Alle Artikel in Urheberrecht

Der Digital Services Act – das neue europäische Plattform-Grundgesetz?

Ein Walkthrough mit Einordnungen – Teil I

Die Europäische Kommission hat im Dezember 2020 mit ihrem Vorschlag des Digital Services Acts (DSA) ein ambitioniertes Gesetzespaket vorgelegt, das – in Verbindung mit dem Digital Markets Act (DMA) – die Regulierung digitaler Dienste und Märkte in der Europäischen Union grundsätzlich neu organisieren soll. Obwohl in den letzten Jahren mehrere Vorhaben zur Regulierung des digitalen Binnenmarkts umgesetzt wurden – wie etwa die Platform-to-Business-Verordnung, die umstrittene Urheberrecht-Richtlinie oder die Richtlinie zu Audiovisuellen Medien – galt bis jetzt die über 20 Jahre alte E-Commerce-Richtlinie als das Herzstück der europäischen Internetregulierung.

Der DSA soll jetzt die grundlegenden Regeln für Anbieter:innen digitaler Dienste modernisieren und in diesem Zuge eine Reihe neuer Sorgfaltspflichten für bestimmte Dienste einführen. Der DSA lässt sich demnach grob in drei Kategorien unterteilen: 1) allgemeine Regeln für alle “Anbieter von Vermittlungsdiensten”, seien es Content Delivery Networks, Webhoster oder soziale Netzwerke, 2) zusätzliche Sorgfaltspflichten für Online-Plattformen, und 3) weitere zusätzliche Sorgfaltspflichten für sehr große Online-Plattformen (VLOPS, “very large online platforms”). Unsere Stellungnahme zum DSA wird dieser Unterteilung folgen, dementsprechend nehmen wir in diesem ersten Beitrag das Grundgerüst des DSA, die allgemeinen Regeln für alle “Vermittlungsdienste”, genauer unter die Lupe.

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Stellungnahme zum BMJV-Diskussionsentwurf eines Zweiten Gesetzes zur Anpassung des Urheberrechts

Das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz (BMJV) hat einen Diskussionsentwurf für ein Zweites Gesetz zur Anpassung des Urheberrechts an die Erfordernisse des digitalen Binnenmarkts veröffentlicht. Dieser regelt die Verantwortlichkeit von Plattformen und setzt damit Artikel 17 (ehemals Artikel 13) der Richtlinie (EU) 2019/790 über das Urheberrecht im digitalen Binnenmarkt (DSM-RL) um. Im Rahmen des Gesetzgebungsverfahren hat das BMJV um Stellungnahme gebeten.

D64 – Zentrum für digitalen Fortschritt hat hierzu folgende Stellungnahme an das BMJV versandt:

Im Juni legte das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz einen Diskussionsentwurf zur Umsetzung der DSM-RL, insbesondere des Artikels 17, vor. Wir möchten die Gelegenheit nutzen, wesentliche Punkte zu nennen, die uns mit Bezug auf die Meinungsfreiheit im Internet, sowie der Anwenderfreundlichkeit als Nutzerinnen und Nutzer und von Kreativschaffenden besonders relevant erscheinen. Wir begrüßen zunächst, dass der Diskussionsentwurf gerade bei den Regelungen zur Plattformhaftung nötige Konkretisierungen vorsieht, bei der die Richtlinie Lücken lässt. Nichtsdestotrotz möchten wir unsere Bedenken bzgl. der automatisierten Überprüfung und Selbstprüfung von Inhalten äußern. Die Bundesregierung hat sich in einem Zusatzprotokoll zur DSM-RL verpflichtet, automatisierte Uploadfilter soweit wie möglich zu verhindern. Auch wenn wir begrüßen, dass eine Ausnahmeregelung für Karikaturen, Parodien und Pastiche erarbeitet wurde, sowie eine erfreuliche Veränderung im Urheberrecht durch die Erlaubnis von Bagatellnutzungen gemacht werden könnte, sind wir kritisch was die aktuell definierten Größen angeht.

