wie wir einer drohenden Infokalypse begegnen können
(algorithmenethik.de, Stefanie Valdés-Scott)
Bei Deepfakes handelt es sich um “realistisch wirkende Medieninhalte, die durch Techniken der künstlichen Intelligenz abgeändert und verfälscht worden sind” (Wikipedia). Stefanie Valdés-Scott, Leiterin der Abteilung Politik und Regierungsbeziehungen bei einem großen Softwareunternehmen, erklärt in einem Blogbeitrag, warum aus ihrer Sicht die KI uns in vielen Bereichen das Leben erleichtert, aber auch Risiken birgt. Ihr Appell: “In einer immer komplexer werdenden Welt, in der Deepfakes und Desinformation feste Bestandteile unseres Alltags sind, ist das gesamte Ökosystem aus Verbraucher:innen, Industrie, Politik und Wissenschaft gefragt und gefordert, gemeinsam das Vertrauen in Medien und Politik zu erhalten bzw. wiederherzustellen.”

6. Elon Musk klagt zurück
(zeit.de)
Der reichste Mann der Erde Elon Musk und das Unternehmen Twitter streiten sich über die einst geplante Übernahme des Kurznachrichtendienstes. Ursprünglich wollte Musk nach eigener Aussage Twitter für einen Preis von 44 Milliarden US-Dollar kaufen, war davon aber im späteren Verlauf abgerückt. Nachdem Twitter den Fall vor Gericht gebracht hat, habe Musk nun mit einer Gegenklage reagiert.

Lisa-Maria Kellermayr, Klima-Quiz, BBC-Meteorologen im Hass-Sturm

1. Dr. Lisa-Maria Kellermayr: Eine Würdigung
(puls24.at, Corinna Milborn & Magdalena Punz)
Die Redaktion des österreichischen Fernsehsenders Puls 24 ist erschüttert vom Tod der Ärztin Lisa-Maria Kellermayr: “Es steht uns nicht zu, über die Umstände ihres Todes zu spekulieren, aber wir dürfen uns davon nicht abhalten lassen, über ihr Leben zu sprechen: wie viel sie im Kampf gegen Covid leistete, wie sie zum Ziel rechtsextremen Terrors wurde – und wie Behörden und Politik sie in einem beispiellosen Versagen alleine ließen.”
Weitere Lesehinweise: Beim “Standard” ist einem lesenswerten Nachruf eine Chronologie der Ereignisse angehängt, und im “Falter” konnte man bereits Anfang Juli über die verfahrene Situation lesen.
(Solltest Du Suizid-Gedanken haben, dann gibt es Menschen, die Dir helfen können, aus dieser Krise herauszufinden. Eine erste schnelle und unkomplizierte Hilfe bekommst Du etwa bei der “TelefonSeelsorge”, die Du kostenlos per Mail, Chat oder Telefon (0800 – 111 0 111 und 0800 – 111 0 222) erreichen kannst.)

2. BBC-Meteorologen wurden während Hitzewelle für Berichterstattung beschimpft
(derstandard.de)
Als die BBC-Meteorologen über die jüngste Hitzewelle in Großbritannien berichteten, seien sie in noch nie dagewesenem Ausmaß mit Hass und Hetze konfrontiert gewesen. Das Team habe Hunderte von beleidigenden Tweets beziehungsweise E-Mails erhalten, in denen sie beschimpft und ihre Berichte infrage gestellt wurden. Das vermeintliche Vergehen der Wetter-Experten: Sie hatten bei der Präsentation der Rekordtemperaturen auf das Thema Klimawandel hingewiesen.

3. Angriffe aufs System
(tagesspiegel.de, Matthias Meisner)
Die Medienlandschaft ist im Wandel. Mit erheblichem Einsatz versuchen immer mehr verschwörungsideologische Portale, ihre Ansichten unter die Leute zu bringen. Matthias Meisner fasst die jüngsten Entwicklungen zusammen und erklärt, was an den sogenannten Parallelmedien so gefährlich ist.

Bildblog unterstuetzen

4. “Gut wird es erst, wenn wir die Veränderungen annehmen”
(journalist.de, Joachim Braun)
Der freie Journalist Sebastian Dalkowski kritisierte im April dieses Jahres in einem persönlichen Beitrag die Arbeitsbedingungen im Lokaljournalismus und erklärte, warum er gerade zum ersten Mal ans Aufhören denke. Nun greift Joachim Braun, Chefredakteur der “Ostfriesen-Zeitung”, Dalkowskis Beitrag auf: Ist wirklich alles so schlimm?

5. Die “FAZ” war 2021 so profitabel wie seit den 90ern nicht
(dwdl.de, Uwe Mantel)
Trotz rückläufiger Werbeeinnahmen habe die “FAZ” im vergangenen Jahr ihren Gewinn erheblich steigern können. Sie sei nach eigenen Angaben so profitabel wie seit den 90er-Jahren nicht mehr. Uwe Mantel hat die kompletten Zahlen.

6. Ist TikTok oder Facebook schlechter für das Klima?
(spiegel.de, Max Hoppenstedt)
“Das Netz braucht ungefähr so viel Strom wie ganz Indien. Aber was ist problematischer: Downloaden oder Streamen, Scrollen oder Posten? Und wie viel sparen Sie mit abgeschalteter Kamera im Videoanruf?” Max Hoppenstedt hat ein Quiz mit einigen Schätzfragen zusammengestellt. Die korrekten Antworten sind im einen oder anderen Fall durchaus überraschend.

KW 30/22: Hör- und Gucktipps zum Wochenende

Hurra, endlich Wochenende – und damit mehr Zeit zum Hören und Sehen! In unserer Samstagsausgabe präsentieren wir Euch eine Auswahl empfehlenswerter Filme und Podcasts mit Medienbezug. Viel Spaß bei Erkenntnisgewinn und Unterhaltung!

***

1. Breaking News – Medien in Krisenzeiten
(youtube.com, Diemut Roether, Video: 1:00:08 Stunden)
Auf den Medientagen Mitteldeutschland wurde unter anderem über “Medien in Krisenzeiten” diskutiert: Welche gesellschaftliche Verantwortung haben Medien? Wie funktioniert das Konzept des konstruktiven Journalismus in Krisen? Welche inhaltlichen und technologischen Lösungsansätze gibt es, um Informationen zügig zu verbreiten und dennoch einzuordnen? Darüber sprechen Tom Buhrow (WDR), Meinolf Ellers (dpa), Ellen Heinrichs (Bonn Institute), Natalie Müller-Elmau (3sat) sowie Moderatorin Diemut Roether.
Weiterer Sehtipp: Das ebenfalls auf den Medientagen stattgefundene Gespräch mit Marina Weisband über “Putins Krieg und die Medien” (youtube.com, Phoenix, Helge Fuhst, Video: 35:56 Minuten).

2. ARD und ZDF – Im Bann der Algorithmen?
(sr.de, Kai Schmieding & Michael Meyer, Audio: 16:58 Minuten)
Kai Schmieding und Michael Meyer sprechen mit dem Medienwissenschaftler Henning Eichler über dessen Studie zur Abhängigkeit von ARD und ZDF von den Plattformen in Sozialen Medien: Werden die Beiträge an die Erwartungen von kommerziellen Betreibern angepasst? Und haben die Algorithmen der Plattformen die öffentlich-rechtlichen Sender wirklich fest in der Hand?

3. Warum ein Riesengeschäft unter dem Medienradar läuft
(deutschlandfunk.de, Bettina Schmieding, Audio: 43:42 Minuten)
Es gebe nur wenige Journalistinnen und Journalisten, die sich inhaltlich mit der Pornoindustrie auseinandersetzen. Das liege daran, dass das Thema immer noch tabuisiert sei, und die Branche sehr verschlossen und intransparent. Inwieweit profitiert das Pornobusiness davon? Und inwiefern spielen Vorurteile der Medien hier eine Rolle? Darüber diskutiert eine Deutschlandfunk-Hörerin mit Janne Knödler vom “Spiegel”, Sebastian Meineck von netzpolitik.org und Bettina Schmieding aus der Dlf-Medienredaktion.

