Suffizienz

... aus der themenspezifischen Sammlung zu Hochschulen im ländlichen Raum

Im Juni 2016 saß Michael Flohr mit Johannes Geibel inmitten einer illustren Runde von großen und bekannten Interessenvertretungen. Das Bundeskanzleramt hatte das netzwerk n anlässlich der Anhörung zum Entwurf der Neuauflage der Deutschen Nachhaltigkeitsstrategie eingeladen. Jede eingeladene Organisation konnte eine Stellungnahme einreichen und ihre Kritik während der Anhörung mündlich vorbringen – für unser noch junges, studentisch geprägtes Netzwerk war es noch ungewohnt, überhaupt an diesem politischen Prozess zu partizipieren. Bemerkenswert war, wie geeint die oftmals im Detail dann doch zerstrittene Zivilgesellschaft ihre Einschätzungen und Grundüberzeugungen verbalisierte und den Entwurf kritisierte. Dieser Entwurf steht exemplarisch für den unhinterfragten politischen Konsens in Deutschland: Das Verständnis der starken Nachhaltigkeit findet keinen Einzug in politische Strategien, die unzähligen Zielkonflikte zwischen Wirtschaftswachstum und einer nachhaltigen Entwicklung werden konsequent ignoriert und Rebound-Effekte sind offenbar in den Augen politischer Entscheider*innen irrelevant.[1] Zuletzt – und damit schließt sich der Bogen zum Thema dieses Hefts – war der Entwurf » von Effizienz- und Konsistenzzielen und -maßnahmen durchzogen. « [2] Mit anderen Worten: Das Fundament der Nachhaltigkeitsstrategie bildet ausschließlich eine Wette auf technische Innovationen in der Zukunft. Zweifelsohne sind Effizienz und Konsistenz wesentliche und unentbehrliche Nachhaltigkeitsstrategien, doch ohne Suffizienz ist ein nachhaltiger Pfad des menschlichen Lebens auf unserem Planeten mit endlichen Ressourcen unerreichbar. Denn: Erst die Suffizienz fragt nach dem » Warum « und » Ob « des Ressourcenverbrauchs und setzt in der Gegenwart beim Handeln eines jeden Individuums und einer jeden Organisation an. Letztlich brachte eine Stichwortsuche der Begriffe » effizient « und » Effizienz « im Entwurf der Nachhaltigkeitsstrategie 111 Ergebnisse – » suffizient « und » Suffizienz « fanden sich dagegen: null (!) Mal.

Mit dieser themenspezifischen Good Practice-Sammlung setzen wir einen Kontrapunkt zur bequemen, aber zugleich für künftige Generationen riskanten Wette auf eine alleinig effiziente und konsistente Zukunft. Wir nehmen die Gegenwart in den Blick und stellen Ansätze, Projekte und Strukturen erprobter, etablierter und gelingender Suffizienz an Hochschulen vor. Suffizienz bedeutet für uns, dass Konsummuster reflektiert und verändert werden, sodass die Nutzung von Ressourcen innerhalb der planetaren Tragfähigkeit bleibt. Übersetzt heißt das, Genügsamkeit sowie das » richtige « und » notwendige « Maß des Umweltverbrauchs auf individueller oder organisationaler Ebene anzuvisieren. Konkret weisen folgende Stichwörter auf Suffizienz hin: Reduktion, Substitution und Anpassung des Ressourcenverbrauchs, ebenso wie Eigenproduktion oder gemeinsame, langlebige Nutzung von Gütern – diese Strategien sind überdies unmittelbar mit einem achtsamen, bewussten Umgang mit Mensch und Umwelt verbunden.

Zudem rücken wir nicht die häufig prominent in der wissenschafts- und hochschulpolitischen Debatte vertretenen Hochschulen der großen städtischen Zentren ins Scheinwerferlicht, sondern fokussieren bewusst die mehr als 110 Hochschulen im ländlichen Raum [3], die dort oftmals als regionale Ankerpunkte mit Vorbild- und Innovationsfunktion fungieren. Es ist grundsätzlich auffällig, dass in Deutschland zumeist kleinere und mittlere Hochschulen wie die Hochschule für nachhaltige Entwicklung Eberswalde, die Leuphana Universität Lüneburg oder der Umwelt-Campus Birkenfeld vor­angehen und Nachhaltigkeit am konsequentesten in ihre Strukturen überführt haben.

Die vielfach zitierten vier E’s nach Wolfgang Sachs – Entschleunigung, Entflechtung, Entkommerzialisierung und Entrümpelung [4] – dienen als inhaltliches Raster, in das wir intuitiv und gewiss nicht allgemeingültig und disjunkt alle Beispiele nach ihrem primären Fokus eingeteilt haben.

Mit knapp 40 Einreichungen auf unseren Call wurden unsere Erwartungen erheblich übertroffen. Vor allem beeindruckt die Vielfalt, wie Menschen und Initiativen Suffizienz in Hochschulen und der unmittelbaren Umgebung verankert haben bzw. verankern wollen. Das Spektrum reicht von Sharing- und Verleih-Angeboten, Repair Cafés, Maker Spaces, Lehrangeboten, einem Zero Emission-Konzept, Foodsharing, Regulierung dienstlicher Kurzstreckenflüge, Campus-Bienen, Urban Gardening, Silence Space, wiederverwendbaren Thermobechern, Klima-Mapping, Forschungsprojekten, Klimaresilienz und gesundes Arbeiten bis Reallabor.

[1] Zu den Begriffen » starke Nachhaltigkeit « und » Rebound « siehe das Lexikon am Ende der Good Practice-Sammlung.

[2] Stellungnahme netzwerk n zum Entwurf der Deutschen Nachhaltigkeitsstrategie: https://t1p.de/ex1p.

[3] Abgrenzung des ländlichen Raums nach Küpper (2016): Abgrenzung und Typisierung ländlicher Räume. Thünen Working Paper 68.

[4] Zu den Begriffen siehe Artikel Wenzl und Zahrnt in der Good Practice-Sammlung.

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