Ich wollte euch heute mal von meinen Erfahrungen als Kurierfahrer fรผr Amazon berichten. Genaugenommen bin ich einen Monat fรผr Amazon (20 Touren) gefahren. Natรผrlich war ich nicht direkt bei Amazon angestellt (Amazon stellt keine Fahrer direkt an), sondern bei einem der zahllosen Subunternehmer.
Die Stellenanzeige habe ich bei ebay Kleinanzeigen gefunden und nachdem ich dort angerufen hatte, wurde ich dazu aufgefordert eine Kopie meines Fรผhrerscheins per WhatsApp zu schicken. Danach wurde ich zu einem theoretischen Fahrertraining im Amazon Lager Kรถln angemeldet. Gesehen hatte ich bis dahin niemanden von der Firma.
Am ersten Tag (4 Stunden) des Trainings musste ich mich dann mit 8 anderen potentiellen Fahrern durch eine โLernappโ klicken in der einem das richtige Zustellen beigebracht werden sollte. Am zweiten Tag (wieder 4 Stunden) gab es dann Frontalunterricht. Hier blieben mir vor allen zwei Aussagen hรคngen:
Je schneller ihr seid desto mehr Paket bekommt ihr am nรคchsten Tag.
Ihr werdet von Amazon auf Effektivitรคt bewertet. Diese Bewertung ergibt sich aus der Zustellrate (also wieviel Pakete pro Tag schaffe ich) und den Kundenbeschwerden (also wieviel Kunden beschweren sich รผber dich). Und Kundenbeschwerden gibt es immer.
Nachdem ich die zwei theoretischen Tage hinter mich gebracht hatte, musste ich dann noch zweimal bei einem erfahrenden Fahrer mitfahren. Die 8 Stunden Theorie wurden von Amazon mit 12 โฌ / Stunde bezahlt, die zwei Tage โMitfahrenโ allerdings nicht. Warum wurde das Mitfahren nicht bezahlt? Begrรผndung Amazon: Dafรผr ist das Subunternehmen zustรคndig. Begrรผndung Subunternehmen: Amazon bezahlt uns das nicht! Also im Klartext: Amazon schreibt zwei Tage Mitfahren vor, will aber dafรผr nicht bezahlen.
Ich bin dann bei einem sehr netten Spanier mitgefahren, der mir dann mit Hรคnden und Fรผรen versuchte hat alles zu erklรคren. Zunรคchst waren wir in einem Gebiet mit Einfamilienhรคusern unterwegs. Die Pakete wurden hier oft einfach vor die Tรผr gelegt oder provisorisch unter Fuรmatten oder รคhnlichem versteckt. Bei Mehrfamilienhรคusern wurden die Pakete einfach unten ins Treppenhaus gelegt. Benachrichtigungszettel wurden in den zwei Tagen gar nicht geschrieben und der Kollege meinte auch das er noch nie einen Benachrichtigungszettel geschrieben hatte.
Damals dachte ich mir noch: SO mรถchte ich eigentlich nicht zustellen und ich werde das alles besser machen. Die Realitรคt sollte mich jedoch eines Besseren belehren.
Ja und dann kam meine erste eigene Tour: Ich sollte eine Stunde vor dem offiziellen Start vor Ort sein und sah dann da auch zum ersten Mal einen meiner direkten Vorgesetzen, einen sogenannten Dispatcher. Dispatcher sind Angestellte der Subunternehmer, sie haben ein Bรผro im Amazondepot und sie sind das Bindeglied zw. Amazon und den Fahrern. Ich bekam dann meinen Arbeitsvertrag und den Schlรผssel fรผr einen Mercedes Sprinter und einen Scanner. Der Scanner ist ein normales Android Handy auf dem die Amazon Flex und die Mentor App lรคuft. Die Amazon Flex App gibt einem die Route vor, also man wird von Stopp zu Stopp gefรผhrt, scannt damit die Pakete ein und gibt dort an wo man das Paket hinterlassen hat: Hausangehรถriger, Nachbar, Briefkasten etc.
Die Mentor App hingegen รผberwacht das Fahrverhalten. Fรคhrt man zu schnell oder bremst zu scharf gibt das Punktabzug. Am Ende der Tour erhรคlt man dann eine Gesamtpunktzahl. Bis 750 Punkte ist das noch in Ordnung, darunter erhรคlt man eine schlechte Bewertung in seinem Amazonfahrer Account.
