Support für Einsame

Nach den Personenstudien im ersten zieht Daniel Miller im zweiten Teil der Studie Schlussfolgerungen. Da kommt “Das wilde Netzwerk” zu einer erstaunlich wohlwollenden Einschätzung von Facebook.

Einleitend verweist Miller darauf, dass Menschen nicht erst seit der Erfindung von Facebook zu sozialen Netzwerken gehören. Dabei lässt Miller dem Milliardenkonzern die Selbststilisierung zum sozialen Netzwerk durch. Da würde es durchaus klärend wirken, ausdrücklich zwischen Facebook als medialer Infrastruktur und den sozialen Beziehungen, die zwischen den Usern gepflegt werden zu unterscheiden.

Miller sieht durchaus einen Unterschied zwischen Infrastruktur und Beziehung. Das wird in seiner ersten These sichtbar: „Facebook erleichtert das Führen von Beziehungen“. Das meint er nicht einfach in einem elementaren Sinn eines technischen Behelfs. Vielmehr rückt er als Begründung die Defizite der Kontaktaufnahme im ‚wirklichen‘ Leben ins Zentrum: Viele Leute haben Hemmungen, direkt Kontakt zu knüpfen, es besteht die Möglichkeiten zu Komplikationen und Missverständnissen, schon gar wenn es um Liebe geht. Zudem könnten User sich auf Facebook über andere informieren, bevor Kontakt aufgenommen wird. So habe sich Facebook zu einer riesigen Dating-Agentur entwickelt.

In einer weiteren These meint Millter: „Facebook hilft den Einsamen“. Hier spinnt Miller die Argumentation weiter, dass Facebook Möglichkeiten schafft, die Restriktionen des sozialen Lebens zu Überschreiten. So hat der früher im Buch angesprochene Arvind als Farmville Spieler Kontakte gefunden – das Netzwerk hat ihm „zweifellos geholfen“.

Die Rolle von Facebook als Defizit Kompensator löst lebhafte Diskussion aus. Da ist ein weitläufiges Problemfeld angesprochen. Tatsächlich unterliegen viele (oder alle) Menschen Einschränkungen bei Knüpfen von Kontakten. Das hängt auch mit Defiziten in der Alltagskultur des Urban Lifestyle zusammen. In konventionellen Locations bis hin zur Szenebar ist es in Europa – und vielleicht auch in Trinidad – unklar, unter welchen Umständen und wie spontane Kontakte angesagt sind. Da wirkt Millers Position durchaus plausibel: Die Kontaktaufnahme via ein technische Medium ist kühler, mittelbarer, niederschwelliger.

Was bei Miller zu kurz kommt, ist eine Gesamtbilanz von Nutzen und Kollateralschäden: Eine Begleitthese könnte lauten: Wer seine Defizite beim Pflegen von direkten Beziehungen weitgehend durch Mediennutzung kompensiert, bleibt auf seinen Defiziten sitzen. Diese Fragestellung lässt sich allerdings nicht mit Millers Methode klären. Es wäre interessant, Typen von NutzerInnen zu bilden und entsprechende Gruppen über ein, zwei Jahrzehnte zu verfolgen.

Es wäre durchaus interessant zu sehen, wie extensive Facebook-Beziehungspflege als Twen sich auf die Fähigkeit auswirken, zehn Jahre später mit LebensparterIn und ein, zwei lebhaften Kleinkindern im echten 3D Raum zurecht zu kommen. Generell ist Millers Optimismus wohl schon angebracht. Das Beziehungspotential von Menschen ist gross und wird auch Facebook überleben. Im Ausmass geht aber Miller mit seiner positiven Wertung deutlich zu weit. Es fehlt an kritischer Distanz: Nicht weil er mit Milliardenkonzernen sympathisiert, sondern weil er seinen Figuren nicht zu nahe treten will.

Miller bringt eine Reihe von weiteren Thesen zur Sprache, etwa Facebook als Meta-Freund oder die Limiten als Instrument politischer Aktion. Die meisten sind in der Lesegruppen Runde wenig kontrovers diskutiert worden. Unter dem Strich ein wertvolles Buch. Miller bringt relevante Themen auf. Und vor allem: Er fabuliert nicht einfach sondern ist hingegangen, hat mit den Leuten gesprochen und Material gesammelt.

Postkoloniale Gemengelage

Die Lesegruppe der Digitalen Allmend bespricht weitere Fallstudien der Internetkultur auf Trinidad. Vieles im Material von Daniel Miller gleicht den Verhältnissen, wie wir sie in Europa kennen. Die digitale Moderne überlagert sich aber mit Elementen des kolonialen Erbes zu einer komplizierten Gemengelage.

