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Eine Liebesbekundung an die deutsche Bahn
Eine Liebesbekundung an die deutsche Bahn
Ode

Ich habe einen Text geschrieben, welcher meine Erlebnisse mit der deutschen Bahn, vor ein paar Wochen, aufnehmen soll und ich das gerne hier im Sub teilen wollte. Es tut mir leid, dass er so lang geworden ist, ich salutiere jeder Person, die ihn echt durchliest.

HLI dass man manchmal, anstatt zu überdenken, einfach anfangen muss zu machen.

[Szene]

Ich trete nach einem langen Tag die Heimreise mit dem Zug an. Auf dem Hinweg hatten wir bereits 20 Minuten Verspätung, ich war also auf das übliche Chaos eingerichtet. Ich bin sehr müde, deswegen hätte ich gerne eine angenehme Reise. Die Umsteigezeiten sind ausreichend, es steht dem Feierabend also nichts mehr im Weg.

[Akt 1]

Ich stehe am Bahnhof, rauche eine Zigarette und der Zug fährt ein. Die Bahn ist nur minimal verspätet, die Anschlüsse sind pünktlich und ich freue mich auf mein Bett. Am nächsten Stopp angekommen wechsel ich vom Regionalzug auf die Berliner S-Bahn.

Die Vibrationen unter meinen Füßen signalisieren, dass die S-Bahn bereits einfährt. Ich mag diesen Bahnsteig nicht, weil er sehr hoch gelegen ist und mir das Gefühl gibt, von unten keinen Halt zu haben. Dies, in Kombination mit meiner Höhenangst, gibt mir nur das Verlangen, so schnell wie möglich hier wegkommen zu wollen. Die S-Bahn fährt los und ich mache mir entspannende Musik auf meinen Kopfhörern an. Die Geräuschunterdrückung hilft mir dabei, mich ein wenig zu beruhigen.

Ich schaue noch einmal nach und versichere mich, dass der nächste Zug mich auch pünktlich an mein Ziel befördern wird.

Unter der Zugnummer steht ein kleines rotes Ausrufezeichen, jedoch wird die Bahn als nicht verspätet angezeigt und mein Gewissen nimmt an, dass ich entspannt von unserer Liebsten Eisenbahngesellschaft in den Abend geleitet werde.

Kurz vor dem letzten Stopp aktualisiere ich nochmal die Seite und muss feststellen, dass der letzte Abschnitt der Etappe nun rot durchgestrichen ist. Ich hätte dem roten Dreieck wohl doch mehr Beachtung schenken sollen. Meine Laune mindert sich und meine Lesekompetenz scheint schon Zuhause angekommen zu sein.

Ich stelle mich also darauf ein, eine halbe Stunde auf die nächste Bahn zu warten. Ich laufe zum nächsten Supermarkt, kaufe mir einen Kaffee und zünde mir noch eine Zigarette an.

Noch zwanzig Minuten.

[Akt 2]

Nachdem ich aufgeraucht habe, mache ich mich auf den Weg zum Gleis. Vor der Rolltreppe steht eine ältere Dame mit gut bepacktem Rollator. Ich kann nicht an ihr vorbei, aber sie kann das Gepäck nicht auf dem vertikalen Laufband halten, dreht sich zu mir um und schaut mich hilfesuchend an.

Ich nehme meinen rechten Kopfhörer aus dem Ohr und frage nach, ob sie Hilfe braucht. Sie scheint mich nicht zu verstehen, aber entgegnet mir das Wort "Lift?" Ich zeige ihr den Weg zum Fahrstuhl und mache mich danach wieder auf zum Gleis.

Noch fünfzehn Minuten.

Auf dem Bahnsteig angekommen sehe ich sie erneut. Unsere Blicke kreuzen sich und wir gehen langsam auf einander zu. Als wir in Hörweite von einander stehen, spricht sie dieses Mal das Wort "Hamburg" aus. Ich vermute sie meint den ICE nach Hamburg Hbf, der bereits auf der Anzeigetafel zu sehen ist und in wenigen Minuten einfahren wird. Sie holt ihr Smartphone raus und öffnet Google Übersetzer.

Die erste Nachricht die sie in ihr Telefon spricht ist lang. Ich bereite mich auf eine ermüdende Konversation vor. Sie fragt mich ob sie mit dem Regionalzug fahren kann, ob ich ihr helfen könnte weil sie Gehprobleme hat und der Rollator füllig bepackt sei. Sie bittet mich auch, ob ich ihr nicht helfen könne, ein Zugticket zu bekommen, oder die Begleitpersonen des Zuges zu fragen, ob es einen Weg gibt, wie sie trotzdem an ihren Zielort kommt.

