Resonanzen der Kinder- und Jugendpartizipation

Dieses Blog dokumentiert die Beforschung der Resultate und Effekte eines vorausgegangenen dreijährigen niederländisch-deutschen Interreg VA – Projektes „KRAKE (Krachtige Kernen) – Family Community“ zum Thema „Partizipation von Kindern, Jugendlichen und ihren Familien in kleinen Dörfern“.

Mit dieser Forschung werden die Perspektiven von pluralen Akteur*innen der Kinder- und Jugendpartizipation qualitativ-empirisch, diskursanalytisch und dekonstruktvistisch erarbeitet. Die Ergebnisse werden mit theoretischen Diskursen über Kinder- und Jugendpartizipation, nachhaltige Bildungsprozesse, soziale Orte in Beziehung gesetzt. Beabsichtigt ist, erstens zu erkunden, ob Nachhaltigkeit in partizipativen und demokratischen Bildungsprozessen eine Fiktion oder eine Realität ist und zweitens zu untersuchen, wie Partizipation von Kindern und Jugendlichen Selbstorganisation und Politik in demokratischen ländlichen Kontexten berührt oder verändert.

In diesem Forschungsprojekt wird zudem Forschung – präsentiert als Prozess in einem Scienceblog – in ihrem partizipativen und innovativen Potenzial praktiziert und reflektiert.
Die Texte dieses Blogs dokumentieren meine Arbeit als Professorin für Pädagogik im Forschungssemester an der Hochschule Rhein-Waal. Die Beiträge ermöglichen Studierenden, Wissenschaftler*innen aus der Kindheitspädagogik, der Sozialen Arbeit / Sozialpädagogik, den Bildungs-, Erziehungs- und Sozialwissenschaften sowie allen Interessierten am Thema “Kinder- und Jugendpartizipation” durch Kommentare Einfluss auf die Diskussion der Forschungsergebnisse zu nehmen.

Forschung bloggen

Forschungsprozesse sind üblicherweise nicht Gegenstand der Präsentation und Publikation von Forschungsergebnisssen. Zum Habitus von Objektivitätsbestrebungen zählt die Unsichtbarmachung des Subjekts der Produktion von Zahlen und Texten. Von Peer-reviewed- Artikeln, Büchern, Dissertationen, Bachelorarbeiten … werden die Einhaltung einer bestimmten Form, Gliederung, Struktur, Standards erwartet. Subjektive Anmerkungen gelten vielen auch heute im Zeitalter der elaborierten Selbstdarstellung als unwissenschaftlich. Unter Studierenden kursiert zuweilen immer wieder das Gerücht des „Nicht-in-der-Ich-Perspektive-Schreiben-Dürfens“, adaptiert als Verbot.

Abgesehen davon, dass Wissenschaft schon immer flexibler, kreativer war als in Universitäten gelegentlich vorgegeben wird, stehen heute mit neuen medialen Transformationen von wissenschaftlichen Inhalten auch die Produktionsprozesse von Wissenschaft unter anderer Beobachtung. Ein Scienceblog würde für mich keinen Sinn machen, wenn in diesem ausschließlich das Schlussresultat von Forschung präsentiert und diskutiert würde. Spannung entsteht dort, wo die Verstrickungen, in denen ich als Wissenschaftlerin im Prozess ausgesetzt bin, nutzbar gemacht werden, für den Prozess selbst. Am Ende steht kein kohärentes Ergebnis oder vielleicht doch? Prozesse und Ergebnisse ändern sich Tag für Tag, die Effekte von Feedback, aber auch das Feedback der täglichen Umwelt der Wissenschaftlerin affiziert den Text, der, so produziert, auch sich in Qualität und Quantität verwandelt.