Das zeigt sich etwa in der Figur von Arvind, der dem Facebook online Game Farmville verfallen ist. Der Autor macht keinen Hehl aus seiner Abneigung gegen eine Haltung, die der besten Tradition Trinidads direkt entgegenläuft. Die sieht Miller in der Figur von Eric Williams (1911-1981) verkörpert. Der führte Trinidad in die Unabhängigkeit und engagierte sich, um der kolonialen landwirtschaftlichen Rohstoffabhängigkeit eine wirtschaftliche Alternative mit mehr Wertschöpfung entgegen zu stellen.

Und was tun nun Jugendliche wie Arvind? Sie spielen ein Landwirtschaftsspielchen, dass ihnen ein US-Konzern anbietet.

Nun ist Miller allzu sehr Ethnologe, um da stehen zu bleiben. Er sieht sich die soziale Lage von Arvind genauer an, der zu den Verlierern einer neueren Entwicklung gehört. Er ist kein Sprössling der Oberschicht, welche sich wenig um den lokalen Kontext kümmert und den Nachwuchs an den besten Schulen und internationalen Unis platziert. Persönlich erscheint Arvind eher scheu und gehemmt. Facebook und Farmville erlauben ihm, vor dem Bildschirm auf indirektere Art dabei zu sein. Schlussendlich nimmt Miller von jeglicher Verurteilung Abstand. Sein Vorschlag, Medien wie Facebook oder Farmville „nach ihrem Nutzen für die Benachteiligten“ zu beurteilen, führt allerdings zur weiteren Frage, wie dieser Nutzen gefasst werden kann.

Noch sind wir allerdings bei den eher beschreibenden Fallbeispielen. Im Schlussteil des Buches will der Autor dann das Material analysieren.

Zenit des Fernsehens

Unermüdlich pflügt sich die Lesegruppe der Digitalen Allmend durch die bundesrepublikanische Mediengeschichte. Im neuesten Kapitel geht es um Aufstieg und Niedergang des Leitmediums Fernsehen.

Die 60er und 70er Jahre sieht Werner Faulstich im Zeichen des Fernsehens und einer medialen Alternativkultur. 1963 beginnt das ZDF als zweiter nationaler Kanal zu senden. Die Sendedauer expandiert und nähert sich einem Vollprogramm. Die Durchdringung mit TV-Geräten ist nun hoch. Vor allem wird das Fernsehen zu einer wichtigen Bühne gesellschaftlicher Meinungsbildung. Der Autor fasst das mit dem Begriff des Leitmediums im Sinne einer „Meinungsführerschaft in einer grösseren schichten- oder milieuübergreifenden Öffentlichkeit“. Er meint damit nicht einfach politische Themen sondern umfassender: Kultivierung, Agenda-Setting, Meinungsbildung. Das Leitmedium verändert das Leben vieler Menschen und strukturiert es neu (1).

In der Diskussion wird die generelle kulturelle Leitfunktion kaum angezweifelt. Bei der gesellschaftspolitischen Meinungsbildung dürften aber Zeitungen und Zeitschriften gerade bei den zwanzig Prozent am meisten Interessierten das Leitmedium geblieben sein. Und das Radio dürfte hier auch eine Rolle gespielt haben.

Auf Ebene des gesellschaftlichen Mainstreams erscheint die These des Leitmediums jedoch plausibel. Der Autor zeigt nun auf, dass das kein Zustand für die Ewigkeit war. Einerseits hat sich das Fernsehen selbst ausdifferenziert. Mit einem breit angelegten Mix vom anspruchsvollen Magazin wie „Monitor“ bis zu unterschiedlichsten Unterhaltungsformaten entwickelt es sich zum konturlosen Gemischtwarenladen. Hinzu kamen immer mehr private und ausländische Sender.

Andererseits schuf die Bindung an den biederen Mainstream die Voraussetzung für eine Absetzbewegung der Jugend. Die Jugendkultur der 60er und 70er Jahre wurde „von ganz anderen Medien getragen“ – Radio, Schallplatten und Tonband. Unter dem Stichwort alternative Medienszene geht Faulstich allerdings kaum auf die riesige Vielfalt kleiner Printmedien. Bei den Tonträgern zeigt er eindrücklich, wie die alternative musikalische Jugendkultur weitgehend vorerst am Tropf von ein paar nicht eben alternativ wirkenden Konzernen hing. Erst im Lauf der Zeit gewannen unabhängigere Trägermedien und Labels an Gewicht.

