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May 14, 2001

bericht: "Gegen Mauern rappen"

2011-05-14
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In der West Bank gibt es nicht mehr viele Stimmen welche die zunehmend autoritäre Herrschaft der Palästinensischen Autonomiebehörde offen hinterfragen. Ein junger Musiker in Ramallah weigert sich aber standhaft, sein Maul zu halten.

In Ramallah reissen Bulldozer alte Häuser ab, um Raum zu schaffen für schicke Restaurants, Einkaufszentren, Bürokomplexe und Apartment-Blöcke. Der Sitz der Autonomiebehörde wird gerade renoviert – die Anlage gleicht einer Festung. In der Nähe ist der Bau des 28-stöckige Palestinian Trade Tower beinahe fertig gestellt. Luxusbüros, ein teures Hotel und ein Kino werden einst darin unterbracht.

Vor sechs oder sieben Jahren, als die meisten Städte im Westjordanland noch gegen die israelische Besatzung ankämpften, war Ramallah bereits befriedet. Schicke Autos und trendige Boutiquen eroberten das Stadtzentrum. In einem der neuen Restaurants sitzt ein junger palästinensischer Musiker, der unter dem Künstlernamen 'Boikutt' bekannt ist.

„Es ist ziemlich verwirrend, in Ramallah zu leben,“ sagt der 25-Jährige. „Es ist eine Art Blase.“ Er habe den Eindruck, dass die Menschen in der Illusion lebten frei zu sein, obwohl Ramallah nach wie vor eine besetzte und von zahlreichen Checkpoints und der Mauer umzingelte Stadt sei. „Fahr mal 10 Minuten in irgend eine Richtung und du wirst feststellen, dass du in einem Gefängnis lebst,“ sagt Boikutt.
Mittlerweile ist die Kellnerin gekommen und fragt nach den Bestellungen. Auf Englisch. Boikutt antwortet auf Arabisch. Sie hingegen, eine Palästinenserin in den Zwanzigern, hält unweigerlich am Englischen fest. Als sie weg läuft zieht Boikutt bedeutungsvoll seine Augenbrauen hoch. „Ramallah unterscheidet sich immer mehr von anderen palästinensischen Städten.“ Das Restaurant gegenüber bietet mittlerweile nicht einmal mehr arabischen Kaffee an.

Israelische Panzer, welche 2002 durch Ramallahs Strassen rollten und Ausgangssperren mit Waffengewalt durchsetzten bewegten Boikutt dazu, einen ersten Track namens 'Ausgangssperre' zu produzieren. 2003 gründete er zusammen mit seinem Bruder 'Aswatt' und dem befreundeten MC Stormtrap das Musikkollektiv 'Ramallah Underground'. Der experimentelle Ansatz der Gruppe resultierte in einzigartigem Sound, welcher Trip-Hop, Hip-Hop, Downtempo und traditionelle arabische Musik verband.

Die ersten Musikstücke setzten sich primär mit dem Leben unter israelischer Besatzung auseinander. Nachdem die israelische Armee sich aus Ramallah weitgehend zurückgezogen hatte, wurde die Palästinensische Autonomiebehörde (PA) zur neuen Zielscheibe der jungen Musiker. In deren Meinung hatte nämlich bloss der eine Unterdrücker den anderen ersetzt: „Sie raubten uns aus / Nahmen unser Land weg / Wir waren geschlagen / Sie wendeten sich uns zu / Sie überredeten uns / Sie wurden trainiert um Israel vor uns zu verteidigen / Wir werden überwacht / Soldaten überall / Aber sag': Wem dient all dies?“

Boikutt fühlt sich doppelt eingesperrt: „Da ist einerseits die israelische Apartheid-Mauer, welche ein Freiluftgefängnis konstituiert. Und andererseits ist es die Herrschaft der PA und ihrer Polizeikräfte, welche an jeder Ecke von Ramallah stationiert sind. Sie kontrollieren uns ständig, obschon wir uns bloss innerhalb unseres Gefängnisses umher bewegen.

Während in mehreren arabischen Ländern autoritäre Regimes nach Volksaufständen stürzten, ist es der PA bislang gelungen, ähnliche Bestrebungen in der West Bank im Keim zu ersticken. Die Repression oppositioneller Stimmen hat zu einer Atmosphäre geführt, in der „die Menschen wissen, wo die Grenzen sind,“ sagt Boikutt.

Die sogenannte 'Bewegung vom 15. März', welche ein Ende der Spaltung zwischen Hamas und Fatah verlangte, zeigte deutlich, dass viele junge Palästinenser die Nase voll haben von der herrschenden politischen Elite. „Die PA hat die Proteste zugelassen, solange sie ihrer Kontrolle nicht entglitten,“ sagt Boikutt. „Das ist das Maximum. Weiter kann man nicht gehen.“

Der junge Musiker findet es schändlich, dass die meisten palästinensischen KünstlerInnen allfällige Kritik bloss in sanfte Worte fassen. Im Gegensatz dazu sind die Reime von Ramallah Underground äusserst explizit. „Strassenschlachten, weil die Polizei mich nervt / Als wäre die Apartheid-Mauer nicht genug / Nun haben sie auch noch diesen Virus in mein Land eingeschleust.“

Boikutt fordert die Menschen auf, eine Art dritte Intifada zu beginnen. „Ziel des Aufstands wäre es, die koloniale Maschine und all ihre Einzelteile zu sabotieren.“ In der Tat betrachten viele PalästinenserInnnen die gegenwärtige Koordination zwischen Israel, den USA und der PA in Sicherheitsbelangen als eine Art von Kollaboration mit dem Feind. Wie von WikiLeaks enthüllte Dokumente gezeigt haben, war die PA stets darauf erpicht, „die Koordination fern der Öffentlichkeit zu halten.“ Bislang ist es der PA gelungen, eine ruhige Sicherheitslage herzustellen und zu bewahren und dadurch die Interessen Israels zu schützen.

„Vielleicht der einzige Weg um an die Kolonialmacht zu gelangen, ist sich desjenigen zu erledigen, der einen davon abzuhalten versucht,“ sagt Boikutt. Im Track 'Gefängnis im Gefängnis' rappt Stormtrap: „Während sich die Führer gegenseitig masturbieren, wachsen die Siedlungen und breiten sich aus / Willst du das Problem lösen? / Demontiere unsere Regierung! / Dann können wir vielleicht etwas Neues beginnen.“
Ramallah Underground verbreitete seine Musik vor allem über das Internet. „Angesichts unserer geographisch isolierten Position in Ramallah war es enorm wichtig,“ betont Boikutt. Obwohl er auf Arabisch rappt, ist es nicht einfach, die einheimische Zuhörerschaft zu erreichen. Aufgrund der israelischen Restriktionen ist es unmöglich, etwa im nahen Jerusalem ein Konzert zu veranstalten. „In Europa aufzutreten ist viel einfacher,“ sagt Boikutt.

2009 löste sich Ramallah Underground auf. Neben Soloauftritten begann Boikutt mit Basel Abbas und Ruanne Abou-Rahme, zwei anderen KünstlerInnen, welche vor allem Sound- und Videoinstallationen machen, an einem neuen Projekt zu arbeiten. Dessen Name 'Tashweesh' bedeutet Einmischung. Der Name ist zugleich Programm des Kollektivs.

Tashweesh fokussiert auf Liveauftritte. Boikutt weist darauf hin, dass Performances auf öffentlichen Plätzen oder Strassen äusserst schwierig zu bewerkstelligen seien. „Ramallah wird durch Stadtentwicklung zerstört. Öffentlicher Raum ist zur Mangelware geworden,“ klagt er. Auftritte an kommerziellen Orten sind dadurch unvermeidbar. Boikutt bedauert, dass dort vor allem Publikum aus der lokalen Oberschicht kommt, während zufällige Passanten und Leute, die nicht zur Szene gehören, nicht auftauchen.

Einer seiner besten Auftritte sei gewesen, als er einst auf einem Parkplatz auftraten und Menschen spontan hinzu kamen, sagt der Rapper. „Weisst du, die kamen nicht um unterhalten zu werden, sondern weil das was sie hörten sie interessierte.“

Es ist alles andere als einfach für Boikutt, gehört zu werden. Für viele PalästinenserInnen sind materielle Bedürfnisse weit wichtiger geworden als der politische Befreiungskampf. In einem seiner letzten Tracks rappt Boikutt: „Lass sie auf Hilfe aus dem Ausland warten bis sie sterben / Lass sie mit ihren teuren Autos herum fahren / Innerhalb der Apartheid-Mauer, bis sie in Labyrinthe hinein fahren.“ Der Reim endet mit dem krachenden Ton eines Autounfalls.

Dieser Bericht wurde von Ray Smith verfasst. Die englische Originalversion des Beitrags wurde hier von IPS Inter Press Service veröffentlicht.

bericht: "gegen mauern rappen"

2011-05-14
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in der west bank gibt es nicht mehr viele stimmen welche die zunehmend autoritäre herrschaft der palästinensischen autonomiebehörde offen hinterfragen. ein junger musiker in ramallah weigert sich aber standhaft, sein maul zu halten. (...) [weiterlesen]

Mar 2, 2001

bericht: "Nothilfe: Zwangsmassnahme statt Grundrecht"

2011-03-02
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Eine Anfang Februar lancierte Kampagne kritisiert das Nothilfe-Regime für abgewiesene Asylsuchende hart. Es sei menschenunwürdig und verletze die Grundrechte der Betroffenen. Das Recht auf Hilfe in der Not ist längst zu einem migrationspolitischen Instrument verkommen.

„Die Nothilfe ist keine Hilfe,“ sagt Ahmed (Name geändert). Der junge Palästinenser muss es wissen. Sein Asylgesuch wurde abgelehnt und er landete in der Nothilfe. In Basel, wo Ahmed seit mehreren Jahren lebt, erhalten NothilfebezügerInnen 12 Franken pro Tag. Schlafen können sie in der Notschlafstelle, welche tagsüber geschlossen bleibt. Ahmed musste sich wöchentlich bei der Fremdenpolizei melden. „Jedes Mal fürchtete ich, verhaftet zu werden und wieder in Ausschaffungshaft zu landen,“ sagt er. Seit rund einem Jahr meldet er sich nicht mehr: „Wenn du die ganze Zeit Angst hast, reicht es dir irgendwann. Also verzichtest du auf das Geld, um in Ruhe gelassen zu werden.“ Für Ahmed ist klar: Die Nothilfe ist ein Instrument der Behörden um ihn unter Druck zu setzen und ihn „kaputt zu machen.“

Gegenwärtig beziehen in der Schweiz rund 5800 Personen Nothilfe. Diese ist nicht etwa eine nette Gefälligkeit des Staates, sondern ein verfassungsmässig garantiertes Recht. Ein Bundesgerichtsurteil von 2005 besagt zudem, dass der Nothilfebezug nicht an unzumutbare oder schikanöse Bedingungen geknüpft sein darf. Die für die Ausrichtung der Nothilfe zuständigen Kantone haben sich in den vergangenen Jahren jedoch einen regelrechten Verschärfungs-Wettbewerb geliefert. Ein neuer Bericht der Schweizerischen Flüchtlingshilfe (SFH) unterstreicht, dass die Kantone versuchen, „NothilfebezügerInnen mit möglichst abschreckenden Massnahmen, die nicht selten die Grundrechte der Betroffenen tangieren, zur freiwilligen Ausreise zu bewegen.“ Beispiele für solche Massnahmen sind etwa willkürliche Verhaftungen, Präsenzkontrollen oder der Zwang zum wöchentlichen Wechsel der Unterkunft.

Für Susanne Bolz von der SFH ist klar: „Das Recht auf Unterstützung in Notlagen wurde für migrationspolitische Massnahmen zweckentfremdet.“ Die Politisierung dieses Grundrechts und die gezielte Prekarisierung der Betroffenen haben die SFH, Amnesty International, Solidarité sans Frontières und die Beobachtungsstelle für Asyl- und Ausländerrecht dazu bewogen, eine nationale Sensibilisierungskampagne zu starten und die Realität der Nothilfe aufzuzeigen. Auf ihrer kollektiven Plattform fordern die Organisationen jedoch bloss eine „grundsätzliche Überprüfung des Nothilfesystems“ und nicht etwa eine Abkehr davon.