Verdachtsmomente von Zufall, Willkür, Unübersichtlichkeit, Beliebigkeit tauchen auf, und verschwinden auch wieder. Sie werden willkommen geheißen und verabschiedet. Worauf wird vertraut? Worauf verlasse ich mich? Auf die vorhandenen Materialien: Dokumente, Transkriptionen, Aufzeichnungen, Zeichnungen, Fotos? Auf die Freude, die Motivation, das Interesse, den Spaß an der wissenschaftlichen Arbeit mit diesen Materialien? Das Ergebnis gleicht möglicherweise mehr einer Collage von Hannah Höch. Ob damit eine andere Tiefe präsentiert und andere Denkstrukturen provoziert werden, bleibt offen. Oder nähert sich die Wissenschaft der Kunst und Philosophie wieder an? Möglicherweise erreicht diese Form den Mainstream soeben.

Denn über Science-Bloggen werden bereits wissenschaftliche Arbeiten geschrieben. Die Form der wissenschaftlichen Arbeit liegt längst unter dem Mikroskop der Soziologie. Wissenschaftsblogs schaffen einen neuen Typus von Wissenschaftler*innen, die zwischen akademischer Forschung, Wissenschaftsjournalismus, Populärwissenschaft, öffentlichen Diskussionen und Debatten über Wissenschaft (Shananan 2011) ihre Rolle neu definieren müssen. Die Motivationen zum Bloggen von Wissenschaft erweisen sich als sehr unterschiedlich und bewegen sich zwischen selbst-befreienden Interessen und auf das Publikum bezogenen Ambitionen (Jarreau 2015, 268). Dabei verändern alle Resultate möglicherweise die Sichtweise auf Wissenschaft inklusive ihrer Methoden selbst. Der Elfenbeinturm wird in jedem Fall verlassen und zum Relikt.

Ob Wissenschaftsblogs die Chance bieten, Trennschärfen zwischen Pseudowissenschaft, Fake-Wissenschaft zu etablieren und “gute Wissenschaft” und entsprechende Standards zu promoten, ist Gegenstand von wissenschaftlichen Untersuchungen selbst (Hauke/Mendel 2014). Über Normen und wissenschaftliche Standards sowie ihre Überschreitungen und Gegenhorizonte kann in Blogform hingegen breiter diskutiert werden als in lediglich Peer-reviewten Kontexten einer umgrenzten Scientific Community.

Ein Scienceblog eröffnet die Möglichkeit, jene anderen Ebenen der Wahrnehmung und Tätigkeit einzubeziehen, die im Forschungsprozess oft geblockt werden. Forschung bloggen erlaubt, durch Fotos, Schreibexperimente, Videos, Musik, Bilder, Zeichnungen, journalistisches Experimentieren Denkdimensionen hinzu zu legen.

Bloggen ist aber auch die Arbeit von Journalistinnen und Marketingabteilungen von Institutionen, ein Full-time-Job. Für Wissenschaftlerinnen, die an Forschungsprojekten arbeiten, bedeutet das einen Mehraufwand. Üblicherweise wird geforscht und am Ende steht ein Artikel, oder ein Buchprojekt, alles folgt einer bestimmten Struktur und Vorgabe. Mit dem Bloggen von Forschung setze ich mich möglichen Störungs – und Verstörungsprozessen aus, neue Dimensionen von Flüchtigkeit oder Verletzlichkeit können entstehen, ungewollte Sichtbarkeiten und Ungewissheiten eingeschlossen. Auf all das kann wiederum in der Reflexion reagiert werden, das konsumiert entsprechend: ZEIT.

Jarreau, Paige Brown (2015): All the Science that Is Fit to Blog: An Analysis of Science Blogging Practices. Louisiana State University Doktoral Dissertation

Riesch, Hauke/Mendel, Jonathan (2014): Science bloggging: networks, boundaries and limitations. Science As Culture, 23(1), 51-72

Shanahan, Marie-Claire (2011): Science blogs as boundary layers: Creating and understanding new writer and reader interactions through science blogging. Journalism, 12(7), 903-919

Tausende Dokumente sprechen

Für die Auswertung liegen ca. 5500 Schrift-Dokumente vor, „ca.“ meint hier, dass sich darunter auch Bearbeitungen von Dokumenten befinden, die nicht gelöscht wurden. Zentraler Auswertungsgegenstand sind die schriftlichen, offiziellen Dokumente. Dabei handelt es sich um:
Protokolle, Ausschreibungstexte, Bescheide, Stundenzettel, das Onlinehandbuch, Poster, Projektselbstdarstellungen/Präsentationen; Krakeselbstdarstellungen und Krake-Webseite, Konzeptionen, Abläufe, Werkdokumente für die pädagogische Arbeit und die Workshops, Berichte, Finanzpläne/Abrechnungen, Bedarfserhebungen, Arbeitsberichte, Verträge, Presseberichte, schriftliche Reflexionen, Aufgabenlisten, offizielle Anschreiben, Aushänge, Einladungen, Einverständniserklärungen, Ergebnisse aus einem Praxisprojekt mit Studierenden, Listen.

