Schweizer Touristiker befürchten eine Rabattschlacht

Der Schweizer Tourismusbranche rätselt, wie sie die Sommersaison gestalten soll. Noch weiss niemand, welche Anlagen in Betrieb gehen dürfen. Hotels und Bahnen wollen aber auf Schweizer Gäste setzen.

Daniel Imwinkelried
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Schweizer Ferienorte wollen mehr Schweizer Gäste und locken diese mit Ausflügen, etwa mit dem Beobachten von Adlern.

Schweizer Ferienorte wollen mehr Schweizer Gäste und locken diese mit Ausflügen, etwa mit dem Beobachten von Adlern. 

Gaëtan Bally / Keystone

Illusionen zum weiteren Geschäftsverlauf 2020 macht sich der Bündner Hotelier Andreas Züllig keine mehr. «Es gibt keinen Reset-Knopf, um die Aktivitäten gleichsam automatisch hochzufahren», sagt der Unternehmer, der auch Präsident des Verbandes Hotelleriesuisse ist.

Niemand im Tourismussektor weiss derzeit, wie es weitergehen soll. Zwar mussten die Hotels nicht schliessen. Doch weder ist bekannt, wann die Grenzen wieder offen sind, noch hat jemand eine Ahnung, welche Angebote die Hotels den Reisenden im Frühling und Sommer unterbreiten können. Wann dürfen etwa Wellness-Anlagen oder Bahnen wieder den Betrieb aufnehmen? Und welche Schutzmassnahmen werden Hotels ergreifen müssen, wenn sie Gäste empfangen wollen? «Ein Hotel sollte nicht wie ein Hochrisikotrakt eines Spitals aussehen», sagt Züllig.

Schweizer statt Chinesen

Diese im Tourismussektor verbreitete Unsicherheit hat der Bundesrat mit seinem Etappenplan für die Rückkehr zur wirtschaftlichen Normalität noch verstärkt. Die Gastronomie und die Hotels kommen darin mit keinem Wort vor, obwohl die Branche der Regierung einen Plan unterbreitet hat, wie Schutzmassnahmen für die Gäste und die Mitarbeiter aussehen könnten. «Wir haben weiterhin keine Planungssicherheit», sagt ein Bündner Hotelier.

Dabei wären die Betriebe des Kantons prädestiniert, vom Binnentourismus zu profitieren. Im Unterschied zu Luzern oder dem Berner Oberland ist es der Region nie gelungen, asiatische Gäste in grosser Zahl anzulocken. Dieses Versäumnis könnte sich nun als Vorteil herausstellen: Die Hotels in Graubünden haben viele Stammgäste aus dem Grossraum Zürich, die in diesem Jahr kaum eine Reise in ferne Länder unternehmen werden. Sie werden deshalb, so die Hoffnung der Touristiker, ihre Ferien erst recht in den Bergen verbringen.

Mit diesem Wunsch stehen die Bündner allerdings nicht alleine da. Auch die stark gebeutelten Regionen um Luzern und Interlaken setzen auf einheimische Touristen. In beiden Gegenden haben Hotels und Bahnen jahrelang sehr gute Geschäfte gemacht mit Gästen aus Indien, China und den USA. In Luzern beispielsweise entfielen rund 50% der Logiernächte auf amerikanische und asiatische Reisende.

Mittlerweile haben die Touristiker die Fernmärkte für das laufende Jahr aber mehr oder weniger abgeschrieben. Gewisse Luzerner Hoteliers überlegen sich gar, ihre Häuser dieses Jahr nicht offen zu halten. «Das internationale Geschäft wird uns im Jahresverlauf nicht mehr viel einbringen», sagt Norbert Patt, der Chef der Titlis-Bergbahnen. Dieses Unternehmen sowie die Berner Jungfraubahnen sind gleichsam die Entdecker des chinesischen und indischen Marktes; dafür werden sie in der Branche bewundert, ihnen schlug aber immer auch der Neid der Konkurrenten entgegen.

Gäste aus fernen Märkten in Grindelwald: Mit diesen Reisenden rechnen die Touristiker kaum mehr.

Gäste aus fernen Märkten in Grindelwald: Mit diesen Reisenden rechnen die Touristiker kaum mehr. 