Bisschen mager, denn die Kampagne geht mit dem Regime hart ins Gericht. So sagt etwa Susanne Bolz, das gesamte Nothilfesystem sei „höchst problematisch, da Personen per Gesetz prekarisiert und in ein System gedrängt werden, welches ihre Menschenwürde und ihre Grundrechte in vielen Fällen nicht wahrt.“ Als „schlicht gescheitert“ beurteilt indes Moreno Casasola, Generalsekretär von Solidarité sans frontières (Sosf) das Nothilfe-Regime und betont: „Für Sosf kann die einzige Lösung nunmehr sein, dass man in einem sofortigen ersten Schritt den Sozialhilfestopp aufhebt.“ Dann solle man weiterschauen, so Casasola.

In unserem neusten Film erklärt derweil ein Nothilfebezüger, wie er mit 8.60 Fr. pro Tag überlebt. Er kauft sich damit meist billiges Toastbrot, Fruchtsaft, Milch und etwas Früchte. „Wenn ich etwa Seife oder eine Zahnbürste kaufen muss, bleibt weniger für Essen übrig,“ sagt Ken (Name geändert). Seinen täglichen Migros-Gutschein könne er nicht einfach irgendwie ausgeben: „Du musst einen Plan haben und dir gewisse Dinge vorenthalten.“ Ken lebte jahrelang in Notunterkünften im Kanton Zürich, zuletzt im „Bunker“ von Uster, einer (unterirdischen) Zivilschutzanlage. „Wenn du hier jahrelang lebst, schadet dir das psychisch und physisch,“ sagt Ken. Für Sosf's Casasola ist daher klar: „Das Nothilfe-Regime macht, was es ist: krank. Und Krankheiten müssen bekämpft werden.“

Dieser Bericht wurde einem unserer AktivistInnen verfasst und in der Berner Monatszeitschrift megafon abgedruckt.

bericht: "nothilfe: zwangsmassnahme statt grundrecht"

2011-03-02
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eine anfang februar lancierte kampagne kritisiert das nothilfe-regime für abgewiesene asylsuchende hart. es sei menschenunwürdig und verletze die grundrechte der betroffenen. das recht auf hilfe in der not ist längst zu einem migrationspolitischen instrument verkommen. (...) [weiterlesen]

Nov 19, 2000

report: "Libanon soll Lage der Palästinenser verbessern"

2010-11-19
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Abu Yussif will nicht mehr über seine Arbeit sprechen. „Es bringt nichts und ohnehin wird sich nichts ändern,“ sagt er. Der gross gewachsene, weisshaarige Palästinenser ist soeben von der Arbeit zurückgekehrt und entspannt sich in seinem kleinen Garten im Flüchtlingslager Bourj ash-Shamali, ausserhalb der südlibanesischen Stadt Tyre. Abu Yussif ist eigentlich Pharmazeut. Wegen der massiven Diskriminierung der palästinensischen Flüchtlinge auf dem libanesischen Arbeitsmarkt musste er seinen Beruf aber an den Nagel hängen. Nun arbeitet er als Taxifahrer.

Palästinensische Flüchtlinge und ihre Nachkommen leben seit 62 Jahren im Libanon. Anders als ihre Verwandten in Jordanien und Syrien leiden sie unter starker, gesetzlich verankerter Diskriminierung. Der Libanon hat die UNO-Flüchtlingskonvention nicht unterzeichnet. Jedoch hat er den Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte ratifiziert und die Menschenrechtscharta in seine Verfassung eingebaut.

"Gemäss der Flüchtlingskonvention hätten wir das Recht auf freien Zugang zum Arbeitsmarkt unseres Aufnahmelandes nach drei Jahren Anwesenheit,“ sagt Suhail al-Natour in seinem Büro in Beirut. Al-Natour leitet das Human Development Centre, eine palästinensische Menschenrechtsorganisation. „Nachdem PalästinenserInnen nicht mehr im öffentlichen Sektor arbeiten durften, wurde auch ihr Zugang zum Privatsektor eingeschränkt,“ sagt er. „Was übrig blieb waren die einfachsten, härtesten Jobs, welche LibanesInnen kaum tun würden.“

Trotz ihrer langjährigen (wenn auch theoretisch temporären) Niederlassung im Libanon werden die 250.000 palästinensischen Flüchtlinge oft noch schlechter behandelt als die übrigen AusländerInnen. Der Zugang zu vielen Jobs stark beschränkt. Einige Berufe sind verboten, andere bedürfen einer Arbeitsbewilligung. Zusätzlich werden rund 30 freie Berufe von Verbänden kontrolliert. Des weiteren können PalästinenserInnen keine eigenen Geschäfte oder Unternehmen führen, da sie kein Eigentum besitzen dürfen.

Für PalästinenserInnen bleiben daher zwei Optionen, sagt al-Natour. Entweder arbeiten sie innerhalb der Flüchtlingslager, weil dort der libanesische Staat nicht präsent ist und sie verbotene Berufe ausüben können. Oder sie arbeiten illegal und meiden Inspektionen der Behörden.“ Der Arbeitsmarkt in den verarmten Flüchtlingslagern ist klein. Für gut gebildete PalästinenserInnen bietet er kaum eine ernste Alternative.

Bei Sonnenuntergang findet man Mahmoud Aga meist in seiner kleinen Plantage ausserhalb von Tyre, wo er einige Früchten und Gemüse anbaut und sich von seinem Arbeitstag erholt. Seit 15 Jahren arbeitet er in einem libanesischen Unternehmen in Tyre. „PalästinenserInnen können dem Verband der Ingenieure nicht beitreten, deshalb bin ich gezwungen, illegal zu arbeiten,“ erklärt er. Da er oft auf Baustellen arbeitet, ist er in direktem Kontakt mit libanesischen Auftraggebern. „Gegenwärtig leite ich den Bau einer öffentlichen Schule. Natürlich wissen die libanesischen Behörden, dass ich Palästinenser bin,“ sagt er augenzwinkernd.

Aga arbeitet gerne in seiner Firma. Er sagt, im Gegensatz zu vielen anderen PalästinenserInnen werde seine Lage nicht ausgenutzt. Er werde weder ausgebeutet, noch habe er einen niedrigeren Lohn. „Aber klar, ich habe keinen sozialen Rechte und Versicherungen,“ gesteht er ein.

Libanesische Berufsverbände verweigern PalästinenserInnen systematisch den Zugang. Sari Hanafi, ausserordentlicher Professor an der American University of Beirut erklärt: „Die Statuten einiger Verbände erlauben bloss libanesischen Staatsbürgern die Mitgliedschaft. Andere wenden eine Reziprozitätsklausel an. Da PalästinenserInnen keinen offiziell anerkannten Staat haben, kann dieses Prinzip jedoch nicht erfüllt werden.“

Mitte August änderte das libanesische Parlament das Arbeitsgesetz. Die Macht der Verbände wurde aber nicht angetastet. Suhail al-Natour sagt, dass theoretisch das Gesetz eigentlich den Verbandsstatuten vorangehe. „In der Praxis jedoch geben die Verbände den Ton an,“ konstatiert er.

Das geänderte Arbeitsgesetz zwingt PalästinenserInnen für alle Jobs Arbeitsbewilligungen zu beantragen, wobei es sie von den Gebühren befreit. Al-Natour ist damit aber längst nicht zufrieden: „Die Anzahl Bewilligungsgesuche von PalästinenserInnen wird kaum zunehmen, weil die prozeduralen Probleme weiterhin bestehen.“ Ein Vertrag mit einem libanesischen Arbeitgeber ist Vorbedingung für den Erhalt einer Arbeitsbewilligung. Al-Natour argumentiert, Arbeitgeber würden keine Verträge unterzeichnen, da sie so nämlich Abgaben an die Sozialwerke leisten und einen Lohn deklarieren müssten. „Sie profitieren von der Ausbeutung der Palästinenser. Deshalb wollen sie nichts an den Arbeitsbeziehungen ändern,“ schliesst er.

Gleichermassen betont Sari Hanafi, dass weder Arbeitgeber noch Arbeitnehmer Interesse an einem Vertrag hätten. „Beide würden für die Sozialversicherungen bezahlen, obwohl sie genau wissen, dass der Arbeitnehmer davon nie profitieren wird.“ Im Sommer änderte das Parlament auch das Sozialversicherungsgesetz. Legal angestellte PalästinenserInnen erhalten nun eine Pension. Von der Familien-, der Mutterschafts- und der Krankenversicherung bleiben sie ausgeschlossen.

Die Unzufriedenheit der PalästinenserInnen mit dem, was grossspurig als 'Reform' angepriesen wurde, zwingt sie zu verstärkter Lobbyarbeit auf internationalem Parkett. An der neunten Session des Universal Periodic Review (UPR) des UNO-Menschenrechtsrats musste sich der Libanon einer Überprüfung unterziehen. Es zeigte sich dabei eine zunehmende Besorgnis vor allem der europäischen Staaten hinsichtlich der schwierigen Lage der PalästinenserInnen im Libanon.

Rola Badran hat die Konferenz für die Palestinian Human Rights Organisation vor Ort verfolgt. Sie ist zufrieden mit der UPR-Session. „Das Thema der Rechtssituation der palästinensischen Flüchtlinge im Libanon ist nun auf der internationalen Agenda. Die libanesische Delegation schien erbost und unter Druck. Wiederholt verlangte sie das Wort, um direkt auf Einwände, Kritik und Forderungen anderer Staaten antworten zu können,“ erzählt Badran.

Die Kritik fokussierte vor allem auf die Verweigerung von Eigentumsrechten, die Diskriminierung auf dem Arbeitsmarkt und die mangelnde Bewegungsfreiheit. Viele palästinensische Flüchtlingslager werden nach wie vor von der libanesischen Armee umzingelt. Badran bleibt aber pessimistisch und erwartet nicht, dass der Libanon seine Politik ändert. „An der UPR-Session wiederholten sie ihre üblichen Ausreden und betonten, der Libanon sei zu klein und verfüge nicht über die notwendigen finanziellen Mittel.“ Und mit leicht sarkastischem Unterton fügt sie an: „Der Unwille des Libanons zeigte sich am Besten im Statement der Delegation, dass die Präsenz der PalästinenserInnen bereits lange andaure und der Libanon noch immer darauf warte, dass die Flüchtlinge in ihr Heimatland zurückkehren.“

Dieser Bericht wurde von Ray Smith verfasst. Die englische Originalversion des Beitrags wurde hier von IPS Inter Press Service veröffentlicht.

bericht: "libanon soll lage der palästinenser verbessern"

2010-11-19
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abu yussif will nicht mehr über seine arbeit sprechen. „es bringt nichts und ohnehin wird sich nichts ändern,“ sagt er. der gross gewachsene, weisshaarige palästinenser ist soeben von der arbeit zurückgekehrt und entspannt sich in seinem kleinen garten im flüchtlingslager bourj ash-shamali, ausserhalb der südlibanesischen stadt tyre. abu yussif ist eigentlich pharmazeut. wegen der massiven diskriminierung der palästinensischen flüchtlinge auf dem libanesischen arbeitsmarkt musste er seinen beruf aber an den nagel hängen. nun arbeitet er als taxifahrer. (...) [weiterlesen]

Aug 28, 2000

bericht: "eine verpasste gelegenheit"

2010-08-28
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der entscheid des libanesischen parlaments von mitte august, die beschäftigungssituation von palästinenserInnen zu verbessern, erhielt in den medien weite aufmerksamkeit und lob. die reform ändert allerdings kaum etwas an den schwierigen lebensumständen der flüchtlinge im libanon. (...) [weiterlesen]

bericht: "Eine verpasste Gelegenheit"

2010-08-28
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Der Entscheid des libanesischen Parlaments von Mitte August, die Beschäftigungssituation von PalästinenserInnen zu verbessern, erhielt in den Medien weite Aufmerksamkeit und Lob. Die Reform ändert allerdings kaum etwas an den schwierigen Lebensumständen der Flüchtlinge im Libanon.