Vielleicht hier noch etwas zu dem tรคglichen Ablauf: Die Fahrer fahren in sogenannten Wellen ins Depot. Also damit nicht alle Fahrer gleichzeitig ins Depot fahren, werden die zu unterschiedlichen Zeiten zum Depot bestellt. Die Zeit bekommet man am Abend vorher vom Dispatcher per WhatsApp mitgeteilt. Ich war eigentlich immer in der 11 Uhr Welle dran. Die Wellen gehen von 10.00 โ 11.40. Also es geht relativ spรคt los.
Im Depot hat man dann max. 15 Minuten Zeit um seinen Wagen zu beladen. Die Pakete sind vorsortiert und befinden sich in sogenannten Taschen. Dazu gibt es noch einzelne XL Pakete die nicht in die Taschen passen. Ist man beim Laden zu langsam wird man von einem sogenannten โYard Marshallโ zurechtgewiesen. Das Ganze hat schon einen sehr militรคrischen Drill.
Die ersten vier Touren, die man bekommt, sind sogenannte Anfรคngertouren. Meine erste Tour hatte ca. 115 Stopps und 170 Pakete. Die Stopps waren relativ nah beieinander und ich schaffte die Tour dann auch innerhalb von 8,5 Stunden ohne Pause. Das mit dem Pausen ist nรคmlich so und das wurde mir auch so als erstes beigebracht. Man muss sich eine halbe Stunde Pause nehmen, dafรผr klickt man in der Amazon Flex App auf Pause und dann geht in der App eigentlich gar nichts mehr, das heiรt die Route wird nicht mehr angezeigt, du kannst keine Pakete mehr scannen usw. Nimmst du nicht selber aktiv eine Pause geht die App nach 4 Stunden automatisch in den Pausenmodus. Soweit so gut. Da die von Amazon gestellten Touren allerdings absolut unrealistisch und in 8 Stunden nicht zu schaffen sind umgeht man die Pause und das geht so: Du lรคdst morgens deinen Wagen voll und kopierst dann die Adresse von deinem ersten Stopp in dein Privathandy. Dann nimmst du dir deine halbe Stunde Pause in der Flex App und fรคhrst in der Pause zu deinem ersten Stopp und Zustellgebiet. Bei mir dauerte das in der Regel immer genau eine halbe Stunde. In meinen 20 Touren habe ich so immer 10 oder 11 Stunden ohne Pause gearbeitet. Am Anfang hatte ich mir morgens noch Brote geschmiert, die ich dann aber abends ungegessen wieder mit nach Hause brachte. Ich habe auf all meinen Touren die ich gemacht habe nichts gegessen, nichts getrunken, ich bin nicht einmal auf Toilette gegangen. Warum nicht? Weil Amazon einem komplett unrealistische und unmenschliche Touren vorgibt in der fรผr Pausen einfach keine Zeit ist.
Bei meiner zweiten Tour hatte ich dann auch schon erste Probleme. Es waren wieder nur ca. 110 Stopps aber die Stopps lagen sehr weit auseinander und ich hatte teilweise Hochhรคuser in der Tour. Hierbei muss man wissen, dass Hochhรคuser der Albtraum eines jeden Zustellers sind. Auf jeden fall bekam ich so gegen 17.00 Uhr einen Anruf von meinem Dispatcher der meinte, dass ich 15 Stopps hinterher sei und dass ich zu laaaaangsam sei. Ich mรผsste jetzt mal ein bisschen Gas geben. Zu der Zeit war ich schon fix und fertig und komplett durchgeschwitzt und das im Winter. Also fing ich an, wie gelernt und nicht gewollt, Pakete unter Fuรmatten zu legen und in Bรผschen zu verstecken. Immerhin schrieb ich noch meine Benachrichtigungszettel. Trotz alledem machte ich schon bei meiner zweiten Tour die Bekanntschaft des sogenannten Rescue- Fahrers. Irgendwo mitten in der Pampa, im strรถmenden Regen und kalter Nacht wurde ich plรถtzlich von einem unbekannten weiรen Lieferwagen blockiert und ich dachte mir nur was geht jetzt hier ab. Tatsรคchlich war es jemand von meiner Firma der mir ein paar Pakete ausscannte und abnahm und so schnell wie er da war, war er auch wieder weg.