Der Aufstieg des Fernsehens setzte andere Medien unter Druck. Beim Buch konstatiert der Autor einen „Niedergang“, der noch von der wachsenden Zahl an Neuerscheinungen überdeckt wurde. In den 70er Jahren deutet sich „ein allmählicher Niedergang des Mediums Zeitung als öffentlichkeitskonstitutives Forum an“. In der Diskussion wurde die Frage erörtert, wie weit auf dem Feld der öffentlichen Debatte das Fernsehen eine produktive Rolle spielen kann. Es kann durchaus eine Verbindung hergestellt werden zwischen dem vergleichsweise qualitativ hochstehenden öffentlichen Fernsehen im Deutschland der letzten Jahrzehnte und dem im europäischen Vergleich überdurchschnittlichen Funktionsfähigkeit von Staat und Wirtschaft.

Faulstich sieht die Medienlandschaft im Trend einer massiven Kommerzialisierung. Die Konzentration im Zeitungswesen, die Bestseller-Kultur beim Buch und werbefinanziertes Fernsehen werden als Indizien herangezogen. Das müsste genauer angesehen werden. Möglicherweise gibt es eine seit Jahrzehnten zunehmende Bereitschaft des Mainstreams, Medienleistungen durch Werbeberieselung statt durch Kauf oder Gebühren abzugelten. Und eine Abnahme ideeller Motive zur Medienproduktion.

Anderseits waren seit je her private Medienunternehmen aus kommerziellen Motiven aktiv. Der Autor relativiert das insofern, als er auf den Hugenberg-Konzern der zwanziger Jahre verweist, der primär um eine politische Achse herum entwickelt wurde und letztendlich auch erfolgreich den Nationalsozialisten den Weg bereiten half. Faulstich sieht die modernen Grosskonzerne wie Springer primär von unternehmerischen Interessen getrieben, auch wenn sie sich jahrelang an vorderster Front in die gesellschaftspolitische Konfrontation einmischen, wie das die Springer-Presse gegen die Studentenbewegung gemacht hat.

1) Werner Faulstich. Die Mediengeschichte des 20. Jahrhunderts. Fink 2012.

 

Medien im Nachkriegs-Vakuum

Die Lesegruppe der Digitalen Allmend hat sich mit der Medienlandschaft unter nationalsozialistischer Herrschaft befasst. Nun geht es um die Entwicklungen der Nachkriegszeit. Werner Faulstich interpretiert sie im Kontext eines „allgemeinen Wertevakuums“ (1).

Der Autor skizziert zwei Linien, um die herum dieses Vakuum gefüllt wurde. Konsum und Bewältigung. In den Trümmern der unmittelbaren Nachkriegszeit wuchsen die Fundamente der bundesrepublikanischen Konsumgesellschaft. Plakate und Anzeigen transportierten mit vorerst wenig innovativen medialen Mittel die Werbebotschaften für Konsumgüter. Faulstich spricht von einer „Kompensation durch Konsum“, welche die Orientierungskrise milderte und Material für eine neue Alltagskultur lieferte. Über die Konsumgüter hinaus nimmt Faulstich darum auch den Aufschwung von Comics und Groschenromanen in den Blick.

Offen lässt er, Comics in Deutschland auch einen nennenswerten erwachsenen Leserkreis fanden, wie in Frankreich. Zweifellos waren aber Arztromane, Landserhefte oder Jerry Cotton Geschichten sehr beliebt.

Zusammen mit dem Aufschwung von Presse und Taschenbüchern konstatieren wir für die fünfziger Jahre eine ausgeprägte Lesekultur, auch für längere Texte. Zusammen mit dem weiterhin bedeutenden Radio und der Ausbreitung des Fernsehens schliessen wir in der Diskussion auf einen quantitativ erhebliche Ausdehnung des Medienkonsums, der möglicherweise mit der Reduktion der Arbeitszeit zusammenhängt. Es stellt sich auch die Frage, wie weit eine Aufwertung des Bildungsgedankens den Konsum beeinflusste. Das Buch geht auf die Medienrezeption wenig ein.

Den Aspekt der Vergangenheitsbewältigung dokumentiert Faulstich anhand der Fotografie. Hier wurden etwa Kriegsserien, Trümmerfotos und auch Szenen aus Konzentrationslagern dokumentiert. Teilweise zwangen die Alliierten Ladenbesitzer dazu, derartige Darstellungen im Schaufenster auszustellen, um die Bevölkerung mit den Gräueln des Nationalsozialismus zu konzentrieren.

Hinter ein Verbinden einer kulturellen Strategie wie der Bewältigung mit einzelnen Medien hat die Diskussion ein Fragezeichen gesetzt. Sicher dienten Groschenhefte eher einfach der Unterhaltung. Gerade die Landserhefte tragen aber auch ein Element der (selektiven) Bewältigung. Die Fotografie entzieht sich aber Zuordnung, da gab es ja auch die grosse Bandbreite gedruckter Fotografien und den ganzen Bereich der privaten Alltagsfotografie.