Das Wichtigste vorweg: Der Libanon hat den PalästinenserInnen keine Bürgerrechte gewährt, wie es manche Medien fälschlicherweise verkündeten. Die rund 250.000 PalästinenserInnen, welche im Libanon leben, dürfen noch immer nicht in allen Berufen arbeiten und Eigentum besitzen oder vererben. Auch geniessen sie noch immer keine Bewegungsfreiheit, da die meisten ihrer Flüchtlingslager von libanesischen Armeeposten und Checkpoints eingekreist sind.

Im Juni reichte der Drusenführer Walid Jumblatt einen Gesetzesentwurf ein, welcher PalästinenserInnen diverse Bürgerrechte wie Freiheit in der Berufswahl oder Eigentumsrechte zugestand. Der Vorschlag gab sofort Anlass zu intensiven Diskussionen in Libanons politischen Kreisen. Er entzweite das Parlament – wie so oft – entlang konfessioneller Linien: Während die sunnitischen und schiitischen Parteien die Vorlage unterstützten, leisteten die christlichen Parteien Widerstand. Die parlamentarische Debatte wurde schliesslich verschoben, damit ein übergreifender Konsens erarbeitet werden konnte.

Während der letzten paar Jahre haben palästinensische Organisationen, AktivistInnen, und internationale Akteure wie die International Crisis Group, Human Rights Watch und das UNO-Hilfswerk für Palästina-Flüchtlinge (UNRWA) verstärkt eine Bürgerrechtsreform gefordert. Ereignisse wie der Krieg im Jahr 2007 in Nahr al-Bared Camp und die empfundene Bedrohung der inneren Sicherheit durch militante Gruppen in den Flüchtlingslagern haben auch viele LibanesInnen überzeugt, dass die Lebensbedingungen der PalästinenserInnen drastisch verbessert werden mussten.

Rex Brynen, Professor für Politikwissenschaft an der kanadischen Universität McGill und Koordinator des Palestinian Refugee ResearchNet wundert sich: "Ist es wirklich in Libanons Interesse, eine Viertelmillion vor den Kopf gestossene, verarmte und marginalisierte Flüchtlinge im Land zu haben – und dadurch die Voraussetzungen für ein weiteres Nahr al-Bared zu schaffen?" Er argumentiert, dass eine Ausweitung der zivilen und wirtschaftlichen Rechte der Flüchtlinge die Risiken einer Radikalisierung verringern und es einfacher machen würde, einen Dialog über weitere ungelöste Themen in Gang zu bringen.

Nach libanesischem Recht werden PalästinenserInnen als staatenlose Flüchtlinge betrachtet, obwohl die allermeisten von ihnen im Libanon geboren sind und dort ihr ganzes Leben verbracht haben. Die meisten qualifizierten Berufe bleiben für sie verboten und ihnen bleibt die Wahl zwischen illegaler Arbeit verbunden mit grossem Ausbeutungsrisiko, Handlangerjobs oder Emigration.

Während der Verhandlungen über die Bürgerrechtsreform wurden Jumblatts ursprüngliche Vorschläge massiv verwässert – vor allem wegen des starken Widerstands der christlichen Parteien. Für Brynen ist das Resultat "eine Enttäuschung." Sari Hanafi, ausserordentlicher Professor an Beiruts American University und palästinensischer Aktivist, urteilt ähnlich: "PalästinenserInnen können darüber alles andere als glücklich sein."

Hanafi erklärt, dass auch nach der 'Reform' PalästinenserInnen noch immer in vielen anspruchsvollen, von Verbänden kontrollierten Berufen, nicht arbeiten dürfen. Obwohl sie zwar nicht mehr durch das Gesetz davon abgehalten werden, leiden sie nun unter der Diskriminierung durch die Verbandsregeln. Viele qualifizierte Berufe bspw. in der Justiz, in der Medizin oder im Baugewerbe bleiben für PalästinenserInnen unzugänglich.

Libanons sogenannte 'Bürgerrechtsreform' ist ihren Namen nicht wert. "Das neue Gesetz wird bloss nützlich sein, wenn es ein erster Schritt zu weiteren Reformen darstellt," sagt Rex Brynen und fährt fort: "Ich befürchte aber, dass es weitere Reformen verhindern wird."

Dieser Bericht wurde von einem unserer AktivistInnen verfasst und hier von der schwedischen Wochenzeitung Arbetaren publiziert.

Mar 31, 2000

bericht: "Tod eines Asylsuchenden stellt Zwangsausschaffungen in Frage"

2010-03-31
[en] [es]
Menschenrechtsorganisationen fordern eine unabhängige Untersuchung zum Tod eines nigerianischen Asylsuchenden während seiner Deportation. Manche fordern einen gänzlichen Verzicht auf Zwangsausschaffungen.

Der sechste Sonderflug des Jahres 2010, mit dem am Abend des 17. März 16 Nigerianer hätten abgeschoben werden sollen, verließ den Boden nie. Unter den Ausschaffungshäftlingen war der 29-jährige Alex Uzowulu*, dessen Asylgesuch abgelehnt worden war. Gemäß der Kantonspolizei Zürich weigerte sich Uzowulu das Flugzeug zu besteigen und "konnte nur unter Anwendung von Gewalt gefesselt werden." Über seinen Kopf wurde eine Art Helm gestülpt. Die Polizei erklärte, dass er im Anschluss "plötzlich gesundheitliche Probleme" zeigte. Darauf seien seine Fesseln gelöst worden, aber Reanimationsversuche scheiterten.

Der Direktor des Bundesamts für Migration (BfM), Alard du Boys-Reymond, war während der Ausschaffung zufällig vor Ort. Gegenüber dem Schweizer Fernsehen sagte er, die Polizei habe "das sehr professionell gehandhabt." Augenzeugen werfen den Beamten allerdings Brutalität vor und beschuldigen sie, sich "wie Tiere" aufgeführt zu haben. Nach Uzowulus Tod stoppte das BfM Deportationsflüge bis auf Weiteres.

Uzowulu ist bereits der dritte Todesfall innerhalb von elf Jahren im Zusammenhang mit Zwangsausschaffungen durch die Schweiz. 1999 erstickte ein palästinensischer Asylsuchender nachdem er gefesselt und mit Klebeband geknebelt wurde. Zwei Jahre später starb ein Asylsuchender in Ausschaffungshaft, als er von Polizisten auf den Boden gedrückt wurde.

Eine erste Autopsie durch das Institut für Rechtsmedizin der Universität Zürich ergab keine klaren Aufschlüsse über die Ursachen von Uzowulus Tod. Die Behörden gaben zu, der Nigerianer sei vor der Abschiebung während einigen Tagen im Hungerstreik gewesen. Mithäftlinge behaupten aber, der junge Mann habe für viel längere Zeit das Essen verweigert.

Du Boys-Reymond sagte, es sei nicht wichtig, ob der Ausschaffungshäftling zuvor im Hungerstreik war. Wichtig sei, dass er vor der Abschiebung als gesund erklärt wurde. Generell sollte es "so sein, dass nur gesunde Personen ausgeschafft werden," hielt er fest. Christoph Hugenschmidt, Sprecher der Menschenrechtsgruppe augenauf, bezichtigt du Boys-Reymond der Heuchlerei. "Wir haben dutzende Fälle dokumentiert, in denen Kranke oder ungesunde Personen deportiert wurden," sagt er.

In ihrer Pressemitteilung schrieb die Kantonspolizei Zürich, Uzowulu sei "polizeilich wegen Drogenhandels verzeichnet" gewesen. Hugenschmidt ist entrüstet: "Was soll das bedeuten? Er wurde nie wegen Drogenhandels verurteilt!" Der Menschenrechtsaktivist beschuldigt die Polizei des Rufmords und der Diffamierung zwecks Legitimierung des Todes des Nigerianers.

In der Stadt Zürich und vor dem Ausschaffungsgefängnis fanden seit Uzowulus Tod mehrere Demonstrationen statt. Als 150 Personen eine Kundgebung vor dem Abschiebegefängnis am Flughafen Zürich abhielten, wurden sie von Häftlingen über einen Hungerstreik informiert. Das Amt für Justizvollzug ließ verlauten, dass höchstens zehn Häftlinge hungerten. Die Insassen des Gefängnisses riefen aber aus ihren Zellenfenstern, dass mittlerweile Dutzende im Hungerstreik seien.

Cristina Anglet vom Solinetz in Zürich besucht die Inhaftierten im Flughafengefängnis regelmäßig. Die Schweiz, welche bislang die Schengen-Normen nicht vollständig umgesetzt hat, kann abgewiesene Asylsuchende für bis zu zwei Jahre einsperren. Anglet sagt, dass sicher mehr als zehn Personen im Hungerstreik gewesen seien: "Auf dem vierten Stock, wo vor allem AfrikanerInnen einsitzen, wiesen praktisch alle das Essen zurück. Zusätzlich hungerten einige Leute auf der zweiten Etage."

Hugenschmidt sagt, im zweiten Stock hätten neun Personen das Essen unangetastet zurückgegeben. Das Gefängnis beherbergt gegenwärtig 93 Häftlinge. Hugenschmidt ist entsetzt darüber, dass die Behörden den Hungerstreik herunterzuspielen versuchten. "Jemand ist eventuell gerade an den Folgen eines Hungerstreiks gestorben. Dann – einige Tage später – kam es erneut zu Essensverweigerungen. Und die Behörden versuchten es zu negieren!" Am 29. März gab das zürcherische Amt für Justizvollzug bekannt, der Hungerstreik sei zu Ende.

Verschiedene Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty International und mehrere linke und grüne Kantonalparteien verlangen eine unabhängige Untersuchung von Uzowulus Tod. Balthasar Glättli ist Geschäftsführer von Solidarité sans frontières (Sosf). Die Organisation setzt sich für die Anliegen und Rechte von Flüchtlingen ein. Glättli würde es lieber sehen, wenn eine internationale Institution wie der UNO-Ausschuss gegen Folter ermitteln würde. "Die Staatsanwaltschaft ist dafür die falsche Stelle, weil sie viel zu enge Beziehungen zur Polizei unterhält."

Als Schengen-Staat muss die Schweiz die Rückführungsrichtlinie der Europäischen Union umsetzen. Diese beinhaltet die Einrichtung eines Systems zur Überwachung von Zwangsausschaffungen bis im Frühling 2011. Amnesty International verlangt, dass keine Abschiebungen ohne Begleitung durch unabhängige Beobachtungspersonen mehr durchgeführt werden.

Glättli bleibt demgegenüber skeptisch: "Überwachung macht nur Sinn, wenn die BeobachterInnen während des ganzen Prozesses anwesend sein können. Besser wäre, wenn Ausschaffungshäftlinge von Anwälten begleitet würden, welche sie juristisch repräsentieren und verteidigen könnten." Das grundsätzliche Problem sei damit aber nicht gelöst, sagt Glättli. Er fordert einen gänzlichen Verzicht auf Zwangsabschiebungen.

Glättli sagt, dass Häftlinge während Zwangsausschaffungen oft gefesselt würden. "Damit nehmen die Behörden bewusst in Kauf, dass Menschen sterben." Sosf ist der Meinung, dass "das Recht auf körperliche Unversehrtheit und der Schutz vor im schlimmsten Fall tödlichen Zwangsmassnahmen [...] in jedem Fall höher gewichtet werden [müssen] als der Wunsch der Schweiz, Personen von ihrem Territorium zu entfernen."

*UPDATE: Über die Identität des verstorbenen Nigerianers herrscht Unklarheit. 'Alex Uzowulu' ist wohl nicht sein richtiger Name. Es scheint, dass der 29-Jährige einen falschen Namen benutzte. Gemäss Recherchen der African Mirror Foundation lautet sein richtiger Name Joseph Ndukaku Chiakwa.

