Das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz (BMJV) hat einen Diskussionsentwurf für ein Zweites Gesetz zur Anpassung des Urheberrechts an die Erfordernisse des digitalen Binnenmarkts veröffentlicht. Dieser regelt die Verantwortlichkeit von Plattformen und setzt damit Artikel 17 (ehemals Artikel 13) der Richtlinie (EU) 2019/790 über das Urheberrecht im digitalen Binnenmarkt (DSM-RL) um. Im Rahmen des Gesetzgebungsverfahren hat das BMJV um Stellungnahme gebeten.
D64 – Zentrum für digitalen Fortschritt hat hierzu folgende Stellungnahme an das BMJV versandt:
Im Juni legte das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz einen Diskussionsentwurf zur Umsetzung der DSM-RL, insbesondere des Artikels 17, vor. Wir möchten die Gelegenheit nutzen, wesentliche Punkte zu nennen, die uns mit Bezug auf die Meinungsfreiheit im Internet, sowie der Anwenderfreundlichkeit als Nutzerinnen und Nutzer und von Kreativschaffenden besonders relevant erscheinen. Wir begrüßen zunächst, dass der Diskussionsentwurf gerade bei den Regelungen zur Plattformhaftung nötige Konkretisierungen vorsieht, bei der die Richtlinie Lücken lässt. Nichtsdestotrotz möchten wir unsere Bedenken bzgl. der automatisierten Überprüfung und Selbstprüfung von Inhalten äußern. Die Bundesregierung hat sich in einem Zusatzprotokoll zur DSM-RL verpflichtet, automatisierte Uploadfilter soweit wie möglich zu verhindern. Auch wenn wir begrüßen, dass eine Ausnahmeregelung für Karikaturen, Parodien und Pastiche erarbeitet wurde, sowie eine erfreuliche Veränderung im Urheberrecht durch die Erlaubnis von Bagatellnutzungen gemacht werden könnte, sind wir kritisch was die aktuell definierten Größen angeht.
Im Einzelnen möchten wir zu bedenken geben:
1. UrhDaG: An den positiven Ansätzen sollte festgehalten werden
Kein Gesetz zum Schutz von Urheberrechten darf dazu führen, dass öffentliche Räume in Gefahr geraten. Zu diesen öffentlichen Räumen zählen heute unstreitig auch kommerzielle Upload-Plattformen. Hier findet Auseinandersetzung mit Politik, Kultur und Gesellschaft statt. Dabei werden regelmäßig urheberrechtlich geschützte Inhalte geteilt – oftmals legal, weil über die Zitierfreiheit oder andere urheberrechtliche Erlaubnisse abgedeckt, oftmals jedenfalls mit geringer Auswirkung für Rechteinhaber. Wir haben den Einsatz von Uploadfiltern stets abgelehnt; diese Debatte wurde bereits geführt. Der Entwurf – und schon Art. 17 der DSM-RL – wird dieser Forderung und auch der eigenen Absichtserklärung in der Protokollerklärung 2019 nicht gerecht. Wir erinnern die Bundesregierung daran, das gesetzte Ziel, Upload-Filter in Deutschland nicht einzusetzen, nicht aus dem Blick zu verlieren. Der vorgelegte Entwurf beinhaltet jedoch unzweifelhaft Upload-Filter. Es ist uns deshalb besonders wichtig, dass erlaubte Nutzungen nicht durch einseitige Regeln zu Gunsten der Rechteverwerter unterbunden werden. Wir unterstützen daher den Vorschlag des Diskussionsentwurfs, dass Nutzerinnen und Nutzer Inhalte flaggen können, damit diese Inhalte im Regelfall zunächst einmal „durchgelassen werden“. Wir unterstreichen, dass automatisierte Techniken solche Nutzungen nicht zuverlässig erkennen können und deshalb an dieser Stelle ein Sicherungsmechanismus für „nicht maschinell erkennbare“ erlaubte Nutzungen unbedingt erforderlich ist, um Overblocking zu verhindern. Sprich: Eine Sperrung des Inhalts, insbesondere ein Inhalt mit Pre-Flagging, muss durch einen Menschen vorgenommen werden. Nutzerinnen und Nutzer dürfen nicht in die Beweislast für ihre Nutzungsfreiheiten gedrängt werden. Darüber hinaus muss außerdem sichergestellt werden, dass alle Formate davon umfasst sind (bspw. auch Live-Streams).