Drastisch sichtbar wird in der NS-Zeit wie in den Nachkriegsjahren, wie die politischen und gesellschaftlich Randbedingungen die konkrete Medienlandschaft modellieren. Betroffen sind weniger die längerfristigen Entwicklungstrends der Medientechnologie, wohl aber die konkreten Medien, ihre Gestalt und Ausrichtung. Die Alliierten legten für Zeitungen und Rundfunk klare Bedingungen fest. Unter anderem bestanden sie auf einer starken Dezentralisierung der elektronischen Medien, die einem Hang zu zentralistisch-autoritärer Politik entgegenwirken sollten. Die Folgen zeigen sich bis heute auf jedem zentraleuropäischen TV: In Form der ARD und den starken Länderanstalten.

1) Werner Faulstich. Die Mediengeschichte des 20. Jahrhunderts. Fink 2012. Zitat S. 195

Medien im 20. Jahrhundert

Um die digitalen Medien in einem grösseren Zusammenhang zu diskutieren, pflügt sich die Lesegruppe der Digitalen Allmend durch eine Mediengeschichte des 20. Jahrhunderts (1). Bereits um 1900 lässt sich eine grosse Vielfalt persönlicher und öffentlicher Medien konstatieren.

Die mediale Moderne hat sich in mehreren Schüben ausgeprägt. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts entsteht die Massengesellschaft mit entsprechenden alltagskulturellen und medialen Formen. Ein zweiter Schub erfolgt in den zwanziger Jahren. Da formieren sich nicht nur in New York, Paris und London, sondern auch in Tokyo, Shanghai und Berlin vibrierende Formen der Populärkultur: Kinos, Sechstagerennen, Kabaretts, Boulevardblätter, Illustrierte und tausende von spezialisierten Publikationen.

Die wichtige Rolle Berlins und Deutschlands rechtfertigt durchaus einen exemplarischen Blick. Dass Werner Faulstich im Titel „Die Mediengeschichte des 20. Jahrhunderts“ verspricht, um dann nur von Deutschland zu schreiben, geht dann aber vielleicht etwas weit.

Der Autor setzt mit der Situation Ende des 19. Jahrhunderts ein und skizziert materialreich die Medienlandschaft. Überraschend wirkt manche Gewichtung, wenn er etwa das „Ende des Theaters als Medium“ bespricht. Wie in der Diskussion der Lesegruppe dann immer klarer wird, hat das seinen Grund in Faulstichs Medienbegriff. Der zentriert sehr stark um die technisch-materielle Form. Das hat durchaus erfrischende Folgen. Konsequent blickt der Autor so auch ausführlich auf unspektakuläre Medien und rückt etwa mit Briefmarken, Spielkarten oder Kochrezepten auch die grosse Gruppe von Blattmedien umfassend ins Blickfeld.

Zu Recht identifiziert Faulstich für das Ende des 19. Jahrhunderts „erste Tendenzen des Umschwungs zu den elektrischen Medien“. Das ist im Fall des Telefons offensichtlich. Bei Film und Schallplatten kann allenfalls von ersten Anzeichen die Rede sein, zumal das Grammophon um 1900 weder elektrischen Antrieb noch elektronische Verstärkung aufwies.

Der Autor skizziert die enorme Vielfalt der Printmedien, die sich um 1900 und erneut in den zwanziger Jahren herausgebildet hat. Neben bekannteren Tageszeitungen und illustrierten Wochenzeitschriften erschienen tausende von weiteren Printmedien von Kunst bis Klassenkampf, von Wissenschaft bis Lebensreform. Hinzu kamen an Organisationen gebundene Publikationen von Berufsverbänden, Parteien oder Vereinen. Hier lässt sich durchaus die These einer weit entwickelten printbasierten Informationsgesellschaft einbringen, in der interessierte ZeitgenossInnen eher mit Informationsüberlastung als mit Informationsmangel zu kämpfen hatten.

Nun war es auch in den zwanziger Jahren nicht so, dass die neugierige städtische Mittelschicht sich hinter Klassiker und gelehrte Zeitschriften klemmte. Faulstich charakterisiert eine Medienkultur, „die von Werbekultur, Propaganda und vor allem Unterhaltungskultur in einem bislang noch nicht da gewesenen Ausmass bestimmt wurde“. Entsprechend stiegen die Ansprüche an grafische Gestaltung und Schriftsatz, was mit einer Professionalisierung dieser Berufe und einem Aufschwung der Kunstgewerbeschulen einherging. Hier stellt sich die Frage, wie weit auch ästhetische Elemente in ein Medienkonzept eingehen. Die Gestaltung von Titelbildern, Fotoseiten oder elegante Modeinserate gehören mit zur Vorstellung bestimmter Medientypen etwa in den zwanziger Jahren.