Inoffiziell ist es nรคmlich so, dass man keine Pakete zurรผck ins Depot bringen darf. Amazon wรผrde das zwar abstreiten aber es wurde mir mehrfach von anderen Fahrern und den Dispatchern so gesagt: Bringst du zu viele Pakete ins Depot zurรผck, bekommst du Negativpunkte im Fahrerkonto (bis zur kompletten Sperrung durch Amazon). Die Dispatcher sehen, wenn es wรคhrend der Tour Probleme gibt bzw. wenn es absehbar ist, dass du deine Tour nicht bis 22Uhr schaffst und schicken dann Rescue-Fahrer los um Pakete abzunehmen. Bei mir in der Firma hat der Rescue-Fahrer nur rescue gefahren. Bei anderen Firmen war es so, das schnelle Fahrer, die mit ihrer Tour schon fertig waren anderen helfen mussten.
Es fรผhlte sich aber jedes Mal scheiรe an, wenn man von einem Rescue-Fahrer gerettet wurde. Und mir passierte das mehrfach, jedes Mal war das irgendwie eine Niederlage und ich entschuldigte mich immer bei dem Fahrer, dass ich meine Tour nicht alleine geschafft habe.
Die dritte und vierte โAnfรคngertourโ schaffte ich dann wieder alleine und dann kam meine erste richtige Tour. Ich weiร die Zahlen noch ganz genau: Das waren 152 Stopps und 245 Pakete. Man weiร immer erst kurz vorher (ca. 10 Minuten vor Depoteinfahrt) wohin die Tour geht und wieviel Stopps die Tour hat. Und jedes Mal hat mich diese Unisicherheit fertig gemacht. Wie viele Stopps, wie viele Pakete habe ich heute? Habe ich eine Gegend mit vielen Einfamilienhรคusern (einfach) oder Hochhรคuser, Fuรgรคngerzonen, Hauptverkehrsstraรen ohne Parkmรถglichkeit.
Die Zahlen meiner ersten richtigen Tour haben mich jedenfalls richtig gehende schockiert. Ich wusste, dass die erfahrenden und schnellen Fahrer regelmรครig 140 Stopps und mehr haben, dachte mir aber, da ich recht langsam bei meinen ersten vier Touren war, dass ich weniger bekommen wรผrde. Dem war aber leider nicht so. Natรผrlich hatte ich bei dieser Tour auch wieder Probleme. Diesmal rief mich der Dispatcher so gegen 19.30 an und teilte mir mit, dass heute viele Fahrer Probleme haben und das der Rescue-Fahrer erstmal nicht kommen kรถnnte. Er meinte, es kรถnnte eventuell sein, dass nach 10 Stunden Fahrzeit mein Scanner automatisch ausgehen wรผrde. Sollte dies passieren, sollte ich mich bei ihm nochmal telefonisch melden. Mein Scanner ging leider nicht automatisch aus und irgendwie schaffte ich diese Tour dann noch bis 22 Uhr und 11.5 Stunden Arbeitszeit.
Ich habe eigentlich immer 10- 11 Stunden fรผr meine Touren gebraucht, bezahlt wurden aber immer nur 8 Stunden. Der Stundenlohn betrรคgt 13.5 โฌ und man bekommt so 108 โฌ pro Tag. Bei 11 Stunden und einem Mindestlohn von 12โฌ mรผssten es aber 132 โฌ sein. Ich war auch noch nie psychisch so platt wie in diesem Monat. Wenn ich um 10 Uhr abends nach Hause kam, brauchte ich immer 4-5 Stunden bis ich wieder runter kam. Ich war immer total unter Adrenalin.
Jetzt kรถnnte man meinen, dass ich die Subunternehmen dafรผr verantwortlich machen wรผrde oder dass ich einen Groll auf die Subunternehmer hรคtte. Dem ist aber nicht so. Das Problem liegt hier ganz und alleine bei Amazon und auf Amazon habe ich seitdem einen regelrechten Hass.
Amazon macht diese unmenschlichen Touren fรผr die Fahrer. Amazon kontrolliert die Fahrer, Amazon bewertet die Fahrer und Amazon kann die Fahrer von einem auf den anderen Tag sperren. Amazon weiร, dass immer nur 8 Stunden fรผr bis zu 12 Stunden Arbeit bezahlt werden. Amazon bezahlt die Subunternehmer pro Tour und das was Amazon dem Sub bezahlt, ist zu wenig um die รberstunden zu bezahlen. Aber wer fรคhrt dann รผberhaupt fรผr Amazon und wer lรคsst sowas mit sich machen? Und das in einem Land wie Deutschland? Es sind Leute in Not. Bei meiner Firma war ich der einzige Deutsche. Der Rest waren Ukrainer, Syrer, aber auch EU Auslรคnder mit hoher Arbeitslosenquote. Amazon kennt die Not dieser Menschen und nutzt sie gnadenlos fรผr den eigenen Profit aus. Diese Menschen sprechen kaum Deutsch und finden woanders keinen Job, darum arbeiten sie fรผr weit unter dem Mindestlohn. Und es ist nicht nur so dass Amazon diese Menschen ausbeutet, sie spielt auch mit deren Gesundheit und der Gesundheit anderer Menschen.