Ich weiß nicht wie sie nach Berlin gekommen ist, ich weiß nur dass sie hier weg möchte und sympathisiere mit ihr.

Ich sage ihr per Telefon, dass ich nicht denke, dass sie einfach so mitfahren kann und ich leider nicht in der finanziellen Lage bin, ihr Impromptu ein Ticket kaufen zu können.

Ich sehe in meinem Portemonnaie nach und Stelle fest, dass ich 35€ in Scheinen und ein paar Münzen dabei habe. Ich bin schon lange kein ICE mehr gefahren, aber ich bin mir sicher, dass dies nicht für ein Last Minute Ticket in Richtung Alster reichen wird.

Mein Herz sinkt in mir herab.

Ich nehme ihr Telefon und frage, ob sie jegliches Bargeld mit sich führt. Sie erwidert mit einer weiteren langen Nachricht.

Sie hätte ein wenig Geld dabei, das muss aber auch für die nächsten Tage noch für Essbares reichen. Sie bittet mich ein erneutes Mal inständig, bei der Crew zu erbitten, dass sie heute nicht die Nacht in Berlin auf der Straße verbringen muss. Sie spricht kein deutsch und die Crew sicherlich kein russisch.

Ich sage erneut, dass ich vermute, dass sie nicht einfach so in einem Schnellzug mitfahren kann. Sie fängt an zu schluchzen und zu weinen. Ich versuche sie zu trösten, indem ich Dinge auf Englisch sage, welche sie nicht versteht, jedoch trotzdem eine beruhigende Wirkung zu haben scheinen.

Ich öffne, während sie eine neue Nachricht einspricht, Google Übersetzer auf meinem Telefon. Ich schreibe, dass ich nicht überzeugt bin, dass sie mit dem Zug fahren wird, jedoch verspreche ich ihr zu helfen, wenn meine Vermutung sich bewahrheitet. Sie soll heute nicht die Nacht auf den Straßen von Berlin verbringen.

Auch verspreche ich ihr, dass ich ihre Bitte ausrichten werde, egal für wie (un)wahrscheinlich ich sie erachte. Sie unterbricht ihr schluchzen und schaut mich mit einem kleinen Hoffnungsschimmer in den Augen an.

Als Reaktion bringt sie ein einziges Wort hervor, welches keiner Übersetzung durch Technologie bedarf.

"Da"

Noch zehn Minuten.

[Akt 3]

Der ICE wird bereits durch die charmante Anlage des Bahnhofs angekündigt. Wir stehen beide am hinteren Ende des Bahnhofs, deswegen signalisiere ich ihr, dass wir uns weiter nach vorne bewegen müssen, damit wir eine Chance haben auf eine Tür mit dem bevorstehenden Endgegner zu treffen.

Ich höre bereits das Röhren des ICE's und schaue zurück. Die Lichter des Schnellzugs erscheinen am Ende des Bahnhofs und meine Bekanntschaft liegt bereits ein paar Meter zurück. Ich bewege mich jedoch weiter nach vorne, damit ich meiner Aufgabenstellung effizient nachkommen kann.

Der Zug kommt zum Stillstand und ich schaue mich in alle Richtungen um, damit ich feststellen kann, aus welcher Tür die Fahrkartendetektive treten. Ich meine, dass in so einem langen ICE mehrere Menschen dieser Berufung nachgehen und hoffe, dass sich einer jener in unserer Nähe befindet.

Aus meinem Rücken höre ich einen Ruf, den ich schnell meiner Bekanntschaft zuordne.

Aus der Tür in der Mitte von uns tritt eine Dame, auf welche ich sogleich zugehe. Ich versuche ihr schnell mitzuteilen, welcher Problematik ich begegnet bin und wie ich hoffe, dass sie die Lösung zu eben jener sein könnte.

Zuerst verneint sie meinen Vorschlag. Sie könne nicht einfach so ohne Ticket jemanden mitnehmen. Meine Bekanntschaft zeigt der Fahrkartenermittlerin eine regionale Hamburger Fahrkarte, jedoch scheint dies eher kontraproduktiv zu sein.

Ich frage, wie teuer ein Ticket für eine Person nach Hamburg denn sei. Zu meinem Unmut teilt die Dame mir mit, dass ein Ticket, welches nicht bereits Vorab gebucht wurde, bei so um die 80-90 Euro liegt.

Mein Herz rutscht ein kleines Stück weiter runter.