Bildblog unterstuetzen

4. Wie machen Lesungen wieder Spaß?
(deutschlandfunkkultur.de, Christine Watty & Berit Glanz & Tilman Winterling, Audio: 41:46 Minuten)
Bei “Lakonisch Elegant” von Deutschlandfunk Kultur geht es um einen speziellen Teilaspekt des Medienbetriebs: die literarischen Lesungen. Christine Watty (Deutschlandfunk Kultur), Berit Glanz (Autorin) und Tilman Winterling (Gründer “54books”) unterhalten sich mit der Hamburger Literaturreferentin Antje Flemming: Warum sind derartige Veranstaltungen manchmal zäh? Und wie geht es besser?

5. Alltag in China: Totale Überwachung wegen Corona
(ardaudiothek.de, Philipp Abresch, Audio: 30:52 Minuten)
Ende Juni haben wir an dieser Stelle einen “Weltspiegel”-Beitrag des ARD-Korrespondenten Daniel Satra empfohlen, der eindrucksvoll zeigte, wie eine Drehreise aufgrund von Chinas Zero-Covid-Politik zum Höllentrip für Satra und dessen Team wurde. Im “Weltspiegel”-Podcast geht es noch einmal um diesen Spießrutenlauf zwischen Überwachung und Willkür, der einen erahnen lässt, wie es sein muss, unter derartigen Regulierungen als Inländer zu leben.

6. Deutsche Urlauber in den Auslands-Medien
(wdr.de, Annika Witzel, Audio: 5:47 Minuten)
Im WDR5-Medienmagazin beschäftigt sich Annika Witzel mit der medialen Wahrnehmung von urlaubenden Deutschen im Ausland: Wie sehen wir aus, wenn die anderen über uns berichten? Was schreiben Medien in unseren Lieblingsurlaubsländern über uns? Und sind wir wirklich so?

Untauglicher Schutz, Weg von Sendeplätzen, Verkaufte Globes

1. Untaugliche Pläne für Whistleblower-Schutz
(verdi.de, Daniel Moßbrucker)
Daniel Moßbrucker erläutert kenntnis- und detailreich, warum der neue Gesetzentwurf zum Umgang mit Whistleblowern aus seiner Sicht enttäuschend ist. Sein bitteres Fazit: “Die letzten Hoffnungen, doch noch eine bessere gesetzliche Regelung für Whistleblower zu schaffen, ruht nun auf den Bundestagsfraktionen, die den Beschluss der Bundesregierung hoffentlich ausgiebig diskutieren werden.”
Weitere Lesehinweise: Der bereits gestern in den “6 vor 9” verlinkte Beitrag “Entwurf lässt Hinweisgebende im Stich” (netzpolitik.org, Tomas Rudl) sowie die Stellungnahme des Deutschen Journalisten-Verbands.

2. “Wir müssen weg von Sendeplätzen denken”
(journalist.de, Catalina Schröder)
Florian Hager ist seit Anfang März Intendant des Hessischen Rundfunks. Im “journalist”-Interview erläutert Hager, der zuvor das öffentlich-rechtliche Jugendangebot “Funk” mitaufgebaut hat, seine Pläne für die Umstrukturierung des Senders. Das betrifft immerhin etwa 1.700 Festangestellte und mehr als 900 freie Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Zum Schluss geht es noch um die Frage, was Hager aus seinem früheren Job als Kneipenwirt in Portugal für seine heutige Position mitnehmen konnte.

3. “The Atlantic” wird 165
(deutschlandfunk.de, Brigitte Baetz, Audio: 6:11 Minuten)
Brigitte Baetz blickt im Deutschlandfunk auf die 165-jährige Geschichte des Magazins “The Atlantic” zurück, eine der wichtigsten Publikationen in den USA. Die Existenz des Magazins sei in den vergangenen Jahren immer wieder gefährdet gewesen. Als rettend hätte sich das sogenannten metered model erwiesen, bei dem die Nutzerinnen und Nutzer kostenlosen Zugriff auf eine bestimmte Anzahl eigentlich kostenpflichtiger Inhalte haben, aber auch die verstärkte Aufmerksamkeit während der Trump-Jahre.

Bildblog unterstuetzen

4. Neue Galgenfrist für den Werbe-Cookie
(spiegel.de)
Im Markt für Onlinewerbung gibt es heftiges Gerangel um die Existenz der Werbe-Cookies. Verschiedene Player mit unterschiedlichen Interessen versuchen, alternative Modelle durchzusetzen. Das gestalte sich jedoch auch für einen Internet-Giganten wie Google schwierig. Dort habe man den geplanten Umbau der Onlinewerbung von 2023 auf das Jahr 2024 verschoben.

5. “Es lohnt sich, in Geschichten zu investieren”
(blog.medientage.de, Cathrin Hegner)
Als Betreiberin eines Marktforschungsunternehmens beschäftigt sich Ines Imdahl unter anderem mit den Motiven für die Mediennutzung und mit Werbewahrnehmung. Im Interview mit dem Blog der Medientage München wird klar, wie schnell im Videozeitlalter eine “emotionale Reaktion” hergestellt werden müsse: “Ein Tutorial auf YouTube anzuschauen, kann heute schon als intensive Auseinandersetzung mit einem Thema gelten. Die Onlinevideos werden immer kürzer. Bei Instagram findet man noch einminütige Reels, bei TikTok sind die Top-viralen Videos gerade mal sieben Sekunden lang.” Was davon beim jungen Zielpublikum hängen bleibt, scheint jedoch eine andere Frage zu sein: “Wenn wir heute Probanden eine halbe Stunde TikTok oder Instagram gucken lassen, können sie sich hinterher an kaum etwas erinnern, unabhängig davon, ob es um Werbung oder andere Inhalte geht.”

6. Gehalt statt Geschenke
(sueddeutsche.de, Jürgen Schmieder)
Die Hollywood Foreign Press Association (HFPA) verkauft die Rechte an den Golden Globes an einen Milliardär. Jürgen Schmieder erklärt, mit wem man es auf Seiten des Verkäufers zu tun hat: “Die HFPA, die seit 1944 die Golden Globes vergibt und damit ihre Relevanz festigt, ist eine Vereinigung, deren Mitglieder sich bis an die Grenze der Bestechlichkeit (vielleicht auch darüber hinaus) einladen und beschenken lassen, journalistische Standards für eher nervig halten und offenbar kein Problem damit haben, dass keines der damals 87 Mitglieder schwarz ist.”

Autoritäre EU-Signale, Hinweisgeber-Schutz unzureichend, Horrorszenario

1. Autoritäre Signale schwächen die EU
(taz.de, Christian Rath)
Die EU darf einem Urteil des Europäische Gerichtshofs zufolge die Ausstrahlung russischer Staatsmedien wie RT France, RT Deutsch und Sputnik weiter verbieten. Christian Rath, rechtspolitischer Korrespondent der “taz”, hält diese Entwicklung in mehrfacher Hinsicht für bedenklich. Es beginne mit der Frage, ob es sich bei den Sendeverboten um Sanktionen handele, die man dem EU-Sanktionspaket zurechnen könne: “Ärgerlich ist aber weniger die Kompetenzanmaßung, sondern vor allem das falsche innenpolitische Signal. Hier werden präventiv Sender stillgelegt, statt wie üblich auf die Kraft des Diskurses zu vertrauen und Verbote auf konkrete Straftaten und Verletzungen von Persönlichkeitsrechten zu beschränken.”
Weiterer Lesehinweis: Wie der “Tagesspiegel” berichtet, hat der Kreml in Reaktion auf die Verbote Druck gegen westliche Medien angedroht: “Natürlich ergreifen wir ebenbürtige Maßnahmen des Drucks gegen westliche Massenmedien, die bei uns im Land arbeiten”, so Kremlsprecher Peskow: “Wir werden sie auch nicht in unserem Land arbeiten lassen, und hier wird es keine weiche Haltung geben.”