Mehrere tausend Emails, die während der Projektzeit ausgetauscht wurden, sind kein Gegenstand der Auswertung und Analyse, sie dienen hier auch nicht als Erinnerungspfeiler. Fotos und Zeichnungen, die ebenfalls in einigen hundert Dokumenten zur Verfügung stehen, sind Gegenstand fotowissenschaftlicher Analyse und werden entsprechend gesondert ausgewertet.

Vorliegen zudem, im Kontext des Projekts und das Thema Kinder- und Jugendpartizipation behandelnd, drei abgeschlossene Bachelorarbeiten, eine Masterarbeit aus den Niederlanden im Abschlussprozess sowie eine Dissertation im Arbeitsprozess. Auch diese Arbeiten sind kein Gegenstand einer Dokumentenanalyse. Sofern auf vorliegende fertig gestellte Arbeiten rekurriert wird, werden diese als das behandelt, was sie sind: wissenschaftliche Texte.

Am Anfang meiner Arbeit, lange bevor die ersten Interviews geführt wurden, stand die Analyse und das Durcharbeiten durch die Dokumente. Dieser Prozess war schneller möglich als vermutet, da es sich um vertrautes, bekanntes Material handelte, das teilweise im Projektprozess bereits mehrfach gelesen oder mit dem gearbeitet wurde. Dennoch haben mich die Ergebnisse insofern überrascht, als sie eine Struktur offenlegen, die mehr über das Thema Kinder- und Jugendpartizipation aussagt, als diese Dokumente auf den ersten Blick nahe gelegt haben.

Diskursanalytisch wurden sieben Felder aus den Schriftdokumenten herausgearbeitet, deren Essenzen jeweils in eigenen Blogartikeln vorgestellt werden.


Aus dieser Analyse, die im Blog sukzessive präsentiert wird, haben sich vorläufige Forschungsfragen ergeben:

Wie kann in Prozessen der Kinder- und Jugendpartizipation die Trennung von Sphären überwunden und zum anderen in der Arbeit mit Kindern und Jugendlichen auch erzeugt werden? Welche Rolle kommt dabei der Pädagogik zu, über welche professionellen Möglichkeiten verfügt die Kindheitspädagogik?

… sowie die ersten Hypothesen entwickelt:


Die Umsetzung der Partizipation von Kindern und Jugendlichen bedarf einer Umstrukturierung der politischen Sphären im Sinne einer Durchlässigkeit und größeren Transparenz.

Die Pädagogik ist selbst gefordert Neues unter Einbeziehung von Kindern und Jugendlichen zu entwickeln und ihre bisherigen Strategien zu hinterfragen.

Theoriearbeit

Theoriearbeit ist für qualitative Forschung das, was Trinken für den Menschen ist. Ohne Flüssigkeitszufuhr kann ein Mensch nur wenige Tage überleben. Theorielos geht qualitative Forschung zugrunde oder besser gesagt: bleibt sie ein Gerippe. Bei der Auswahl der theoretischen Bezüge hingegen stellen sich die Fragen: was sind die Kriterien, nach denen die Theorie ausgewählt wird, zu welchem Zeitpunkt der empirischen Forschung kommt sie ins Spiel? Die Meinungen über die Rolle der Theorie in der qualitativen Forschung gehen je nach Fächerkultur weit auseinander.

