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Beethoven Hörverlust

Beethoven bekäme heute ein Innenohr-Implantat

| Lesedauer: 7 Minuten
Beethoven, Ludwig van; Komponist. Bonn (getauft) 17.12.1770 – Wien 26.3.1827. “Beethoven beim Morgengrauen im Studierzimmer”. Farbdruck nach Gemälde, 1899, von Rudolf Eichstaedt (geb. 1857). | Beethoven, Ludwig van; Komponist. Bonn (getauft) 17.12.1770 – Wien 26.3.1827. “Beethoven beim Morgengrauen im Studierzimmer”. Farbdruck nach Gemälde, 1899, von Rudolf Eichstaedt (geb. 1857). |
“Beethoven beim Morgengrauen im Studierzimmer”, Rudolf Eichstaedts Gemälde von 1899, zeigt das unnahbare, in sich gekehrte Genie. Zu diesem Mythos trug die Ertaubung viel bei
Quelle: picture alliance / akg-images
Der Verlust des Gehörs war ein traumatischer Einschnitt im Leben des Musikers. Nach dem damaligen Stand der Medizin konnte kein Arzt die Ertaubung aufhalten. Heute wäre das anders.

Nichts hat geholfen. Ob diverse Tees oder Pillen, Tropfen aus Mandelöl oder mit Meerrettich bestrichene Baumwolle, die in die Ohren eingeführt wurde. Selbst die Galvano-Therapie mit Gleichstrom, eine quälende Prozedur, brachte nicht die erhoffte Wirkung. Voller Verzweiflung suchte Ludwig van Beethoven unzählige Mediziner auf, die besten Ärzte seiner Zeit. Doch die Ertaubung ließ sich nicht aufhalten.

„Der neidische Dämon hat meiner Gesundheit einen schlimmen Streich gespielt, nämlich mein Gehör ist seit drei Jahren immer schwächer geworden... nur meine Ohren, die sausen und brausen Tag und Nacht fort“, schrieb der Komponist am 29. Juni 1801 an seinen Bonner Freund Dr. Wegeler.

Der Brief des damals 30-jährigen Beethoven gilt als erstes schriftliches Geständnis des Hörverlustes. „Ich bringe mein Leben elend zu. Seit zwei Jahren meide ich alle Gesellschaften, weil’s mir nicht möglich ist, den Leuten zu sagen, ich bin taub. Hätte ich irgendein anderes Fach, so ging’s noch eher, aber in meinem Fach ist es ein schrecklicher Zustand... Die hohen Töne von Instrumenten und Singstimmen höre ich nicht, wenn ich etwas weit weg bin, auch die Bläser im Orchester nicht. Manchmal auch höre ich den Redner, der leise spricht, wohl, aber die Worte nicht, und doch, sobald jemand schreit, ist es mir unausstehlich.“

Beethovens Leiden war damals unheilbar

Diese Zeilen verraten nicht nur, dass der Komponist schon mit 27 Jahren Probleme mit dem Hören hatte. „Auch alle Symptome werden in dem Brief geschildert,“ erklärt Hans-Peter Zenner, emeritierter Professor für HNO-Heilkunde an der Universität Tübingen. „Schwerhörigkeit mit Hochtonverlust und Sprachverständlichkeitsverlust, Tinnitus, Verzerrungen und Hyperakusis, also eine Überempfindlichkeit für Schall.“

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Zenner, Präsidiumsmitglied der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina, zählt seit Jahren zu den wichtigsten Erforschern dieses tragischsten Aspekts in der Beethoven-Biografie. Sein Fazit: „Nach damaligem Stand der Medizin war Beethovens Leiden nicht heilbar.“

Die fortschreitende Taubheit trägt bis heute zum Mythos des unnahbaren, in sich gekehrten Genies bei. Aber auch über die Ursache des Leidens wurde manche Legende gestrickt. Dabei lassen sich solche Spekulationen wissenschaftlich recht leicht widerlegen.

Legenden über die Ursache der Taubheit

Manche Theorie funktioniert schon chronologisch nicht. Etwa, dass der Hörverlust auf französischen Kanonendonner zurückzuführen ist, Napoleons Truppen beschossen Wien erst 1809. Oder dass Beethoven 1810 nach heftigem Streit mit einem widerspenstigen Tenor sich voller Wut auf den Boden warf und daraufhin nichts mehr hören konnte. Allenfalls nett ist auch die Geschichte vom Berliner Floh, der Beethoven während eines Gastspiels am Preußischen Hof gebissen haben soll.