2. “Entwurf lässt Hinweisgebende im Stich”
(netzpolitik.org, Tomas Rudl)
Der aktuell vom Bundeskabinett beschlossene Entwurf des Hinweisgeberschutzgesetzes soll Whistleblower und Whistleblowerinnen helfen, ohne Angst vor Repressalien, Missstände zu melden. Er bleibe jedoch hinter den Erwartungen zurück: “Wer auf ein umfassendes Schutzgesetz für Whistleblowerinnen und Whistleblower gehofft hat, wird enttäuscht”, so David Werdermann von der Gesellschaft für Freiheitsrechte: “Der Entwurf lässt viele Hinweisgebende im Stich und legt ihnen Steine in den Weg.”
Weiterer Lesehinweis: Auch der Deutsche Journalisten-Verband hält den beschlossenen Gesetzentwurf für unzureichend (djv.de, Hendrik Zörner).

3. Hälfte der Bevölkerung liest täglich Zeitung
(tagesspiegel.de, Kurt Sagatz)
Laut der neuesten Media Analyse für den Tageszeitungsbereich sei die Reichweite weiter rückläufig, regionale Abo-Titel würden jedoch wieder etwas mehr gelesen, berichtet Kurt Sagatz: “Auf die Gründe für die Entwicklung geht die Media Analyse nicht ein, jedoch ergibt sich aus anderen Erhebungen, dass Sonderentwicklungen wie die Corona-Pandemie oder der Krieg in der Ukraine das Informationsbedürfnis erheblich beeinflussen.”

Bildblog unterstuetzen

4. An Horrorszenarien kann man sich nicht wärmen
(uebermedien.de, René Martens)
“Die Heizung fällt aus, alle frieren. Wie damals nach dem Krieg. Mit solchen Szenarien schüren manche Journalisten Angst vor dem kommenden Winter, aber das ist eher einer Gruselfaszination geschuldet als einer echten Analyse.” Medienjournalist René Martens schreibt über “Vergleiche, die dem Kreml dienen, und Möglichkeiten, medial besser mit der Krise umzugehen.”

5. Natalie Amiri erhält Publizistikpreis der Stadt München
(bjv.de, Thomas Witzgall)
Die Journalistin Natalie Amiri ist für ihre Berichterstattung aus Ländern wie Afghanistan, dem Irak und dem Iran mit dem Publizistikpreis der Stadt München ausgezeichnet worden. Die Laudatio übernahm die langjährige Russlandkorrespondentin und Leiterin des ARD-Studios in Moskau, Gabriele Krone-Schmalz, was auf Twitter für Kritik sorgte. In einem “wütenden Thread” machte beispielsweise die Geschichtswissenschaftlerin und Osteuropa-Kennerin Franziska Davies ihrem Ärger Luft: “Frau Krone-Schmalz war sich offenbar nicht zu schade, bei dieser Gelegenheit über das hohe Gut des kritischen Journalismus zu sprechen. Dabei ist sie in Deutschland die erfolgreichste Fürsprecherin des Putin-Regimes gewesen, die ihre Propaganda geschickt als Analyse tarnt.”

6. Keine Zeit mehr für Posen
(tagesschau.de, Sabine Henkel)
Sabine Henkel aus dem ARD-Hauptstadtstudio setzt sich mit der medialen Wirkung von Robert Habeck auseinander: “Vizekanzler Habeck füllt gerade die Kommunikationslücke, die Kanzler Scholz hinterlassen hat. Seine Beliebtheitswerte steigen – doch es bringt ihm auch den Vorwurf der Selbstinszenierung und Schwarzmalerei.”
Weiterer Lesehinweis: Wie wichtig es für Politikerinnen und Politiker ist, bei ihren Auftritten die visuelle Wirkung mitzudenken, beweist die Diskussion um das Sektfoto aus dem Krieg (faz.de, Melanie Mühl).

Facebook und Insta als Grabschaufler, “Offener” Funke-Diskurs, 12 Euro

1. Angst vor Tiktok: Schaufeln sich Facebook und Instagram ihr eigenes Grab?
(rnd.de, Matthias Schwarzer)
Wie bereits am 25. Juli in den “6 vor 9” berichtet, wollen Facebook und Instagram – offenbar in Reaktion auf die Konkurrenz durch den Kurzvideo-Dienst TikTok – ihre Seiten umbauen. Das könnte schiefgehen, analysiert Matthias Schwarzer: “Die US-Techkonzerne stehen nun vor einer riesigen Herausforderung – und möglicherweise vor einem Dilemma. Sie setzen technisch alles daran, Tiktok die Nutzerinnen und Nutzer abzugewinnen – und laufen gleichzeitig Gefahr, mit den Updates Kreative und die Stammnutzerschaft zu verjagen.”

2. Schon knauserig, oder?
(tagesspiegel.de, Joachim Huber)
Der RBB und dessen Intendantin Patricia Schlesinger sehen sich in Zusammenhang mit der Planung des Digitalen Medienhauses zahlreichen Vorwürfen ausgesetzt. Auch der Hauptausschuss des Brandenburger Landtags hat Fragen an Schlesinger und ihr, nachdem sie einer Einladung in eine Ausschusssitzung nicht gefolgt war, einen entsprechenden Fragenkatalog geschickt. Nun soll eine vom Sender mandatierte Kanzlei Klarheit in das Dickicht aus Beraterverträgen, Medienhaus und Abendessen bringen. Für Unterstützung soll eine journalistisch vorgebildete Aushilfskraft sorgen, die der Sender für ihre Mitarbeit bei der Recherche, Aufarbeitung und “Identifizierung des Aktualisierungsbedarfs der rbb-internen Regelungen” mit 12 Euro die Stunde entlohnen will.
Weiterer Lesehinweis: RBB-Intendantin gibt erste Auskünfte: “Was die Abendessen bei RBB-Chefin pro Gast kosteten. Brandenburger Politiker über Auskünfte empört” (tagesspiegel.de, Joachim Huber & Benjamin Lassiwe).

3. Die Funke-Mediengruppe und der “offene Diskurs” über Presseethik
(uebermedien.de, Stefan Niggemeier)
Die Funke-Mediengruppe hat ein recht ambivalentes Verhältnis zur Presseethik. Nach außen hin gibt man sich moralisch, verantwortungsvoll und zum “offenen Diskurs” bereit. Wenn ein medienkritisches Portal das Haus mit Vorwürfen zu Falschmeldungen oder Schleichwerbung konfrontiert, kippe die Stimmung jedoch schnell, berichtet Stefan Niggemeier bei “Übermedien”. Dann werde gemauert, geghostet und mit Gegenvorwürfen operiert. Niggemeier erzählt vom schwierigen Verhältnis mit der Mediengruppe und erklärt, warum er immer noch und trotz alledem an die Wirksamkeit von Presserats-Beschwerden glaubt.

Bildblog unterstuetzen

4. Kommentar: Wie sollen Betroffene über Rassismus sprechen?
(annabelle.ch, Alice Hasters)
Die Journalistin, Podcasterin und Buchautorin Alice Hasters (“Was weiße Menschen nicht über Rassismus hören wollen, aber wissen sollten”) beschäftigt sich mit der mitunter nicht leichten Frage, wie Betroffene über Rassismus sprechen sollen, aber auch damit, was Medienschaffende tun können, um dem Thema vollumfänglich gerecht zu werden: “Meines Erachtens sind die haarsträubende Inkompetenz und die mangelnde Diversität in Redaktionen für den frustrierenden Stand des Rassismus-Diskurs zum grossen Teil verantwortlich. Journalist:innen unterscheiden oft nicht, wer Expert:in ist, wer Betroffene, wer beides ist. Wer Aktivist:in ist, mit konkreten Forderungen; wer Pädagog:in, mit Interesse für Erziehung und Aufklärung; wer Akademiker:in, wer Autor:in, wer Künstler:in. Und dass zusätzlich zu diesen Rollen auch noch unterschiedliche antirassistische Ansätze und Schwerpunkte kommen.”