Dieser Bericht wurde von Ray Smith verfasst. Die englische Originalversion des Beitrags wurde hier von IPS Inter Press Service veröffentlicht.

Mar 12, 2000

bericht: "Unerfüllte Versprechen in Nahr al-Bared"

2010-03-12
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Nachdem das palästinensische Flüchtlingslager Nahr al-Bared in einem Krieg 2007 völlig zerstört wurde, versprach die libanesische Regierung den 30.000 Flüchtlingen einen schnellen Wiederaufbau und die Rückkehr ins Camp. Zweieinhalb Jahre danach hat sie noch immer nicht Wort gehalten und das Flüchtlingslager ist nach wie vor im Griff der libanesischen Armee.

„Nahr al-Bared wurde nicht zerstört, um wieder aufgebaut zu werden. Es wurde zerstört und das war's. Ich will auswandern!“ Das sind die Worte von Marwan Hamed, einem 30-jährigen Palästinenser, der gegenwärtig in einer 18 Quadratmeter großen Baracke, einem sogenannten temporary shelter am Rande des Flüchtlingslagers Nahr al-Bared im Nordlibanon wohnt. Nachdem er im Mai 2007 in eine Schule im nahen Beddawi Camp geflohen war, kehrte er im Frühjahr 2008 nach Nahr al-Bared zurück. Nach knapp zwei Jahren hat Hamed die Hoffnung verloren, dass das Camp wieder aufgebaut wird, seine Lebensbedingungen sich verbessern und er einen Job findet.

Im Mai 2007 brach in Nahr al-Bared eine 15-wöchige Schlacht zwischen der nicht-palästinensischen militanten Gruppe Fatah al-Islam und der libanesischen Armee (LAF) aus. Die Kämpfe kosteten 54 ZivilistInnen sowie rund 400 Soldaten und Militanten das Leben. Das Flüchtlingslager wurde komplett zerstört und als es unter ausschließlicher Kontrolle der LAF war, wurden Häuser niedergebrannt, in die Luft gesprengt und systematisch geplündert.

Bereits während des Kriegs machte der frühere libanesische Ministerpräsident Fouad Siniora den Flüchtlingen drei Versprechen: „Euer Exil wird temporär, eure Rückkehr definitiv und der Wiederaufbau Nahr al-Bareds sicher sein.“ Die Bereitschaft der Regierung, Nahr al-Bared wiederaufzubauen ist angesichts der konfliktreichen Vergangenheit der palästinensischen Flüchtlinge im Libanon bemerkenswert. Flüchtlingslager wie Tell az-Zataar oder Jisr al-Basha, im Bürgerkrieg zerstört, wurden nie wieder aufgebaut und die Ablehnung der permanenten Ansiedlung der palästinensischen Flüchtlinge im Land bleibt nach wie vor einer der wenigen Konsense in Libanons politischer Arena.

Nachdem die Regierung im Februar 2008 gemeinsam mit der UNO-Agentur für Palästina-Flüchtlinge (UNRWA) und der grassroots-Kommission für den Wiederaufbau Nahr al-Bareds (NBRC) einen Masterplan für den Wiederaufbau präsentierte, wurde im Juni desselben Jahres in Wien eine Geberkonferenz abgehalten. In einem Dokument skizziert die libanesische Regierung ihre Strategie und betont, das Flüchtlingslager werde „nicht zu seinem vorherigen sozialen und politischen Status zurückkehren, welche seine Übernahme durch Terroristen begünstigte.“

Bei jeder sich bietenden Gelegenheit versicherte Ministerpräsident Siniora, das einst wieder aufgebaute Camp werde langfristig unter Kontrolle des libanesischen Staats und seiner Sicherheitskräfte kommen und zu einem 'Modell-Camp' für die anderen elf palästinensischen Flüchtlingslager im Land werden. In der Barackensiedlung Nahr al-Bareds ist derweil Zynismus und Frustration greifbar. Marwan Hamed etwa fragt zornig: „Nahr al-Bared soll ein Modell werden? Ein Modell für was denn? Für Arbeitslosigkeit, Depression und Verweigerung?“

Etwa zwei Drittel der EinwohnerInnen des Flüchtlingslagers lebten einst im Kern Nahr al-Bareds, der total zerstört wurde. Nach der Räumung des größten Teils des Schutts wurde im Frühling 2009 der Grundstein für den Wiederaufbau gelegt. Dieser begann effektiv aber erst im November, da im Sommer ein Moratorium des libanesischen Staatsrats alle Arbeiten blockierte. Damals, als politische Machtspiele die Bildung der neuen Regierung verzögerten, missbrauchte der Chef der „Freien Patriotischen Bewegung“, Michel Aoun, den Fund antiker Ruinen unter Nahr al-Bareds Schutt und reichte Einsprache ein. Der Wiederaufbau verspätete sich zudem wegen den unzähligen Blindgängern und aus weiteren Gründen.

Charlie Higgins, Projektmanager für den Wiederaufbau Nahr al-Bareds der UNO-Agentur für Palästina-Flüchtlinge warnt: „Wir haben gerade die Startlinie überquert und es dauerte lange, um überhaupt zur Startlinie zu gelangen.“ In den improvisierten Büros der NBRC tönt es ebenso vorsichtig. Abu Ali Mawed, ein Mitglied der Kommission, sagt die Leute seien alles andere als optimistisch. „Es gab zu viele unerfüllte Versprechen und der Prozess kommt kaum voran.“ Mawed ergänzt, optimistische Gefühle kämen ihm erst hoch, wenn er die ersten Menschen in ihren neuen Häusern wohnen sehe.

In der streng bewachten Operationsbasis der UNRWA in Tripoli sagt Projektleiter Higgins, nicht das Lösen technischer Probleme sei das Schwierigste, sondern die Bewältigung administrativer, rechtlicher und politischer Hürden. „Der Wiederaufbau Nahr al-Bareds ist hierzulande keineswegs ein von allen akzeptiertes Unterfangen. Es gibt Leute, die das Projekt ablehnen,“ sagt er und warnt vor weiteren Komplikationen in der Zukunft.

Eines der anstehenden Probleme ist finanzieller Art. Der UNRWA ist es bislang bloß gelungen, einen Drittel der für den Wiederaufbau benötigten 328 Mio. Dollar einzutreiben. „Dies überrascht uns nicht und hält uns auch nicht davon ab voranzuschreiten,“ sagt Charlie Higgins. Er ist optimistisch, dass der UNRWA mehr Geld zufließen werde, sobald die Sponsoren die ersten Häuser stehen sehen.

Für Amr Saededine, einen unabhängigen Journalisten der die Entwicklungen in Nahr al-Bared verfolgt, stellt die Armee das Hauptproblem dar. „Die Regierung erlaubte dem Militär sogar in den Planungsprozess einzugreifen.“ Er fühlt sich an das 19. Jahrhundert erinnert, als der französische Baron Haussmann auf Anweisung von Napoleon III den Umbau Paris' entwarf: Die LAF betrachten Nahr al-Bared bloss aus dem Blickwinkel der Sicherheit. Saededine sagt, die LAF hätten erfolglos versucht, den Bau von Balkonen zu verbieten, doch – wie Israel es im Flüchtlingslager tat – darauf insistiert, dass die Straßen breit genug würden, damit sich Panzer problemlos bewegen könnten. Der Journalist beschuldigt die involvierten zivilen Stellen auf der libanesischen Seite sich hinter den LAF zu verstecken. „All diese Planer und Architekten müssen alles von der Armee absegnen lassen. Aber es geht hier doch um ein ziviles Gebiet und um nichts anderes!“

Die LAF haben Nahr al-Bared zur Militärzone erklärt. Die Armee hat den planierten Kern des Flüchtlingslagers abgeschottet und kontrolliert und beschränkt den Zugang in das umliegende Gebiet, wo sich mittlerweile 20.000 Flüchtlinge temporär aufhalten. Ohne Spezialbewilligungen des Armeegeheimdienstes ist es nicht möglich, Nahr al-Bared zu betreten. Journalisten bleibt der Zugang entweder verwehrt oder sie werden auch Schritt und Tritt von Soldaten begleitet - welche selbst während Interviews den Raum nicht verlassen.

Die Trennung Nahr al-Bareds von den umliegenden libanesischen Dörfern beeinträchtigt nicht nur die interkommunalen Beziehungen negativ, sondern behindert auch die wirtschaftliche Erholung des Flüchtlingslagers. LibanesInnen bildeten vor dem Krieg etwa die Hälfte der Kundschaft. Sie profitierten von den tiefen Preisen und der Möglichkeit, bei den palästinensischen HändlerInnen Schulden zu machen. Seit Herbst 2007, als die ersten Flüchtlinge ins Camp zurückkehren durften, haben viele Kleinbetriebe eröffnet. Diese oberflächlich positive Erscheinung täuscht allerdings.

In Jar al-Qamr, einem Quartier am südlichen Endes des Camps, beschwert sich eine ältere Frau, die einen kleinen Lebensmittelladen betreibt. „Am Anfang war ich alleine. Jetzt haben in dieser Straße mehrere Läden eröffnet und ich verkaufe viel weniger.“ Ähnliche Klagen können überall in Nahr al-Bared gehört werden, da es Lebensmittelläden, Straßencafés, Bäckereien und Sandwich-Restaurants im Überfluss gibt. Die palästinensisch-arabische Frauenliga (PAWL) unterstützt HändlerInnen mit Sachleistungen. Sahar Itani, die Projektkoordinatorin, weist darauf hin, dass der Markt mittlerweile gesättigt und die Kundenbasis auf jene beschränkt sei, die innerhalb des eingezäunten Flüchtlingslagers lebten.

Am Ende der Straße in Jar al-Qamr verbrachten Rima Ghannam und ihr Ehemann die letzten beiden Jahre mit dem Wiederaufbau ihrer zerstörten, völlig geplünderten und teilweise abgebrannten Schreinerei. Kleine Unternehmen wie dieses waren in Nahr al-Bared weit mehr verbreitet als in anderen Flüchtlingslagern. Vor dem Krieg gab es keine Zugangsrestriktionen und der Handel war ertragreich. Ghannam zeigt stolz auf die neuen Maschinen in der Werkstatt und sagt: „Wir es so wieder aufgebaut wie es früher war. Das Problem ist aber, dass wir unsere Erzeugnisse in einer großen Galerie und nicht in einem kleinen Raum ausstellen sollten um dann zu warten, bis jemand kommt und etwas kauft.“

Rima Ghannam erklärt, die Verwendung billigerer Rohmaterialien und der stückweise Verkauf sei problematisch. „Wenn es möglich wäre, zur Produktion ganzer Kollektionen von Betten und Möbeln zurückzukehren würde sich unsere Lage sicherlich verbessern.“ Unter großen Schulden leidend und von der Kundschaft abgeschnitten hofft sie, dass die Armee die Checkpoints öffnen und den Verkehr zur nahen Autostraße, welche Tripoli mit der syrischen Grenze verbindet, erleichtern wird.

Die LAF lassen derweil verlauten, ihre Sicherheitsmaßnahmen „dienen vor allem dem Schutz der Leute durch die Prävention der Infiltration durch Terroristen oder zur Verhaftung ausgeschriebener Personen und der Unterbindung des Schmuggels von Waffen, Sprengstoff und illegalem Material.“ In Kontrast dazu bezeichnet Charlie Higgins von der UNRWA die Sicherheitsmaßnahmen der libanesischen Armee als ein „signifikantes Hindernis hinsichtlich des Wiederaufbaus des Camps in jedem Sinne.“ Er beschreibt die wirtschaftliche Situation als „festgefahren.“

Im Oktober hoben die LAF die Bewilligungspflicht für libanesische StaatsbürgerInnen auf. Diese können das Flüchtlingslager nun mit ihrem normalen Ausweis betreten. Trotzdem hat die Anzahl libanesischer KundInnen kaum zugenommen, weil sie lange Wartezeiten, Kontrollen und Befragungen am Abdi-Checkpoint, dem einzigen den sie passieren dürfen, erdulden müssen. Mehrere LibanesInnen berichteten, dass sie wieder ihre alten Bewilligungen verwenden, da damit der Zugang schneller und einfacher sei.