Wir begrüßen hingegen den Vorschlag, „Bagatellnutzungen” zu erlauben. Es ist nicht immer klar, wann die Zitierfreiheit greift oder was juristisch gesehen eine Parodie ist. Ein modernes Urheberrecht muss auf einen breiten Interessenausgleich für die gesamte Informationsgesellschaft angelegt sein. Dazu gehört auch, dass vor allem dort Freiheiten geschaffen werden, die für die Allgemeinheit von großem Wert sind und bei denen mögliche Einbußen für Rechteverwerter tendenziell gering bis nicht messbar sind. Daher unterstützen wir, dass bis zu einer gewissen Schwelle solche Nutzungen pauschal zulässig gemacht werden sollen. Wir geben aber zu bedenken, dass diese Möglichkeit auch für kommerzielle, semiprofessionelle Zwecke geöffnet werden sollte. Jedenfalls halten wir die Bagatellnutzung fachjuristisch für umsetzbar, zumal erst zuletzt der Generalanwalt am Europäischen Gerichtshof mit seinen Schlussanträgen zur Haftung von YouTube in diese Richtung weist. Wir fordern die Bundesregierung daher dazu auf, europarechtliche Initiativen zu ergreifen, um eine weitergehende allgemeingültige Bagatellnutzung zu ermöglichen. Meme-Kultur und das Verwenden von weiteren Inhalten, die zwar urheberrechtlich geschützt sind, aber keinen Schaden entstehen lassen, gehören zur Internetkultur und müssen daher aus der rechtlichen Grauzone geholt werden.
Ebenfalls begrüßen wir, dass missbräuchliche Inanspruchnahme von Urheberrechten die Upload-Plattformen berechtigt, die vermeintlichen Rechteinhaber vom Sperrungs- und Entfernungsverfahren auszuschließen. Wir finden es richtig, dass bei den Vergütungen, die die Upload-Plattformen zahlen müssen, die Urheberinnen und Urheber selbst unmittelbar berücksichtigt werden. Schließlich war dies ja auch das zentrale politische Argument der Befürworterinnen und Befürworter von Art. 17. Unbedingt beibehalten werden sollte die Ausnahmevorschrift, die besagt, dass Dienste wie Online-Enzyklopädien oder Wissenschaftsrepositorien nicht in den Anwendungsbereich fallen, entwicklungsoffen sind („insbesondere“).
2. Karikatur, Parodie und Pastiche: Alltagspraxis muss endlich frei sein
Der Gesetzentwurf enthält mit der neuen Schranke für Parodie, Karikatur und Pastiche eine wichtige Vorschrift. Das Ziel muss sein, insbesondere die Remix-Alltagskultur im Netz endlich zu legalisieren und die urheberrechtlichen Freiheiten so an die gesellschaftliche Realität anzupassen. Im weiteren Gesetzgebungsprozess sollte schließlich genau geprüft werden, ob tatsächlich alle Formen der „transformativen Alltagsnutzung“ im Netz abgedeckt sind – Memes, Remixe etc., wie es der Entwurf besagt. Wir unterstützen dieses Ziel ebenso wie die Regelung für Upload-Plattformen, die diese Nutzungsfreiheiten unter besonderen Schutz vor Overblocking stellt. Viele Auseinandersetzungen im Urheberrecht der letzten Jahrzehnte haben außerdem gezeigt, dass auch professionelle Urheberinnen und Urheber selbst auf Nutzungsfreiheiten angewiesen sind – auch sie können durch zu strikte Urheberrechte beschränkt sein. Auch in ihrem Interesse liegen also breite Schrankenregelungen.
3. Pre-Flagging muss menschliche Entscheidung bedeuten
Trotz Pre-Flagging können Inhalte gesperrt werden, wenn sie 90 Prozent oder mehr geschützten Inhalt enthalten. Die quantitative Festlegung auf einen automatisierten Schwellwert wird zweifelsohne zu einem Overblocking von Inhalten führen. Dies muss korrigiert werden. Beispiel: Ein Video, das zum größten Teil aus einem geschützten Teil besteht (z. B. 18 Sekunden), kann durch einen eigenen Schluss (z. B. 2 Sekunden) zu einer Parodie werden. Der Inhalt würde fälschlicherweise gesperrt werden – automatisiert. Das gleiche Problem ergibt sich bei einer unklaren Lage zu den Urheberrechten.