5. Italien schränkt Informationsfreiheit drastisch ein
(netzpolitik.org, Matthias Monroy)
Die italienische Regierung wolle Medien keine Auskunft mehr zur Zusammenarbeit ihres Landes mit der libyschen Küstenwache erteilen und habe zu diesem Zweck das Recht auf Zugang zu Verwaltungsdokumenten drastisch eingeschränkt, berichtet Matthias Monroy bei netzpolitik.org. Als Grund werde behördlicherseits “die Gefährdung der nationalen Sicherheit oder Verteidigung” angegeben.

6. Antonia Rados – Reporterin im Ruhestand?
(sr.de, Thomas Bimesdörfer & Michael Meyer, Audio: 17:45 Minuten)
Thomas Bimesdörfer und Michael Meyer sprechen mit Antonia Rados, die auf mehr als vier Jahrzehnte in der Auslandsberichterstattung zurückblicken kann: “Wie konnte sie sich als Frau behaupten, wie hat sich ihr Beruf verändert, was hat sie motiviert?”

Blättern: 1 2 3 4 ... 1069

BILDblog-Klassiker

Bringt Julian Reichelt Fußball-Manager-Familien in Gefahr?

Julian Reichelt will ja bekanntermaßen nicht, dass man sein Gehalt öffentlich schätzt. Das könne schließlich seine Familie in Gefahr bringen, so der “Bild”-Chef. Aber was laut Julian Reichelt für Julian Reichelt gilt, gilt bei “Bild” längst nicht für alle Menschen.

Screenshot Bild.de - Top-Verdiener kommt nicht aus Bayern - Die Manager-Gehälter der Bundesliga

Reichelts Redaktion kündigt in ihrer Überschrift an: “Das kassieren die Manager der 18 Bundesliga-Klubs”. Im Artikel folgen recht konkrete Angaben zu den Gehältern von Michael Zorc (BVB), Jörg Schmadtke (VfL Wolfsburg), Ralf Rangnick (RB Leipzig), Hasan Salihamidzic (FC Bayern München), Christian Heidel (FC Schalke 04), Rudi Völler (Bayer 04 Leverkusen), Horst Heldt (Hannover 96), Max Eberl (Borussia Mönchengladbach), Frank Baumann (Werder Bremen), Fredi Bobic (Eintracht Frankfurt), Stefan Reuter (FC Augsburg), Michael Preetz (Hertha BSC), Rouven Schröder (Mainz 05), Alexander Rosen (TSG Hoffenheim), Michael Reschke (VfB Stuttgart), Andreas Bornemann (1. FC Nürnberg), Jochen Saier (SC Freiburg) sowie Lutz Pfannenstiel (Fortuna Düsseldorf).

Spricht man Julian Reichelt auf die Diskrepanz zwischen dem, was er für sich selbst beansprucht, und seinem Handeln an, antwortet er, dass die Bundeskanzlerin zum Beispiel “eine Angestellte der Menschen in diesem Staat” ist, und es daher selbstverständlich sei, dass ihr Gehalt öffentlich ist:

In der Privatwirtschaft ist das eben nicht so, weil da kein zwingendes öffentliches Interesse besteht. Denn die Öffentlichkeit bezahlt mein Gehalt ja nicht.

Dass die Öffentlichkeit auch nicht das Gehalt von Michael Zorc, Jörg Schmadtke und all den anderen oben Genannten zahlt, muss Reichelt übersehen haben.

Und wer will am In-Gefahr-bringen-von-Fußball-Manager-Familien auch noch etwas verdienen? Julian Reichelts Bild.de — es handelt sich schließlich um einen “Bild plus”-Artikel.

Wen Julian Reichelt nach Julian-Reichelt-Logik sonst noch in Gefahr gebracht haben könnte:

Kretzschmar-Diskussion, Klassik-Pop-et cetera, Identitäre Vollpfosten

1. Warum die Diskussion, ob Stefan Kretzschmar plötzlich rechts ist, nur der AfD hilft
(bento.de, Jan Petter)
Auf Twitter und Facebook sorgt ein isolierter Interviewausschnitt mit dem Ex-Handballer Stefan Kretzschmar für viel Kritik und wird besonders in rechten Kreisen gerne und oft geteilt. Jan Petter stellt dazu fest: “Kretzschmar beklagt nicht, dass man für rechte Parolen Gegenwind erhalte, so wie es manche Kritiker nun weismachen wollen. Sondern nur, dass es polarisierende Meinungen heute schwerer hätten und es bequem geworden sei, einfach unpolitisch zu bleiben.”

2. Gute Zuwanderer, schlechte Zuwanderung: So unausgewogen waren die Flüchtlings-Berichte
(uebermedien.de, Stefan Niggemeier)
War die Berichterstattung der Medien über die “Flüchtlingskrise” so einseitig und irreführend, wie ein größerer Teil der Bevölkerung meint? Eine Inhaltsanalyse räumt mit einigen Vorurteilen auf und zeigt: Es ist komplizierter. Und schon gar nicht stimme es, so Stefan Niggemeier, dass die Berichte von “Bild” über das Thema “ausgewogen” waren, wie das Blatt heute stolz auf Seite 1 behauptet.

3. “Die digitale Viertelstunde” mit Martin Fuchs
(lead-digital.de, Christian Jakubetz, Audio: 17:13 Minuten)
Christian Jakubetz hat sich in der “digitalen Viertelstunde” mit dem Politikberater Martin Fuchs über den Rückzug des Grünen-Politikers Robert Habeck aus den sozialen Medien unterhalten. Fuchs kann Habeck zwar verstehen, wäre aber dennoch zu einer anderen Entscheidung gekommen.

4. «Am liebsten würde ich ein Porträt von Erwin Koch oder Margrit Sprecher über Relotius lesen.»
(medienwoche.ch, Nick Lüthi)
Daniel Puntas Bernet ist der Chefredakteur des Magazins “Reportagen”, bei dem Claas Relotius als “Hausautor” geschrieben hat. Im Interview mit der “Medienwoche” spricht Bernet über seinen ersten Kontakt mit Relotius, seinen Zweifeln und seiner Einschätzung der Person Relotius: “Ich habe das Gefühl, dass er in Wirklichkeit ein scheuer Typ ist und gar kein klassischer Reporter. Ein Reporter muss neugierig sein, muss frech sein, muss vorwärts gehen, muss Menschen anreden können, auf sie zu- und eingehen wollen und sie auch mal fair kritisieren. Auch muss er seine These über den Haufen werfen können und in eine neue Richtung recherchieren, wenn es mal nicht läuft. Diese Grundelemente der Reporter-DNA fehlen Relotius offensichtlich. Ihm scheint es an Empathie zu fehlen, mit Menschen in Verbindung zu treten und wirklich etwas aus ihnen herauszuholen. Deshalb, so meine Vermutung, begann er zu erfinden.”

5. Vollpfosten sind Vollpfosten
(taz.de, Christian Rath)
Eine Facebook-Nutzerin hatte das Verhalten der Identitären Bewegung mit “Vollpfosten sind Vollpfosten und basta” kommentiert und war dafür vom Netzwerk für 30 Tage gesperrt worden. Zu Unrecht, wie nun das Amtsgericht Tübingen entschieden hat.