Das interessiert den Autor aber weniger. Seine Zentrierung auf einen technisch-materiellen Medienbegriff lässt kuluturelle Aspekte verblassen. Das geht weit über die Gestaltung hinaus. Faulstich macht kaum plausibel, mit welchen soziokulturellen Entwicklungen die Medientrends etwa in den zwanziger Jahren interagieren.

 

1) Werner Faulstich. Die Mediengeschichte des 20. Jahrhunderts. Fink 2012. (Die ersten Kapitel besprochen am 10. Juni und 2. Juli 2013).

Kühe, Untertitel und Urheberrecht

Über Claude Almansis kurze Analyse von Medien im Internet:

Ich habe den schönen Titel von Claude Almansi geklaut. Die hübsche Alliteration der englischen Version [1] ging dabei leider verloren.

Jedesmal wenn ich ein Link auf Video oder Sound erhalte, stelle ich es erst mal zurück. Und das nicht nur wegen dem Kopfhörergebot im Mehrpersonenbüro. Das Ärgerliche an diesen Medien ist, dass sie unkomprimierbare Lebenszeit fressen. Zwar haben Mitglieder von Filmfestivaljurys gelernt, Filme auch kompetent zu beurteilen, die sie in doppelter Geschwindigkeit visionieren. Aber das Medium sträubt sich gegen das Auffinden einzelner Stellen, gegen das Zitieren kurzer Ausschnitte und kommuniziert Lerninhalte deutlich schlechter als Text + Bild. Es kennt keine Inhaltsverzeichnisse und kein Sachregister, ist nicht volltext-indexierbar und wird darum selten gefunden, wenn man nach Sachinformation sucht. Die neue Vorschaubildchenfunktion hat zwar einen deutlichen Fortschritt gebracht, löst aber die angeführten Probleme für Video kaum und für Sound überhaupt nicht.

Diese Tatsache dient Claude Almansi als Ausgangspunkt ihres amüsanten Plädoyers für ungehinderte Untertitelung. Untertitel verschaffen Bewegtbild + Ton viele Vorteile, die sonst nur Text + Bild vorbehalten sind. Der Grundsatz, dass für Menschen ohne Behinderung gut ist, was für Menschen mit Behinderung gut ist, bewährt sich hier einmal mehr.
Ausserdem geht multilinguale Untertitelung weit über einfache Barrierenfreiheit hinaus und bewältigt eine multikulturelle Kommunikationsaufgabe, die von Wikipedia heute erst langsam in Angriff genommen wird.

Wie bei allen Internet-Themen stellen sich dem löblichen Unterfangen technische und juristische Hindernisse in den Weg. Die technischen Ansätze werden von Claude ausführlich besprochen. Das juristische Problem scheitert an der WIPO, die seit Jahren den Auftrag hat, das Urheberrecht zugunsten von Menschen mit Behinderungen einzuschränken und diesem Auftrag bis heute nicht nachgekommen ist [2]. Warum das so ist, entnimmt man einer kleinen Anekdote von Claude:

Ich nahm an einem WIPO-Treffen teil zu diesem Abkommen für Blinde und Lesebehinderte. Eine französische Dame vertrat die europäischen Presseverleger und wehrte sich sehr heftig dagegen. Deshalb fragte ich sie in einer Kaffeepause, warum sie so stark gegen Blinde eingestellt sei – war sie vielleicht einmal von einer blinden Person verletzt worden? Sie sagte nein, aber sie sei aus Prinzip gegen JEGLICHE Urheberrechtsschranken, „weil Google News [geistiges Eigentum] klaut …“

Was das Ganze nun mit dem Verdauungstrakt der Kühe zu tun hat, findet man im Originalbeitrag von Claude Almansi.

Was Infos wirklich wollen

Es gibt Texte, die sind gut leserlich und mit anschaulichem Material versehen. Trotzdem fragt man sich nach einem Dutzend Seiten, ob Autor oder Leser oder beide wirklich checken, was ausgesagt respektive verstanden werden soll. So ergeht es mir etwas mit dem Text „Information Wants to Be Shared“ von Joshua Ganz.

Dem Autor geht es um Verteilprozesse von Information, die er aus ökonomischer Perspektive analysieren möchte. Er stellt zu Recht fest, dass Information nur in dem Mass relevant und wirksam wird, wie sie verteilt wird. Der Autor nimmt die Preisbildung in den Blick. Er konstatiert im Einklang mit der allgemeinen Wahrnehmung und mit Steve Wozniak in den achtziger Jahren, dass die Verteilung von Information immer günstiger wird. Autor Ganz versucht, den daraus folgenden Wandel des Informationsmarktes und die Auswirkungen auf die Vertriebsindustrie zu skizzieren. Gelingt das?