Im Einzelnen möchten wir zu bedenken geben:

1. UrhDaG: An den positiven Ansätzen sollte festgehalten werden

Kein Gesetz zum Schutz von Urheberrechten darf dazu führen, dass öffentliche Räume in Gefahr geraten. Zu diesen öffentlichen Räumen zählen heute unstreitig auch kommerzielle Upload-Plattformen. Hier findet Auseinandersetzung mit Politik, Kultur und Gesellschaft statt. Dabei werden regelmäßig urheberrechtlich geschützte Inhalte geteilt – oftmals legal, weil über die Zitierfreiheit oder andere urheberrechtliche Erlaubnisse abgedeckt, oftmals jedenfalls mit geringer Auswirkung für Rechteinhaber. Wir haben den Einsatz von Uploadfiltern stets abgelehnt; diese Debatte wurde bereits geführt. Der Entwurf – und schon Art. 17 der DSM-RL – wird dieser Forderung und auch der eigenen Absichtserklärung in der Protokollerklärung 2019 nicht gerecht. Wir erinnern die Bundesregierung daran, das gesetzte Ziel, Upload-Filter in Deutschland nicht einzusetzen, nicht aus dem Blick zu verlieren. Der vorgelegte Entwurf beinhaltet jedoch unzweifelhaft Upload-Filter. Es ist uns deshalb besonders wichtig, dass erlaubte Nutzungen nicht durch einseitige Regeln zu Gunsten der Rechteverwerter unterbunden werden. Wir unterstützen daher den Vorschlag des Diskussionsentwurfs, dass Nutzerinnen und Nutzer Inhalte flaggen können, damit diese Inhalte im Regelfall zunächst einmal „durchgelassen werden“. Wir unterstreichen, dass automatisierte Techniken solche Nutzungen nicht zuverlässig erkennen können und deshalb an dieser Stelle ein Sicherungsmechanismus für „nicht maschinell erkennbare“ erlaubte Nutzungen unbedingt erforderlich ist, um Overblocking zu verhindern. Sprich: Eine Sperrung des Inhalts, insbesondere ein Inhalt mit Pre-Flagging, muss durch einen Menschen vorgenommen werden. Nutzerinnen und Nutzer dürfen nicht in die Beweislast für ihre Nutzungsfreiheiten gedrängt werden. Darüber hinaus muss außerdem sichergestellt werden, dass alle Formate davon umfasst sind (bspw. auch Live-Streams).

Wir begrüßen hingegen den Vorschlag, „Bagatellnutzungen” zu erlauben. Es ist nicht immer klar, wann die Zitierfreiheit greift oder was juristisch gesehen eine Parodie ist. Ein modernes Urheberrecht muss auf einen breiten Interessenausgleich für die gesamte Informationsgesellschaft angelegt sein. Dazu gehört auch, dass vor allem dort Freiheiten geschaffen werden, die für die Allgemeinheit von großem Wert sind und bei denen mögliche Einbußen für Rechteverwerter tendenziell gering bis nicht messbar sind. Daher unterstützen wir, dass bis zu einer gewissen Schwelle solche Nutzungen pauschal zulässig gemacht werden sollen. Wir geben aber zu bedenken, dass diese Möglichkeit auch für kommerzielle, semiprofessionelle Zwecke geöffnet werden sollte. Jedenfalls halten wir die Bagatellnutzung fachjuristisch für umsetzbar, zumal erst zuletzt der Generalanwalt am Europäischen Gerichtshof mit seinen Schlussanträgen zur Haftung von YouTube in diese Richtung weist. Wir fordern die Bundesregierung daher dazu auf, europarechtliche Initiativen zu ergreifen, um eine weitergehende allgemeingültige Bagatellnutzung zu ermöglichen. Meme-Kultur und das Verwenden von weiteren Inhalten, die zwar urheberrechtlich geschützt sind, aber keinen Schaden entstehen lassen, gehören zur Internetkultur und müssen daher aus der rechtlichen Grauzone geholt werden.