6. Für dieses Programm lohnt sich jeder Gebührencent
(welt.de, Timo Feldhaus)
Timo Feldhaus hat ein Loblied auf “Klassik-Pop-et cetera” (“Deutschlandfunk”) verfasst. In der seiner Meinung nach schönsten Radiosendung der Welt stellen die unterschiedlichsten Personen eine Stunde lang ihre Lieblingsmusik vor. Ganz altmodisch und frei von jeden Algorithmen: “Die Musik kommt uns entgegen, gerade nicht, weil ich vorher diese und jene Musik gehört habe, gerade nicht aufgrund eines genialen technischen Codes, gerade nicht, weil ich vorher irgendetwas getan habe, aufgrund dessen mich ein System erkannt und kategorisiert hat — sondern weil es Lieder sind, die einem anderen Menschen übrig geblieben sind.”

Das “meistzitierte Medium Deutschlands” zitiert nicht

Bescheidenheit ist nicht gerade die Sache der “Bild”-Redaktion. Am vergangenen Montag schlagzeilte sie auf der eigenen Titelseite:

Ausriss Bild-Titelseite - Bild ist das meistzitierte Medium Deutschlands!

Das Korkenknallen ging im Text weiter:

Es ist die härteste Währung im politischen Journalismus: mit Exklusiv-Nachrichten von der Konkurrenz zitiert zu werden. Niemandem gelang dies 2018 so häufig wie BILD.

1203-mal wurde BILD laut des angesehenen Zitate-Rankings von “Media Tenor” im vergangenen Jahr mit Nachrichten, Berichten, Interviews etc. von anderen Medien zitiert. Eine klare Meinungsführerschaft: vor “Spiegel” (1098), “New York Times” (907) und BILD am SONNTAG (895 Zitate). “Süddeutsche Zeitung” und “Handelsblatt” belegten die Plätze 5 und 6.

In der “taz” wies Steffen Grimberg darauf hin, dass es “schon mehr als etwas verräterisch” sei, “wenn man die Quelle des Freudentaumels selbst mit Attributen wie ‘angesehen’ aufpeppen muss. Denn bei Media Tenor handelt es sich um einen Laden, der mit der Kneifzange anzufassen ist.” Aber das nur nebenbei.

Schauen wir doch mal, wie “Bild” und Bild.de selbst so mit dem Zitieren umgehen. Am Dienstag, da war der “Bild”-Jubel in eigener Sache gerade mal einen Tag alt, erschien dieser Artikel:

Screenshot Bild.de - Facebook-Fotos entlarvten ihn als Betrüger - Motz-Urlauber muss TUI 22000 Euro zahlen

Ein Brite forderte von TUI Schadensersatz, da er bei seinem Urlaub auf den Kapverdischen Inseln wegen der vermeintlich mangelnden Hygiene und des vermeintlich schlechten Essens vermeintlich krank geworden sei. Allerdings zeigten Facebook-Posts des Mannes, was für eine gute Zeit er in dem Fünf-Sterne-Hotel hatte und wie begeistert er vom angebotenen Essen war. TUI ging gegen ihn wegen Betrugs vor, der Mann soll dem Reiseveranstalter nun 20.000 Pfund zahlen.

Mirror.co.uk hatte die Geschichte exklusiv. Doch von dieser Quelle ist bei Bild.de, wo sie so stolz aufs Zitiertwerden sind, kein Wort zu lesen (anders als zum Beispiel bei “Focus Online”). Zugegeben, die Story vom betrügenden Briten ist kein politischer Journalismus. Aber nur weil die Politik fehlt, wird “die härteste Währung” doch nicht dramatisch an Wert verlieren.

Autorin des Bild.de-Artikels ist Silke Hümmer, die bereits im vergangenen September im BILDblog auftauchte, nachdem sie, ohne Nennung der Quelle, bei einem anderen Portal abgeschrieben hatte.

Mit Dank an anonym für den Hinweis!

Identitäre Plakate, Erfolgsfaktor Niveaumangel, Marktplatz Instagram

1. taz-Mitarbeiterin bei Aktion von Identitären angegriffen
(blogs.taz.de)
Die rechtsgerichtete “Identitäre Bewegung” hat gestern Aktionen bei unterschiedlichen Redaktionen und Organisationen in verschiedenen Städten Deutschlands durchgeführt, unter anderem bei der “Frankfurter Rundschau”, am ARD-Hauptstadtstudio und bei den Grünen. Auch das “taz”-Verlagsgebäude war Ziel der Aktion. Als eine Gruppe von etwa sechs Personen der “Identitären Bewegung” mit Pflastersteinen, Plakaten und Flugblättern anrückte, kam es zu Tätlichkeiten gegen eine couragierte “taz”-Mitarbeiterin.

2. Wenn Männer über Männer schreiben
(deutschlandfunk.de, Anne Baier)
Beim Medienforum des Journalistinnenbundes wurde auch nach Abschluss der Veranstaltung fleißig weiterdiskutiert. Dabei ging es vorwiegend um das Ungleichgewicht der Geschlechter im Politikjournalismus, Denkfallen, typische Stereotype und Rollenzuschreibungen sowie das sich daraus entwickelnde Framing.

3. Journalisten im Visier
(djv.de, Hendrik Zörner)
Hendrik Zörner kommentiert die Wut der französischen Gelbwesten gegen Journalistinnen und Journalisten, die angeblich nicht im Sinne der Protestbewegung berichten würden: “Ach, wirklich? Französische Zeitungen und Rundfunksender als verlängerter Arm von Emmanuel Macron? Wahrscheinlicher dürfte sein, dass im Zuge der Radikalisierung der Gelbwesten jegliches Verständnis für Ausgewogenheit in den Medien auf der Strecke geblieben ist. In Deutschland kennen wir das von Pegida.”

4. Die Kommentare sind tot, lang leben eure inhaltlichen Ergänzungen!
(netzpolitik.org)
netzpolitik.org steht vor einem Problem, vor dem auch viele Nachrichtenseiten stehen: Wie der wachsenden Zahl von beleidigenden und unsachlichen Kommentaren Herr werden? Mit gewaltigem Aufwand moderieren oder den Kommentarbereich ganz abschalten? Man hat sich für einen Mittelweg entschieden: In Zukunft werden nur noch Anmerkungen, Fragen, Korrekturen und inhaltliche Ergänzungen zu den Artikeln stehen gelassen.

5. Blaulicht, Flutlicht, Rotlicht: Mit Niveaumangel zum Online-Spitzenplatz
(journalismus.online, Hektor Haarkötter)
Der Online-Chef der Münchner Tageszeitungen “tz” und “Merkur” hat Grund zum Feiern: Die Zugriffszahlen steigen beständig. Wenig feierlich ist jedoch die Methode, die auf Niveaumangel und Stillosigkeit beruht. Hektor Haarkötter hat einige typische Clickbaiting-Beispiele herausgesucht, bei denen man sich fragt, wie diese Masche immer noch so gut ziehen kann.

6. Wie sich Instagram zum Marktplatz wandelt – und wer schon jetzt auf der Plattform verkauft
(omr.com, Roland Eisenbrand)
Viele sehen in Instagram nur die Bilder-Abwurfhalde der Generation Selfie, doch die Plattform wird zunehmend für Verkaufszwecke genutzt. Instagram könnte sich gar zur echten Handelsplattform entwickeln. Roland Eisenbrand in seiner spannenden Analyse: “Weil die Plattform durch ihren visuellen Charakter deutlich produktfixierter ist als Facebook selbst, ist es durchaus vorstellbar, dass eine Erweiterung um einen Marktplatz von Erfolg gekrönt sein könnte. Facebook würde mit diesem Schritt eine komplett neue Erlösquelle erschließen. Als potenzieller “Man in the Middle” bei allen Käufen könnte das Unternehmen dann nicht nur wie bisher durch Werbeeinnahmen einen Anteil am gesamten Business, dass über die Plattform läuft, für sich abzuzwacken, sondern auch durch Provisionen.”

