RED.FIGHTS: Soliwoche für das Baskenland

VIII. Internationale Woche der Solidarität mit dem Baskenland (4.-13.April)

10.April 2014

18:00 Vortrag „Das Baskenland geht seinen Weg“
Referent: Dr. Ingo Niebel

Weder Repression noch das Madrider „Nein“ zu einer friedlichen Lösung des politischen Konflikts können die linke Unabhängigkeitsbewegung des
Baskenlandes aufhalten. Sie verfügt über einen Plan B, mit dem sie die Blockadehaltung von Staat und Regierung unterlaufen will. Der sieht vor, notfalls einseitige Schritte zu unternehmen und rechtliche Vorgaben zu akzeptieren. Bisher geht die Rechnung auf: Der politische Spielraum wächst und Madrid muss gegen sich selbst kämpfen.

Der Vortrag beschreibt die aktuelle Lage im Baskenland und skizziert die Politik der baskischen Unabhängigkeitsbewegung sechs Wochen vor den Wahlen zum Europäischen Parlament. Schwerpunkte werden die Gefangenenfrage und die Diskussion um das Selbstbestimmungsrecht von Basken und Katalanen im spanischen Staat sein.

Dr. Ingo Niebel, geboren 1965 in Köln, ist promovierter Historiker und freier Journalist. Er lebt und arbeitet in Köln und Gernika/Guernica. Seit den 1990er Jahren arbeitet er für baskische Medien, darunter als Deutschland-Korrespondent für die Zeitung „Gara“ sowie für internationale spanischsprachige Medien. In den letzten fünf Jahren hat er sechs Bücher zum Baskenland geschrieben.
Gerade neu erschienen:
„Gebildet … freier baskischer Staat“. Das Baskenland im Spanischen Bürgerkrieg. Bonn: Pahl-Rugenstein, 2014. ISBN 978-3-89144-450-4, 500 S., mit Karten u. Abbildungen, br., 29,90 Euro.

Eintritt frei, Spenden erwünscht

Green Sheep Pub (1.Stock) | Erbacher Strasse 5 | Darmstadt

VeranstalterInnen:
Euskal Herriaren Lagunak – Freundinnen und Freunde des Baskenlandes
http://www.info-baskenland.de/

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20:30 Live Konzert mit THE WAKES (Irish Folk and Roll aus Glasgow) und Eröffnungsfeier des IRISH REBEL STORE

Zum zweiten Mal geben sich die Jungs aus Glasgow in Darmstadt die Ehre. St.Pauli trifft Celtic und Irish Folk auf Rock n´ Roll. Wer sich den Werdegang der Glasgower Band ansieht, der wird vor allem eines feststellen: eine stetige Weiterentwicklung. War die erste Veröffentlichung „These Hands“ (2007) noch weitgehend geprägt von ausgesuchten Coversongs und eher geprägt vom Stil des Irish Rebel, einer kämpferischen Version des Irish Folk, so waren auf dem Nachfolger „No Irish Need Apply“ (2009) vor allem Eigenkompositionen zu finden. Auch der Sound wurde mehr und mehr von Rock, Punk und Indie beeinflusst, ein Mix, den die Jungs treffend Folk‘n‘Roll nennen. Zu diesem Anlass wird der Irish Rebel Store eröffnet!

*Reservierungen dringend erforderlich! Wegen der großen Nachfrage, bitten wir drum die reservierten Tische bis 20:15 Uhr einzunehmen, danach werden die Tische wieder frei gegeben*

Reservierungen über René: 0176/84763130 (täglich 16 Uhr – 20 Uhr)

Eintritt (Konzert): 5 €

Green Sheep Pub (1.Stock) | Erbacher Strasse 5 | Darmstadt

VeranstalterInnen:
Irish Rebel Store

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Trotz Repression aus Madrid und Paris: Das Baskenland geht seinen Weg

Veranstaltungen in Berlin, Darmstadt, Erfurt, Hamburg, Kaiserslautern, Karlsruhe, Nürnberg, Regensburg

Das Jahr 2014 war ein guter Start für die baskische Bevölkerung und ihre internationalen UnterstützerInnen. Es gab hochkarätige Beiträge zur Lösung des politischen Konflikts zwischen dem Baskenland, Spanien und Frankreich. Internationale Schlagzeilen machte vor allem die Untergrundorganisation ETA (Euskadi Ta Askatasuna, Baskenland und Freiheit) Ende Februar, als sie im Beisein internationaler Beobachter einen Teil ihres Waffenarsenals unbrauchbar machte. Sie werde diesen Prozess bis zum Ende durchführen, erklärt ETA nur wenig später. Zu internationalem Kopfschütteln führte die Reaktion der spanischen Justiz. Das Sondergericht für Terrorismusbekämpfung Audiencia Nacional lud die international angesehenen Beobachter vor, um sie über ihre ETA-Kontakte zu verhören.