Ebenfalls begrüßen wir, dass missbräuchliche Inanspruchnahme von Urheberrechten die Upload-Plattformen berechtigt, die vermeintlichen Rechteinhaber vom Sperrungs- und Entfernungsverfahren auszuschließen. Wir finden es richtig, dass bei den Vergütungen, die die Upload-Plattformen zahlen müssen, die Urheberinnen und Urheber selbst unmittelbar berücksichtigt werden. Schließlich war dies ja auch das zentrale politische Argument der Befürworterinnen und Befürworter von Art. 17. Unbedingt beibehalten werden sollte die Ausnahmevorschrift, die besagt, dass Dienste wie Online-Enzyklopädien oder Wissenschaftsrepositorien nicht in den Anwendungsbereich fallen, entwicklungsoffen sind („insbesondere“).

2. Karikatur, Parodie und Pastiche: Alltagspraxis muss endlich frei sein

Der Gesetzentwurf enthält mit der neuen Schranke für Parodie, Karikatur und Pastiche eine wichtige Vorschrift. Das Ziel muss sein, insbesondere die Remix-Alltagskultur im Netz endlich zu legalisieren und die urheberrechtlichen Freiheiten so an die gesellschaftliche Realität anzupassen. Im weiteren Gesetzgebungsprozess sollte schließlich genau geprüft werden, ob tatsächlich alle Formen der „transformativen Alltagsnutzung“ im Netz abgedeckt sind – Memes, Remixe etc., wie es der Entwurf besagt. Wir unterstützen dieses Ziel ebenso wie die Regelung für Upload-Plattformen, die diese Nutzungsfreiheiten unter besonderen Schutz vor Overblocking stellt. Viele Auseinandersetzungen im Urheberrecht der letzten Jahrzehnte haben außerdem gezeigt, dass auch professionelle Urheberinnen und Urheber selbst auf Nutzungsfreiheiten angewiesen sind – auch sie können durch zu strikte Urheberrechte beschränkt sein. Auch in ihrem Interesse liegen also breite Schrankenregelungen.

3. Pre-Flagging muss menschliche Entscheidung bedeuten

Trotz Pre-Flagging können Inhalte gesperrt werden, wenn sie 90 Prozent oder mehr geschützten Inhalt enthalten. Die quantitative Festlegung auf einen automatisierten Schwellwert wird zweifelsohne zu einem Overblocking von Inhalten führen. Dies muss korrigiert werden. Beispiel: Ein Video, das zum größten Teil aus einem geschützten Teil besteht (z. B. 18 Sekunden), kann durch einen eigenen Schluss (z. B. 2 Sekunden) zu einer Parodie werden. Der Inhalt würde fälschlicherweise gesperrt werden – automatisiert. Das gleiche Problem ergibt sich bei einer unklaren Lage zu den Urheberrechten.

4. 250 Kilobyte Größenbeschränkung untauglich

Die Größenbeschränkung von 250 Kilobyte für eine private Nutzung von urheberrechtlich geschützten Werken wird sich in der Praxis kaum als nützlich erweisen. Insbesondere dann nicht, wenn das Werk in einem Remix (Collage, etc.) verwendet wird. Enthält eine Datei ein Foto, die geschützt ist, lässt sich aus der Dateigröße kaum ermitteln, ob die 250kb-Marke für den Teil des geschützten Werkes nicht überschritten wird. Beispiel: Wird ein Foto mit einem Text versehen, so wie es bei Memes üblich ist, und die Datei dadurch 251kb groß ist, ist dies algorithmisch kaum zu bewerten. Wären in diesem Fall 1kb für den Text reserviert? Dies lässt sich technisch nicht aufschlüsseln.