Ein Problem: Der Informationsbegriff wird weder geklärt noch differenziert. Joshua Ganz scheint davon auszugehen, dass Informationen im Allgemeinen marktfähig seien. Das leuchtet nicht ein. Grosse Segmente von Informationen gehören persönlicher Kommunikation oder banalen betrieblichen Abläufen an. Niemand will die haben – und schon gar nicht dafür bezahlen. Die meisten Formen von Informationen flottieren einfach in der Gesellschaft herum. Potentiell marktgängig ist Information in moderner Gesellschaft allenfalls, wenn sie als Werk geformt ist. Und auch dann müssen noch verschiedene weitere Bedingungen erfüllt sein. Die Myriaden von Flickr-Fotos oder Schulband-Songs sind werkartige Bausteine der alltagskulturellen Kommunikation – von Marktgängigkeit sind die aber weit entfernt.

Dem würde der Autor wahrscheinlich nicht widersprechen. Ist es dann aber angebracht, so allgemein von Information und Markt zu reden?

Der Autor nennt es immer Information, in manchen Zusammenhängen meint er aber Werke. Im Titel spricht er aber offenbar und meint offenbar ganz allgemein Informationen. Die Lesenden haben lebhaft diskutiert, wie der Titel zu interpretieren sei. Eine Möglichkeit ist, „Information will…“ metaphorisch zu verwenden, dann aber ein ausformuliertes Konzept auszubreiten, das die Rolle sozialer Akteure erläutert oder die Forderung nach optimalem Informationsfluss untermauert. Der Autor scheint die metaphorische Formulierung jedoch ziemlich wörtlich zu nehmen. Wenn Information wirklich „will“, wird sie zum handelnden Akteur hoch stilisiert. Eine eher abenteuerliche Vorstellung. Vermutlich will Information gar nichts. Und ob sie wirklich geteilt werden kann, wäre zu diskutieren. Sicher kann sie nicht so geteilt werden, wie der heilige Martin seinen Mantel teilte, um die Hälfte einem Bettler zu geben.

Joshua Ganz vertritt die These, dass die KonsumentInnen eigentlich immer schon nur das Medium bezahlt hätten, nicht die Information. Etwas plausibler erscheint die Vermutung, dass der Käufer eines Krimis Taschenbuchform für einen Verbund von Medium und Content gezahlt hat. Wobei heute wie in den vergangenen Jahrhunderten immer die Medienhersteller den Löwenanteil der Erträge abschöpft haben – den Contentproduzenten blieben und bleiben Peanuts.

Mit seiner Behauptung, dass im Prinzip nur das Medium marktfähig ist, stützt der Autor einen Diskurs, der die wirtschaftlichen Anspruche der Inhaltsproduktion wegdefiniert und nur die technischen Infrastrukturen und Services wirklich abgelten will. Die ICT-Branche dürfte kaum widersprechen. Sie setzte 2012 rund 3‘000 Milliarden Franken um. Damit sind wir bei realer Ökonomie angelangt. Bei Geldflüssen, Branchen, Interessen und Verteilkämpfen. Diese Aspekte bleiben ausgeblendet, was dem Text eine gewisse Abgehobenheit verleiht.

Wir sind gespannt, wie es weitergeht und hoffen, dass der Text in der nächsten Folge zum Kontrast eine wohlmeinendere Besprechung erhält.

 

Joshua Ganz: Information Wants to Be Shared. Harvard Business Review Press, Boston, Masschusetts. Blog dazu.

Wir sind erst am Anfang

Sherry Turkle schliesst ihr Buch “Verloren unter 100 Freunden” mit einem pessimistischen Ausblick auf die Auswirkung der Netzwerkkultur ab. Wenn man der Autorin glaubt besteht aber noch Hoffnung, denn das Internet ist erst am Anfang.

Das zweite Kapitel schliesst ab wie es begonnen hat: In narrativer Form werden individuelle Erlebnisse geschildert, ohne dass die Autorin deutlich Stellung bezieht. So erfahren wir, was einzelne Menschen dazu bewegt intimste Geheimnisse auf PostSecret zu veröffentlichen oder ein zweites Leben auf Second Life zu führen.

Die von uns vermisste Reflexion finden wir aber schliesslich doch noch in der Zusammenfassung.
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Neue Einsamkeit

Nicht einfach Begeisterung hat der erste Teil von Sherry Turkles Buch „Verloren unter 100 Freunden“ ausgelöst. Wie sieht es mit dem zweiten Teil aus, der sich mit sozialen Netzwerken beschäftigt?