In meinem Forschungsprozess kommt Theorie zu jedem Zeitpunkt und immer ins Spiel. Theorie und Empirie sind von Beginn an und durchgängig verwoben. Ob diese Theorien sich im Laufe des Prozesses als mehr oder weniger relevant oder gar ganz und gar irrelevant erweisen, hängt wesentlich von der eigenen Flexibilität und der Offenheit gegenüber dem Forschungsprozess ab.

Theorie bildet in diesem Projekt so etwas wie die immer wieder notwendigen Fluchtlinien und dazu gehören ebenso die Theoretisierung der Methoden und die Theoretisierung des Forschungsprozesses.

Graphik: F.McGovern

Meine hier getroffene anfängliche Schwerpunktsetzung auf Theorien der Resonanz, Partizipation, Nachhaltigkeit, und der sozialen Orte wurde entlang einiger Kriterien getroffen:

*der Aktionsforschungscharakter des vorausgegangenen KRAKE-Projektes;

*die thematische Auslegung für die Antragstellung zum Forschungssemester und die darin formulierten Begriffe und Ziele;

* meine eigene Theoriegeschichte und mein bereits vorhandenes oder zuvor angewandtes Theoriewissen.

Theorie kontinuierlich und begleitend zu verarbeiten, hält die Empirie lebendig, fordert zu neuem und weiterem Denken heraus, ermutigt zur Perspektivenerweitertung und schafft die Verbindungen:

Foto: H.Weinbach

“There is always a necessary weave of narrative and other material-semiotic practices …”

Haraway, Donna (2004): The Haraway Reader, New York and London, S.316

Krake – jedes Ende hat einen Anfang

Die Abschlussveranstaltung des deutsch-niederländischen Projektes Krake – Krachtige Kernen – Starke Dörfer fand am 15. Mai in der Euregio Rhein-Waal in Kleve statt. Alle sechs Communities (Family Community; DNA; Service, Wohncommunity, Health-Community, IT-Community) präsentierten Highlights, eine Anekdote sowie eine Idee für künftige Projekte. Die Handbücher, die die Arbeit der vergangenen drei Jahre dokumentieren, wurden der Euregio offiziell übergeben.

Foto ©Rob Gieling

Als Family Community haben wir uns drei Jahre lang dafür engagiert, dass die Partizipation von Kindern und Jugendlichen in den Dörfern entsteht und entwickelt wird. Umso mehr haben wir uns darüber gefreut, dass das Thema nun auch in anderen Communities aufgegriffen wurde und Will Bongaerts vorgeschlagen hat, dieses Thema zu einem eigenen großen Projekt zu machen.

Foto: H.Weinbach

Das zweisprachige (Niederländisch-Deutsch) Handbuch der Family Community stellt alle 12 niederländischen und deutschen Dörfer, deren methodisches Vorgehen und die Ergebnisse dar. Das Handbuch richtet sich an Kinder, Jugendliche und Erwachsene. Es enthält Aufgaben für die Kinder und Jugendlichen, die diese selbst in ihren Dörfern (oder auch Stadtteilen) durchführen können.

Das Handbuch der Family Community steht auch als Online_Handbuch zum Durchblättern zur Verfügung. Mit einem QR-Code können sich die Leser*innen leicht mit den Arbeitsblättern und Materialien der Family Community verbinden, diese downloaden und selbst für die Entwicklung der Kinder- und Jugendpartizipation in ihren Dörfern einsetzen oder wieder verwenden.

Mit unserem Projekt haben die Prozesse erst begonnen, Kinder und Jugendliche möchten aktiv werden, sie wollen ihre Sichtweisen in die Gemeinschaft einbringen und sie möchten ihre Ideen realisiert sehen. In diesem Prozess lernen alle zusammen, was möglich ist, wo die Grenzen liegen, welche innovativen und kreativen Perspektiven sich herstellen lassen und wie das geschieht und nicht zuletzt: wie gut es tut, darüber immer wieder neu nachzudenken. Wir freuen uns über Feedback von denjenigen, die das Handbuch verwenden und Neues ausprobieren.