Hinzu kommt, dass versierte Nutzerinnen und Nutzer in der Lage sind, Grafiken durch den Einsatz professioneller Software in der Dateigröße so zu verkleinern, dass sie zwar hochauflösend sind, aber eine geringe Dateigröße aufweisen. Hier werden die Nutzerinnen und Nutzer benachteiligt, die nicht im Besitz dieser Software sind oder entsprechendes Fachwissen fehlt. Die Barrierefreiheit der digitalen Kommunikation wird dadurch erheblich eingeschränkt.

5. Zugang zu Kultur im Netz: Bestehendes erschließen, Gemeinfreiheit stärken

Viele Bereiche aus unserer Gesellschaft, die in Büchern, Flyern, Plakaten etc. kulturell festgehalten sind, liegen verschlossen in Archiven. Viele dieser Werke sind nur deshalb nicht frei zugänglich, weil die Urheberrechte nicht geklärt werden können oder die Klärung zu aufwendig ist. Für die Wissensgesellschaft ist das ein unhaltbarer Zustand. Gerade der Online-Zugang zum kulturellen Erbe vergangener Zeiten ist zentral für gesellschaftliche Teilhabe und unser Geschichtsbild.

Daher ist es wichtig, den Spielraum der Richtlinie auszuschöpfen und hier moderne Lizenzierungsregelungen einzuführen. Sie ermöglichen es z.B. Museen und Archiven, Werke, die nie im Umlauf waren, der Öffentlichkeit im Netz zur Verfügung zu stellen. Wichtig ist es jetzt, die Hürden gerade für Digitalisierungsprojekte kleiner Archive (etwa aus politischen Bewegungen etc.) so niedrig wie möglich zu halten. Daher sehen wir es kritisch, wenn derartige Nutzungen dort vergütet werden müssen, wo keine „repräsentative Verwertungsgesellschaft“ existiert und eine urheberrechtliche Schranke greift. Europarechtlich ist dies ebenfalls nicht vorgesehen. In der Vergangenheit ist außerdem die Verbreitung von Abbildungen gemeinfreier Werke immer wieder geschwächt worden. Die Richtlinie stellt hierfür die Weichen neu und setzt sich zum Ziel, den Zugang der Allgemeinheit – also auch der Wissenschaft – zur Kultur und zum kulturellen Erbe zu fördern. Dies tut sie, indem sie Reproduktionen gemeinfreier „visueller Werke“ für zwingend gemeinfrei erklärt, also bspw. Fotos von einem Gemälde aus einem Museum. Solche Inhalte können künftig frei im Netz, etwa über Wikipedia, geteilt werden. Ziel muss es dabei sein, Reproduktionen so weit wie möglich gleich zu behandeln:

Daher sind nach unserer Auffassung nicht nur Reproduktionen von Werken umfasst, die einmal geschützt waren, sondern auch solche Artefakte, die nie unter Urheberrechtsschutz gefallen sind. Die Gesetzesbegründung sollte diesen Punkt klarstellen.

 

Die Zukunft des Internets: Mehr als Facebook, Google und Co

Dieser Text unseres Co-Vorsitzenden Henning Tillmann erschien als Gastartikel in der Zeitschrift „Politik und Kultur“ (06/2019) des Deutschen Kulturrats. Die Ausgabe kann hier als PDF-Fassung heruntergeladen werden. Die Zeitschrift verzichtet leider vollständig auf eine gegenderte Sprache.