In Nahr al-Bared schalten und walten Armee und Geheimdienst nach eigenem Belieben. Die Flüchtlinge vermeiden es mittlerweile, öffentlich und ausführlich über die Sicherheitskräfte oder den libanesischen Staat zu sprechen. Der Geheimdienst hat die schwierige Situation der Flüchtlinge dazu missbraucht, zahlreiche InformantInnen zu rekrutieren – vor allem Frauen – deren Dienste vor allem mit Telefonkarten vergolten werden.

Neulich haben die ISF, die libanesische Polizei, am nördlichen Endes des Camps einen Posten errichtet. Die gegenwärtige Rolle der ISF scheint aber auf Straßenpatrouillen beschränkt zu sein. Marwan Abdulal, Chef der Volksfront für die Befreiung Palästinas (PFLP) und Verantwortlicher für den Wiederaufbau Nahr al-Bareds der Palästinensischen Befreiungsorganisation (PLO) sagt, „das Problem ist, dass die libanesische Armee trotz der Ankunft der ISF präsent geblieben ist.“ Er verlangt den Abzug der Armee und dass Nahr al-Bared nicht länger als Militärzone gilt sondern als ziviles Gebiet betrachtet wird.

Die zukünftigen Sicherheitsmaßnahmen in Nahr al-Bared werden gegenwärtig heftig debattiert. Die libanesische Regierung beabsichtigt, das Camp unter staatlicher Obhut zu behalten und das angelsächsische Modell des community policing einzuführen. Die USA sponsern zurzeit ein 6-Mio. Dollar teures Programm zum Training der ISF. Der Journalist Amr Saededine findet die Idee absurd. „Es kommt aus heiterem Himmel und sie wollen Nahr al-Bared zu einem Testfeld machen. Das Konzept wird weder im Libanon noch sonst wo in der Region angewendet.“ Er argumentiert, die Regierung priorisiere die Umsetzung des community policing, anstatt einen Dialog mit den PalästinenserInnen zu führen und ein Abkommen auszuhandeln.

Derweil zieht es die PLO vor, die palästinensische Selbstverwaltung aufrecht zu erhalten und das Volkskomitee des Camps zu reformieren. Sie schlägt vor, eine eigene Polizei zu bilden, welche mit dem Volkskomitee und den ISF koordiniert, während letzterer aber außerhalb des Flüchtlingslagers stationiert ist. Der PLO-Delegierte Abdulal, der selbst in Nahr al-Bared wohnt, glaubt nicht, dass direkte libanesische Sicherheitskontrolle über das Camp funktionieren würde. „Solange das Gesetz diskriminierend bleibt, aber angewandt werden soll, ist das Experiment zum Scheitern verurteilt.“

In der Tat, die Anwendung des gegenwärtigen libanesischen Gesetzes in Nahr al-Bared würde bedeuten, dass die ISF sozusagen alle Leute zu verhaften hätte, sagt Saededine. „PalästinenserInnen ist es untersagt, Eigentum zu besitzen, in vielen Berufen tätig zu sein, Geschäfte zu eröffnen usw.“ Offensichtlich würde die Anwendung libanesischen Rechts in den Flüchtlingslagern bedeuten, dass eine seriöse Diskussion über Bürgerrechte für PalästinenserInnen im Libanon geführt werden müsste. In keinem anderen arabischen Land werden PalästinenserInnen rechtlich derart stark diskriminiert wie im Libanon.

Für Abdulal ist klar, „es ist unmöglich Sicherheit im Libanon (state security) zu erreichen, ohne den PalästinenserInnen menschliche Sicherheit (human security) zu garantieren. PalästinenserInnen müssen Bürgerrechte erhalten.“ In einem positiven Schritt wurde 2005 das libanesisch-palästinensische Dialogkomitee (LPDC) vom libanesischen Ministerrat ins Leben gerufen. Das Mandat dieser Institution besteht aus der Verbesserung der Lebensbedingungen der 250.000 palästinensischen Flüchtlinge im Libanon. Bis heute blieb der Einfluss des LPDC allerdings marginal und Schlüsselthemen wie die Abschaffung der Diskriminierung von PalästinenserInnen auf dem libanesischen Arbeitsmarkt wurden nicht ernsthaft angepackt.

Nahr al-Bareds Wiederaufbau ist ein enorm politisches Unterfangen und alle involvierten Parteien betrachten es als eng verknüpft mit der Zukunft der palästinensischen Flüchtlinge im Libanon und deren Beziehungen zu ihrem Gastland. Es gibt Chancen und tatsächlich scheinen einige libanesische politische Akteure für einen Paradigmenwechsel bereit. Trotzdem verbleiben zahlreiche Hindernisse und die Entwicklungen in Nahr al-Bared während der letzten zweieinhalb Jahren deuten auf eine fortwährende Hegemonie von Sicherheitsdenken hinsichtlich der PalästinenserInnen hin – entgegen all den netten Worten und schönen Versprechen.

Dieser Bericht wurde von Ray Smith verfasst und in der schwedischen Wochenzeitung Arbetaren veröffentlicht.

bericht: "unerfüllte versprechen in nahr al-bared"

2010-03-12
[en]
nachdem das palästinensische flüchtlingslager nahr al-bared in einem krieg 2007 völlig zerstört wurde, versprach die libanesische regierung den 30.000 flüchtlingen einen schnellen wiederaufbau und die rückkehr ins camp. zweieinhalb jahre danach hat sie noch immer nicht wort gehalten und das flüchtlingslager ist nach wie vor im griff der libanesischen armee. (...) [weiterlesen]

Jan 18, 2000

bericht: "Libanesische Armee behindert Wiederaufbau Nahr al-Bareds"

2010-01-18
[en] [fr]
Der Wiederaufbau in Verzug, der Zugang limitiert, das Gebiet eine Militärzone und Arbeitslosigkeit weit verbreitet: Mehr als zwei Jahre nach Ende der Kämpfe präsentiert sich das palästinensische Flüchtlingslager Nahr al-Bared im Libanon nicht als jenes Vorbild, zu welchem die libanesische Regierung es zu machen versprach.

Ein 15 Wochen dauernder Krieg im Sommer 2007 hinterließ Nahr al-Bared Camp im Norden Libanons völlig zerstört. Bislang sind rund zwei Drittel der 30.000 EinwohnerInnen in die äußeren Bereiche des Flüchtlingslagers zurückgekehrt. Einer von ihnen ist Jihad Awed, der gelangweilt vor seinem kleinen Kleiderladen sitzt und PassantInnen beobachtet. An die guten Zeiten vor dem Krieg erinnernd sagt er, sein Geschäft sei größer gewesen und er hätte eine größere Auswahl von Produkten gehabt: „Es lief gut und ich konnte davon leben. Ich machte 130 bis 200 Dollar Umsatz täglich.“

Als er nach dem Krieg nach Nahr al-Bared zurückkehrte, versuchte sich Awed als Schuhhändler, doch sein Geschäft scheiterte. Darauf hin verschacherte er den Heiratsschmuck seiner Frau und eröffnete einen Kleiderladen, dessen täglicher Umsatz sich gerade mal auf 30 Dollar beläuft. „Ich kann davon nicht leben,“ sagt Awed kopfschüttelnd und erklärt: „Die Ladenmiete beträgt monatlich 100 Dollar. Ich kaufe Zigaretten und Kaffee und die Einkünfte sind weg.“

Charlie Higgins ist der Projektmanager für den Wiederaufbau Nahr al-Bareds der UNO-Agentur für Palästina-Flüchtlinge (UNRWA). Er beschreibt die wirtschaftliche Situation in Nahr al-Bared als „festgefahren“ und ergänzt: „Seit Kriegsende hat sich nicht viel geändert. Weder hat sich die Wirtschaft regeneriert, noch hat sich die Beschäftigungssituation markant verbessert.“ Higgins erklärt, dass die Leute nach wie vor in einer temporären Umgebung lebten und zum Teil noch gar nicht nach Nahr al-Bared zurückgekehrt seien. Zusätzlich habe das Flüchtlingslager seine Verbindungen zu den libanesischen Nachbardörfern verloren. Die Worte vorsichtig wählend sagt Higgins: „Das Gebiet liegt nach wie vor innerhalb eines Militärgürtels, was die Wiederherstellung der einst engen Integration reguliert und zu einem gewissen Grad verhindert.“

Tatsächlich machen viele Ladenbesitzer in Nahr al-Bared die mangelnde Kundschaft von außerhalb für ihre aussichtslose Situation verantwortlich. Nasser Nassar, der Gasflaschen abfüllt und verkauft, schimpft: „Die Checkpoints und die Belagerung sind das größte Problem.“ Er sagt, libanesische Käufer präferierten nun Geschäfte außerhalb des Flüchtlingslagers. „Wieso sollten sie ins Camp kommen, wozu sie Bewilligungen benötigen und von der Armee durchsucht und geprüft werden?“ fragt Nassar verständnisvoll.

Anders als andere palästinensische Flüchtlingslager im Libanon war Nahr al-Bared einst ein wirtschaftliches Zentrum für die gesamte Region. Die Hälfte der Kundschaft war libanesisch. Als der Krieg endete, blieb der total zerstörte Kern des Camps wie auch das größtenteils palästinensisch-besiedelte angrenzende Gebiet unter Kontrolle der libanesischen Armee (LAF). Zugang ist bloß mit Spezialbewilligungen des Armeegeheimdienstes möglich.

Diverse Hilfsorganisationen haben versucht, Nahr al-Bareds Wirtschaft wieder auf die Beine zu kriegen. Viele Projekte bleiben aufgrund der äußeren Bedingungen aber relativ wirkungslos. Première Urgence (PU) hat 220 UnternehmerInnen materiell unterstützt. Julien Mulliez, Projektleiter von PU sagt, die Regeneration der Wirtschaft werde durch die gegenwärtigen Zugangsbedingungen zu Nahr al-Bared gefährdet: „Der Zugang unterliegt vorgängiger Autorisierung. Dies resultiert in einer kleineren Anzahl KundInnen, die das Camp besuchen.“

Die palästinensisch-arabische Frauenliga (PAWL) hat fünf ähnliche Projekte durchgeführt. Sahar Itani, Programmkoordinatorin der PAWL ist wenig optimistisch, was die Nachhaltigkeit der unterstützten Unternehmen angeht. „Wegen der begrenzten Kundenbasis haben wir eine Art Sättigung des Marktes erreicht,“ erklärt sie.

Der Kleiderhändler Awed klagt, dass die Verkäufer im Camp einander gegenseitig ihre Produkte verkaufen, während alle untätig herum sitzen. „Das Geld zirkuliert am selben Ort. Nichts kommt herein,“ sagt er. Hassan Mawed, der Präsident von Nahr al-Bareds Händlerkomitee, schätzt, dass LibanesInnen gegenwärtig weniger als fünf Prozent der Kundschaft ausmachen. „Dies ist viel zu wenig, um Nahr al-Bareds Wirtschaft ernsthaft anzukurbeln,“ urteilt er.

Sakher Sha'ar ist ein Coiffeur in Nahr al-Bareds früherer Hauptstraße. Es mangelt ihm an Arbeit: „Es gibt hier 29 Salons. Solange niemand von außerhalb hereinkommen kann, sind 29 zu viele für das Camp.“ Einige Häuserzeilen entfernt rasiert Salim Mawed gerade einen Kunden. Er sagt, er setze gegenwärtig rund 20 Dollar pro Tag um. Früher, als er seinen eigenen Salon besaß, seien es ungefähr 35 Dollar gewesen. „Jetzt muss ich Miete für den Salon und die Arbeitsutensilien bezahlen. Am Ende bleibt nichts übrig,“ sagt der junge Coiffeur.