Auch eine Lues oder Syphilis, die ihm die Nachwelt andichtete, wird es, so Hans-Peter Zenner nicht gewesen sein. „Die Pathologen, die Beethovens Leichnam auf seinen testamentarischen Wunsch hin sezierten, hätten ganz sicher eine Syphilis erkannt. Und eine Syphilis, die sich nur aufs Ohr bezieht, die gibt es nicht.“

Mit größter Wahrscheinlichkeit, so Zenner, gehe der Hörverlust auf eine sogenannte Apoptose zurück. Ein programmierter Zelltod also, wobei es zwei Möglichkeiten der genetischen Programmierung gebe. Sie kann vererbt sein: „Dann müsste bei Verwandten eine ähnliche Schwierigkeit vorliegen, davon ist aber nichts bekannt.“

Frustration über die Ärzte

Der HNO-Professor favorisiert daher die zweite Variante, eine Mutation zum Zeitpunkt der Embryonalentwicklung. „Wir wissen heute, dass ein Mensch mit ungefähr 20 Mutationen, also spontanen Änderungen im Erbgut geboren wird“, erklärt Zenner. „Einige davon führen zu Krankheiten, wobei das erst nach Jahrzehnten eintreten kann.“

1-B22-H1812-7 (1716117) Ludwig van Beethoven / Büste von Klein Beethoven, Ludwig van; Komponist; Bonn (getauft) 17.12.1770 - Wien 26.3.1827. - Lebendmaske. - Abgenommen, 1812, von Franz Klein (1779- c.1836). |
Beethovens Lebendmaske, 1812 abgenommen von Franz Klein
Quelle: picture alliance / akg-images

Beethoven war über weite Strecken seines Lebens ein kranker Mensch. Die Gesichtsmaske, die er sich zu Lebzeiten abnehmen ließ, offenbart heftige Pockennarben. Er trug dicke Brillengläser gegen die Kurzsichtigkeit, litt bereits seit Bonner Jahren an einem Reizdarmsyndrom, das er durch Bäder zu behandeln suchte. Viele Forscher vermuten zudem eine bipolare Störung. Das würde Depressionen und sein aufbrausendes Wesen erklären, Stimmungsphasen, an denen auch der übermäßige Alkoholkonsum Schuld sein könnte. Eine Leberzirrhose war 1827 letztlich Ursache für seinen Tod.

Meist konsultierte der Patient mehrere Ärzte gleichzeitig, er zeigte sich frustriert über Ärzte und den Fortschritt der Medizin. Keine seiner Haupterkrankungen wurde erfolgreich behandelt. Einige Mediziner schrieben den Hörverlust damals der Unterleibserkrankung zu. „Beethoven war multimorbid, aber andere Krankheiten haben die Ertaubung nicht beeinflusst“, urteilt dagegen Zenner.

Implantate und Gen-Therapie

Wie bei allen seinen Krankheiten könnte man Beethoven heute auch bei seinen Hörproblemen helfen, in dem man ihm „anfangs Hörgeräte verortet hätte, im weiteren Verlauf sogenannte Mittelohr-Implantate und am Schluss dann Innenohr-Implantate“.

Ein Cochlea-Implantat ist ein elektronisches Gerät, das die Funktion der beschädigten Teile des Innenohrs (der Cochlea) übernimmt, um Audiosignale an das Gehirn zu übertragen. „Damit hätte er bis zu seinem Tod seine Musik hören können“, ist sich Zenner sicher. Ganz neue Perspektiven eröffnet heute eine Gen-Therapie zur Regeneration des Innenohres. Zenner: „Bisher wurde die nur in Tierversuchen getestet, aber in vielleicht zehn Jahren kann sie auch beim Menschen möglich sein.“

1-B22-S1823-44 (1711246) Beethoven, Seite 44 aus Konversationsheft Beethoven, Ludwig van Komponist, 1770-1827. - Seite 44 aus Beethovens handschriftlichem Konversationsheft D 10 vom Februar 1823. - |
Mit seiner Umwelt kommunzierte der Komponist über Konversationshefte
Quelle: picture alliance / akg-images

Beethoven musste sich anders behelfen. In Wiener und Bonner Museen sind heute Hörrohre zu besichtigen, teilweise mit einer Vorrichtung, um sie am Kopf befestigen zu können. Manche Hörrohre entwickelte der Mechaniker Johann Nepomuk Mälzel, der als Erfinder des Metronoms berühmt wurde. In Beethovens letzter Wohnung im Wiener Schwarzspanierhaus fand sich ein Flügel mit Schallfänger, einem an einen Souffleurkasten erinnernden Aufbau aus Metall, der die Klänge bündeln und dem Ertaubenden zuleiten sollte.

