Wildcat Nr. 83, Frühjahr 2009, [w83_auto.htm]



[Startseite] [Archiv] [Bestellen] [Kontakt]   Wildcat: Wildcat #83 – Inhalt [Gesamtindex]


English version
Spain version
czech version

ENDE DES AUTOS

Jahrzehntelang wurde die »Dienstleistungsgesellschaft« und das Ende der Industriearbeit propagiert. Heute ist die Presse voll mit Berichten über die volkswirtschaftliche Bedeutung der Autoindustrie und mit Bildern von Arbeitern. Texte und Bilder rufen: »Das soll zu Ende sein?! – Unvorstellbar!!« Aber alle wissen auch, dass wir nicht im »Tal eines Krisenzyklus« sind und nachher die Autoindustrie wieder brummt. Denn beim Auto kommen alle Krisen zusammen: Konjunkturabschwung, Strukturkrise, Produktkrise, Überkapazitäten, Rohstoffverknappung, Emissionsproblematik (Kohlenstoffdioxid, Feinstaub, Benzol), Lärmbelastung, Raumverbrauch (Straßen, Parkplätze…), drohender Kollaps der Verkehrsströme und nicht zuletzt »Überalterung« der Stammbelegschaften (u.a. die gewaltigen Rentenverpflichtungen der US-Autofirmen). Der Produktzyklus des Autos ist überschritten. Der Gebrauchswert des Autos an sich steht in Frage.

Alle hängen am Auto

Seit Ende des Zweiten Weltkriegs trieb das Auto die industrielle Entwicklung an. Es war Mittel zur Durchsetzung des Kapitalismus, wie wir ihn heute kennen. Die Produktion stieg in den letzten 40 Jahren noch einmal von 16 Millionen auf 73 Millionen Fahrzeuge weltweit. Davon produzieren Westeuropa, Japan und Nordamerika zwei Drittel. In Osteuropa, Russland, China, Indien und Brasilien sind riesige Produktionskapazitäten entstanden. Trotz aller Propaganda der Effizienzsteigerung durch Toyotismus usw. ist die Entwicklung der Produktivität zurückgegangen: Während in den Großbetrieben der 60er Jahre innerhalb von zehn Jahren die Produktion verdoppelt wurde, dauerte es trotz Beschäftigtenzuwachs weitere 30 Jahre, die Produktion ein weiteres Mal zu verdoppeln.

Während dieser Zeit wurden die alten Fabriken zergliedert und Teile der Produktion ausgelagert. Das macht es schwer, die tatsächlichen Beschäftigten zu zählen. Viele »Dienstleister« erledigen heute Arbeiten, die früher von der Stammbelegschaft gemacht wurden, wie Maschinenwartung und -reinigung; auch Leiharbeiter, die direkt am Band arbeiten, zählen offiziell zum Dienstleistungssektor. Sogar den Handel müssten wir inzwischen teilweise zur Produktion zählen, da die Autofirmen bei nicht marktreifen Neuwagen und vierjähriger Werkstattgarantie die Testphase neuer Modelle übernehmen. Als »Dienstleistung« zählen aber auch Entwicklungsbüros, Softwarefirmen, Unternehmensberater und Ingenieure (in der BRD planen über 20 000 externe Ingenieure einzelne Produktionsprozesse oder ganze Modellreihen). Zählt man vorgelagerte Branchen, Kfz-Handel und -Reparatur und Dienstleistungsbereiche dazu, dann arbeiten in der BRD 5,3 Millionen, in der EU zwölf Millionen Menschen in der Autoindustrie.

Wie viele Betriebe von der Autoindustrie abhängig sind, wird gerade jetzt offensichtlich, wo der Produktionsstopp zu Werksschließungen in der Chip–, Elektronik- und Chemieindustrie führt.