Ich kann es ihr natürlich nicht verübeln. Immerhin geht sie einer Berufung nach und hält die Richtlinien ein, welche ihr gesetzt werden. Trotzdem kann unsere persönliche Moral dem manchmal einen Strich durch die Rechnung machen. Manchmal handelt man amoralisch oder irrational.

Sie wird von mir in eine ähnliche Situation geworfen, wie die in der ich mich aktuelle wieder finde. Jemand wendet sich hilfesuchend an sie und man muss in nur wenigen Momenten Entscheidungen treffen, welche möglicherweise anhaltende Folgen bei den / für die Beteiligten haben können.

In der nächsten Sekunde zückt sie ihr Diensthandy und nimmt ein Telefongespräch mit jemandem auf.

Das Gespräch dauert keine halbe Minute, es wurden nur wenige Worte ausgetauscht und sie dreht sich zu uns um.

Mit einem nun viel positiveren Gesichtsausdruck nickt sie in unsere Richtung und bittet mich, schnell die Güter und meine Bekanntschaft in den Zug zu manövrieren, da die Bahn schon spät dran ist. Ich danke ihr mehrmals und sehr hastig, während ich meiner Bekanntschaft einen Arm anbiete, damit sie das Schnellgeschwindigkeitsgefährt leichter betreten kann. Meine Stimme ist bereits am zerbrechen dennoch bitte ich meine persönliche Heldin, genau so zu bleiben wie sie ist.

Die Türen schließen sich ohne mir Zeit zu lassen, mich von meiner Bekanntschaft auf irgendeine Weise zu verabschieden.

Noch fünf Minuten.

[Akt 4]

Ich kann es nicht fassen. Entgegen meiner festen Überzeugung, dass dieser simple Plan nicht funktionieren könnte, wurde mir das Gegenteil bewiesen. Eine Welle der Freude bricht über mir herein.

Tränen laufen über mein Gesicht, als ich mich wieder in Richtung des Ende vom Bahnhof bewege.

Gedanklich ist die Zeit für mich stehen geblieben. Seit dem Moment, als ich das Nicken gesehen und die energische Bitte gehört habe, scheinen die Uhren ihre Funktion verloren zu haben. Meine Gedankenwelt war in den letzten Minuten gefüllt von Angst, Hilflosigkeit, Ehrgeiz, Trauer und vielen weiteren Gefühlen.

Ich wollte, nein ich musste dieser Person helfen. Jetzt in dieser einen Sekunde, welche gefühlt eine halbe Stunde anhält, gibt es nur ein Gefühl, welches meinen Kopf dominiert. Erleichterung.

Ich bin extrem dankbar, dass die Person sich dazu entschieden hat nicht weg zusehen. Ihr wurde eine Möglichkeit präsentiert in der ihre Hilfe von Bedeutung war und sie wurde ergriffen. Zusätzlich bin ich glücklich, dass weder Angst, noch die Abwesenheit diverser Kommunikationsfähigkeiten, mich davon abgehalten haben, dass ich unter diesen Bedingungen trotzdem agiere.

Die wohlklingende Qualität der Sprechanlage des Bahnhofs reißt mich aus meinen Gedanken und kündigt an, dass der letzte Teil meiner Reise nun doch vollzogen werden kann. Dieses Mal sogar pünktlich.

Ich platziere meine Kopfhörer wieder in meine Ohren und öffne meine Musikbibliothek. Ich entscheide mich für die Musik, die ich in meinen glücklichen Momenten am meisten genieße. Die neunte Symphonie von Beethoven.

Das Adrenalin, welches in den letzten paar Minuten freigesetzt worden ist, lässt mich nicht mehr still stehen. Bis mein Transportmittel eingefahren ist und zum Stillstand kommt, laufe ich immer wieder ein paar Meter auf und ab. Die Musik elektrisiert mich dieses Mal eher, anstatt mich zu beruhigen.

Nun war es endlich so weit. Ich nehme Platz und lasse die Gedanken kreisen.

Auf der einen Seite bin ich froh, dass diese Situation vorbei ist. Ich bin bereit, meinen Feierabend zurückzustellen um einer Person in Not zu helfen. Das steht für mich außer Frage. Wenn jemand nach Hilfe fragt, braucht es eine Person auf der anderen Seite welche ihr die Hand ausstreckt.

Diese Person zu sein, gibt mir immer wieder ein gutes Gefühl. Vor allem weil ich in den letzten Jahren immer weniger Ereignisse erlebe, welche diese rechtfertigen würden.