Vor dem Krieg waren zwei Drittel der werktätigen Bevölkerung Nahr al-Bareds innerhalb des Camps beschäftigt. Außerhalb der Flüchtlingslager zu arbeiten ist für PalästinenserInnen schwierig, da sie auf dem libanesischen Arbeitsmarkt arg diskriminiert werden. Die Arbeitslosigkeit hat daher den Auswanderungswillen vieler verstärkt, sagt Salim Mawed: „Gäbe man uns die Möglichkeit zur Emigration - niemand bliebe. Ich wäre der erste. Ich würde alles zurücklassen.“

Seit Mitte Oktober erlaubt die Armee libanesischen StaatsbürgerInnen, das Camp ohne Spezialbewilligungen zu betreten, allerdings nur durch den Abdi-Checkpoint am nördlichen Ende des Camps. Die angeblichen Erleichterungen der LAF haben allerdings weder mehr libanesische Kundschaft angelockt, noch den Zugang zum Camp vereinfacht.

Ein Journalist, der seinen Namen nirgends publiziert sehen will, fuhr neulich mit einem libanesischen Freund nach Nahr al-Bared. Er erinnert sich: „Wir zählten elf Befehle und Fragen, um zehn Meter vorwärts zu kommen: 'Euren Ausweis! Steigt aus! Parkt!'“ Es sei schlimm, sagt der Journalist und ruft aus: „Dies ist ein Wohngebiet, keine Armeebasis! Dies ist eine kollektive Bestrafung der Bevölkerung.“

Eine anonym bleiben wollende libanesische Angestellte einer in Nahr al-Bared tätigen Nichtregierungsorganisation sagt, sie benütze noch immer ihre Spezialbewilligung, auch wenn sie mittlerweile ohne durch die Checkpoints gehen könne. Dies sei einfacher und schneller: „Ich verbringe lieber 20-30 Minuten mehr in unserem Büro und helfe Leuten, als dieselbe Zeit am Checkpoint zu verschwenden, bis mein Name geprüft ist,“ sagt die Frau.

Die libanesische Regierung beabsichtigt, das einst wieder aufgebaute Flüchtlingslager zu einem Modell für bessere Beziehungen zwischen den PalästinenserInnen und ihrem Gastland zu machen. Hassan Mawed nerven diese Versprechen mittlerweile. Mit anschwellender Stimme fragt er: „Ein Modell für was denn? Ein Modell für ein Gefängnis? Für eine Belagerung, Checkpoints und Erniedrigung? Es sollte ein Modell sein, welches uns Freiheit und Rechte, insbesondere auf Arbeit und Eigentum, gibt!“

Charlie Higgins von der UNRWA betrachtet die Sicherheitsmaßnahmen der LAF als „signifikantes Hindernis für die Erholung des Camps in jedem Sinn.“ Der Verantwortliche der Palästinensischen Befreiungsorganisation (PLO) für den Wiederaufbau Nahr al-Bareds, Marwan Abdulal, verlangt den Rückzug der libanesischen Armee und stellt klar: „Die grundsätzliche Bedingung für die Wiederherstellung der Wirtschaft und des sozialen Lebens ist der Abbau der Checkpoints oder wenigstens die Abschaffung der Bewilligungen.“

Als Reaktion auf zunehmende Beschwerden von EinwohnerInnen, Medienberichten, lokalen Organisationen, Parteien und internationalen Hilfsorganisationen rechtfertigten sich die LAF neulich in einer öffentlichen Erklärung: „Die Sicherheitsmaßnahmen dienen primär der Erhaltung der Sicherheit der Menschen, indem die Infiltration von Terroristen und zur Verhaftung ausgeschriebenen Leuten sowie der Schmuggel von Waffen, Sprengstoff und illegalem Material verhindert wird.“

Dieser Bericht wurde von einem unserer AktivistInnen verfasst. Die englische Originalversion des Beitrags wurde hier von Electronic Lebanon veröffentlicht.

bericht: "libanesische armee behindert wiederaufbau nahr al-bareds"

2010-01-18
[en] [fr]
der wiederaufbau in verzug, der zugang limitiert, das gebiet eine militärzone und arbeitslosigkeit weit verbreitet: mehr als zwei jahre nach ende der kämpfe präsentiert sich das palästinensische flüchtlingslager nahr al-bared im libanon nicht als jenes vorbild, zu welchem die libanesische regierung es zu machen versprach. (...) [weiterlesen]

bericht: "Neues Sicherheitsmodell für Flüchtlingslager stößt auf Ablehnung"

2010-01-18
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Die jüngsten Auseinandersetzungen im Flüchtlingslager Ain al-Hilweh haben erneut die fragile Sicherheitslage in einigen palästinensischen Camps im Libanon offenbart. Die Pläne der Regierung, die Sicherheit in den Camps zu übernehmen, werden aber von den PalästinenserInnen abgelehnt.

Das neue Jahr hatte kaum begonnen, als automatisches Gewehrfeuer und Panzerfäuste Ain al-Hilweh Camp in den Außenbezirken der libanesischen Küstenstadt Saida erschütterten. Der jüngste Konflikt wurde ausgelöst als Kämpfer der militanten islamistischen Gruppierung Jund ash-Sham ein Büro der Fatah-Partei im Camp angriffen. Die Kampfhandlungen wurden eingedämmt und schließlich eingestellt, als das lokale Sicherheitskomitee ins Geschehen eingriff.

Ain al-Hilweh und andere Flüchtlingslager beherbergen diverse palästinensische nationalistische Gruppen wie auch islamistische Kräfte, welche die libanesische Regierung als Bedrohung der nationalen Sicherheit und Stabilität wahrnimmt. 2007 lieferten sich eine dieser Gruppen namens Fatah al-Islam und die libanesische Armee (LAF) in Nahr al-Bared Camp, dem nördlichsten aller Flüchtlingslager, eine 15-wöchige Schlacht. Dabei wurde Nahr al-Bared komplett zu Schutt reduziert und 30.000 Menschen mussten fliehen.

Die Mehrheit der 250.000 palästinensischen Flüchtlinge im Libanon lebt in einem der 12 offiziell anerkannten Camps. Das Kairo-Abkommen von 1969 brachte die Flüchtlingslager unter Kontrolle der palästinensischen Befreiungsorganisation (PLO) und untersagt libanesischen Sicherheitskräften den Zugang.

Obwohl die libanesische Regierung Ende der 80er-Jahre das Kairo-Abkommen aufkündigte und damit theoretisch die Kontrolle über die Camps zurückgewann, hat der Staat sich bislang davor gedrückt, seine Autorität direkt auszuüben. In den Flüchtlingslagern kümmern sich seither Volkskomitees um politische Belange, während Sicherheitskomitees als interne Polizei wirken.

Als 2006 Fatah al-Islam nach Nahr al-Bared einsickerte, hatte das Camp allerdings bloß ein schwaches Volkskomitee und kein funktionierendes Sicherheitskomitee. Die palästinensischen Parteien waren uneins und schafften es nicht, die gut ausgerüstete islamistische Gruppe aus dem Flüchtlingslager zu vertreiben – mit bekanntlich fatalen Folgen.

An der internationalen Geberkonferenz für den Wiederaufbau Nahr al-Bareds 2008 in Wien erklärte die libanesische Regierung, das einst rekonstruierte Camp werde „nicht ins gleiche Umfeld und zum sozialen und politischen Status quo ante zurückkehren, welcher die Übernahme durch Terroristen begünstigte,“ sondern unter staatliche Autorität gestellt.

Die Regierung verkündete, die Rechtsstaatlichkeit werde im Flüchtlingslager von den Internal Security Forces (ISF), der libanesischen Polizei, durch sogenanntes community bzw. proximity policing durchgesetzt. Andeutend dass das zerstörte Camp als Experimentierfeld dienen soll, betonte die Regierung, dass Erfolg in Nahr al-Bared das Sicherheitskonzept zur Anwendung in anderen palästinensischen Flüchtlingslagern empfehlen werde.

Im Oktober 2009 tourte eine Delegation von sechs hohen ISF-Beamten durch die USA um die dortige Umsetzung von community policing zu studieren. Der Besuch war Teil eines Programms, welches vom Bureau of Narcotics and Law Enforcement des US-Außenministeriums mit 6 Mio. Dollar gesponsert wird. Das Hilfsprogramm beinhaltet auch den Bau eines Polizeipostens und Ausrüstung wie bspw. Patrouillenfahrzeuge. Seit 2006 hat die amerikanische Regierung Libanon mit mehr als einer halben Milliarde Dollar für Sicherheitszwecke unterstützt.

Community policing ist ein Konzept für Polizeiarbeit in spezifischen, genau definierten Gebieten. In der Theorie baut es auf gegenseitig nutzbringende Beziehungen zwischen der Polizei und den Bürgern und betont die Beteiligung der Gemeinschaft im Lösen von Problemen. Die community police profitiert von der Expertise und den Ressourcen, welche in der Gemeinschaft vorhanden sind.

Der Verantwortliche der PLO für den Wiederaufbau Nahr al-Bareds, Marwan Abdulal, mag die Idee nicht, das Konzept in den Flüchtlingslagern umzusetzen. „Es ignoriert die Besonderheit Libanons und der palästinensischen Präsenz im Land,“ sagt er. Abdulal glaubt nicht, dass direkte libanesische Sicherheitskontrolle über das Camp funktionieren würde. „Solange das Gesetz diskriminierend bleibt, aber angewandt werden soll, ist das Experiment zum Scheitern verurteilt.“

„Das Konzept ist modisch. Das Wort community zieht,“ sagt Amr Saededine, ein unabhängiger Journalist. Er erklärt, beim community policing gehe es vor allem darum, die Leute einander gegenseitig ausspionieren zu lassen und beim Geheimdienst zu verpetzen. Ghassan Abdallah, Generaldirektor der Palestinian Human Rights Organisation (PHRO), weist auf Umfragen hin die zeigen, dass eine große Mehrheit der Flüchtlinge den libanesischen Sicherheitskräften nicht vertraut und dagegen ist, dass diese die Camps kontrollieren.

Beirut und der Regierungspalast sind derweil weit weg von den Ruinen, Trümmern und dreckigen Straßen Nahr al-Bareds. Hier sieht die Realität anders aus. Mehr als zwei Jahre nach dem Krieg sind etwas 20.000 Flüchtlinge zurückgekehrt und leben am Rande des zerstörten Flüchtlingslagers. Sie sind umgeben von Armeeposten, Stacheldraht und fünf Checkpoints. PalästinenserInnen und AusländerInnen werden nur mit vom Armeegeheimdienst ausgestellten Spezialbewilligungen zugelassen.

Der mukhabarat, der Armeegeheimdienst, patrouilliert die Straßen und hat unzählige InformantInnen rekrutiert. In Nahr al-Bared herrscht eine Atmosphäre der Angst. Die Leute vermeiden es, öffentlich und ausführlich über sensible Themen wie den libanesischen Staat oder dessen Sicherheitsapparat zu sprechen.

Vor allem Frauen werden rekrutiert. Ihre Dienste werden meist mit Telefonkarten vergolten. Andere InformantInnen genießen praktische Vorteile wie leichteren Zugang zum Camp. Eine Sozialarbeiterin, die nicht identifiziert werden will, sagt: „Es ist als hätten sie der Gesellschaft einen Virus implantiert, den man kaum mehr los wird.“ Unter Armeekontrolle lebend und in Abwesenheit eines eigenen Sicherheitskomitees sind die EinwohnerInnen Nahr al-Bareds nicht fähig, etwas gegen die InformantInnen und die Infiltration ihrer Gesellschaft zu unternehmen.

Die Kontrolle der Armee über den Alltag „führt dazu, dass manche Leute irgendwann ausrasten werden,“ sagt Sakher Sha'ar, ein Coiffeur in der Hauptstraße Nahr al-Bareds. „Wieso behandeln sie uns derart? Wieso behandeln sie uns nicht wie die EinwohnerInnen der umliegenden libanesischen Dörfer? Wir sind nicht ihre Feinde!“ Viele Flüchtlinge erinnern sich an die sogenannte palästinensische Revolution Ende der 60er-Jahre, welche eine Reaktion auf die jahrzehntelange Unterdrückung durch den damaligen Armeegeheimdienst, das deuxième bureau, darstellte. Der Aufstand begann in Nahr al-Bared.