Am 11. Januar 2014 gingen 130.000 im baskischen Bilbo (Bilbao) für Menschenrechte, Konfliktlösung und Frieden“ auf die Straße. Es war vermutlich die größte Demonstration in der Geschichte des Baskenlands. Dieser massive Druck der Bevölkerung ist auch nötig. Denn die Konfliktlösung im Baskenland wird durch autarke Schritte vorangetrieben, ohne Gegenleistung Spaniens oder Frankreichs. Diese Strategie der baskischen linken Unabhängigkeitsbewegung baut darauf, durch das Engagement der baskischen Gesellschaft und internationale Unterstützung Druck auf Spanien und Frankreich zu erzeugen. Die beiden Staaten weigern sich bisher nicht nur, sich mit konstruktiven Schritten in das Konfliktlösungsszenario einzubringen. Mit Polizei und Sondergericht versuchen sie stattdessen weiterhin, die baskischen politischen Akteure als Terroristen zu kriminalisieren.

Und so wird das Szenario immer bizarrer. Während im Baskenland zwei Jahre nach dem Ende des bewaffneten Kampfes von ETA Versöhnungsinitiativen vorangetrieben werden und sowohl das Kollektiv der baskischen Flüchtlinge und Exilierten wie auch das Kollektiv der baskischen politischen Gefangenen (EPPK) Beiträge zum Konfliktlösungsprozess leisten, verhaftet die spanische Guardia Civil nach wie vor politische Aktivisten, die sich für Frieden und
Konfliktlösung einsetzen als Terroristen, finden vor dem spanischen Sondergericht Audiencia Nacional zwei Massenprozesse gegen insgesamt nahezu 80 baskische Jugendliche und politische Aktivisten statt, in denen T-Shirts und CDs als Beweismittel für die Forderung mehrjähriger Haftstrafen herhalten müssen.

Offensichtlich ist weder Spanien noch Frankreich gewillt, sich konstruktiv am Konfliktlösungsprozess zu beteiligen. Es ist indes nicht nur die politische Diskussion um eine selbstbestimmte Zukunft des Baskenlands, der sich Spanien und Frankreich offensichtlich nicht gewachsen fühlen. Die neue Friedensstrategie der baskischen Linken hat schon längst die spanische Politik der Parteienverbote zu Fall gebracht. Damit ist eine starke baskische Linke wieder in Kommunen und Regionalparlamenten vertreten und bietet den neoliberalen Angriffen Paroli.

Auch in die drängende Aufgabe, die Situation der über 500 baskischen politischen Gefangenen zu entschärfen, kommt Bewegung. So verkündete das EPPK Mitte März 2014, dass zum ersten Mal in seiner Geschichte Mitglieder des Kollektivs – die auf Gefängnisse weit entfernt vom Baskenland verteilt sind – begonnen haben, individuelle Anträge auf Verlegung in das neue baskische Gefängnis in Zaballa zu stellen.

Das Baskenland geht seinen Weg, den wir gemeinsam mit EHL-Gruppen anderer Länder solidarisch begleiten. Besucht unsere Veranstaltungen in Berlin, Darmstadt, Erfurt, Hamburg, Kaiserslautern, Karlsruhe, Nürnberg und Regensburg und gebt Bescheid, wenn Ihr Euch auch an anderen Orten beteiligen wollt.

WIR LADEN EIN ZUR VIII. WOCHE DER INTERNATIONALEN SOLIDARITÄT

RED.FIGHTS: Film + Diskussion

Mitt­woch, 9.​April 2014

17:00 Uhr
Li­li­en­schän­ke
Nie­der-​Ram­städ­ter-​Stra­ße 170

21:00 Uhr
Au­di­ma­xx, TU Darm­stadt
Ka­ro­li­nen­platz 5

EIN­TRITT FREI

In Zu­sam­men­ar­beit mit dem AStA der Hoch­schu­le Darm­stadt zeigt die Fan- und För­der­ab­tei­lung des „SV Darm­stadt 98“ den Film „Blut muss flies­sen“.