Qualitative Forschung … das große Durcheinander, ein Chaos

Seitdem Wissenschaft selbst Gegenstand der Theoretisierung und der historischen Betrachtung ist (Kuhn 1976; Chalmers 1999) werden die Struktur, der Wahrheits- und Objektivitätsanspruch von Wissenschaft reflektiert (Haraway 1990). Damit liegen höchst unterschiedliche Sichtweisen zum Selbstverständnis von Wissenschaft vor, von denen aus meiner Sicht keine „wahr“ sein kann, sondern jede Wissenschaft erzeugt die Episteme des Fachgebietes, mehr oder weniger inter- oder transdisziplinär. Diese haben für kurze oder lange Zeit Geltungsanspruch und Praxisrelevanz. Dann zerfallen Sie im Modus der Zeit vollständig oder lösen sich in andere Strukturen auf.

Die Idee, dass Wissenschaft und ihre Erzeugung alles Andere als ein strukturierter Prozess mit einem strukturierten Ergebnis ist, theoretisiert Law (2004) in einer dekonstruktivistischen Perspektive und wirft die Frage nach dem „mess in social science research“ auf. Wenn wir von Methode sprechen, wird häufig das Gegenteil von „Durcheinander, Chaos“ angenommen. Assoziiert – und dementsprechend zum Beispiel als Anspruch an Studierende herangetragen – werden Struktur, Ordnung, Logik, Präzision, Systematik, Zuverlässigkeit oder Planmäßigkeit.

Foto H.Weinbach

Der Prozess des wissenschaftlichen Arbeitens wird in der Regel jedoch als das genaue Gegenteil erfahren: als Wildheit der Verknüpfungen und Ideen, Dateien- und Blätterchaos, permanente Umstellung und Abänderung und Veränderung, Unschärfe, Zufall, mit zahlreichen Optionen der Anordnung des Materials, zeitliches Auseinanderdriften, Unvorhersehbarkeit, Verschwinden, Risiko, Irritation … Was am Ende auf dem Papier steht und in Form eines wissenschaftlichen Artikels oder einer Abschlussarbeit eingereicht wird, kann dann als konform und leistungsgerecht gelabelt werden, wenn all diese Prozesse möglichst nicht sichtbar werden, Zweifel bestenfalls hoch strukturiert formuliert werden dürfen.

„Method“ und „mess“ zusammen zu denken, scheint eher nahe liegend: „How might method deal with mess?“ (Law 2004, 1). Zunächst entsteht dieses Durcheinander aus den Gegenständen der Wissenschaft, weil diese selbst komplex, diffus und chaotisch sind und jeder Versuch der Herstellung von Ordnung das Durcheinander vergrößert (Law 2004, 2). Wenn Wissenschaftler*innen beim Herangehen an ihr wissenschaftliches Thema bereits in Erwägung ziehen, dass ihre Gegenstände facettenreich, fluide, unvorhersehbar sind (Law 2004, 3), könnte sich das auf den Forschungsprozess produktiv und kreativ auswirken. Wo eine großzügige, lockere, perspektivenreiche Herangehensweise (Law 2004, 3) möglich ist, der Common sense der Wissenschaften verlassen werden darf, da könnten innovative Wege und heterogene, singuläre Resultate entstehen.

Die Umsetzung von wissenschaftlichen Methoden ist nicht die Anwendung aus einem Koffer von technischen Instrumenten, sondern „a way of being“ (Law 2004, 10) und diese Lebensform könnte so aussehen:

„My hope is that we can learn to live in a way that is less dependent on the automatic. To live more in and through slow method, or vulnerable method, or quiet method. Multiple method. Modest method. Uncertain method. Diverse method. Such are the senses of method that I hope to see grow in and beyond social sciences“

Law, John (2004): After method. Mess in social science research, Abingdon, 10

In diesem Sinne sollte jeder Schritt der Forschung, vom Lesen angefangen bis zum vermeintlichen Fazit einer Arbeit als eine Reise mit der Freude am Prozess selbst gesehen werden und dem Genuss daran, allmählich das Eine aus dem Anderen entstehen zu lassen. Das Bloggen von Forschung erschiene dann als ideale Produktionsform, der Reflexion selbstverständlich zu unterziehen.