Ende der Drohbriefe, AfD-Maier muss zahlen, Reporter gegen die Mafia

1. Keine Drohbriefe mehr
(faz.net, Constantin von Lijnden)
Medienrechtsanwälte haben eine pfiffige Strategie entwickelt, um ihre prominenten Mandanten vor Erwähnungen in der Presse zu schützen: Vorauseilende Drohbriefe, die sie euphemistisch als “presserechtliche Informationsschreiben” bezeichnen. Allein bei der “FAZ” seien von der bekannten Medienrechtskanzlei Schertz Bergmann zwischen Ende 2012 und Mitte 2016 mehrere Dutzend solcher Schreiben eingegangen, ungefragt und zuletzt ausdrücklich unerwünscht. Die “FAZ” hat sich gegen diese Praxis juristisch gewehrt — bis zum Bundesgerichtshof (BGH), der die “Informationsschreiben” grundsätzlich für zulässig hält. Anders sieht es der BGH, wenn ein solches Schreiben “keine Informationen enthält, die dem Presseunternehmen die Beurteilung erlauben, ob Persönlichkeitsrechte durch eine etwaige Berichterstattung verletzt werden.” Das Faxen derartiger Schreiben ist mit dem Urteil des BGH nun untersagt.

2. AfD-Rechtsaußen muss Noah Becker Schmerzensgeld zahlen
(spiegel.de, Ansgar Siemens)
Vor einem Jahr erschien auf dem Twitter-Profil des AfD-Bundestagsabgeordneten Jens Maier ein Tweet, in dem der Künstler Noah Becker wegen dessen dunkler Hautfarbe rassistisch beleidigt wurde. Maier, selbst gelernter Richter, gab sich unschuldig: Ein Mitarbeiter habe den Tweet ohne Absprache veröffentlicht, was der Mitarbeiter auch offiziell zugab. Becker verklagte den AfD-Politiker daraufhin auf 15.000 Euro Schmerzensgeld. Sein vorheriges Angebot, 7.500 Euro an eine karitative Organisation zu spenden und den Streit damit zu beenden, hatte Maier abgelehnt. Nun hat das Landgericht Berlin Becker Recht gegeben und Maier zur Zahlung der vollen 15.000 Euro plus Zinsen verurteilt.

3. Re: Der Tod im Auge – Reporter gegen die Mafia
(arte.tv, Chiara Sambuchi, Video: 30 Minuten)
Wer in Italien über die Mafia berichtet, muss sehr mutig sein und setzt unter Umständen sein Leben aufs Spiel. Die Arte-Reportage “Re: Der Tod im Auge” begleitet den unter permanenter Bewachung stehenden Journalisten Paolo Borrometi bei dessen Arbeit für den Fernsehsender TV2000, bei dem er mit Staatsanwälten, Richtern und Kronzeugen Interviews über die Mafia führt.

4. „Politik setzt gezielt auf Framing“
(fr.de, Ruth Herberg)
Die “Frankfurter Rundschau” hat sich mit den beiden “Floskelwolke”-Betreibern Sebastian Pertsch und Udo Stiehl über Wortmacht, Medienkompetenz und politisches Framing unterhalten.

5. Hoher Anspruch, rote Zahlen
(deutschlandfunk.de, Brigitte Baetz, Audio: 5:32 Minuten)
Unglaubliche 3,5 Millionen Franken sammelten der Journalist Constantin Seibt und seine Kollegen an Spendengeldern ein, um vor etwa einem Jahr mit dem Schweizer Online-Magazin “Republik” starten zu können. Die Medienjournalistin Brigitte Baetz gibt dem Startup durchwegs gute Noten. Allein finanziell laufe es nicht so gut: Laut Geschäftsbericht sei das Online-Magazin im ersten Jahr auf ein Minus von rund 2,5 Millionen Euro gekommen.

6. Wann Ihr einen Blogbeitrag als Werbung kennzeichnen müsst
(fitfuerjournalismus.de, Bettina Blaß)
Viele Youtuber, Instagrammer, Facebooker und Blogger sind verunsichert, ob sie ihre Beiträge als Werbung kennzeichnen müssen, wenn sie dort zum Beispiel mit Markenware zu sehen sind oder ein Produkt empfehlen. Zum Glück gibt es die Kennzeichnungsmatrix der Landesmedienanstalten und Bettina Blaß, die Licht ins Kennzeichnungsdunkel bringen.

Bild  

Hilfe!

Die “Bild”-Titelseite von heute:

Ausriss Bild-Titelseite - Wolfgang Schäuble fordert - Männer sollen mehr im Haushalt helfen - putzen, kochen, bügeln

Die Wahl des Wortes “helfen” ist interessant. Es impliziert: Die Aufgabe liegt hauptsächlich bei den Frauen, die Männer kommen als Helfer dazu. Die helfenden Männer sollen im Haushalt zwar auch einen Teil übernehmen, aber eben nur übernehmen, was normalerweise Frauen zu erledigen haben. Das mag als Zustandsbeschreibung passen, es taugt aber nicht als Forderung im Sinne einer Gleichberechtigung.

Die Wahl des Wortes “helfen” kam nicht, wie man beim Blick auf die “Bild”-Titelseite denken könnte, von Wolfgang Schäuble, sondern von der “Bild”-Redaktion. Schäuble sagte gestern in seiner Begrüßungsansprache zur Feierstunde “100 Jahre Frauenwahlrecht”:

Bei aller Auseinandersetzung um die richtigen Mittel und Wege zur tatsächlichen Gleichstellung werden wir um eine Erkenntnis wohl nicht herum kommen: Dass wir die für unsere Gesellschaft unverzichtbaren Tätigkeiten, die auch heute noch ganz überwiegend Frauen unbezahlt verrichten, anders aufteilen müssen: Kindererziehung, Hausarbeit, Pflege. Eine weithin akzeptierte Erkenntnis, an deren Umsetzung Männer gelegentlich mit Nachdruck erinnert werden müssen. Erst wenn Frauen und Männer wirklich frei entscheiden können, wo sie die Prioritäten in ihrem Leben setzen wollen, ohne auf Beruf oder Familie oder gesellschaftliches Engagement zu verzichten, ist das Ziel erreicht. Die Geschichte der Emanzipation von Frauen lehrt: es könnte noch ein längerer Weg sein. Aber mit Blick auf die starken, selbstbewussten Frauen, die wir in diesem Land haben, ist mir um den Erfolg nicht bange.

Kein “helfen”, dafür “anders aufteilen”. Das klingt schon deutlich mehr nach Gleichberechtigung.

Mit Dank an @rinaliebt für den Hinweis!

Asylbewerber vs. “Bild”, Google-Geld, Doku-Komparsen üblich?

1. Asylbewerber gegen Springer
(taz.de, Markus Kowalski)
“Abgeschoben, Einreisesperre, illegal zurück und trotzdem Stütze” — so schrieb “Bild” auf der Titelseite über den Asylbewerber Alassa M. Gegen die seiner Ansicht nach falsche Berichterstattung geht M. nun mit Hilfe eines Anwalts vor, der den “Bild”-Artikel als “mediale Hetze” bezeichnet (BILDblog berichtete): “Meiner Meinung nach hat der Artikel eine Pranger-Wirkung, die die Persönlichkeitsrechte meines Mandanten verletzen.” Die “Bild”-Redaktion hatte außerdem die Karlsruher Flüchtlingsunterkunft gezeigt, in der M. lebt. Nun habe M. Angst, dass er dort angegriffen werde.

2. Auch Überflieger können abstürzen
(medienwoche.ch, René Zeyer)
Das crowdfinanzierte Online-Medium “Republik” legte vor etwa einem Jahr einen spektakulären Start hin: Rund 16.000 Abonnenten und Spender sorgten dafür, dass die Neugründung mit knapp sieben Millionen Euro Anfangskapital ausgestattet war. Die aktuellen Zahlen zeigen jedoch, dass das Projekt bei weitem kein Selbstläufer ist. René Zeyer hat sich angeschaut, wie es bei “Republik” und den anderen Online-Medien läuft.