Selbstmordgedanken wegen des Hörverlusts

Da Beethoven immer größere Schwierigkeiten hatte, mit seiner Umwelt zu kommunizieren, benutzte er etwa ab Februar 1818 Konversationshefte. In diesen teilte sich der Gesprächspartner schriftlich mit, worauf Beethoven in der Regel mündlich antwortete. So sind die Auswertungsmöglichkeiten dieser Hefte begrenzt, weil Beethovens Part fast gänzlich fehlt. Ingesamt 400 blieben erhalten. Das zeigt, dass der Musiker trotz der Hörprobleme doch nicht so sehr von der Umwelt isoliert war, wie man oft angenommen hat.

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„Oh, ihr Menschen, die ihr mich für feindselig, störrisch oder misanthropisch haltet oder erkläret, wie unrecht tut ihr mir, ihr wisst nicht die geheime Ursache von dem, was euch so scheinet“, bat er im Oktober 1802, in dem an seine beiden Brüder gerichteten Heiligenstädter Testament, um Verständnis. Beethoven plagten Suizidgedanken. „Es fehlte wenig, und ich endigte selbst mein Leben – nur sie die Kunst, sie hielt mich zurück.“

Die Taubheit gefährdete nicht nur die Salonfähigkeit, sondern vor allem die wirtschaftliche Basis. Denn Beethoven lebte in Wien zunächst von seinen Einnahmen als Pianist. Dass die Auftritte am Klavier immer schwieriger wurden, war nicht der einzige, aber ein wichtiger Beweggrund, sich noch stärker als Komponist zu betätigen.

Bedeutende Werke des tauben Komponisten

Das Trauma der fortschreitenden Ertaubung schien im Herbst 1802 überwunden, die folgenden Jahre bis 1812 gilt als produktivste Phase in Beethovens Schaffen. In dichter Folge entstanden bedeutende Werke, darunter die Sinfonien 3 bis 8, die Klavierkonzerte 3 bis 5, Sonaten wie die Waldstein-Sonate, Appassionata, Streichquartette und die Oper „Fidelio“. Ihrem Schöpfer ging es finanziell gut, 1806 machte er seine Schwerhörigkeit öffentlich: „Kein Geheimnis sei dein Nichthören mehr – auch bei der Kunst.“

Beethovens Hoerrohr und Manuskript Beethoven, Ludwig van; Komponist; 1770- 1827. - Beethovens Hoerrohr auf dem Manuskript der Symphonie Nr.3 Es-dur op.55 ("Eroi- ca"). - Foto. Wien, Gesellschaft der Musikfreunde. |
Ein Hörrohr Beethovens auf dem Manuskript der Sinfonie Nr. 3, der "Eroica". Trotz des Hörverlusts entstanden große Werke
Quelle: picture-alliance / akg-images /

Zenner: „Der Verlust des Hörens und kühne Kompositionsentwürfe - eigentlich ein Widerspruch in sich, und doch waren sie bei Beethoven vereinbar.“ Der Musiker, der als Kind, bevor er unvollkommen das ABC lernte, perfekt die Notenschrift beherrschte, benötigte zum Komponieren kein Klavier. Das teilt er mit vielen „hörenden“ Komponisten. Ob die Taubheit sein musikalisches Schaffen beeinflusste, darüber streitet die Wissenschaft.

Edoardo Saccenti und seine Kollegen vom Niederländischen Zentrum für Stoffwechsel in Leiden untersuchten 2011 Beethovens Streichquartette. Während in den frühen Werken viele Töne verwendet wurden, die auf der Notenskala über G6 liegen, bevorzugte Beethoven mit zunehmendem Hörverlust immer mehr Töne im mittleren Frequenzbereich, die er noch hören konnte. Anders bei den späten Kompositionen: Weil Beethoven da schon fast völlig ertaubt war, hätte er sich, so die Forscher, nur noch auf sein „inneres Ohr“ verlassen und sei allmählich wieder zu seinen frühen Erfahrungen als Komponist zurückgekehrt.

Kongress und Symposium zum Jubiläum

Seine Geburtsstadt Bonn lädt vom 13. bis 21. Juni zu einer Projektwoche „Beethoven und der Sinn des Hörens“. In diesem Rahmen finden ein medizinischer Kongress sowie ein internationales Symposium statt. Eröffnet wird die Themenwoche mit einem Werk von Helmut Oehring, der als Kind gehörloser Eltern mit Gebärdensprache aufwuchs und sich viele Jahre intensiv mit Leben und Schaffen Beethovens beschäftigte.

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