Literatur

Chalmers, Alan F. (1999): What is this thing called science? Maidenhead
Haraway, Donna (1990): Primate Visions. Gender, Race, and Nature in the World of Modern Science, New York
Kuhn, Thomas (1976): Die Struktur wissenschaftlicher Revolutionen, Frankfurt/M.
Law, John (2004): After method. Mess in social science research, Abingdon

Ein Plan ist kein Plan ist ein Plan …

Am Anfang steht, wie so oft, ein Vorhaben, ausgelegt in einer Beschreibung mit den durchaus schon als traditionell zu bezeichnenden Exposébestandteilen. Ein Plan über Inhalt und Zeit und Ziel. Während des Niederschreibens und Bearbeitens, ganz zu schweigen von der Zeit der Einreichung bis zur Vorstellung und dann zur Genehmigung, verändert sich das Projekt bereits. Dieser Prozess, der sich hinwegzieht über den Zeitraum eines Forschungsprojekts könnte auch mit dem aus der neueren Managementtheorie entlehnten Begriff als „Neurochange“ (Möller 2014) bezeichnet werden. Das Gehirn ist eben jener chaotische, unheimliche Ort (Gilbert 2010), der unwillentlich ständiger Dynamik und Veränderung unterworfen ist. Das Festhalten an einem Forschungsplan ist wie Meditieren, für kurze Zeit entsteht die Illusion des Freiseins von Veränderung, eines konstanten simplen Breathing in and out. Auch diese Momente sind bedeutsam, wie eigentlich jeder Moment des Denkens Aufmerksamkeit verdient, denn aus ihm können genau die Gedanken und Worte entstehen, die über das Bestehende samt seiner Pläne hinausweisen, freilich auch nur für ein begrenzte Zeit.

Mein Forschungsvorhaben hat eine Geschichte, eine Projektgeschichte über mehr als drei Jahre, die Vorbereitungszeit nicht mit eingerechnet. In dieser Zeit wurde im Rahmen von Interreg VA unter Leitung von Will Bongaerts und Rolf Laakman ein Großprojekt installiert, KRAKE – Krachtige Kernen – Starke Dörfer. Von den sechs Communities hatte die Family Community zunächst als einzige Community die Kinder und Jugendlichen im Blick. In zwölf Dörfern in den Niederlanden und in Deutschland unternimmt die Family Community den Versuch, Kinder- und Jugendpartizipation und die Anliegen der Familien in den Dörfern zum Erscheinen zu bringen oder zu stärken. In dieser Zeit wurden zahlreiche Dokumente kreiert und von mir selbst Feldnotizen angefertigt. Von Anfang an hatte ich das Vorhaben, dieses Projekt nach Abschluss der Umsetzungsphase in die Tiefe zu untersuchen, um mehr über die Implementierungsprozesse und die Dynamiken von Kinder- und Jugendpartizipation herauszufinden.

Der Fokus bei Einreichung meines Forschungssemesters lag zunächst auf dem Thema: „Nachhaltigkeit“ – theoretische und empirische Diskursanalysen im bildungswissenschaftlichen Feld. Der Hauptschwerpunkt lag zunächst auf dem Begriff der „Nachhaltigkeit“ und dem Gedanken „nachhaltige Partizipationsprozesse“, die durch ein dreijähriges Forschungsprojekt in Gang gesetzt worden sind, im Detail zu rekonstruieren und zu erforschen. Zudem sollte dem Topos „Nachhaltigkeit“ in Bildungskontexten dekonstruktivistisch und diskursanalytisch nachgegangen werden. Dieses Vorhaben besteht weiterhin und befindet sich in der Umsetzung, wurde dennoch bereits deutlich verändert, wie der Name des Blogs „Resonanzen“ sowie die Beschreibung des Blogs indizieren:

Resonanzen der Kinder- und Jugendpartizipation
Sozialräumliche Teilhabe von Kindern und Jugendlichen in Dörfern – eine Frage der Nachhaltigkeit?

Die Veränderungen sind wie immer wesentlich der Auseinandersetzung mit Theorien geschuldet, weniger den inzwischen durchgeführten empirischen Analysen. Aus allen Arbeitsschritten zusammen ist jedoch eine Art von Plan entstanden, der in der Struktur dieses Blogs widergespiegelt ist. Im Fokus stehen Theorien der Resonanz (Kritische Theorie/Frankfurter Schule), der Partizipation, der Nachhaltigkeit sowie der Sozialen Orte.