Ich wünsche mir auch, dass das kein Zufall war, sondern die Bahn uns auf irgendeine Art und Weise zusammengeführt hat. Dafür möchte ich ihr auch nochmal danken, dass sie so eine Situation "kreiert" hat und fast im selben Moment wieder gelöst hat. Nun kann ich nachts wieder besser schlafen. Wenn diese Situation nicht so verlaufen wäre, hätte mein Kopf irgendwo Rückstände von Schuldgefühlen entdeckt, dass ich nicht alles in meiner Macht stehende getan hätte.

Auf der anderen Seite bin ich erleichtert, in der Bahn zu sitzen, welche den Plan-B für mich darstellt, nachdem meine Fähigkeiten, drei Zeilen unter einem Warnsymbol zu lesen, mich im Stich gelassen haben. Ich schließe die Augen für einen Moment und philosophiere, dass in der zynischen Wahrnehmung unserer Realität, die bestimmt nicht nur ich fühle, man selbst den ersten Schritt für eine offenere und inklusivere Gesellschaft gehen kann. Es muss nicht direkt eine Revolution geben. Wenn jede Person sich die Zeit nimmt, den Blick auf seine Mitmenschen zu richten, dann ist doch schlichtweg jedem geholfen, oder?

Wieder zurück in der Realität angekommen merke ich, dass mein Zielbahnhof bereits auf den Bildschirmen angezeigt wird und ich atme tief ein und aus.

Ich bin bereit die vergangenen Stunden ad acta zu legen, jedoch lässt mich mein Gehirn nicht ins Schlummerland abdriften und ich fange an diesen Text zu schreiben.

Ich möchte hiermit meine Liebe für die deutsche Bahn und die Mitarbeiter*innen jener, für heute, gestehen.


Vielen Dank dem unbekannten Finder
Vielen Dank dem unbekannten Finder
Ode

Irgendwann zwischen dem 16. und dem 23. habe ich mein Portemonnaie verloren. Mit allem drin - Ausweis, Führerschein, Bankkarten, Bargeld.

Alle Orte, die ich in der Zeit aufgesucht hatte, habe ich diese Woche abgeklappert - das waren nicht viele, denn ich lag mit einem Infekt flach. Supermarkt, Paketshop, Hausarzt. That's it. Nächste und letzte Anlaufstelle wäre heute nachmittag das städtische Fundbüro gewesen. Danach hätte ich das Portemonnaie abgeschrieben - als vielleicht im Delirium in der Mülltonne versenkt.

Als ich jedoch vorhin, wie jeden Tag, in meinen Briefkasten schaute, grinste es mir entgegen. Komplett, alles drin, alles noch da, sogar das Bargeld. Jedoch ohne Zettel, ohne einen Hinweis auf den ehrlichen Finder. Einfach so.

Es gibt sie noch, die ehrlichen Menschen. Da ich diesen einen nicht kennen lernen konnte, sage ich auf diese Weise: Dankeschön!


[ODE] Der Ährenmann
[ODE] Der Ährenmann
Ode

Ein Blick auf die Uhr. 11:40 vormittags. Ein Blick auf die ungelesen Mails in Outlook. 129 an der Zahl. Ein Blick in den schlecht gepflegten Terminkalender. Resümee: Das wird nichts mehr. Kein vorgezogener Feierabend heute.

Dabei ist heute Abend Premiere. Die traurige Trennungsbude ist nunmehr so weit hergerichtet, dass sie nicht mehr wirkt wie der Abstellraum in der Kommune 1. Es wird wohnlich. Das schäbige Ratenzahlungssofa steht. Ein Teppich macht das Wohnzimmer gemütlich. Ein uralter 100 Watt-Fernseher lädt zu flimmernder Lebenszeitverschwendung ein. Es ist Premierenabend. Ein Kumpel kommt vorbei.

Auf zwei, drei Bierchen. Und da sich kurz nach einer Trennung empfiehlt, keinen Alkohol im Haus zu haben, außer jenen, der die eingebrannten Verlusttränen isopropanesk aus Klicklaminat herausbrennen kann, ist kein Bier vorhanden. Der Plan war, es auf dem Heimweg mit ein wenig arbeitszeitverkürzendem Vorlauf beim Kaufmann des Vertrauens zu erwerben. Die angedachte Verkürzung des heutigen Entgeltabenteuers scheitert aber voraussichtlich an der Masse unaufschiebbarer Nebenquests. Also muss eine Alternative her.