»Die Großfabriken zerschlagen!«

Der große Autoboom fand mit den seit Mitte der 60er Jahre anhaltenden Kämpfen in den Autofabriken sein Ende in der »Ölkrise« 1973; erstmals stand das Auto als Produkt in Frage.

Die Antwort auf die Kämpfe der Fließbandarbeiter war in den 70er Jahren die hoch subventionierte »Humanisierung« der Arbeit mit »Job enrichment«, »Job enlargement« und »Montageinseln«. Diese Experimente wurden in den 80er und 90er Jahren abgelöst vom »japanischen Modell«: lean production, Nullfehler und just in time machten Kostensenkung zur wichtigsten Leitlinie. Die Roboterisierung des Rohbaus verdrängte die Schweißer aus ihrer zentralen Stellung.

Als diese Strategien in der Krise Anfang der 90er Jahre auf breiter Front umgesetzt wurden, waren »Gruppenarbeit« oder »Entkopplung von Arbeit und Maschine« keine Schlagworte mehr für die »attraktive Fabrik«, sondern für einen auf flexible Fertigung ausgerichteten und völlig veränderten Arbeitsprozess. In den Stammwerken waren die Planer zunächst an der Rigidität der Arbeiter gescheitert, die wussten, dass jede Umstrukturierung ein Angriff auf ihre Kontrollmöglichkeiten ist. Nun kamen aber die neuen Fabriken in der ehemaligen DDR (Opel Eisenach, VW Mosel und Daimler Ludwigsfelde), sowie Werke im Osten der EU, im Süden der USA, aber auch in Japan, wo mit einem hohen Anteil an unerfahrenen Leuten die neuen Methoden umgesetzt wurden. Nachdem zumeist in Kleingruppen getestet worden war, wie schnell das Band laufen konnte und wie schnell die davon unabhängigen Arbeitsschritte zu erledigen waren, verschwanden Mitte der 90er Jahre die »Montageinseln«. Die Arbeitsschritte wurden nicht zurück ins Band integriert, sondern ausgelagert. Dies schuf die Grundlagen, um die Kernbelegschaften in den Stammwerken zu zerreißen: Zunächst fielen einzelne Arbeitsschritte, später Module aus der Produktion raus, dann folgten ganze Abteilungen. Die Auslagerung hatte unterschiedliche Gesichter. Mal wurden einzelne Arbeitsschritte nur formal ausgegliedert. Die Arbeiten wurden genauso weiter verrichtet, aber die Arbeiter gehörten zu einer anderen Firma. Manchmal wurden ganze Abteilungen durch Mauern und Zäune abgegrenzt. Oft wurde über hunderte von Kilometern verlagert, und gerade in der BRD, einem Vorreiter der Auslagerung, war dies anfangs recht unökonomisch. Denn im Kern ging es um zwei Punkte: Durch massenhafte Entlassungen in den Stammwerken die Löhne zu drücken (Neueingestellte bekommen bis zu 50 Prozent weniger. »Zulieferer« zahlen noch weniger. Durch Rückverlagerung von Zulieferwerken lässt man die Stammbelegschaft zu »Zulieferlöhnen« arbeiten). Und die großen Belegschaften von 30-50 000 auf einem Gelände in überschaubare Größen auseinanderzureißen, um sie dann in Konkurrenz zueinander zu setzen.

Organische Zusammensetzung und Puffer

Der logisch nächste Schritt war die »Modularisierung«[1]: Wenige Lieferanten liefern größtmögliche Module, bei denen die aufwendigen (Hand)arbeitsschritte erledigt sind, in die Endmontage, wo sie unaufwendig montiert werden (Antriebssysteme; ganze Frontpartien). In dieser Hinsicht hat die Autoindustrie produktive Sprünge geschafft. Aber bei der Reduzierung der Anzahl der Module treten sie auf der Stelle. 2001 träumten sie von 15 Großmodulen 2010, ein Golf VI hat noch 35.