„Nah­kampf“, „Noie Werte“, „Ka­te­go­rie C“, „Sleip­nir“, „Land­ser“, „Lu­ni­koff Ver­schwö­rung“, „Ham­mer­s­kins“, „Blood and Ho­nour“, „To­ten­kopf Ver­sand“, „Wer­wolf Re­cords“…

All diese Namen we­cken in ei­ni­gen von uns Er­in­ne­run­gen und schaf­fen As­so­zia­tio­nen. Was damit ver­bun­den wird ist je­doch oft nichts greif­ba­res. Denn da­hin­ter ste­cken Bands, Plat­ten­ver­la­ge und Netz­wer­ke der rech­ten Szene. Einer Szene, die oft im ge­hei­men agiert, deren Kon­zer­te kon­spi­ra­tiv und somit nicht für jeden zu­gäng­lich sind – und doch einer Szene, in der jähr­lich Mil­lio­nen um­ge­setzt wer­den und in der Ju­gend­li­che über das Me­di­um „Musik“ mit Ideo­lo­gi­en von Ras­sen­hass, Mord und Tot­schlag in Kon­takt kom­men. Die Musik dient hier als Ein­stieg und erste Sen­si­bi­li­sie­rung für ex­trem rech­te Theo­ri­en und Ideo­lo­gie.

„Der Rechts­rock schlägt den Takt, der eine ganze Ju­gend­kul­tur be­wegt – eu­ro­pa­weit.“

Über einen Zeit­raum vom knapp 15 Jah­ren ist der Un­der­co­ver-​Jour­na­list „Tho­mas Kuban“ tief in diese Szene ein­ge­taucht und hat mit ver­steck­ter Ka­me­ra auf sol­chen Kon­zer­ten ge­filmt. Was die Ka­me­ra zeigt sind Ver­an­stal­tun­gen, wie sie wö­chent­lich statt­fin­den, Ver­an­stal­tun­gen auf denen das Ge­setz außer Kraft ge­setzt scheint, wo das „Zei­gen ver­fas­sungs­wid­ri­ger Kenn­zei­chen“, der „Hit­ler­gruß“ und „Volks­ver­het­zung“ „Sa­lon­fä­hig“ und an der Ta­ges­ord­nung schei­nen.

Der Re­gis­seur Peter Oh­len­dorf hat zu­sam­men mit Tho­mas Kuban dar­aus einen Do­ku­men­tar­film ge­macht, einen Film der ver­bo­te­nes eben­so zeigt, wie Ver­harm­lo­sun­gen durch Ver­fas­sungs­schüt­zer und Po­li­tik, einen Film der auf­rüt­teln und sen­si­bi­li­sie­ren soll, der je­doch bis­her von kei­ner Sen­de­an­stalt ge­kauft wurde und die Ma­cher daher auch zu gro­ßer fi­nan­zi­el­ler Ei­gen­in­itia­ti­ve zwang.

Re­gis­seur Peter Oh­len­dorf wird bei bei­den Ver­an­stal­tun­gen vor Ort sein und im An­schluss an den Film für eine an­ge­reg­te Dis­kus­si­on zur Ver­fü­gung ste­hen.

MORD IN DARMSTADT



ERKLÄRUNG DER ROTEN HILFE DARMSTADT vom 30.März

Am Nachmittag des 21.März wurde Attila Kilic vor seiner Wohnung in der Taunusstraße (Darmstädter Martinsviertel) durch mehrere Schüsse hinterrücks ermordet. Der Mord war nicht politisch motiviert, der (bekannte) Täter hat aus niederen, „persönlichen“ Motiven gehandelt.

Die mediale Berichterstattung in der lokalen und überregionalen Presse, die reflexartig artikulierten stereotypen Spekulationen über „eine Tat aus dem kriminellen Milieu“ waren für uns unerträglich – auch wenn sie uns nicht überrascht haben. Denn sie zeigen abermals, wie tief Mißtrauen und Vorurteile gegenüber Menschen mit migrantischen Hintergund in der Gesellschaft verwurzelt sind.

Zur Kundgebung am 22.März und zur Trauerfeier am 23.März kamen mehrere hundert Menschen zusammen, um gemeinsam Attila zu gedenken. Vertreterinnen und Vertreter zahlreicher politischer Organisationen würdigten seinen vielseitigen Einsatz für den politischen Kampf in der Türkei wie auch in Deutschland.

Wir betrauern seinen sinnlosen Tod, sind wütend und tief bestürzt. Viele haben einen Freund verloren, noch mehr von uns einen Genossen. Er fehlt.