3. Geld von Google ist nicht die Lösung: Die Presse muss sich durch Kunden finanzieren
(nzz.ch, Ronnie Grob)
Die Schweizer Verleger wollen Google mit dem Leistungsschutzrecht zur Kasse zu bitten. Ronnie Grob sieht darin mittel- bis langfristig nicht die Lösung: “Mit Gratisinhalten werden sich im Internet auf lange Frist womöglich nur einige wenige Firmen mit Werbung refinanzieren können. Die Schweizer Verleger sollten vielmehr damit beginnen, konsequent Geld zu verlangen für die eigentliche Leistung, die ihre Journalisten erzeugen, den Journalismus. Hören sie damit auf, gegenüber der Werbewirtschaft zufälligen Traffic zu verkaufen, können sie neu jene klar umrissene Gruppe bewerben, die bereit ist, ein Abonnement zu lösen. Diese zahlenden Leser sind treue, interessierte, aufmerksame Kunden und keine herangespülten Zufallsleser, die sowieso nicht bereit sind, Geld auszugeben.”

4. Die verlogene David-Berger-PR des WDR und seine ärgerliche Homophobietradition
(nollendorfblog.de, Johannes Kram)
Der WDR ist in den sozialen Medien für die Entscheidung kritisiert worden, David Berger zu den “Tischgesprächen” einzuladen, und hat sich dafür mit einer Stellungnahme verteidigt. Johannes Kram hat dem WDR daraufhin einen offenen Leserbrief geschrieben: „(…) selbst, wenn Ihr denkt, Euch hier auf die Seite von Berger schlagen zu müsssen und in seiner Ankündigung dessen Täter-Opfer-Umkehr-Rethorik übernimmt, in dem ihr so tut, als würde man ihn für seinen “Mut” kritisieren und nicht für seinem Hass (merkt Ihr nicht, welchem populistischem Narrativ Ihr hier aufgesessen seid?); selbst wenn Ihr das rassistische, homophobe und islamfeindliche Geschreibsel wirklich nicht für rassistisch, homophob und islamfeindlich haltet, warum teilt Ihr dann Euren HörerInnen nicht wenigstens mit, was das eigentlich ist, was ihm da vorgeworfen wird?”
Zum Hintergrund: Wie ein schwuler Theologe zum Sprachrohr von AfD, IB und Co. wurde (belltower.news, Stefan Lauer).

5. Offener Brief an Online-Redaktionen und Journalisten
(facebook.com/ichbinhierDerVerein, Alex Urban)
Die Aktionsgruppe #ichbinhier wendet sich mit einem offenen Brief an Online-Redakteure von reichweitenstarken Facebookseiten: “Eure Kommentarspalten werden mit Desinformationen, Aufrufen zu Gewalt, aufhetzenden Kommentaren, Lügen und Verdrehungen geflutet. Es fehlen Klarstellungen! Vor allem aber fehlen Aufforderungen zur Unterlassung und das Sanktionieren von Beleidigungen und Beschimpfungen. Was soll denn das?”

6. “Quote wollen sie dann nämlich schon immer gern”
(sueddeutsche.de, Aurelie von Blazekovic)
Der WDR hat sich von einer Autorin getrennt, die wegen drei Dokus in die Kritik geraten war, in denen unter anderem Komparsen eingesetzt wurden. Die Autorin hat das Vorgehen, bei Dokus und Reportagen auf Komparsen zurückzugreifen, gegenüber der “SZ” verteidigt: “Das ist üblich. Viele TV-Sender und Produktionsfirmen suchen ihre Protagonisten bei komparse.de.” Sie sei seit 25 Jahren “gut im Geschäft” und habe nicht gewusst, dass das laut ihrer Aussage branchenübliche Vorgehen der Komparsenanheuerung beim WDR nicht geduldet werde.

“Aber immer noch frei!”

Bonnie Elizabeth Parker und Clyde Champion Barrow zogen, soweit wir wissen, nie durch Magdeburg (Sachsen-Anhalt), und auch sonst ist der Vergleich mit dem mordenden US-Duo, den die “Bild”-Redaktion im ersten Absatz ihrer heutigen Titelgeschichte zieht, recht gewagt:

Wie Bonnie & Clyde zogen Peggy N. (39) und ihr Freund (41) durch Magdeburg (Sachsen-Anhalt). Sie lebten als Mietnomaden, begingen Einbrüche und räumten Briefkästen leer. Die Polizei wies dem drogensüchtigen Duo 640 Straftaten in 18 Monaten nach — und ließ es wieder laufen!

Nein, auch wenn “Bild” den Eindruck erwecken mag: “und ließ es wieder laufen” bedeutet nicht, dass sich die Angelegenheit für das Paar damit erledigt hat. Es bedeutet nicht, dass Peggy N. und ihr Freund trotz der vielen mutmaßlichen Straftaten (größtenteils wohl Beschaffungskriminalität) straffrei bleiben. Es bedeutet erstmal nur, dass sie nicht in Untersuchungshaft sitzen.

Das wird auf der “Bild”-Titelseite noch nicht ganz klar:

Ausriss Bild-Titelseite - Verbrecher-Paar aus Magdeburg - 640 Straftaten, aber immer noch frei! Und die Polizei hilft auch noch bei Behördengängen

Auf Seite 6 im Blatt wird “Bild” immerhin konkreter:

Ausriss Bild-Zeitung - 640 Straftaten, keine U-Haft! Polizisten helfen Intensivtätern bei lästigen Behördengängen

Die Ermittlungen sind abgeschlossen. Warum das Paar nicht in U-Haft sitzt? Unklar!

So “Unklar!” dürfte es aber gar nicht sein.

Die U-Haft dient der Durchführung von Strafverfahren. Sie dient nicht der Strafe. Und sie hat hohe Anforderungen, schließlich geht es darum, jemanden ohne ein Urteil ins Gefängnis zu stecken. “Ihr Vollzug ist die ultima ratio; der Erlass eines Haftbefehls muss sich an den Grundsätzen der Verhältnismäßigkeit und der Unschuldsvermutung messen lassen”, erklärt uns Strafverteidiger Carsten Hoenig. Zur Untersuchungshaft komme es nur, “wenn gar nichts mehr anderes geht”.

In den Paragraphen 112 und 112a der Strafprozessordnung ist geregelt, wann es soweit ist und wann nicht: Besteht Flucht- oder Verdunkelungsgefahr (§112)? Wenn nicht: Besteht Wiederholungsgefahr (§112a)? Wenn auch nicht: keine U-Haft. Oberstaatsanwalt Frank Baumgarten wollte sich uns gegenüber zwar nicht zum konkreten Fall äußern, sagte aber, dass die Staatsanwaltschaft Magdeburg immer prüfe, ob eine dieser Gefahren besteht. Und dass sie keinen Haftbefehl beantrage, wenn keine davon vorliegt.

Es kann auch sein, dass es einen Haftbefehl gibt, dieser aber gegen Auflagen ausgesetzt wurde. Eine solche Auflage könnte zum Beispiel darin bestehen, so Strafverteidiger Hoenig, “dass die Beschuldigte sich in Therapie begibt, um auf diesem Wege die Wiederholungsgefahr zu minimieren beziehungsweise zu beseitigen.” Das könne er ohne Akteneinsicht aber natürlich nicht sicher sagen.

Das Polizeirevier Magdeburg hat eine Pressemitteilung zu dem Fall herausgegeben, aus der auch “Bild” zitiert. Darin steht unter anderem:

Mit der Beschuldigten konnten eingehende Gespräch zu ihrem Lebenswandel geführt werden. Ebenso erhielt sie von den Beamten unterstützten bei Ämtergängen. Auch wurde innerhalb ihres sozialen Umfelds vermittelt, um ein erneutes in Erscheinung treten zu verhindern. Der beschuldigte 41-jährige wies solche Maßnahmen zurück.

Das klingt zumindest bei Peggy N. wie ein Versuch, die Wiederholungsgefahr zu minimieren.