Alle diese ausgelagerten Produktionsschritte werden allgemein als »Zulieferindustrie« bezeichnet. Dabei werden Reifenproduzenten in einen Topf mit neuartigen Firmen geworfen, die komplette Module wie Türen und Cockpits fertigen oder ganze Entwicklungsschritte übernehmen. Nicht zu vergessen die komplexe Software, die notwendig ist, um solch eine verteilte Entwicklung und Produktion zusammenzuhalten.

Eines ist all diesen »Zulieferer« gemeinsam: sie dienen als Puffer. Innerhalb der Produktionskette fangen sie Schwankungen bei den Rohstoffpreisen und den Absatzzahlen ab. Sie müssen die Produktion und Anlieferung just in time garantieren, bleiben aber auf ihren Produkten sitzen, wenn die Nachfrage fehlt. Gleichzeitig finanzieren sie die technische Entwicklung.

Viele kleine Betriebe – oft die Zulieferer der Zulieferer – arbeiten mit niedriger organischer Zusammensetzung: Sitze, Industrielager und komplette Module werden in aufwendiger Handarbeit produziert. Sie sind meist nicht groß, aber in der Fläche arbeiten tausende von Arbeitern getrennt voneinander mit teilweise urtümlichen Methoden.

Im Januar und Februar 2009 verschärft sich die Situation bei kleinen Zulieferern, deren Produkte eine zentrale Rolle für mehrere Autofirmen haben. Wenn ein Betrieb, der sämtliche Scharniere für alle deutschen Werke herstellt, dicht macht, steht die ganze Autoindustrie still.

Bei den großen Zulieferern und vor allem bei den Autobauern selber ist die organische Zusammensetzung stark gestiegen. Die Arbeiter wurden voneinander isoliert und eingespart. Diese kapitalintensiven Werke müssen riesige Stückzahlen produzieren, um Profit abzuwerfen – deshalb wird die Arbeitszeit ausgedehnt. Um im Takt einer Dreischicht-Endmontage mithalten zu können, ist in der Lackierung und im Karosseriebau ein enormer Maschineneinsatz nötig. Das Verhältnis Roboter zu Arbeiter ist in einem modernen Rohbau eins zu eins.

Krise der Zulieferer

Die weltweite Zergliederung der Autoindustrie hat in den vergangenen Krisen gegen die Arbeiter funktioniert. Die räumliche Trennung hat die kämpferischen Belegschaften zerschlagen, die Standortpolitik vieler Betriebsräte hat Solidarisierungen unterbunden. Im Ausgleich für die Zustimmung zur Aufstockung von Leih- und Zeitarbeit, Auslagerungen, schlechteren Bedingungen für Neueingestellte und flexiblen Arbeitszeiten gab es für die Stammbelegschaften Beschäftigungssicherungsverträge – was den Kapitalisten im gegenwärtigen Einbruch natürlich die Hände bindet: in der BRD bis 2011 bzw. 2013. Wenn sie trotzdem behaupten, »gut aufgestellt« zu sein, meinen sie damit vor allem zwei (politische) Puffer:

1. Die Spaltung der Belegschaft. Sämtliche Leiharbeiter in der Produktion sind in den letzten Monaten rausgeflogen, Befristungen werden nicht verlängert, kleineren Kernbelegschaften wird unbezahlt die Arbeitszeit gekürzt, Großbetriebe halten sie mit Kurzarbeit ruhig – und zermürben sie mit flexiblen Arbeitszeiten. Die einen fahren Sonderschichten, den anderen werden kurzfristig die Kurzarbeitstage zu- oder abgesagt.

2. »Including«. Durch die Rückverlagerung einiger Zulieferteile in die Stammwerke werden die Kernbelegschaften weiter beschäftigt. Die Zulieferfirmen machen pleite, da die dünne Kapitaldecke keine Produktionseinbrüche erlaubt. Die ersten Kündigungen sind unterschrieben.

