Nach der Verurteilung von Igor Shishkin veröffentlichte der Anwalt Dmitry Dinze auf seiner Facebook-Seite einen Beitrag, in dem er Material des "Netzwerk"-Fall offen legt. Unter denen, die eine Aussage gegen die Beteiligten machte, ist auch laut Anwalt auch ein „Kabanov V.I. (ein V-Mann, der Audioaufnahmen von Gesprächen mit Mitgliedern des Netzwerks hat).“
Darüber, wie dieser geheime Informant, der sich als Vlad Dobrovolsky ausgab, mit Antifaschist_innen in Kontakt kam, auf radikalen Widerstand gegen die Behörden und gewalttätige Maßnahmen gegen Polizeibeamte drängte, berichtete der im "Netzwerk"-Fall Betroffene Ilya Shakursky aus Penza bereits im vergangenen April in einer Erklärung. Der Antrag wurde durch den leitenden Ermittler Valery Tokarev eingereicht und dem Fall beigefügt, aber die dort genannten Tatsachen wurden nicht Gegenstand der Prüfung. Bei dem Prozess vor kurzem über die Verlängerung der Vorbeugemaßnahmen von Shakursky wurde diese Aussage vom Vorsitzenden vorgelesen (die Sitzung war offen, die Journalisten schnitten eine Audioaufnahme mit):
"... Im Herbst 2016 lernte ich im sozialen Netzwerk "VKontakte" (ähnlich wie facebook, Anm.d.Ü.) ich einen jungen Mann namens Vlad Dobrovolsky kennen. Vor- und Nachname sind möglicherweise nicht echt. Er war mittelgroß, kräftig, hatte dunkles kurzes Haar, Bart. Ich kann ihn identifizieren. Ich weiß auch, dass er an der staatlichen Universität Penza studiert. Vlad gab mir notwendige Informationen über bevorstehende Angriffe von Neonazis auf antifaschistische Veranstaltungen. Ihm zufolge habe er dies auf Grund einer persönlichen Kränkung seitens der penzaer Nazis getan.
Er teilte mir mit, dass einige Neonazis enge Beziehungen zu Angestellten der Anti-Extremismus-Abteilung (Abteilung des innenministeriums, zur Bekämpfung von Extremismus, Anm.d.Ü.) unterhalten, die ihrerseits die Organisation von Neonazi-Veranstaltungen (Turniere, Meetings, Konzerte) nicht behindern. Später bemerkte Vlad, dass ich Airsoft spiele, und schlug vor, ein paar Trainingseinheiten zu Airsoft-Taktiken zumachen. Bei einer Trainingseinheit zeigte er mir seine Schusswaffe „Vepr“. Später erzählte er mir, dass eine radikale Neonazi-Organisation in Sibirien aktiv sei, deren Ziel der Kampf um die Autonomie Sibiriens sei.
Als überzeugter Antifaschist hielt ich es für meine Pflicht, mehr über diese Organisation zu erfahren, um die Informationen weiter zu verbreiten, indem ich Artikel schreibe und sie in den Medien veröffentliche. Deshalb habe ich Dobrovolsky absichtlich in die Irre geführt, als ich über meine Ansichten sprach und seine Vorschläge unterstützte. Mein Ziel war es, sein Vertrauen zu gewinnen, um mehr über Neonazis zu erfahren. Ich traf mich selten mit ihm, obwohl er ständig um ein Treffen bat. Die Kommunikation mit ihm hatte für mich keine Priorität. Ich war mit dem Studium und meinem Privatleben beschäftigt.
Beim letzten Treffen im Sommer 2017 begann er, mit mir über seinen Wunsch zu sprechen, radikale Maßnahmen zu ergreifen und zu versuchen, ein Sprengmittel herzustellen. Ich hielt ihn für einen verrückten Fanatiker und hörte auf, mit ihm zu kommunizieren, und ignorierte seine Anrufe."
Shakursky kommentierte den gelesenen Text auf der Gerichtssitzung und erklärte, dass "Dobrovolsky" in Penza als Neonazi bekannt ist. Die „Novaya Gaseta“ (unabhängige Zeitung in der Russischen Föderation, Anm.d.Ü.) hat im Ask.fm-Netzwerk eine Person mit demselben Namen-Nachnamen gefunden, seine Witze in Diskussionen sind braun angehaucht.
Ilya Shakursky sprach während der Gerichtspausen mit Verwandten und sagte, er habe Audioaufzeichnungen von Gesprächen mit Vlad auf einem Smartphone geführt, die Mitschnitte auf seinem Computer gespeichert ebenso wie Fotos, die er von "Dobrovolsky" von mehreren ihrer Treffen gemacht hat (auf Shakurskys Wunsch machte sein Freund heimlich Bilder aus etwas Entfernung). Das Smartphone und der Computer wurden von Sicherheitskräften beschlagnahmt. Laut Ilya zeigten die Ermittler_innen diese Aufnahmen mit "Dobrovolsky" Dmitry Pchelintsev, der allerdings nicht im Bilde darüber ist. Was die Audioaufnahmen anbelangt, so waren sie dem Fall beigefügt - jedoch gekürzt, um die verbleibenden Sätze gegen den Angeklagten im Fall nutzen zu können. Und es gibt keinen Zugriff auf die ursprünglichen Aufzeichnungen, da Shakurskys Technik nur der Untersuchung zur Verfügung steht.