Was ich damit meine ist folgendes. Durch diese unrealistischen Touren werden die Fahrer komplett รผberfordert. Man ist den ganzen Tag gestresst. Schaut wรคhrend der Fahrt stรคndig auf den Scanner um zu checken welches Paket als nรคchstes dran ist, telefoniert nebenbei noch mit dem Dispatcher. Ich bin nur einen Monat fรผr Amazon gefahren, hatte aber vier Beinaheunfรคlle bei denen nur mit Riesenglรผck nichts weiter passiert ist.
In den USA steht Amazon deswegen schon lange in der Kritik. Dieses Jahr gab es schon 10 Tote bei Unfรคllen bei denen Amazon Fahrer involviert waren. Eine Familie, bei der ein Amazon Fahrer in einem Stauende hinten aufgefahren ist, hat jetzt Amazon deswegen verklagt. Der Sohn wurde schwer verletzt und hat irreparable Gehirnschรคden. Die Familie verklagt nun bewusst Amazon und nicht das Subunternehmen. Amazon versucht sich allerdings damit rauszureden, dass Sie nichts damit zu tun haben da der Fahrer nicht bei Ihnen angestellt sei. Ich finde dieses Verhalten von Amazon schon mehr als ekelhaft.
รberhaupt diese ganze Scheinheiligkeit von Amazon bezรผglich der Sicherheit ihrer Fahrer. Im Depot mรผssen alle die Warnblinkanlage anhaben und die Fahrer mรผssen gelbe Sicherheitswesten tragen. Dann diese beknackte Mentor App. Ich bin immer wie eine Sau gefahren und hatte trotzdem immer รผber 750 Punkte. Hier geht es nicht um den Schutz der Fahrer, sondern Amazon mรถchte sich selber schรผtzen. Wenn mal etwas schlimmes passiert, kรถnnen die sagen wir tun alles fรผr den Schutz der Fahrer und die Gesundheit der Fahrer ist fรผr uns am wichtigsten. Und รผberhaupt der Fahrer ist gar nicht bei uns angestellt. Was fรผr ein Scheiร und was fรผr ein Bla Bla. In einer offiziellen Pressemitteilung hieร es einmal: Amazon erwarte, dass Geschรคftspartner (gemeint sind hier die Subunternehmer) den Fahrern โein erstklassiges Arbeitserlebnisโ bรถten. Da kommt mir schon beim Schreiben die Magensรคure hoch.
Amazon ist ein Unternehmen bei der die Kundenzufriedenheit an erster Stelle steht. Hier ist der Kunde noch Kรถnig. Nur macht das Amazon ja nicht aus reiner Nรคchstenliebe, sondern weil Sie die Kunden an sich binden wollen was ja auch so nicht weiter schlimm ist. Aber diese Kundenorientierung (kostenlose Retouren, 100 % Kulanz etc) kostet Amazon auch eine Menge Geld und dieses Geld holt Amazon sich bei seinen Angestellten wieder. Ich wusste, dass das ein harte Job ist und ich wusste auch das Amazon nicht gerade fรผr seine tollen Arbeitsbedingungen berรผhmt ist. Trotzdem hat es mich dann doch schockiert als ich es dann selbst erleben musste.
Mein Appell an die Politik wรคre hier: Verbietet die Subunternehmer. Amazon soll die Fahrer selber anstellen und so auch 100% Verantwortung fรผr die Fahrer รผbernehmen. Jede รberstunde muss bezahlt werden. Die Touren mรผssen um 20 % verkรผrzt werden.
Mein Appell an euch, die ihr vielleicht selber Kunde bei Amazon seid. Behandelt die Fahrer mit Respekt. Kommt den Fahrern im Treppenhaus entgegen. Lasst an Packstationen oder Amazon Locker liefern. Gebt vielleicht mal ein Trinkgeld. ODER bestellt gar nicht mehr bei Amazon. Ich selber habe meine Prime Mitgliedschaft gekรผndigt und werde da nie wieder etwas bestellen.