Aber die Wucht der aktuellen Krise ist dabei, diese Puffer zu durchschlagen. Nachdem die »atmende Masse« draußen ist, trifft es nun die Kernbelegschaften. Aktuell streichen die Auto-Konzerne weltweit Stellen. Nissan und PSA z.B. 20 000, GM 37 000… Diemal betrifft es nicht nur die Arbeiter. PSA und GM haben bereits jeweils 10 000 Angestellte entlassen. Bei weitem nicht alle Autofirmen werden die aktuelle Krise überleben (Chrysler ist bankrott, in den USA stellt man sich auf die Pleite von GM ein. Opel, Fiat, BMW und Daimler sind zu klein zum Überleben usw.). Das Mindeste ist ein massiver Konzentrationsprozess mit zigtausenden Entlassungen.

Kooperation gibt es schon lange: Entwicklungsaufgaben wurden an Fremdfirmen ausgelagert, die Produktionsplanung und Ingenieursleistungen über Marken hinweg anbieten. Sogar in strategischen Bereichen wie dem Motorenbau arbeitet man zusammen (Pioniere waren hier GM und Fiat). Oder ein Multi baut die Fabrik, der andere betreibt sie – die Autos werden aber unter ihren jeweiligen Marken verkauft. Schon lange steht Saab, Citroën oder Volvo drauf, drin ist aber GM, Peugeot oder Ford. Die deutsche Autoindustrie sträubt sich bis heute gegen Kooperationen: VW, Daimler, BMW oder Porsche halten ein vom Staat über das Dienstwagenprivileg geschütztes »Premium-Segment«, mir überhöhten Preisen. Dieses spezifische Geschäftsmodell kommt jetzt in die Krise, ähnlich wie das bei der »Weißen Ware« AEG passiert ist: wer gibt schon mehr Geld aus, wenn die Waschmaschine sowieso in China gefertigt ist?

Das Ende eines Produkts

Das Verhältnis zwischen dem Lohn eines Autoarbeiters und dem Preis eines Neuwagens ist seit 1914 (T-Modell von Ford) ungefähr gleich geblieben: ein Auto kostet einen Jahreslohn. Enorm gestiegen sind die Unterhalts- und Fahrtkosten: Versicherung, Steuern, Sprit, Strafzettel, Maut- und Parkgebühren. Diese Steuereinnahmen steckt der Staat großteils in die Ankurbelung des Autoabsatzes, entweder direkt durch Autokauf (Polizei, Militär, Feuerwehr, Krankenwagen, städtische Einrichtungen) oder durch Subventionen (Dienstwagen, Pendlerpauschale…). Weniger als die Hälfte der Autos in der BRD werden privat gekauft – und davon wiederum 60 bis 80 Prozent auf Pump. Aber die billigen Kredite haben den Absatz nur vorübergehend stabilisiert. Die Neuzulassungen gingen von 2006 auf 2007 um über neun Prozent zurück; 2008 sogar um 20 Prozent; und 2009 wird das trotz Abwrackprämie toppen. 75 Prozent der deutschen Autoproduktion werden exportiert, aber im Ausland brechen die Verkäufe noch stärker ein. Vor allem dort, wo die Unternehmen niedrige Löhne zahlen (siehe den Artikel zu Polen im Heft). Die Kostensenkungsstrategie frisst sich selber auf, wenn immer weniger Leute sich einen Neuwagen leisten können. Dieser Trend wird sich noch extrem verstärken, wenn Massenentlassungen in der Autoindustrie anfangen.

Das Ende eines Traums

Ein Auto kaufen zu können ist das eine, ein Auto kaufen zu wollen das andere. Ist es noch verlockend, mit 250 PS am Wochenende ans Meer oder in die Berge zu fahren? Die Leute brauchen ihre Kisten, um auf Arbeit zu kommen (wobei viele sehr weit pendeln) – und stehen beim spontanen Kurzurlaub meistens im Stau. Das Versprechen des Individualverkehrs, schnell, individuell und bequem ans Ziel zu gelangen, hat sich blamiert.