Vor einigen Monaten errichteten die ISF am nördlichen Ende Nahr al-Bareds einen Polizeiposten. Der PLO-Delegierte Marwan Abdulal begrüßt Schritte, welche die Militärzone in ein ziviles Gebiet zurück verwandeln. Er weist aber auf das Problem hin, „dass die Armee präsent blieb, als die ISF hereinkamen.“ In der Tat haben die ISF im Camp gegenwärtig praktisch keine Funktion. Die Armee ist es, welche die Leute kontrolliert, einschüchtert und verhaftet.

Das libanesische Innenministerium scheint unsicher zu sein, wie die ISF in Nahr al-Bared künftig das Gesetz durchsetzen sollen. „Sie müssten das ganze Camp verhaften,“ sagt der Journalist Amr Saededine. „PalästinenserInnen dürfen kein Eigentum besitzen, in vielen Berufen nicht arbeiten, keinen Laden öffnen, keine NGO gründen usw.“ Ernsthafter Rechtsvollzug in den Flüchtlingslagern durch die ISF bedürfte unweigerlich einer fundamentalen Reform des diskriminierenden libanesischen Gesetzes.

Unter libanesischem Recht werden PalästinenserInnen bislang als staatenlose AusländerInnen betrachtet. Während sie in manchen Berufen gar nicht arbeiten dürfen, benötigen andere eine Arbeitsbewilligung, welche kaum zu kriegen ist. PalästinenserInnen profitieren vom libanesischen Sozialversicherungssystem nicht und es ist ihnen untersagt, Eigentum zu besitzen oder zu erben. Die Flüchtlinge haben zudem keinen Zugang zum libanesischen Gesundheits- und Schulsystem. Sie leiden unter zahlreichen Restriktionen wie bspw. jene betreffend des Häuserbaus.

In Nahr al-Bared geht es nicht bloß um künftige Sicherheitsmechanismen, sondern letztlich auch um die politische Steuerung des Camps. Die PLO hat die Notwendigkeit einer Reform des Volkskomitees realisiert. Abdulal schlägt eine zivile Körperschaft ähnlich einer Gemeindeverwaltung vor, die aus den verschiedenen Parteien und RepräsentantInnen der Zivilgesellschaft besteht.

Was interne Sicherheit angeht, insistiert die PLO auf Selbstverwaltung, um der Absicht der libanesischen Regierung zu entgegnen, community policing einzuführen. Mit Verweis auf das erfolgreiche Modell, welches in Syrien angewandt wird, sagt Abdulal, dass es in Nahr al-Bared eine palästinensische Polizei geben soll, welche dem Volkskomitee angeschlossen ist und mit den ISF koordiniert, während letztere außerhalb des Flüchtlingslagers bleiben.

Ein ähnliches Modell wird bislang auf informeller Basis in den meisten palästinensischen Camps im Libanon praktiziert. Deren Sicherheitskomitees koordinieren mit den libanesischen Behörden und haben dem Staat in verschiedenen Fällen Verdächtigte ausgehändigt. Amr Saededine findet, ein seriöser Versuch, die Themen der Steuerung der Camps und der internen Sicherheit anzugehen, müsste sich zwingend daran orientieren, wie die Gesellschaft ihre Probleme bislang selbst zu lösen pflegte. „Aber einfach so das angelsächsische Konzept des community policing mit einem Fallschirm auf das Camp abzuwerfen, ist irrational.“

Nachdem einige libanesische Medien neulich über einen Blendgranaten-Anschlag im Rashidiyeh Camp im Südlibanon berichteten, beschuldigte sie der Fatah-Vertreter Sultan Abu al-Aynayn, diesen Konflikt zwischen zwei Personen aufzublähen und ihn darzustellen als hätte er eine politische und sicherheitsrelevante Dimension. Er argumentierte, dass dieser konstante Fokus auf PalästinenserInnen als Sicherheitsproblem deren legitime Forderung nach zivilen und sozialen Rechten verdecke.

Für Abdulal ist klar, „es ist unmöglich nationale Sicherheit (state security) im Libanon zu erreichen, ohne den PalästinenserInnen menschliche Sicherheit (human security) zu garantieren. „Es muss ein allgemeines Gefühl von Sicherheit unter den PalästinenserInnen geschaffen werden und zwar im politischen, wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Sinn.“

Im Libanon werden PalästinenserInnen noch immer einzig unter dem Aspekt ihres Gefahrenpotentials betrachtet. In Nahr al-Bared hat die Regierung ihrer Armee erlaubt, eine maßgebliche Rolle im Wiederaufbau-Projekt zu spielen. Sie hat keinerlei Willen gezeigt, die Behandlung der palästinensischen Flüchtlinge durch den Staat zu revidieren und ihre rechtliche Diskriminierung nach mehr als 60-jähriger Präsenz aufzugeben. Gegenwärtige Entwicklungen im Versuchslabor namens Nahr al-Bared deuten eher auf ein einseitiges Aufzwingen direkter Kontrolle über die PalästinenserInnen hin als auf eine „beidseitig nutzbringende Partnerschaft“ zwischen den PalästinenserInnen und ihrem Gastland.

Dieser Bericht wurde von Ray Smith verfasst. Die englische Originalversion des Beitrags wurde hier von IPS Inter Press Service veröffentlicht.

bericht: "neues sicherheitsmodell für flüchtlingslager stößt auf ablehnung"

2010-01-18
[en] [fr]
die jüngsten auseinandersetzungen im flüchtlingslager ain al-hilweh haben erneut die fragile sicherheitslage in einigen palästinensischen camps im libanon offenbart. die pläne der regierung, die sicherheit in den camps zu übernehmen, werden aber von den palästinenserInnen abgelehnt. (...) [weiterlesen]

bericht: "neues sicherheitsmodell für flüchtlingslager stößt auf ablehnung"

[en]
die jüngsten auseinandersetzungen im flüchtlingslager ain al-hilweh haben erneut die fragile sicherheitslage in einigen palästinensischen camps im libanon offenbart. die pläne der regierung, die sicherheit in den camps zu übernehmen, werden aber von den palästinenserInnen abgelehnt. (...) [weiterlesen]

Jan 8, 2000

bericht: "Polizei räumt 'Sans-Papiers'-Schule"

2010-01-08
[en]
Zürichs Stadtpolizei räumte und demolierte am vergangenen Donnerstag eine selbstverwaltete Schule, in der illegalisierte MigrantInnen Sprachkurse besuchten. Derweil schickt die Schweizer Regierung erneut einen Entwurf zur Revision des Asylgesetzes in die Vernehmlassung.

Am Donnerstagmorgen stürmten etwa dreißig PolizistInnen, die Hälfte von ihnen in Kampfmontur, die Autonome Schule Zürich (ASZ). Anwesende Personen und protestierende UnterstützerInnen wurden teilweise mit Pfefferspray auf Distanz gehalten, während Beamte der Stadtpolizei Zürich vorhandenes Material wie Nachschlagewerke, Schulbücher und technische Utensilien beschlagnahmten. Der Pavillon, in dem sich die Schule befand, wurde teilweise beschädigt. Selbst die Fenster wurden entfernt, um das Gebäude unbenutzbar zu machen.

Die ASZ startete ihren Betrieb im ehemaligen Schulhaus Allenmoos II in einem Außenquartier Zürichs letzten April, als AktivistInnen den leerstehenden Pavillon besetzten. Die autonome Schule baute auf Selbstverwaltung. Kurse konnten gratis offeriert und besucht werden. Das Angebot war dementsprechend breit und reichte von Open-Source-Computerkursen bis zu Workshops zu Solarenergie.

Die wohl größte Gruppe, welche die ASZ nutzte, war der Verein 'Bildung für alle', welcher vor einem knappen Jahr von MigrantInnen und AktivistInnen aus antirassistischen Kreisen gegründet wurde, um abgewiesene Asylsuchende zu unterstützen. Das Projekt versteht sich als Widerstand gegen Ausgrenzung, Diskriminierung und Unterdrückung.

Der Lehrer Ruedi Salzmann war Zeuge des Polizeieinsatzes und zeigt sich überrascht: „Wir rechneten damit, bis im Sommer bleiben zu können.“ Tatsächlich hat Zürichs Stadtrat Ende November festgehalten, er dulde die Besetzung und rechne mit deren Ende im Sommer 2010, da dann der Baubeginn für den geplanten Kinderhort sei. Getrieben von finanziellen Überlegungen argumentierte der Stadtrat damals: „Eine Räumung der Liegenschaft zöge erneute Besetzungen nach sich. Sie zu verhindern, würde kostenintensive Sicherungen erfordern.“

Michael Raissig, ein Aktivist des 'Bleiberecht-Kollektivs' sagt, in Zürich würden Räumungen von besetzten Häusern gewöhnlich angekündigt und ein Termin bekannt gegeben. Er sagt, unzählige Freiwillige hätten viel Zeit und Arbeit in das Projekt gesteckt und gesteht: „Es ist ein harter Schlag ins Genick, wenn innerhalb eines Tages plötzlich alles kaputt gemacht wird.“

In der Schweiz leben zwischen 100.000 und 200.000 sogenannte 'Sans-Papiers', papierlose MigrantInnen. Während der letzten paar Jahre hat das kleine Land mit knapp 8 Millionen EinwohnerInnen seine Asylpolitik wiederholt verschärft. Laut dem Bundesamt für Migration stellten vergangenes Jahr rund 16.000 Menschen einen Antrag auf Asyl und etwa 5.000 abgewiesene Personen „reisten aus“ oder wurden „zurückgeführt,“ sprich: deportiert.

Im September 2006 wurde eine mit massiven Verschärfungen gespickte Revision des Asylgesetzes mit 68-Prozent Ja-Stimmen angenommen. Neben anderen Punkten beinhaltete die Revision Änderungen in den Bedingungen, welche zu einem sogenannten 'NEE', einem 'Nichteintretensentscheid' führen: Auf Asylgesuche sollte künftig nur noch eingetreten werden, wenn der Antragsteller ein gültiges Ausweisdokument wie beispielsweise einen Reisepass vorweisen kann. Während manche MigrantInnen zwar absichtlich keine Identitätspapiere auf sich tragen, flüchteten andere vor repressiven Regimen in ihren Herkunftsländern, deren Behörden ihnen aus politischen Gründen gar nie Reisedokumente ausstellten.

Ende Dezember eröffnete der Bundesrat das Vernehmlassungsverfahren für eine erneute Revision der Asylgesetzgebung. Er gestand ein, dass die harten Bestimmungen für ein Nichteintreten nicht wie erhofft bewirkten, dass markant mehr Asylsuchende an den Empfangsstellen mit gültigen Reisedokumenten auftauchten. 2009 legten bloß 29 Prozent der AntragstellerInnen valide Identitätspapiere vor – nur drei Prozent mehr als noch 2006.

Die harten Kriterien in der Asylgesetzgebung haben viele MigrantInnen in die Illegalität gedrängt, da auf ihre Anträge gar nicht erst eingetreten wurde oder diese im regulären Verfahren abgelehnt wurden. Der Sans-Papiers-Lehrer Ruedi Salzmann bemerkt, für die Schweizer Behörden existierten Asylsuchende ab dem Moment nicht mehr, in dem sie einen negativen Entscheid erhalten. „Tatsache ist aber, dass sie trotzdem noch da sind,“ sagt Salzmann. „Durch unsere Schule wurden sie wieder sicht- und hörbarer.“

Bah Saidou, selbst papierlos, war ebenfalls ein Lehrer an der ASZ. Aufgrund seiner guten Sprachkenntnisse unterrichtete er andere MigrantInnen in den Grundlagen der deutschen Sprache. Er ist entsetzt ob der polizeilichen Räumung. Keinen Ort mehr zu haben wo man unterrichten und lernen könne habe schlimme Konsequenzen für ihn und seine Genossen, da der Sprachkurs ihr Leben und ihre Integration in die Gesellschaft vereinfacht habe. „Die meisten von uns leben in Notunterkünften und haben keinen Zugang zu Bildung,“ sagt Saidou und ergänzt: „Die autonome Schule war für viele von uns die einzige Möglichkeit etwas zu lernen.“

Zürichs Stadtpolizei begründet die Räumung mit einer unsicheren, von den BesetzerInnen illegal verlegten Stromleitung. Mario Cortesi, Sprecher der Stadtpolizei behauptet, die Räumung sei aus Sicherheitsgründen erfolgt. Ein Hauswart einer nahen Schule erlitt im Dezember einen Stromschlag, als er mit einer mangelhaft isolierten Stelle an der Leitung in Kontakt kam. Die BesetzerInnen argumentieren derweil, die Stadt habe ihnen nach dem Vorfall wiederholt eine provisorische Leitung zugesichert, aber das städtische Elektrizitätswerk habe sich geweigert, das benötigte Material zur Verfügung zu stellen. Deshalb habe man sich wiederum selbst geholfen und erneut eine – diesmal einwandfreie – Leitung gelegt.

