Als Kind habe ich die Nächte mit Buch und Taschenlampe unter der Bettdecke verbracht, und Seefahrerromane verschlungen. Ich entdeckte mit Kolumbus zusammen Amerika und mit Magellan nochmal. Während ich las, war ich dort, ich sah die Städte, die Landschaft und die Menschen.
Heute ist das Netz selbst der Kontinent, den es zu entdecken gilt.
Früher hatte ich mir vorgestellt, ein „Computer“ würde mir, mit den richtigen Stichworten versorgt, meine leidigen Aufsätze von selber schreiben. Da war die Enttäuschung natürlich groß. Nix da mit „Goethe“ ins Dokument schreiben und schon würde ich alles über ihn lesen können. Mit dem Netz hat sich das geändert: Zwar war mein erster Suchbegriff bei Altavista dann doch nicht „Goethe“ sondern „Lindenstraße“, aber das Potential dieses Internets hat sich mir sofort erschlossen: ich konnte die Inhaltsangaben sämtlicher bis dahin gelaufener Folgen ausdrucken. Phänomenal.
Amazon und Ebay kamen 1998 in mein Leben, und ich werde nie vergessen, wie mich der Berliner Postbote 1998 angeschnauzt hat, was mir einfiele, ihn mit 2.500 Mark in der Tasche durch die Stadt zu schicken, nur weil ich mein notebook über „dieset Intanett jekooft“ hätte (und per Nachnahme bezahlen musste).
Doch Spaß beiseite.
Ich habe nur ein paar Semester studiert, und die auch noch an der Fernuniversität Hagen, also abseits von Präsenzveranstaltungen und Campus. Meine damalige finanzielle Situation hatte den Kompromiss nötig gemacht, parallel zur bezahlten Handwerksausbildung und Berufstätigkeit so viel wie möglich zuhause zu studieren. Später gab ich das Studium dann wegen meiner Freiberuflichkeit als Autorin auf – aber es gibt einen reichen Ersatz dafür, man ahnt es: das Netz.
Denn anders als noch vor zehn Jahren, gibt es inzwischen soziale Netzwerke wie twitter, facebook und Google+, auf denen sich Menschen mit unterschiedlichsten Bildungsbiografien und Lebenshintergründen begegnen können. Hier kann jeder ohne Hürde einsteigen, Menschen „folgen“, sich in Themen einlesen und selbst in eigenen Blogs darüber schreiben. Da fragt keiner nach dem Lebenslauf oder Master, da zählt, was man zu sagen hat.
Besonders twitter wurde für mich zum Fenster zur Welt, denn als ich vor drei Jahren anfing, dort zu schreiben, lebte ich weit weg von Berlin, wo ich lange gearbeitet hatte. Das Schreiben hatte ich aufgegeben, und meinen zweiten Versuch an der Universität ebenfalls. Es gab schlicht keine Möglichkeit, Familie und Studium oder Berufstätigkeit in meiner jetzigen Lebenssituation irgendwie zu vereinbaren. Zu schlecht war die Infrastruktur ohne öffentliche Verkehrsmittel und ohne Kinderbetreuung.
Das Netz diente eine Weile also nur als Bezugsquelle für günstige Kinderklamotten. Und ich begann, zu stricken. Das muss der Vollständigkeit halber erwähnt werden.
Nach der sensationellen Notlandung im Hudson aber wollte ich mir dieses twitter dann doch mal näher anschauen. Eigentlich dachte ich nämlich daran, meine handgestrickten Tiere zu promoten. Ich arbeitete mich in dawanda ein und baute mir schließlich selbst einen shop.
Doch dann geschah etwas Seltsames: dieses twitter war überhaupt kein Marketingkanal! Das war ein Ort, an dem sich Leute trafen, die ähnlich in die Sprache verliebt waren wie ich! Leute, die schrieben – und die das lasen, was ich dort schrieb. Unvergessen das Gefühl, drei wildfremde Follower zu haben.
Ich ließ das Strick-Business recht schnell wieder bleiben und eröffnete stattdessen ein Blog. Mit dem Blog kam die Sicherheit, wirklich kontinuierlich Texte schreiben zu können, obwohl drei Kinder täglich Mittagessen wollten. Ich setzte mich mit Themen auseinander, die mir ohne das Netz verschlossen geblieben wären, und merkte, ich kann integrativ sein, indem ich meinen Lesern, die zwar in der Hauptsache wegen meiner erzieherischen Missgeschicke im Denkding lasen, ab und zu auch (Netz-)politisches oder Intellektuelles servierte.
Im Netz konnte ich so vielen unterschiedlichen Menschen beim Leben zuschauen, ich habe so viel lernen können. Und nie habe ich mehr Bücher gelesen als in den letzten drei Jahren. Nämlich immer dann, wenn jemand aus meinen Kanälen ein Buch empfahl. (Ich sah mir sogar alle Star Wars Filme an). Ich begann, Dinge für machbar zu halten, einfach weil ich so häufig sah, dass andere dies auch hinbekamen und wie selten es einfach dabei zugeht.
Ich begann, an meinem Roman zu arbeiten, fand meine Agentur – über das Netz natürlich – und fing an, meine Recherchen zusammenzutragen. Die Geschichte spielt im ehemaligen Jugoslawien, dem Nachkriegsdeutschland, den 70ern und in der Türkei – nicht denkbar ohne das Netz und die Menschen darin. Denn in der Zwischenzeit kenne ich so viele, dass ich zu beinahe allen Fachgebieten jemanden fragen kann – einen echten Menschen.
Das ist das Potential des Netzes – Menschen zusammenzubringen, die sich aus strukturellen Gründen niemals begegnen könnten. In den Netzwerken oder anderen Plattformen ist das möglich. Natürlich gibt es viele, mit denen ich nichts anfangen kann, aber das Netz setzt ja auch nicht die sozialen Gesetze außer Kraft. Aber wenn man mit derselben Achtsamkeit vorgeht, mit der man auch offline seine Freunde und Bekannten aussucht, wird man weitestgehend unbehelligt seiner Wege ziehen können.
Nirgendwo hab ich weniger Konkurrenz erlebt und mehr Miteinander als in meinem Internet.
Ich möchte durch mein Engagement bei D64 sicherstellen, dass diese Seite des Netzes, die jedem offen steht, im Fokus netzpolitischer Entscheidungen und Debatten steht.