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  4. Sarah Bosetti schreibt nach Hasskommentaren Liebesgedichte zurück

ICONISTA Beleidigungen im Internet

„Ich halte Hasskommentar-Schreiber nicht für dumm“

| Lesedauer: 5 Minuten
Features Editor ICONIST
Man solle ihr den Kopf abschneiden! Derartige Kommentare liest Sarah Bosetti, Feministin und Autorin, häufig über sich. Sie stellt dem Hass Liebesgedichte gegenüber - und erklärt hier, warum sie das für eine gute Idee hält.
Sarah Bosetti tritt in Satiresendungen wie "Die Anstalt" auf, außerdem hat sie eine Radiokolumne auf WDR 2
Sarah Bosetti tritt in Satiresendungen wie "Die Anstalt" auf, außerdem hat sie eine Radiokolumne auf WDR 2
Quelle: privat

Man kann die Idee naiv finden. Sarah Bosetti schreibt Liebesgedichte an die Menschen, die ihr Hasskommentare im Internet schicken. Die sich abfällig über ihr Aussehen äußern, ihr Vergewaltigungen und sogar den Tod wünschen. „Liebe statt Hass“, so hieß auch mal eine Tour von Helene Fischer, und so klingt das Ganze irgendwie auch: Nach etwas, das höchstens in Schlagerliedern funktioniert, in denen sowieso immer alles ein Happy End hat.

Aber dann stellt Bosetti, die gelegentlich in Satiresendungen wie „Die Anstalt“ zu sehen ist und außerdem eine Radiokolumne bei WDR 2 hat, ihren Gedichtband in Berlin vor. Und als sie ihre Liebeslyrik vorträgt, klingt das gar nicht mehr naiv. Vor allem ist es lustig: Sie führt die ganze Absurdität von Hasskommentaren vor, seziert die Ideen, auf denen sie basieren - sie entzieht ihnen jede Grundlage.

Wenn nur ein paar Menschen Spaß daran haben, meint Bosetti vorher beim Interview in der Theatergarderobe, dann sei das doch exakt das Gegenteil dessen, was die Urheber des Hasses erreichen wollten. Und damit ein voller Erfolg.

ICONIST: Ist es normal für Sie, Hasskommentare zu erhalten?

Sarah Bosetti: Ich weigere mich, das als Normalzustand anzunehmen. Es ist wichtig, empört zu bleiben. Menschen sind Gewohnheitstiere, es besteht die reelle Gefahr, sich an diesen Umgangston zu gewöhnen - aber normal ist er nicht.

ICONIST: Wie viele böse Kommentare sind es denn?

Bosetti: Es waren schon Tausende auf einmal, weil ich etwas auf Twitter geschrieben habe. Diese Menschen bleiben dann auch nicht bei Twitter. Sie gehen zu Amazon und bewerten mein Buch schlecht. Oder sie schreiben an WDR 2 und fragen, wie die überhaupt noch meine Kolumne senden können. Es gibt aber auch Wochen, in denen ganz wenige kommen - abhängig davon, was ich im Internet mache und ob ich gerade im Fernsehen zu sehen war.

Darf man Hasskommentare einfach löschen?

ICONIST: Von wem kommen diese Kommentare – und warum?

Bosetti: So weit ich das beurteilen kann, sind es mit überwiegender Mehrheit Männer. Es gibt im Moment drei Hassziele im Internet: Frauen, deshalb bekomme ich viel ab. Menschen mit Migrationshintergrund, das richtet sich natürlich nicht gegen mich. Und dann gibt es einen diffusen Hass gegen das System, den bekommen wir alle ab.

ICONIST: Was vereint die Kommentatoren?

Bosetti: Sie sind oft älter und rechts und können mit dem Feminismus nichts anfangen.

ICONIST: Die Kommentare, die Sie in Ihrem Buch veröffentlichen, sind voller Rechtschreibfehler und nicht besonders smarter Thesen.

Bosetti: Ich halte die Schreiber aber nicht für dumm. Ich glaube nicht, dass man dumm sein muss, um ein schlechter Mensch zu sein.

ICONIST: Was hassen die Hasser an Ihnen konkret?

Bosetti: Viele haben ein Problem damit, dass da eine Frau steht, die ihnen etwas erzählen will. Auch, wenn ich mich gar nicht zum Feminismus äußere, bekomme ich sexualisierte Kommentare, vor allem von Männern. Egal, worum es geht, die Leute denken: „Was will die Frau?“

ICONIST: Haben Sie einen „Lieblingskommentar“?