NICHTS UND NIEMAND IST VERGESSEN!

Rote Hilfe Darmstadt, 30.März 2014

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„Wir trauern um unser Gründungsmitglied, unseren Freund und Mitkämpfer Attila Kilic, der am Freitagnachmittag vor seinem Haus hinterrücks erschossen wurde.

Wir wissen nicht die Gründe seiner Ermordung. Egal aus welchem Grund diese Tat geschah, mit ihm haben wir einen Freund, einen entschlossenen Kämpfer für Demokratie und Menschenrechte, einen aufrechten Antifaschisten und Internationalisten verloren.

Wir werden am Samstag, 22.03.2014 um 14:00 Uhr auf dem Luisenplatz seiner gedenken. Am Abend um 18:00 Uhr findet in der Oetinger Villa eine
Gedenkveranstaltung statt.

HALKEVI DARMSTADT

Kamuoyuna,

Halkevi kurucu üyesi degerli dostumuz Atilla Kilıç sinsice öldürülmüştür.

Atilla Kilıç, 21.03.2014 tarihinde saat 15:00 civarında evinden çıktıktan kısa bir süre sonra arkasından sıkılan bir kurşunla katledilmistir, nedenini henüz bilmiyoruz.Nedeni ne olursa olsun böylesine bir ölümü dostumuzun hak etmediğini ve üzüntümüzün büyük olduğunu bildirmek isteriz. Ölümünün sadece Halkevi için değil, Darmstadt antifaşist mücadelesi açısından büyük bir kayıp olduğunu derinden hissediyoruz.

Atilla dostumuz sadece derneğimizin aktif üyesi değil, ayni zamanda yıllardan beri demokrasi ve sosyalizm mücadelesinin bir neferi ve yılmaz bir savaşçısıydı.

Hem ezilen Kürt ulusunun bir ferdi, hem de Almanya‘da göçmen kökenli olmaktan kaynaklanan sorunlar karşısında yılmamış, bu sorunların köklü çözümü için sorumlu bir birey olarak aktif mücedeleyi yürütmüştür.

Atilla Kilıç dostumuzun ve kavga arkadaşımızın önünde saygıyla eğilir, başta ailesi olmak üzere, yoldaşlarının ve tüm dost çevremizin başı sağ olsun diyoruz.

Tüm üyelerimizi ve dostlarımızı Cumartesi, 22.03.2014 saat14.00 Luisenplatz‘ta anma toplantısına bekliyoruz. Akşam saat 18:00′den itibaren Öttinger Villa‘da bir anma toplantısı yapılacaktır.

Halkevi Darmstadt

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ERKLÄRUNG DER ROTEN HILFE DARMSTADT vom 22.März

Gestern Nachmittag wurden im Darmstädter Martinsviertel mehrere Schüsse auf den türkischen Genossen Attila Kilic abgegeben. Er ist am Abend im Krankenhaus seinen schweren Verletzungen erlegen.

Die Umstände, mögliche Zusammenhänge und Motive sind aktuell völlig unklar. Wir fordern daher alle auf, sich nicht an Spekulationen zu beteiligen und auch keinerlei eigenständige Nachforschungen anzustellen!

Polizei und Medien sprechen schon jetzt von einem „südländisch aussehenden Täter“. Diese stereotype Pauschalierung lehnen wir ab, denn damit ist klar, auf welche Kreise und Umfelder sich die Ermittlungen konzentrieren bzw. reduzieren.

Solltet ihr Vorladungen von der Polizei erhalten, von Vorladungen anderer Kenntnis haben und/oder in der direkten Ansprache von Polizei/Verfassungschutz kontaktiert werden, meldet Euch umgehend bei der Roten Hilfe Darmstadt oder im Volkshaus HALKEVI.

Am 22.03. findet um 14:00 auf dem Luisenplatz eine Kundgebung statt, um 18:00 im Rahmen der geplanten CARSI-Party im JuKuZ Oetinger Villa eine
erste Trauer- und Gedenkfeier.