Ein Jahrhundert lang hat die Autoindustrie den Individualverkehr propagiert. Eisenbahnen und Straßenbahnen zwangsverschrottet. Städte mit riesigen Schneisen zerstört und ganze Regionen zergliedert, um die Leute zu zwingen, ein Auto zu benutzen. Und allzuviel Zwang musste meist gar nicht sein! Man wusste den Wert eines individuellen Mobils zu schätzen. 1914 reichte ein Ford T für die Sandpisten zur Familienranch; in den 70er Jahren fuhren vollgepackte Fords über den Autoput ins tiefste Anatolien. In den 80ern war die Disko ohne eigene Karre nicht vorstellbar. Aber was ist heute geblieben vom Gebrauchswert eines Autos und was von seinen Reizen?

Derweil propagieren die Autobauer den Wandel durch saubere alternative Antriebe. Das Elektroauto soll als neues Produkt durchgehen. Doch auch hier haben die Kostensenkungsstragien Spuren hinterlassen, es wurde kaum noch in Entwicklung investiert. Ein Auto verbraucht heute noch zwei Drittel soviel Sprit wie ein Wagen vor 100 Jahren. Alle Firmen stellen jetzt »Prototypen« vor, aber keines dieser Autos verfügt über einen produktionsreifen Antrieb, der über den technischen Stand vor 100 Jahren hinausginge (um 1900 herum waren 50 Prozent aller Autos in New York Elektroautos!). Und am Verbrennungsmotor hängen so viele Arbeitsplätze im Motorenbau und der Stahlbranche, dass es auch wirtschaftspolitisch keine Idee gibt, was den Verbrennungsmotor ablösen könnte.

Ökologisches Halbwissen kommt in Krisenzeiten groß raus. Weniger Produktion gleich weniger Verschmutzung, die Umwelt- und Energiefragen sind so gut wie gelöst. Das unterschätzt den gewaltigen Koloss weltweite Autoindustrie – und es unterschätzt die Lobby hinter dem Elektroauto. Batteriefabriken und (neue) Atomkraftwerke statt CO2 und Benzol? Wunderbare neue Ökologie!

Den Widerspruch zwischen Ökologie und Produktion können nur die ArbeiterInnen aufheben

Die Arbeit in der Autoindustrie in Deutschland ist heute so organisiert, dass die schlimmsten sichtbaren körperlichen Schäden vermieden werden und auch 50jährige noch mithalten können. Ökologische Probleme tauchen eher indirekt im Produkt und dessen Verwendung auf. Das Auto ist nicht nur das teuerste und komplexeste Konsumgut, sondern auch Produktionsmittel. Es transportiert Arbeitsmittel wie Arbeitskräfte. Technisch stößt das auf dem Auto basierende Transportsystem an seine Grenzen. Politisch drehen sich die vom Kapital produzierten Bedürfnisse gegen das Kapital selber. Beides hängt zusammen, da die Bedürfnisse – einen dicken Wagen zu fahren, ein mit Multimedia vollgestopftes Highend-Mobil mit 200 kmh über die Autobahn zu jagen – zu 90 Prozent auf dem Arbeitsweg befriedigt werden sollen, wo man aber leider ebenso wie die Motorblöcke auf dem LKW im Stau steht. Durch die just in time Produktion ist die rechte Spur der Autobahnen zum mobilen Lager geworden. Staus verursachen volkswirtschafliche Schäden in Milliarden Höhe. Durchschnittlich darf jeder »Bundesbürger« 50 Stunden pro Jahr im Stau stehen. Verkehrsleit- und Kontrollsysteme sollen bei noch höherer Verkehrsdichte den Verkehrsfluss garantieren. Mehr Verkehrsüberwachung und technische Fahrassistenten sollen die Leute und ihr Fahrverhalten kontrollieren. Ständig werden diese unterlaufen (vor Blitzern warnen, Konvoifahren, Geschwindigkeitsübertretungen, Straßensperrungen überfahren…). An permanent ausfallenden Ampelanlagen wird der Verkehr selber geregelt. Berufspendler treffen sich auf provisorischen Groß-Parkplätzen und bilden Fahrgemeinschaften. Diese »Eigendynamiken« werden interessant, wenn man die Autobahn als verlängertes Fließband begreift. Und hier werden die anrüchigen Reize des Autofahrens zur politischen Komponente. Die Lkw- Fahrer in Spanien und Frankreich haben es 2008 vorgemacht, wie man die Produktion in ganz Europa lahmlegen kann. Autoarbeiter besetzen aus Protest eine Autobahn und stoppen damit direkt dieses »Fließband«.