Nicht, dass er es sich wünsche, sagt Strafverteidiger Carsten Hoenig noch, aber mit anderen Argumenten hätte man vielleicht auch eine Inhaftierung vertreten können: “Ich kann mir gut vorstellen, dass ein Haftrichter bereits die Fluchtgefahr bejahen könnte — wegen der Höhe der zu erwartenden Strafe, die einen Fluchtanreiz bieten könnte.”

Es sind also nicht ganz einfache, aber ziemlich normale rechtsstaatliche Vorgänge und Fragen, um die es bei der Untersuchungshaft geht. Es ist auf jeden Fall nicht das große Ärgernis, das “Bild” daraus macht.

Nachtrag, 22:52 Uhr: Wir haben vergessen, eine weitere Stelle aus der verlinkten Pressemitteilung des Polizeireviers Magdeburg zu zitieren, die auf eine Therapie der Beschuldigten hinweist und damit einen Grund gegen eine mögliche Wiederholungsgefahr liefern könnte. Diese Passage wollen wir hier nachreichen:

Zeitweise arbeiteten bis zu 5 Kriminalbeamte gleichzeitig an den Verfahren in der Ermittlungsgruppe. Neben strafprozessualen Maßnahmen wurden auch Therapiemaßnahmen durch die Polizisten begleitet, da es sich bei der Begehung der Straftaten um Fälle der so genannte “Beschaffungskriminalität” gehandelt hat. Die Beschuldigten haben durch die Taten ihren Drogenkonsum finanziert.

Und, weil man es möglicherweise falsch verstehen kann: Carsten Hoenig äußert sich hier als Experte und nicht als Verteidiger des beschuldigten Paares — denn das ist er nicht.

Mehr zu den Schwierigkeiten der “Bild”-Redaktion mit der Untersuchungshaft:

Fantastischer Penis, “Pastewka”-Verbot, Julians Schrumpf-“Bild”

1. “Es muss so fantastisch sein, einen Penis zu haben”
(zeit.de, Sigrid Neudecker)
Die Autorin Simone Buchholz hat, wie auch ihre Kollegen Matthias Wittekindt und Max Annas, den Deutschen Krimipreis gewonnen. Ihre Freude über die Auszeichnung wird von Störgefühlen begleitet: “Ich verehre die beiden Kollegen (…), wir haben alle zusammen gewonnen, aber wenn mein Buch “lichte Unterhaltung” ist, und die Bücher der Männer “existenzialistische Literatur” oder “politisch radikal” sind, dann denke ich schon: Oh Mann, es muss so fantastisch sein, einen Penis zu haben!”

2. taz ist zu unbequem
(taz.de, Jean-Philipp Baeck)
Es könnte dem Lehrbuch für Trumpsche Rhetorik entspringen: Die AfD beklagt sich gerne darüber, in den Medien zu wenig Beachtung zu finden. Interessiert sich dann jemand für sie, verweigert sie sich. So jüngst geschehen, als die “taz” von einer Pressekonferenz der AfD in Bremen als einziges Medium ausgeschlossen wurde.

3. “Pastewka”-Verbot
(sueddeutsche.de)
Anscheinend haben es die Macher der neuen “Pastewka”-Staffel mit der Schleichwerbung etwas übertrieben: Auf Anordnung der Bayerischen Landeszentrale für neue Medien darf die vierte Folge der achten Staffel (“Das Lied von Hals und Nase”) nicht mehr gezeigt werden.

4. Böse Trump-Fans, guter Ureinwohner? Die zu einfache Geschichte einer Konfrontation
(uebermedien.de, Stefan Niggemeier)
In den vergangenen Tagen ging ein Videoausschnitt viral, der die Konfrontation eines jugendlichen Trump-Fans mit einem amerikanischen Ureinwohner zeigt. In den klassischen und sozialen Medien war man sich bei der Be- und Verurteilung des Geschehens weitgehend einig. Der Fall ist jedoch bei näherer Betrachtung keineswegs eindeutig. Stefan Niggemeier hat sich der Sache angenommen und kommt zum Schluss: “Die Welt ist komplizierter, als sie scheint. Das ist eine Tatsache, an die man nicht nur Trump-Anhänger immer wieder erinnern muss. Und die Heftigkeit der Angriffe als Reaktion sagt dann vielleicht doch etwas darüber aus, wie sehr etwas an der politischen Kultur in den USA kaputt ist.”

5. Alle schrumpfen, aber Bild schrumpft am schnellsten
(de.statista.com, Mathias Brandt)
Die überregionalen Tageszeitungen schrumpfen weiter, doch ein Medium hat es besonders schlimm erwischt: “Bild”. Die Boulevardzeitung (inkl. “B.Z.” und “Fussballbild”) habe einen Rückgang von 6,3 Prozent gegenüber dem Vorquartal und 9 Prozent gegenüber dem Vorjahresquartal hinnehmen müssen.

6. Robotius
(twitter.com/ROB0TIUS)
“Eine Meldung und ihre Geschichte: Ein englischer Pizzabäcker bekommt Ärger wegen seiner bösen “Nazi-Kühe”.” Derartige Titelgeschichten und Themenvorschläge spuckt der “ROB0TIUS” regelmäßig auf Twitter aus, der ein Verwandter des “Spiegel”-Dichterfürsten Claas Relotius sein könnte.

Mit Spatzen auf Polizisten schießen

Es könnte sein, dass bald fallschirmspringende Hasen, Schildkröten mit Gewehren und Hunde mit Kanonen die Polizei am oder im Hambacher Forst angreifen. Möglich, dass dann auch die Ameisen mit ihren Grubenhelmen dabei sind und für Bürgerrechte demonstrieren, und die Fledermäuse auf ihren Schildern einmal mehr klarmachen, dass nichts zu verkaufen ist. “Bild” und “Bild”-Redakteur Peter Poensgen sind jedenfalls einer ganz heißen Sache auf der Spur:

Ausriss Bild-Zeitung - Bildunterschrift - Eine Gruppe aus der Waldbesetzer-Szene studiert eine Art Schlachtplan gegen die Polizei

Das Foto und die Bildunterschrift stammen aus einem Beitrag, der am vergangenen Freitag in der Düsseldorf-Ausgabe der “Bild”-Zeitung erschienen ist. Und auch Bild.de zeigt die Aufnahme, mit einer leicht anderen Zeile darunter:

Screenshot Bild.de - Bildunterschrift - Gewaltschauplatz Hambacher Forst: Anhand einer riesigen Karte werden Strategien gegen die Polizei geplant

Überschrift in der Onlineversion: “Die ‘Gewalt-Uni’ der Hambach-Aktivisten” (die bereits im ersten Satz des Artikels nur noch “fast wie eine Uni für Gewalt und Krawall” sei). Gemeint sind die Skill-Sharing-Camps, in denen Aktivisten anderen Aktivisten auch Fähigkeiten vermitteln, die für zivilen Ungehorsam nützlich sein können.

In einem dieser Camps steht also ein Mann an einem großen Plakat und soll mit seinen Zuhörerinnen und Zuhörern “Strategien gegen die Polizei” planen. Doch dazu taugt die “riesige Karte” überhaupt nicht. Es handelt sich dabei nämlich um einen Druck des Wimmelbilds “The True Cost of Coal”, gezeichnet vom Beehive Design Collective. Dieses Netzwerk aus Künstlerinnen und Künstlern stellt Aktivisten große Illustrationen für deren Arbeit etwa in Skill-Sharing-Camps zur Verfügung. Auf dem Exemplar, das “Bild” und Bild.de zeigen, sind der fallschirmspringende Hase, die Schildkröte mit dem Gewehr, der Hund mit der Kanone, die Ameise mit dem Grubenhelm, die Fledermaus mit dem Protestschild und viele weitere Tiere zu sehen, deren Lebensraum vom Kohlebergbau, von Baggern und Planierraupen zerstört wird.

Das ist der “Gewaltschauplatz Hambacher Forst”, den “Bild” ausruft.

Mit Dank an @SoliFur für den Hinweis!