Die empirischen Untersuchungen werden in einer Triangulation durchgeführt:


* Dokumentenanalysen,


* Fotoanalysen,

*Analysen von Kinderzeichnungen


* Analysen der (auto-)ethnographischen Feldnotizen,

* ExpertInneninterviews mit unterschiedlichen Akteur*innen (Projektbegleiterinnen, Kindern und Jugendlichen, Freiwilligen Projektbeteiligten, PolitikerInnen und PädagogInnen).

Die Resultate werden mit einer Mischung aus unterschiedllichen Methoden (dekonstruktivistisch, dikursanalytisch, phänomenologisch) ausgewertet.
Ergebnisse und deren Diskussion werden anonym öffentlich dargestellt. Rückschlüsse auf Personen, Dörfer, Ereignisse werden ausgeschlossen. In der Forschungsarbeit geht es um die Identifizierung von Themen und Diskussionsfeldern, die von allgemeinem Interesse sein können.

Qualitative Forschung als solche und die hier angewandten Methoden werden einer theoretischen Reflexion unterzogen. Vom metareflexiven Blick auf die Forschung erhoffe ich mir neue Perspektiven auf die Forschung selbst und neue Ideen zur Durchführung von Forschungsprojekten. Forschung in Blogform im Prozess selbst zu dokumentieren, bedarf einer Reflexion, da es eine neue Erfahrung für mich bedeutet. In einem Blog werden zudem die subjektiven Aspekte, die jeder Forschungsprozess in sich trägt in ihren Versuchen der Objektivierung beobachtbar gemacht.

Das Denken und der Umgang mit Materialien der Forschung lässt sich in Anlehnung an die Metapher der Gezeiten gut abbilden: es findet ein regelmäßiges, ruhiges oder stürmisches Kommen und Gehen statt, währenddessen verändern sich die Blicke auf und das Handhaben des Materials in einem Resonanz- und Austauschprozess. Es findet ein Prozess statt, der niemals zu Ende ist, es sei denn der Schluss wird deklariert und das Interesse wendet sich ab, hin zu neuen Vorhaben. Hinter all dem stehen hochkomplexe physikalische, psychische, kognitive Prozesse, die sich nur bei sehr genauem Hinsehen, Denken, Aufzeichnen, Berechnen, Formulieren ansatzweise erschließen. Der Fluidität des Forschungsprozesses entsprechen die „Gezeiten des Bewusstseins“:

Foto: F. McGovern

„Die Rolle der Gefühle für das Denken, der Gebrauch unseres Gedächtnisses, das Wesen des Verstehens, die Qualität unseres Bewusstseins – all das ändert sich ständig im Laufe des Tages, während wir ein Spektrum durchlaufen, das für nahezu alle Aspekte von Geist, Denken und Bewusstsein von entscheidender Bedeutung ist.“

Gelernter, David (2016): Gezeiten des Geistes: Die Vermessung unseres Bewusstsein. Berlin

Literatur

Gelernter, David (2016): Gezeiten des Geistes: Die Vermessung unseres Bewusstsein. Berlin

Gilbert, Paul (2010): The Compassionate Mind. London

Möller, Robert (2014): Wandel im Kopf!? Was Neurowissenschaften zum Change Management beitragen können. Hamburg

Bin dann mal im Forschungssemester…

Bibliothek der Hochschule Rhein-Waal

Wo bitte sind Sie? … Bei der Vorstellung meines Forschungsvorhabens und des Antrags auf eine Freistellung von der Lehre zum Zwecke der Forschung haben die studentischen Mitglieder des Fakultätsrates erstaunt gewirkt und die Frage gestellt: bei vollem Gehalt? Ja, Forschung ist tatsächlich eine Tätigkeit im Rahmen der Aufgaben einer Hochschullehrerin. Sie ist keine zusätzliche Leistung außerhalb des Rahmens eines Arbeitsvertrages. Es scheint so, dass viele Studierende nicht wissen, was es bedeutet, wenn ihre Professor*innen sich in ein Forschungssemester begeben. Denn auch die Studierenden in meinem Studiengang „Kindheitspädagogik“ an der Hochschule Rhein-Waal waren äußerst überrascht und haben zum ersten Mal davon gehört. Dementsprechend hoch war der Aufklärungs- und Klärungsbedarf.