Die Lesgegruppe hat die Anregung aus dem Kommentar zu letzten Blogbeitrag aufgenommen und sich mehr en Detail mit dem Text auseinandergesetzt. Wir haben uns bemüht anhand einiger konkreten Textstellen die letztes Mal geäussert Hauptkritik zu verifizieren: Turkle äussere nur summarische Hypothesen, verstreut in einer Masse von anekdotischen Schilderungen.

Sehen wir uns das Konzept es „Lebensmix“ an. Dass die Wissenschaftlerin das nicht selber erfindet, sondern aus der Schilderung des Probanden Pete aufgreift, ist durchaus produktiv. Allerdings bleibt eine Reflexion aus, der Begriff wird beschreibend angereichert.

Mobile Kommunikation ist konstitutiv für die Idee des Lebensmix. Sie ermöglicht das Annehmen einer virtuellen Identität „im Vorübergehen“. Etwa auf dem Spielplatz. „Viele Erwachsene teilen ihre Aufmerksamkeit zwischen Kindern und mobilen Geräten auf.“ Das hilft „mit der Anspannung des täglichen Lebens fertig zu werden. Heute fragen wir „nicht mehr nach der Befriedigung im Leben, sondern nach der Befriedigung im Lebensmix. Wir sind vom Multitasking zum Multileben übergegangen.“ (Seiten 275, 276).

Turkle zielt auf die offensichtliche Möglichkeit, dank Medien aus dem physisch unmittelbaren Kontext von Kommunikation herauszutreten. Neu ist sicher die Mobilisierung dieser Möglichkeit. Der Grundvorgang ist aber alles andere als neu. Es ist ja gerade ein zentrales Charakteristikum von Medien, die Unmittelbarkeit von Kommunikation zu überschreiten. Waren Rollenwechsel wirklich immer „von einer Veränderung der Umgebung abhängig“? Auch Bibelstudenten des Mittelalters, die Briefeschreibenden der Romantik oder die im letzten Jahrhundert notorischen Teenie-Telefonate auf dem Familienanschluss nahmen Rollenwechsel vor.

Der medientechnische Drall der „Lebensmix“ Vorstellung erscheint problematisch. Turkle impliziert, dass der Mediengebrauch die Komponenten des Mixes erzeugt. Das wirkt wenig plausibel. Identitäten sind und waren heterogen, das wird ja in der Postmoderne auch hinreichend reflektiert. Die Heterogenität bezieht sich aber auf die verschiedenen Rollen und Vorstellungen, welche eine konkrete Person integriert. Das auf die Modi Handy-On und Handy-Off zu reduzieren, erscheint etwas schlicht.

Schliesslich kommt Turkle mit der Abrenzung von virtueller und realer Welt nicht wirklich klar. Ein grosser Teil der über neueste Technologie abgewickelten Kommunikation dient einfach der Pflege lebensweltlicher Beziehungen. Das ist kein bischen virtueller als ein Telefonat mit einer Tante in den fünfziger Jahren des letzten Jahrhunderts. Auch wenn ein Smartphone im Spiel ist: Der Virtualitätsgrad von Telefonieren, Chatten, Profilpflege oder Avatarinteraktion ist doch sehr verschieden und lässt sich überhaupt nicht über einen Kamm scheren.

Kurz: Die Hypothese eines mangelnden Tiefgangs verflüchtigt sich im zweiten Teil des Buches nicht. Dass Turkle durchaus eine ganze Menge von interessanten Hypothesen einstreut, dokumentieren wir im Anhang mit einer Sammlung aus dem Kapitel „Immer online“.

Generell wurden die diskutierten Kapitel des Buches als deutlich interessanter und relevanter bewertet, als der Teil über die Roboter. Es lohnt sich durchaus, einige Kapitel zu lesen. Die anekdotischen Schilderungen sind hier noch plastischer als bei den Roboterversuche, weil einzelne Figuren ausführlich geschildert werden.

Ziemlich viel Verwunderung löst die ununterbrochene Verwendung von „we“ durch die Autorin aus. Die Nutzer einer bestimmten Handymarke? Oder der gebildete Mittelstand der USA? Ganz bestimmt nicht mit gemeint sein können Obdachlose, Feldarbeiter, Schwerkranke und ein paar Milliarden weitere Erdenbewohner. Abgesehen von Ausgrenzung und mangelnder Genaueigkeit: Wenn „wir“ doch so sind, warum braucht es dann hunderte von Seiten Schilderungen „unseres“ Umgangs mit Elektrorobben und Telefonini?