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Bosetti: „Eine Frau überlebt nicht einmal 24 Stunden in der Wildnis, vor allem dann nicht, wenn sie ihre Tage hat und ihre Blutspur vor einer Gruppe hungriger Wölfe durch den halben Wald führt. Ohne Mann kann die Frau einfach nicht lebensfähig sein. Das konnte sie nie und das wird sie auch nie.“ Da muss man erst mal drauf kommen! (lacht)

Das ist übrigens Sarah Bosettis liebevolle Antwort darauf:

Was tät ich bloß auf mich gestellt
In einer unbemannten Zeit?
Kein Retter und kein starker Held
Nur ungeschützte Weiblichkeit

Ich würde durch die Wälder irren
Blutend, ungeschickt und schwach
Und fänd emotional verwirrend
Dass niemand mir den Hof hier macht

In meinen High Heels würd ich holpern
In meinem Kleidchen fast erfrieren
Würd ich über ein Raubtier stolpern
Würd ich statt kämpfen diskutieren

Ich bin halt niedlich, aber nutzlos
Ohne dich kann ich echt nix
Im Wald bin ich fast rührend schutzlos
Ich brauche einen Obelix

Du siehst, wir können uns nicht helfen
Nur euch Männer stetig plagen
Unrecht tust du bloß den Wölfen:
Sie würden niemals Frauen jagen!

Der Wolf, der ist ein scheues Tier
Er meidet Menschen, wenn er kann
Und ist damit – ich sprech von dir! –
Klüger wohl als mancher Mann

ICONIST: Verletzen Sie solche Äußerungen?

Bosetti: Ja und nein. Ich bin schnell an den Punkt gekommen, an dem ich mich nicht selbst gemeint fühlte. Die Kommentatoren richten sich gegen alle, die nicht ihrer Meinung sind. Das sind viele, das bin ja nicht nur ich. Und sie greifen mich aus Gründen an, die ich nicht einsehe. Aber betroffen machen mich die Kommentare schon. Ich finde es traurig, dass Menschen so viel Frust in sich tragen.

ICONIST: Sie antworten mit Liebe darauf, geben dem Hass so aber natürlich auch eine Bühne.

Bosetti: Hasskommentare sind ein Einschüchterungsversuch, man will Menschen damit verstummen lassen. Man kann solche Kommentare ignorieren und ich verstehe alle, die das tun, die sich damit nicht befassen wollen. Aber es sind inzwischen so viele geworden, das sind nicht nur ein paar Spinner. Und sie sind so fleißig - da muss man doch dagegenhalten! Ich hoffe, dass meine Gedichte die ursprünglichen Kommentare derart entwaffnen, dass sie eben nicht mehr im Mittelpunkt stehen.

Über den Umgang in sozialen Netzwerken

ICONIST: Haben Sie einen der Menschen, die Hasskommentare an Sie schreiben, persönlich kennengelernt?

Bosetti: Ich habe es versucht. Als viele Kommentare kamen, in denen Dinge wie „Man sollte dich vergewaltigen“ standen, dachte ich: Okay, diese Diskussion, wenn man das noch so nennen kann, funktioniert im Internet nicht. Ich muss sie da herausholen. Also habe ich diese Menschen zu meinem Bühnenprogramm eingeladen, habe angeboten, dass wir dort miteinander diskutieren können. Dafür wurde ich aber nur angepöbelt: „Du kriegst wohl deine Veranstaltungen nicht voll.“ (lacht) Dabei war mein Angebot absolut ernst gemeint.

ICONIST: Wenn Sie Regeln für Gespräche im Internet aufstellen könnten, welche wären das?

Bosetti: Wir sollten häufiger den Satz benutzen: „Über dieses Thema bin ich nicht ausreichend informiert und habe mir deshalb noch keine Meinung gebildet.“ Der ist fast immer angebracht. Außerdem sollte man keine Beleidigungen verwenden, einfach gar keine. Und die Bereitschaft mitbringen, sich auch mal umstimmen zu lassen.

"Ich hab nichts gegen Frauen, du Schlampe!" ist bei Rowohlt erschienen
"Ich hab nichts gegen Frauen, du Schlampe!" ist bei Rowohlt erschienen
Quelle: Rowohlt

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