Im Hochschulzukunftsgesetz NRW ist eine Freistellung von Professor*innen zum Zwecke der Forschung oder einer Tätigkeit in der Praxis ausgeführt:

§ 40 Freistellung und Beurlaubung
(1) Die Hochschule kann Professorinnen und Professoren von ihren Aufgaben in der Lehre und der Verwaltung zugunsten der Dienstaufgaben in der Forschung oder in der Durchführung künstlerischer Entwicklungsvorhaben freistellen, wenn die ordnungsgemäße Vertretung des Faches in der Lehre während dieser Zeit gewährleistet ist. Der Hochschule sollen keine zusätzlichen Kosten aus der Freistellung entstehen.
(2) Die Hochschule kann Professorinnen und Professoren für die Anwendung und Erprobung künstlerischer oder wissenschaftlicher Erkenntnisse und Methoden in der beruflichen Praxis sowie zur Gewinnung oder Erhaltung berufspraktischer Erfahrungen außerhalb der Hochschule beurlauben; Absatz 1 gilt im Übrigen entsprechend.

Eine ausführliche Erläuterung gibt z.B. der Hochschullehrer*innenverbund.

Der Alltag von Hochschullehrer*innen an Hochschulen für angewandte Wissenschaften ist durch 18 Semesterwochenstunden Lehre geprägt; plus Vor- und Nachbereitungszeiten dieser Lehre; Betreuung und Beratung von Studierenden zu Prüfungen und Bachelor- und Masterarbeiten; Gremientätigkeiten; Besuche von Konferenzen und Weiterbildungsveranstaltungen; Schreiben von Artikeln und: Forschung. Letztere kommt in dieser Vollzeittätigkeit oft zu kurz, häufig bleibt es bei kleinen Projekten mit Studierenden gemeinsam. Drittmittelgelder für kindheitspädagogische Forschungsprojekte stehen begrenzt zur Verfügung.

Selbst intensiv zu forschen hingegen, eröffnet die Möglichkeit im eigenen Fachgebiet neue Impulse, Denkweisen, Themen zu setzen und als Anregung für Studierende und alle Interessierten in den Vordergrund zu rücken. Zudem ist jeder intensive Forschungsprozess eine gute Erfahrung und Erinnerung daran, welche Herausforderungen diese Prozesse in sich bergen. Damit wird ein Perspektivwechsel in Bezug auf die Studierenden erleichtert, denn deren intensive Arbeitsprozesse in Bachelor- und Masterarbeiten oder in kleinen Forschungsprojekten unterscheiden sich gar nicht so. Denn Forschungsprozesse von Menschen haben viele Gemeinsamkeiten.

Meine Entscheidung, einen Teil der Forschungsergebnisse in einem Scienceblog zur Verfügung zu stellen, kommt auch aus diesem Wunsch heraus, Verbindungen zwischen denjenigen zu knüpfen, die forschen und sich nicht nur für die Ergebnisse, sondern auch für den gesamten Prozess und dessen Reflexion interessieren. Zu diesem Prozess gehören intensives Lesen und Exzerpieren, von mir bevorzugt in der inspirierenden Ruhe von schönen Bibliotheken; die empirische Arbeit in Form von Interviews mit sehr unterschiedlichen Menschen an verschiedenen Orten; das Arbeiten mit Materialien wie Dokumenten, Feldnotizen aus dem eigenen Archiv oder in einem öffentlichen oder Onlinearchiv; die Diskussion mit den beteiligten Studierenden in der Hochschule und natürlich DENKEN und SCHREIBEN, gerne an meinem ruhigen Schreibtisch zu Hause oder in meinem schönen Office mit Wasserblick an der Hochschule Rhein-Waal.