4. 250 Kilobyte Größenbeschränkung untauglich
Die Größenbeschränkung von 250 Kilobyte für eine private Nutzung von urheberrechtlich geschützten Werken wird sich in der Praxis kaum als nützlich erweisen. Insbesondere dann nicht, wenn das Werk in einem Remix (Collage, etc.) verwendet wird. Enthält eine Datei ein Foto, die geschützt ist, lässt sich aus der Dateigröße kaum ermitteln, ob die 250kb-Marke für den Teil des geschützten Werkes nicht überschritten wird. Beispiel: Wird ein Foto mit einem Text versehen, so wie es bei Memes üblich ist, und die Datei dadurch 251kb groß ist, ist dies algorithmisch kaum zu bewerten. Wären in diesem Fall 1kb für den Text reserviert? Dies lässt sich technisch nicht aufschlüsseln.
Hinzu kommt, dass versierte Nutzerinnen und Nutzer in der Lage sind, Grafiken durch den Einsatz professioneller Software in der Dateigröße so zu verkleinern, dass sie zwar hochauflösend sind, aber eine geringe Dateigröße aufweisen. Hier werden die Nutzerinnen und Nutzer benachteiligt, die nicht im Besitz dieser Software sind oder entsprechendes Fachwissen fehlt. Die Barrierefreiheit der digitalen Kommunikation wird dadurch erheblich eingeschränkt.
5. Zugang zu Kultur im Netz: Bestehendes erschließen, Gemeinfreiheit stärken
Viele Bereiche aus unserer Gesellschaft, die in Büchern, Flyern, Plakaten etc. kulturell festgehalten sind, liegen verschlossen in Archiven. Viele dieser Werke sind nur deshalb nicht frei zugänglich, weil die Urheberrechte nicht geklärt werden können oder die Klärung zu aufwendig ist. Für die Wissensgesellschaft ist das ein unhaltbarer Zustand. Gerade der Online-Zugang zum kulturellen Erbe vergangener Zeiten ist zentral für gesellschaftliche Teilhabe und unser Geschichtsbild.
Daher ist es wichtig, den Spielraum der Richtlinie auszuschöpfen und hier moderne Lizenzierungsregelungen einzuführen. Sie ermöglichen es z.B. Museen und Archiven, Werke, die nie im Umlauf waren, der Öffentlichkeit im Netz zur Verfügung zu stellen. Wichtig ist es jetzt, die Hürden gerade für Digitalisierungsprojekte kleiner Archive (etwa aus politischen Bewegungen etc.) so niedrig wie möglich zu halten. Daher sehen wir es kritisch, wenn derartige Nutzungen dort vergütet werden müssen, wo keine „repräsentative Verwertungsgesellschaft“ existiert und eine urheberrechtliche Schranke greift. Europarechtlich ist dies ebenfalls nicht vorgesehen. In der Vergangenheit ist außerdem die Verbreitung von Abbildungen gemeinfreier Werke immer wieder geschwächt worden. Die Richtlinie stellt hierfür die Weichen neu und setzt sich zum Ziel, den Zugang der Allgemeinheit – also auch der Wissenschaft – zur Kultur und zum kulturellen Erbe zu fördern. Dies tut sie, indem sie Reproduktionen gemeinfreier „visueller Werke“ für zwingend gemeinfrei erklärt, also bspw. Fotos von einem Gemälde aus einem Museum. Solche Inhalte können künftig frei im Netz, etwa über Wikipedia, geteilt werden. Ziel muss es dabei sein, Reproduktionen so weit wie möglich gleich zu behandeln:
Daher sind nach unserer Auffassung nicht nur Reproduktionen von Werken umfasst, die einmal geschützt waren, sondern auch solche Artefakte, die nie unter Urheberrechtsschutz gefallen sind. Die Gesetzesbegründung sollte diesen Punkt klarstellen.