Krise der Irrationalität

Staus, Lärm, Stress, Vergiftung machen nur einen kleinen Teil des Widerspruchs von gesellschaftlicher Produktion und Ökologie deutlich. Das Auto mindert die Lebensqualität mehr, als es Freiheit verspricht. Dass dafür eine Produktion am Fließband bei Tag und bei Nacht nötig ist, zeigt deutlich, dass es den Wahnsinn aufzuheben gilt. Kurzarbeit und Zwangspausen können ansatzweise deutlich machen, was es heißt, ohne stinkende Stauzeiten, endlose Nachtschichten und Krankenhausbesuche nach Autounfällen von Kollegen auszukommen.

Das Auto als Massenverkehrsmittel war von Anbeginn irrational. Der Reiz großer Motoren und unökonomischer Fahrzeuge wird von rebellischen Filmen bis zur »Formel 1« zelebriert. Die damit verbundenen Gesellschaftsspiele »Autoschrauben« oder »Tunen« sind mit den elektronisch gesteuerten und mit Kat versehenen Autos von heute nicht mehr so leicht möglich. Das machen nur noch wenige. Und wenn, dann besorgen sich viele Jugendliche alte Autos, an denen sie nächtelang schrauben, anstatt in der Frühschicht fit zu sein und auf den Neuwagen zu hoffen.

Die kapitalistische Gesellschaft des letzten Jahrhunderts formte sich rings um das Auto. Rings um das Auto wird diese Gesellschaft auch zugrunde gehen. Rasend schnell kapiert gerade auch das »Autoland« BRD, dass hier niemand »super aufgestellt« ist. Während die Automultis in bewährter Manier die Krise gegen ihre ArbeiterInnen durchschlagen lassen wollen, um jetzt ganz schnell alles durchzusetzen, wovon sie seit Jahren träumen, werden einige bereits von der Krise weggespült. Auch die Kernbelegschaften der Großfabriken sind nicht mehr »sicher«. Die Situation ist offen wie nie.

[1] Wir benutzen die Begriffe »Modul« bzw. »Modularisierung«, weil sie gebräuchlich sind. Eine Systematik gibt es nicht. Gemeint ist, dass Einzelbausteine zu einem größeren Ganzen zusammengesetzt werden. Mit »Modul« wird eine komplexe Baugruppe bezeichnet: eine komplette Seitenwand, ein Getriebe-Motorblock oder ein Scheinwerfer und nicht nur eine Schraube. Großmodule sind z.B. aufwendig vormontierte Fahrzeugunterbauten, Cabriodachsysteme o.ä. Der Begriff »Modularisierung« transportiert die Propaganda der Unternehmen, Fahrzeuge ließen sich im »Lego«prinzip zusammenbauen. Für die Endmontage mag das tendenziell zutreffen. Fahrzeugkarossen bestehen jedoch immer noch aus über 200 Einzelteilen.



aus: Wildcat 83, Frühjahr 2009



[Startseite] [Archiv] [Bestellen] [Kontakt]   Wildcat: Wildcat #83 – Inhalt Artikel im Archiv Gesamtindex