Als Bekannte von Ilja Studierenden der Universität Pensa Fotos von Dobrovolsky zeigten, erkannten diese ihn als Vlad Gresko - einen Studenten der PGU (Staatliche Pädagogische Universität, Anm.d.Ü.). Und wie die „Novaya Gaseta“ anmerkte, reden Bekannte auf Ask.fm den Benutzer wlad8 mit „Gres“ an.
Eine Suche im Netz ermöglichte es, auf einen anderen Zufall zustoßen: "Dobrovolsky" trainiert im selben Sportverein wie Ermittler Valery Tokarev. Beide sind auf den Bildern zavod58_sport_club zu sehen.
Vlad "Dobrovolsky" im Sportverein zavod58 (ganz rechts, in roten Hosen).
In Gerichtspausen gelang es Ilya auch zu berichten, dass nach einem Treffen mit Vlad auf der Straße ein starker Mann auf ihn zuging und anfing, ihn zu schikanieren und zu einem Kampf provozierte. Nach seiner Verhaftung sah Shakursky ihn im FSB-Büro - der Straßenräuber entpuppte sich als Mitarbeiter der Staatssicherheitsabteilung von Penza, Dmitry N.: "Er hörte Nazi-Mukke ala "Weißer Mensch, sei weiß", führte Gespräche mit dem Mitarbeiter Shepelev und teilte sein Verlangen mit "Köter zu erschießen" (so werden in Neonazikreisen Antifaschist_innen genannt, Anm.d.Red.). Ich tat so, als würde ich ihn nicht erkennen.“
"Sympathiko", den Ilya Shakursky als Chef der operativen Abteilung des UFSB (Abteilung des Inlandsgeheimdienstes der Russischen Föderation, Anm.d.Ü.) der Region Penza Vyacheslav Shepeleva identifizierte. Das Bild stammt aus der Gruppe "Sympathikos Penza" in "VKontakte".
Es war Shepelev, wie Shakursky in seiner Erklärung zur Folter festhielt, der ihn folterte um Geständnisse zu erwirken. Während der Pause der letzten Gerichtssitzung sagte Ilya über Shepelev:
„Diese Person nahm an meiner Folter und an der Folterung von Dima [Pchelintsev] teil. Er hat gedroht, mich zu vergewaltigen ... Als die Bürgerbeauftragte der Region Penza [Elena Rogova] zu uns kam ... das war lange her, als Dima und ich uns noch nicht sehen konnten, da bat sie mich, den Ort des Gefängnisses zu zeichnen, in dem ich gefoltert wurde. Ich habe gezeichnet und Dima im Nebenraum malte dasselbe. Sie hat einfach verglichen - und das ist derselbe Raum. Obwohl ich nicht offiziell dort war (gemäß den Unterlagen der Prüfung des Militärischen Untersuchungsausschusses auf die Anzeige wegen Folter hin) ... Da waren drei Personen - Shepelev hielt mich fest, band mich mit Klebeband fest ... Ich war in Unterhosen, er riss mir meine Unterhose runter und sagte, er würde mich vergewaltigen".
Ilyas Mutter, Elena Bogatova, erzählte den Reporter_innen, dass die Sicherheitskräfte bei der Durchsuchung der Wohnung ihres Sohnes gezielt zu einer Nische unter dem Fenster in der Küche gingen und dort die "als Feuerlöscher getarnte USBV" (Unkonventionelle Spreng- und Brandvorrichtung, Anm.d.Ü.) herausnahmen. Auf den Befehl von Shepelev - "Unter das Sofa gucken" - wurde eine Waffe herausgenommen. Die erste Untersuchung ergab keine biologischen und Schweißspuren von Shakursky bei diesen Fundstücken. Nachdem die Speichelprobe entnommen wurde, wurde ein zweites mal abgeglichen - und es zeigten sich biologischen Spuren von Ilya, die sich allerdings nur auf einem an die USBV angeklebten Isolierband befanden. Aber wie sich Elena, die während der Hausdurchsuchung anwesend war, erinnert, und wie das Foto in der Akte bestätigt, lag das Fundstück noch einige Zeit nach Entnahme (aus dem Fundort, Anm.d.Ü.) auf dem Boden rum. Dort, wo sich während eines längeren Aufenthalts einer Person im selben Raum sich höchstwahrscheinlich Partikel des Epithels, der Haare usw. befinden.
Bogatova zufolge forderte Hauptmann Shepelev sie auf, der NTV-Fernsehgesellschaft einen „korrekten Kommentar“ zu geben, nicht die Existenz einer terroristischen Vereinigung zu bestreiten und nicht auf der Unschuld ihres Sohnes zu bestehen. Ansonsten, so Elena, habe Shepelev angeblich gedroht, in der U-Haft die Informationen zu verbreiten, dass ihr Sohn ein Pädophiler sei.
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