Die technische Grundlage des World Wide Webs ist beispielgebend für Heterogenität und Gleichberechtigung: Jeder Inhalt ist über eine einzigartige URL ansprechbar. Diese URL mag zwar in manchen Fällen lang und kryptisch sein, aber ist die Adresse einmal abgespeichert, kann der Inhalt beliebig oft abgerufen werden – bis der Anbieter des Inhalts diesen vom Netz nimmt. Eben jene Dezentralität war der Grundpfeiler des Web der ersten 20 Jahre. Tim Berners-Lee, der 1989 das World Wide Web erfand, sagte zum 30-jährigen Geburtstag dem britischen Guardian: „Der entscheidende Faktor ist die URL. Das Entscheidende ist, dass man zu allem verlinken kann.“
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#BotBrief: Dein Brief an die Europaabegordneten mit dem Nein zum Uploadfilter!

In ganz Europa entstehen momentan Bewegungen gegen die EU-Urheberrechtsreform, die sich unter #Uploadfilter #Merkelfilter #Artikel13 oder #savetheinternet organisieren und den Kampf David gegen Goliath aufnehmen. Bislang werden diese Gegenbewegungen jedoch nicht ernstgenommen, sondern von Verbänden und PolitikerInnen als botgesteuerter Protest oder aus den USA gesteuert verharmlost. Dabei zeigen einige PolitikerInnen auch ein erschreckendes Unwissen über die Inhalte und Konsequenzen der Reform.

Wir wollen den EntscheiderInnen über die neue Urheberrechts-Richtlinie zeigen, dass wir keine Bots sind. Deshalb müssen wir protestieren und sicherstellen, dass unsere Stimmen auch von den Europaabgeordneten gehört werden. Bis zur Abstimmung Ende März oder Anfang April im Europäischen Parlament gilt es, die Abgeordneten davon zu überzeugen, gegen Artikel 11 und 13 zu stimmen. Denn Artikel 11 und 13 werden das Internet maßgeblich verändern – vermutlich zum Schlechteren für alle NutzerInnen, alle Kreativen und Kreativschaffenden, alle UrheberInnen sowie viele europäische Start-Ups, die digitale Geschäftsmodelle auf die Beine stellen.

Da vielen Abgeordneten das Internet noch immer recht fremd ist, sollen die Abgeordneten an ihren analogen Postfächern erkennen können, wie viele BürgerInnen diese Reform ablehnen. Deshalb möchten wir so viele Menschen wie möglich dazu animieren, ihren Abgeordneten einen altmodischen Brief zu schreiben!

Um diejenigen bei diesem Brief zu unterstützen, die zwar gegen Artikel 11 und 13 sind, aber nicht genau wissen, wie sie ihren Unmut zum Ausdruck bringen sollen, haben wir ein kleines Tool entwickelt: Auf BotBrief.eu haben wir den ultimativen Briefgenerator gebaut, mit dem jede/r die Europaabgeordneten seiner oder ihrer Wahl anschreiben kann.

Damit können wir zeigen, dass wir viele und dass wir echt sind. Wir wollen nicht, dass diese Urheberrechtsreform in der vorliegenden Form in Kraft tritt!

Der #Merkelfilter und der Bruch des Koalitionsvertrags

Wikipedia hat als Beschreibung für den Begriff Koalitionsvertrag parat: „Von den beteiligten Parteien werden darin personelle und sachliche Bedingungen vertraglich vereinbart, unter denen sie bereit sind, gemeinsam eine Koalition zu formen.“ Doch was passiert, wenn die Bundesregierung, mit Angela Merkel an der Spitze, genau das Gegenteil von dem tut, was im Koalitionsvertrag niedergeschrieben wurde?

Aber eins nach dem anderen: Wir, Laura-Kristine Krause und Henning Tillmann, Co-Vorsitzende von D64 waren für die SPD Mitglieder der Delegation zur Verhandlung des Digitalkapitels im Koalitionsvertrag. Wir haben über viele Dinge mit der Union gestritten und diskutiert, aber letztendlich sehr kollegial zusammengearbeitet und ein – wie wir finden – guten Gesamtkompromiss gefunden.