Die AktivistInnen vermuten, dass der Räumungsgrund an den Haaren herbei gezogen worden sei. „Die Begründung mit dem angezapften Strom war wohl nur ein Vorwand um die Schule zu räumen, die unliebsame Eigeninitiative der Sans-Papiers loszuwerden und gleichzeitig der BesetzerInnen-Szene eins auszuwischen,“ sagt der Aktivist Michael Raissig. Sein Kollege Saidou assistiert, falls das Problem wirklich bloß technischer Art gewesen sei, so hätte man doch miteinander diskutieren und gemeinsam eine Lösung suchen können. „Aber es kann doch nicht sein, dass man gleich das Schulhaus räumt und all unser Material abtransportiert,“ schimpft er.

Die neusten Vorschläge für die neuerliche Revision des Schweizer Asylgesetzes folgen derselben Linie wie die Räumungsaktion der Stadtpolizei Zürich. In einem Versuch, Kritiker zu beschwichtigen schlägt das Bundesamt für Migration vor, künftig auch auf einen Asylantrag einzutreten, auch wenn ein Antragsteller keine gültigen Identitätspapiere vorlegt. Allerdings beabsichtigt die Revision, die Beschwerdefrist für negative Entscheide im materiellen Verfahren auf die Hälfte, nämlich 15 Tage, zu senken. Zum Vergleich: In verwaltungsrechtlichen Verfahren ist eine Beschwerdefrist von 30 Tagen die Regel.

Die Räumung der ASZ sowie die entworfene Revision des Asylgesetzes illustrieren einmal mehr die kontinuierliche, repressive Politik der Schweiz gegenüber Asylsuchenden und papierlosen MigrantInnen. Man tut als existierten diese und ihr Problem nicht und vermeidet es tunlichst, nach praktikablen Lösungen zu suchen welche die Würde und Bedürfnisse der MigrantInnen respektieren.

Michael Raissig sagt, das Projekt 'Bildung für Alle' sei nicht gestorben, auch wenn mit der Räumung klargemacht worden sei, dass ein solches Projekt in der Schweiz nicht erwünscht sei. Ruedi Salzmann fügt an, der Trägerverein diskutiere künftige Schritte. Er betont, es gäbe einen Konsens, jetzt erst recht weiterzumachen: „Wir suchen neue Räume und sind auch bereit, an öffentlichen Orten Schule zu veranstalten.“

Dieser Bericht wurde von Ray Smith verfasst. Die englische Originalversion des Beitrags wurde hier von IPS Inter Press Service veröffentlicht.

bericht: "polizei räumt 'sans-papiers'-schule"

2010-01-08
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zürichs stadtpolizei räumte und demolierte am vergangenen donnerstag eine selbstverwaltete schule, in der illegalisierte migrantInnen sprachkurse besuchten. derweil schickt die schweizer regierung erneut einen entwurf zur revision des asylgesetzes in die vernehmlassung. (...) [weiterlesen]

Dec 29, 1999

bericht: "Rebellischer Rap aus einem zerstörten Flüchtlingslager"

2009-12-29
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Abends in den unbeleuchteten Straßen des Flüchtlingslagers Nahr al-Bared durch knöcheltiefen Dreck stapfend irritieren die Hip-Hop-Klänge aus den Häusern und Hütten der Flüchtlinge. Doch die Reime entstanden im Camp – und sind äußerst mutig.

"Ich trage Sorgen / aus dem Inneren eines zerstörten Camps / Ich bereite einen Angriff vor / Worte drehen sich in meinem Kopf / Nahr al-Bared ist mit Eisenstäben eingezäunt / In den Zeitungen berichten sie über das Leid / Jedes Wort macht Sinn."

Farhan Abu Siyam (21) ist Nahr al-Bareds erster und einziger Rapper. Sein Künstlername lautet 'MC Tamarrod' oder zu deutsch: MC Rebellion. In Libanons palästinensischen Flüchtlingslagern Nahr al-Bared und Bourj al-Barajneh aufgewachsen, weiß er, dass Hip-Hop in der palästinensischen Gesellschaft umstritten ist: "Viele Leute mögen Rap nicht weil sie gegen westliche Musik oder Elemente wie den Takt sind," erklärt Abu Siyam. Er fordert die Gesellschaft auf, Rap eine Chance zu geben und betont, dass er nicht einer fremden Sprache singe, sondern arabische Wörter und Straßen-Slang benütze: "Ich rappe in unserem palästinensischen Dialekt, in der Sprache der Camps, wo ich geboren und aufgewachsen bin.

Abu Siyams Inspirationsquellen sind Rap-Crews wie 'Katibe 5' und 'I-Voice' aus Beiruts Flüchtlingslager Bourj al-Barajneh und Hip-Hop-Gruppen aus Palästina wie 'Ramallah Underground' oder 'DAM', welche als Gründer des palästinensischen Hip-Hops gelten. Ihr Stil ist alles andere als oberflächlich und auf pure Unterhaltung oder Kommerz aus. Palästinensische Rapper sind meist durch ihre Herkunft gezeichnet, betonen ihre marginalisierte, unterdrückte Stellung und betrachten ihre Worte als Waffen in ihren politischen und sozialen Kämpfen.

MC Tamarrod nimmt kein Blatt vor den Mund. Er rappt über das miserable Leben in Nahr al-Bared nach dem Krieg. Mit dem autonomen Medienkollektiv 'a-films' produzierte er neulich einen kurzen Video-Clip. Vor einer mit Einschusslöchern überzogenen Wand eines ausgebrannten Hauses gestikulierend thematisiert er den zerstörerischen Krieg von 2007:

"Du fragst mich was passierte? / Jene, die zuschlugen, rannten davon / Jene die vorbeikamen, plünderten / Und einige von ihnen legten Feuer."

Vor zweieinhalb Jahren wurde das Flüchtlingslager Nahr al-Bared im Norden Libanons in und nach einem Krieg zwischen der libanesischen Armee (LAF) und der militanten, nicht-palästinensischen Gruppe Fatah al-Islam, vollständig zerstört. Heute leben zwei Drittel der EinwohnerInnen des Camps in seinem äußersten Bereich in beschädigten Häusern und temporären Unterkünften. Abu Siyam sagt, viele Leute hätten über Nahr al-Bared gesungen und gesprochen, "aber niemand äußert sich zum Krieg, unserer Hoffnungslosigkeit und Unterdrückung."

Nahr al-Bared ist nach wie vor abgeriegelt und gilt als militärischen Sperrzone. Die LAF unterhalten fünf Checkpoints an den Eingängen zum Camp. Zutritt ist nur mit speziellen Bewilligungen möglich, welche beim Armeegeheimdienst beantragt werden müssen. JournalistInnen können nicht frei arbeiten. "Wir sind umzingelt und leben wie in einem Gefängnis. In anderen Flüchtlingslagern können die Menschen auf normale Weise kommen und gehen," klagt Abu Siyam. Die Armeepräsenz in und um Nahr al-Bared ist eines der Hauptthemen, über die MC Tamarrod rappt:

"Ich bin Palästinenser und unterwerfe mich eurer Armee nicht / Stoppt den Bau dieser Mauer! / Vom ersten Moment an begriff ich, was ihr wolltet: / 'Zeig mir deinen Ausweis, wo ist die Bewilligung?'"

Die libanesische Armee bezeichnet die Checkpoints und Bewilligungen als notwendig um die Sicherheit der Menschen zu gewährleisten, "indem die Infiltration von Terroristen und gesuchten Personen, der Schmuggel von Waffen, Sprengstoff und illegalem Material verhindert wird." Viele Flüchtlinge in Nahr al-Bared fühlen sich durch die LAF aber gedemütigt und unterdrückt. Abu Wissam Gharib, Chef der Volksfront für die Befreiung Palästinas (PFLP) sagt, es sei nachvollziehbar, dass der Krieg der Armee bedurfte, "aber wieso zog das Militär nicht ab, als der Krieg vorüber war?" Er wundert sich, weshalb er in ganz Libanon mit seinem Ausweis herumreisen kann, aber für die Rückkehr in sein Zuhause in Nahr al-Bared eine Bewilligung benötigt.

Abu Siyam nimmt seine Songs im Studio 'al-Mukhayyamat' im Flüchtlingslager Bourj al-Barajneh auf. Das Camp in der südlichen Peripherie Beiruts ist die Geburtsstätte palästinensischen Hip-Hops in Libanon und beherbergt die Rap-Gruppen 'I-Voice' und 'Katibe 5'. Beide Crews kämpfen mit ihren Worten nicht nur gegen die verschiedenen Formen der Diskriminierung der ungefähr 250.000 PalästinenserInnen im Libanon, sondern greifen auch das Establishment ihrer eigenen Gesellschaft an. Sie beschuldigen NGOs und die politischen Parteien der Korruption und des Verrats an der palästinensischen Sache. Ebenso MC Tamarrod:

"Die Parteien sind heuchlerisch / ihre Autorität dumm / verstärkt durch Lügen / Ihre Politik ist verrückt."

Abu Siyam ist sich seiner starken Worte bewusst, doch betont er: "Wir sind nicht gegen die libanesische Ordnung, aber sie enthalten uns unsere Rechte vor." Junge PalästinenserInnen in Abu Siyams Alter sehen meist keine positive Zukunft im Libanon. Emigration ist oft ihr einziges Ziel. Viele haben die Hoffnung verloren, dass den palästinensischen Flüchtlingen nach 60 Jahren Anwesenheit im Libanon doch noch Arbeits- und Eigentumsrechte gegeben werden. Als neulich eine Delegation aus Geberländern Nahr al-Bared besuchte, organisierten BewohnerInnen der temporären Unterkünfte einen Protest. Sie forderten allerdings nicht etwa mehr Hilfe, sondern Visa zwecks Emigration.

Die Zerstörung des Flüchtlingslagers und seines einst lebendigen Marktes, der stockende Wiederaufbau und die andauernde Belagerung des Camps durch die LAF haben die Verbreitung von Arbeitslosigkeit begünstigt. Charlie Higgins, Projektmanager der UNO-Agentur für Palästina-Flüchtlinge (UNRWA) für Nahr al-Bareds Wiederaufbau beschreibt die ökonomische Situation im Camp als "festgefahren." Er sagt, weder habe sich die Wirtschaft regeneriert, noch habe sich die Beschäftigungssituation seit Kriegsende verbessert.

MC Tamarrod hofft indes, dass es im Falle eines Wiederaufbaus Nahr al-Bareds einst ein Studio im Camp geben werde, wo er seine Rap-Songs aufnehmen könnte. Im Flüchtlingslager Beddawi, dem zweiten Camp in der Nähe der nordlibanesischen Stadt Tripoli, ist die Infrastruktur zwar vorhanden, aber die Produktion eines Songs kostet zwischen 200 und 250 US-Dollar. Gegenwärtig arbeitet MC Tamarrod an zwei neuen Hip-Hop-Songs – er wird wiederum nach Beirut fahren müssen, um sie aufzunehmen.

Dieser Bericht wurde von Ray Smith verfasst. Die englische Originalversion des Beitrags wurde hier von IPS Inter Press Service veröffentlicht.