Karin Hofer / NZZ

Bis der Fernreisemarkt wieder in Gang kommt, wird es Monate dauern. Dass die Schweiz mindestens bis zum 15. Juni keine Schengen-Visa ausstellen wird, ist nur ein Hindernis; darüber hinaus weiss niemand, wann sich ausländische Touristen wieder getrauen, Fernreisen zu unternehmen, und ob sie nach einer scharfen Rezession dafür überhaupt das Geld haben.

Zum ersten Mal sind die Titlis-Bergbahnen damit von einer globalen Krise erfasst worden. Der Firmenchef Patt staunt noch immer, wie ein Ereignis in China die ganze Weltwirtschaft fast gleichzeitig lahmgelegt hat. Bei der Risikoanalyse sei man von allen möglichen Szenarien ausgegangen, sagt er, nicht aber von einer Pandemie dieses Ausmasses.

Patt weiss noch nicht, ob sein Unternehmen im Sommer das ganze touristische Angebot aufrechterhalten wird. Wie andere Bahnen und Hotels setzt er auf Schweizer Gäste, doch diese werden möglicherweise nicht in so grosser Zahl erscheinen, dass sich ein Vollbetrieb lohnt.

Im Berner Oberland hoffen die Touristiker derweil, dass Schweizer anreisen, die sonst einen Bogen um die Region gemacht haben. Nun können sie die Region erkunden – ohne das Gewusel der vergangenen Jahre, das viele Schweizer als störend empfanden. «Schweizer können nun unbekannte Regionen kennenlernen», sagt Marc Ungerer, der Chef der Marketingorganisation Jungfrau Region Tourismus AG.

Verdrängungswettbewerb

Solange die Touristiker aber nicht wissen, welches Freizeitangebot der Bundesrat diesen Sommer zulassen wird, können sie auch nicht abschätzen, wie viele Gäste anreisen werden. Vielen Hoteliers graut es zudem vor dem Herbst. In dieser Jahreszeit verbringen besonders ältere Gäste gerne ihre Ferien in den Alpen. Doch getrauen sich diese bis dann wieder aus dem Haus? Damit bleibt auch die für Hoteliers existenzielle Frage offen, welche Preise sich am Markt in den kommenden Monaten durchsetzen lassen.

Ein Hotel mit geschlossener Wellness-Anlage und leerem Swimming-Pool wird kaum den sonst üblichen Preis für ein Zimmer verlangen können, sondern den Gästen Zugeständnisse machen müssen. Davor scheinen sich die Gastbetriebe aber zu fürchten. Man müsse jetzt unbedingt am Pricing des Jahres 2019 festhalten und dürfe keine Rabattschlacht vom Zaun brechen, sagt ein Hotelier.

Aus dessen Perspektive ist das ein verständliches Anliegen. Immerhin sind die Hotelpreise in den Schweizer Alpen bereits mit der Finanzkrise von 2008 ins Rutschen geraten; mittlerweile ist die finanzielle Verfassung vieler Hotels so schlecht, dass gewisse Eigentümer Mühe haben, ihre Häuser in Schuss zu halten.

Ein weiterer Preisdruck würde die Situation nochmals verschärfen. Rabatte wird es im Schweizer Tourismus aber wohl geben. Hotels und Bahnen operieren mit hohen fixen Kosten, und das ist genau die Voraussetzung, die in der Wirtschaft schon immer zu einem harten Verdrängungswettbewerb geführt hat.

Urs Kessler, der Chef der Jungfraubahnen, hat jedenfalls bereits genaue Vorstellungen, was seine Firma unternehmen wird, um Schweizer Gäste anzulocken. Diese kämen auf die Jungfrau, wenn das Wetter schön sei und man sie mit Aktionen locke. Der findige Manager plant deshalb Marketingaktionen mit Partnerorganisationen zu Sonderkonditionen.

Derzeit ist die Jungfraubahn wie andere Ausflugsbahnen nicht in Betrieb. «Sobald der Markt aber wieder offen ist, werden wir überraschen», sagt Kessler. Zumindest er glaubt also, einen Reset-Knopf gefunden zu haben.

Erholung nach Krisen

Logiernächte Schweiz in Mio.
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