Das führt zur Frage, was das für ein Text ist. Ratgeberliteratur für gehobene Mittelständler, die selber ganz instrumentell neue Medien nutzen, bei ihren Teenies aber Suchttendenzen fürchten? Trostliteratur für die gleiche Klientel? Verfolgt Turkle literarische Ziele mit ihren durchaus packenden Figurenschilderungen? Ein überlang geratener Magazin-Essay?

*  *  *  *  *

ANHANG: Hypothesensammlung aus dem Kapitel 8. “Immer online”

  •  Neue Technologien des Informationsaustauschs werden „auch für zwischenmenschliche Beziehungen genutzt“ /271/
  •  Menschen arbeiten lebenslänglich an ihrer Identität – „mit den Materialien, die wir gerade zur Hand haben“ … „Die sozialen Welten im Internet haben uns von Anfang an neues Material verschafft.“ /272/
  • Früher waren Rollenwechsel „von einer Veränderung der Umgebung abhängig“ – heute können sie in beliebiger Umgebung stattfinden /273/.
  • Es gibt Menschen, die sich „in ihren online-Identitäten eher wie sich selbst fühlen als in der physischen Realität“ /273/.
  • In Aufsichtssituationen: „Viele Erwachsene teilen ihre Aufmerksamkeit zwischen Kindern und mobilen Geräten auf.“ /275/.
  • Heute fragen wir „nicht mehr nach der Befriedigung im Leben, sondern nach der Befriedigung im Lebensmix. Wir sind vom Multitasking zum Multileben übergegangen.“ Das Konzept des Lebensmix übernimmt sie direkt vom Probanden Pete /275/.
  • Mobile Kommunikation ist konstitutiv für die Idee des Lebensmix. Sie ermöglicht das Annehmen einer virtuellen Identität „im Vorübergehen“. Das hilft „mit der Anspannung des täglichen Lebens fertig zu werden /276/.
  • Stufenweise Aufwertung, basierend auf emotionalen Bedürfnissen der Benutzer: Nützlicher Ersatz zu spärlicher Kommunikation > Vorzüge ständiger Verbindungsaufnahme > „Leben auf Facebook sei besser als alles andere“ /276/.
  • Das schnelle Pendeln im Lebensmix „verfestigt sich zu einem Gefühl ständiger Teilnahme“ /277/.
  • Neue Medien untergraben die Strukturierung des Lebens durch Rituale (wobei Menschen „geschickt“ beim Einrichten von Ritualen sind) /278/.
  • Multitasking wurde von einem Fluch zu einer Tugend umgewertet. Untersuchungen zeigen, dass Leistungen limitiert sind, der Körper aber ein Hoch erlebt. „Wir haben uns in das verliebt, was die Technologie uns leicht gemacht hat, unser Körper spielte mit.“ /280/.

Correction by LeMatin of their article about Switzerland as pirate haven

On June 29, Le Matin published an article by Alexandre Haederli, “La Suisse accusée d’être un havre pour les pirates about the USTR (United States Trade Representative) 301 Report, where he not only omitted to mention that Switzerland isn’t mentioned in the USTR watch lists, but also attributed to the USTR communique accompanying the report a comparison between Spain and Switzerland where Switzerland was presented unfavorably. Digitale Allmend asked where this communique made this comparison, because it is not in the original USTR communique. The journalist recognized that the comparison was not in fact in the USTR communique, but in a press release by RIAA (Recording Industry Association America) about the report. The RIAA is an american organisation representing the record industry. They do not represent a government and there statement should not be taken as without specific interest for there own benefits

Unfortunately not an uncommon mistake in the heated debate on copyright. In particular due to the increased lobby efforts in recent months of the music industry and its lobbyst, who like to claim that Switzerland is seen abroad as a pirates’ lair. See e.g. Ms Géraldine Savary’s declaration in “Les musiciens suisses manifestent leur mécontentement face au téléchargement illégal” (RTS.ch 19:30 news bulletin, March 8, 2012) or Markus Naef’s interview in the NZZ, “Inakzeptable Laissez-Faire-Haltung des Bundesrates – Pirateninsel Schweiz im Fokus der Rechteinhaber.”

Journalists however should stick to the facts and have to ask critical question about the many poorly funded claims or inprecise statements of those actors.

On July 15, Le Matin accordingly published a “rectificatif” in its paper edition. However, the online version of Mr Haederli’s article remains unchanged. As the “rectificatif” is not online, we publish it here:

“La Suisse est accusée d’être un havre pour les pirates” (“Le Matin Dimanche” du 1er juillet 2012), nous expliquions que la gestion du droit d’auteur en Suisse était mise en opposition avec la situation prévalant en Espagne. Ce communiqué de presse a été publié par la RIAA (Recording Industry Association of America) et non par l’USTR (United States Trade Representative) comme indiqué par erreur. Nos excuses. LMD”