Ein wichtiger Bestandteil des Vertrags (PDF) war die folgende, absolut unmissverständliche Formulierung:

„Eine Verpflichtung von Plattformen zum Einsatz von Upload-Filtern, um von Nutzern hochgeladene Inhalte nach urheberrechtsverletzenden Inhalten zu „filtern“, lehnen wir als unverhältnismäßig ab“ (Seite 49).

Dieser Satz war Bestandteil des Gesamtpakets, mit dem wir am Abend des 31. Januars 2018 die Gespräche über das Digitalkapitel abgeschlossen haben. Auch in den höheren Runden, die u. a. auf der Ebene der Parteivorsitzenden geführt wurde, blieb dieser Satz bestehen.

Szenenwechsel:
In den letzten Monaten wird auf europäischer Ebene über eine Reform des europäischen Urheberrechts diskutiert. Ein äußerst kritischer Punkt sind hierbei die sogenannten Upload-Filter. In der Theorie sollen diese dafür sorgen, dass Inhalte, die auf Internet-Plattformen hochgeladen werden, automatisch auf Urheberrechtsverletzungen geprüft werden. Die Praxis zeigt: Sie funktionieren nicht richtig, Fehlerkennungen sind der Standard, nicht die Ausnahme und im Zweifel werden durch die Hintertür Zensurmaßnahmen eingeschleust.
Um dies etwas plakativier zu machen, ist daher zu vermuten, dass folgende Inhalte nicht oder nur eingeschränkt in Zukunft gepostet werden können:

  • Ein Video (z. B. eine Instagram-Story), die im Hintergrund durch Zufall Radiomusik enthält, die urheberrechtlich geschütztes Material enthält.
  • Ein Foto, auf dem der/die Fotografierte ein Shirt mit einem urheberrechtlich geschütztem Motiv zu sehen ist.
  • Ein Statusbeitrag, der ein Zitat aus einem urheberrechtlich geschütztem Songtext enthält.

Anders als man möglicherweise annehmen könnte, sind nicht nur die großen Anbieter (Facebook, Google, …) betroffen, sondern quasi alle Anbieter, die nicht gleichzeitig jünger als drei Jahre sind, weniger als 10 Millionen Euro Umsatz pro Jahr machen UND weniger als 5 Millionen NutzerInnen pro Monat haben. Während eben jene große Anbieter diese Filter verhältnismäßig leicht einbinden können, betrifft der von dem Bundeskanzleramt unterstütze Vorschlag vor allem kleine und mittlere Internetunternehmen.

Einige Abgeordnete der SPD und der CDU/CSU haben im Europaparlament im Sommer des letzten Jahres für die Reform gestimmt, in der auch die Upload-Filter implizit vorhanden sind. Während diese Abgeordnete nicht an den Koalitionsvertrag gebunden sind, ist dies bei der Bundesregierung ausdrücklich der Fall.

Wie aus Hintergrundgesprächen zu hören war, soll Angela Merkel in den letzten Wochen persönlich das Zepter des Handelns in die Hand genommen haben. So soll in enger Absprache mit dem französischen Staatspräsidenten Emmanuel Macron ein Deal entstanden sein, der auch die Zusage zu den Upload-Filtern enthält. In den Trilog-Gesprächen wird sich also Deutschland explizit für Filter einsetzen, die in einem neuen „Kompromiss“-Papier (PDF) verankert sind. Angela Merkel trägt nun die Verantwortung für diese Filter. Wir fordern sie und die Bundesregierung auf, den Koalitionsvertrag zu beachten und nicht vertragsbrüchig zu werden. 

Wir sind entsetzt und enttäuscht. Wenn der Koalitionsvertrag gut ein Jahr nach der Unterzeichnung durch die Bundeskanzlerin nach Belieben um 180 Grad geändert wird, was für einen Sinn macht es dann noch, Positionen schriftlich festzuhalten?

Laura-Kristine Krause und Henning Tillmann
Co-Vorsitzende von D64