Nicht der Armen Schlechtigkeit hast du mir gezeigt, sagt die heilige Johanna der Schlachthรถfe zum Mauler, sondern der Armen Armut. Oder so รคhnlich, hab das Buch nicht mehr. Daran muss ich manchmal denken, wenn ich meine jugendlichen Diebeszรผge rechtfertigen will.
Unsere Abschlussfahrt stand an, Hype auf dem Schulhof, die 9c fรคhrt nach Holland, und da auf ein Boot, und meine Freunde und ich sich uns einig, dass wir uns vรถllig die Birne wegballern werden, und Ingo will gehรถrt haben, dass die Hollรคnderinnen mit jedem schlafen, dafรผr seien die berรผchtigt, und er bittet uns schonmal, die Schlafkabine zu rรคumen, wenn er ein paar Hollรคnderinnen mit aus Boot bringt.
Und wรคre da nicht sofort der Gedanke ans Geld, dann wรคre ich sicher genau wie Ingo notgeilen Tagtrรคume verfallen.
รber 100 Euro soll der Spaร kosten, zu รผberweisen auf das Konto der Klassenkasse, und ich bin sicher, meine Eltern geben mir keinen Cent dazu. Erste Anlaufstelle also, meine Schwester, die zwar auch kein Taschengeld bekam, aber sich trotzdem immer ein paar Euro ergaunern konnte, aber auch die war gerade fast blank, zwanzig Euro, sagt sie, kรถnne sie beisteuern. Ich bin dankbar, und plรถtzlich kommt mir der Betrag nicht mehr ganz so รผberwรคltigend vor.
Also mal wieder Rohlinge klauen.
Die ultra-baggy Cargojeans von Fishbone, ein รberbleibsel der 90er in meiner beschrรคnkten Garderobe, erweist sich mal wieder als nรผtzlich. Rein in den Laden, zehn Minuten sehnsรผchtig vor den PS2-Spielen gestanden, kurz eine Demo getestet, im Vorbeigehen zwei Rohlingspindeln gezockt, eine in jeder Beintasche, leicht verdienter Zehner, und die Kassiererinnen sehen nur einen armen Buben der zu arm fรผr den Mediamarkt ist. Wieder hab ich das Risiko und wieder macht Ingo die Kohle mit den gebrannten CDs โ Mann, hรคtte ich nur einen eigenen Brenner โ aber so finanziere ich nach und nach die Klassenfahrt und freue mich schon auf die Hollรคnderinnen und darauf, mal auf einem Schiff zu sein, und auf einen letzten Ausflug mit meinen Schulfreunden, mit den Kernasis der 9c.
โStefan, bleibst du noch kurz nach der Stunde hier?โ, fragt meine Lehrerin, und jeder denkt ich bekomme รrger fรผr diese oder jene Untat, fรผr diese oder jene Unterbrechung, oder fรผr die seit Wochen nicht gemachten Hausaufgaben.
Aber sie erzรคhlt mir dann, sie und ein paar Eltern haben entschieden, dass die Kosten fรผr mich โ und ein paar andere Kinder mit armen Eltern, das betont sie extra, damit ich mich nicht so schรคbig fรผhle โ aus der Klassenkasse bezahlt werden, damit auch alle mitkommen kรถnnen. Aber bitte benehmt euch, sagt sie noch mahnend, als bereue sie die Entscheidung schon, ihr seid ja fast erwachsen.
Euphorie. รber 100 โฌ in der Tasche. Ich darf mit nach Holland, und ich habe รผber 100 โฌ in der Tasche.
Dann, das schlechte Gewissen. Die Welt ist groรzรผgig, zu mir, zum Rohlingdieb, zum Hehler. Soll ich das Geld vielleicht spenden? Zweimal musste ich schon zur Strafe fรผrs Schulschwรคnzen bei der Tafel arbeiten, die kรถnnten das Geld sicher brauchen. Ich denke an die Kunden der Tafel, denen es meist schlechter geht als mir, an die Penner und Rentner, an die Mutter mit der behinderten Tochter, die immer so furchtbar dankbar ist, wenn wir ihr den Korb mit Obst und Brot fรผllen.
Es ist klar, was ich tun muss.
Noch am selben Nachmittag gehe ich zu Media Markt und kaufe mir einen Brenner.
Sorry, Johanna, manche Menschen sind halt arm UND schlecht.