Trotz der werktäglichen Bildschirmarbeit war mir fast entfallen, dass wir in der Zukunft leben! Diesem Umstand und den unverhohlen innovationsfördernden Aspekten einer gewissen Pandemie sei Dank kann sich der Almannormalverbraucher mittlerweile Getränke kistenweise bis nach Hause liefern lassen! Liederkosten? Existieren. Aber heute lautet mein fünfter Vorname Gönnjamin. Flink geklickt und fernbezahlt, am Horizont der Hopfen strahlt. Die Lieferzeit großzügig gewählt, auf das ich Zuhause sein werde, um die Lieferkraft und die Ware gastfreundlich zu empfangen. Und kurz darauf den durstigen Kumpel. Drei Kisten bringt der Kutscher, eine davon Bier.

Und so vergehen unmußige Stunden, bis endlich das Befreiungspiepen am Zeiterfassungsterminal erklingt. Auf halber Strecke nach Hause klingelt unverhofft mein Mobiltelefon. Eine Nummer, die sich nicht unter meinen gespeicherten Kontakten wiederfindet. Der obligatorische Telefonautist in mir sträubt sich, das Gespräch anzunehmen. Wäre da nicht die Sache mit der Getränkebestellung.

»Ja Hallo, Geruchsbrote am Apparat.«

»Ja Moin, Getränkemensch hier. Ich stehe vor Ihrer Tür aber Sie öffnen nicht.«

»Oh verdammt, Sie sind früh dran. Ich bin noch nicht Zuhause.«

»Und jetzt? Nachbarn?«

Ich denke an Herrn Greismann. Er begrüßte mich am Einzugstage missmutig und mit trainierten Rentnerblick mit der Frage, ob ich 'der Neue' sei. Als ich bejahte, entgegnete er nur, dass er hier schon seit 50 Jahren wohnen würde. Okay, Herr Greismann. Sie haben ihr Revier geschickt markiert. Nein, ich bürde diesem Mietveteran keine Last junger Leute auf. Auch weil ich befürchte, dass er dem Schimmern von Hopfengetränken nicht widerstehen könnte. Frau Knastfaust-Kugelbruch? Besser nicht. Sie wird sicherlich sowieso noch beim Bäcker abhängen und mit den anderen Ommas über den allgemeinen Sittenverfall und die neuesten Todesfälle im Viertel sinnieren. Tja.

»Öhm, stellen Sie die Kisten doch bitte einfach vor die Haustür. Dürfen Sie das? Geht auch auf meine Verantwortung. Bin in 30 Minuten Zuhause.«

»Einfach vor dir Tür? Hier an der Straße?«

»Ja.«

Stille am Ende der Leitung. Und dann folgt sie. Die Antwort, die mich dazu motivierte, diesem Vorkommnis diese vorliegenden respektvollen Zeilen zu widmen.

»Aber... Da ist auch ne Kiste Bier dabei.«

Welch angenehme Sorge um das Hauptgetränk dieser Lieferung! Was für ein Ehrenkutscher! Ich bin zutiefst entzückt, auch wenn ich mich ein wenig boomerig fühle. Wahrlich, dem jungen Mann ist nicht bekannt, dass mir der heutige Abend eine emotional diffuse, aber trotzdem irgendwie notwendige Zäsur sein wird. Das Herz hängt nicht mehr in den Kniekehlen sondern ist mittlerweile schon wieder bis zur Sacknaht emporgeklettert. Der Schock über die plötzliche Beendigung aller anno prä-Trennung angestrebten Lebensziele ist abgeklungen, wie die Angst des Durchschnittsalmans vor dem grünen Teufelsbroccoli. Es ruckelt sich alles ein, ganz allmählich. Es wird. Das dünne Ästchen 'Zeit heilt', an dem ich mich die letzten Monate festgeklammert hatte, trägt endlich erste Blüten. Der Mut, sich einem Bier hinzugeben, ist wieder da. Eiderdaus, am Ende des Tunnels leuchtet es.

All das ermöglicht mir der Ehrenbote. Der Ährenbote. Danke, für die Mitsorgen. Und sorry, dass ich nicht da war, um die ein Wort der Anerkennung zukommen zu lassen. Aber irgendwann muss ja nachbestellt werden. Zumindest, weil der Pfand weg muss. Und wer weiß, vielleicht lass ich dann irgendein Getränk draußen vor der Haustür stehen, guter Mann.

Ach, übrigens: 30 Minuten später war alles noch da. Wasser. Mate. Bier. Mein Glauben an die Menschenheit ist für ein paar Tage vollumfänglich wiederhergestellt. Vorübergehend.