Attila war politischer Aktivist, u.a. Gründungsmitglied des Volkshauses HALKEVI und Mitglied der linken Ultravereinigung CARSI von Besiktas Istanbul.
http://www.halkevi-darmstadt.de

RED.FIGHTS: 18.März

Die Rote Hilfe Darmstadt organsiert eine Veranstaltungswoche rund um den Tag der politischen Gefangenen am 18.März

Details zu den Veranstaltungen findet Ihr auf
www.18maerzdarmstadt.blogsport.de

Übersicht Gesamtprogramm:

15.März
Auftaktkonzert
„SOOKEE + BADKAT on stage“
16.März
Internationalistisches Frühstück + Film
„Typ F – Der stille Tod“
17.März
Film + Vortrag zu Mumia Abu Jamal mit Annette Schiffmann
„Long Distance Revolutionary“
18.März
Konzert mit Bernd Köhler & Blandine Bonjour
„Les Noveaux Mousquetaires – Chansons Internationales“
19.März
Film + Vortrag mit Dr. Ingo Niebel
„Folter, Knast und Politische Gefangene im Baskenland“
20.März
Buchvorstellung + Vortrag mit Markus Mohr
„Das Prinzip Solidarität – zur Geschichte der Roten Hilfe in der BRD

RED.FIGHTS: Freiheit für das Baskenland

„Das Baskenland – Lichtblicke im Friedensprozess“

Vortrag und Buchvorstellung von Ralf Streck
Konzert von Esne Beltza Sound System

Ralf Streck lebt und arbeitet als Journalist im Baskenland und berichtet kontinuierlich in vielen Medien (z.B. Neues Deutschland, Telepolis) auch über politische Entwicklungen im Baskenland. Er gibt einen Überblick über die politischen Entwicklungen, Friedensbemühungen aber auch über die Schließung von Zeitungen, Folter, die Lage politischer Gefangenen etc. Er hat an der Übersetzung eines neuen Buchs mitgearbeitet, das im Januar 2014 im Papyrossa Verlag erscheint. Darin beleuchtet der inhaftierte ehemalige Sprecher der Linkspartei (Batasuna) selbstkritisch bisher gescheiterte Verhandlungsprozesse, mit denen eine Friedenslösung gefunden werden sollte. Streck wird über die Buchvorstellung den Schwenk der linken Unabhängigkeitsbewegung skizzieren, die sich von Gewalt distanziert und dafür gesorgt hat, dass die Untergrundorganisation ETA nach 50 Jahren 2011 den bewaffneten Kampf definitiv eingestellt hat. Trotz allem wollen nun weder Spanien noch Frankreich auch nur über die Abgabe der Waffen mit ihr sprechen, wie es die Roadmap eines Friedensplans vorsieht. Und die baskische Linke wird weiter mit Repression überzogen, um ein Scheitern des Friedensprozess zu provozieren. Doch das wird sie Linke nicht davon abhalten, weiter einseitige Schritte zu gehen. Sie überzeugt immer breitere Teile der Gesellschaft von der Bedeutung, das Selbstbestimmungsrecht zu erreichen, um über die eigene Zukunft frei entscheiden zu können.
Esne Beltza (Schwarze Milch) kommen aus Gipuzkoa, im Herzen des Baskenlands. Die Gruppe hat längst auch darüber hinaus Kultstatus und sich bei Auftritten in Deutschland schon einen Namen gemacht. Ihr energetischer Mix aus Ska, Reggae, Hiphop wird immer begleitet von der „Trikitixa“, dem baskischen diatonischen Akkordeon, und Texten in der ältesten Sprache Europas: Baskisch. Die Verbreitung der eigenen Kultur und Sprache, das Eintreten für soziale Gerechtigkeit, der Freiheit der politischen Gefangenen gehören zu ihren größten Anliegen. Der Sänger und Akkordeonist Xabi Solano und der DJ Zigor “DZ“ Lampre sind oft zu zweit als „Esne Beltza Sound System“ unterwegs und treten auf Demos und Kundgebungen der linken Unabhängigkeitsbewegung auf. Aus der beachtlichen musikalischen Karriere der zwei und dem brandneuen Album von Esne Beltza „Gora!“ (Hoch) kommen viele politisch engagierte Texte zusammen, die wir euch an diesem Abend zum Teil sogar übersetzt vorstellen!

RED.SOLIDARITY

RED.PARTY: Love Music – Hate Fascism!

RED.HISTORY: Antifascista Siempre

RED.PARTY: Auswärtsspiel für Comrade

RED.HISTORY: 20 Jahre Bad Kleinen

Alle Dokumente der Rote Armee Fraktion (RAF) im web
Die Sammlung ist die digitalisierte Version der Originaldokumente, die sich in der RAF-Sammlung im Internationalen
Institut für Soziale Geschichte in Amsterdam befinden

27.Juni 1993 – DIE SCHÜSSE VON BAD KLEINEN
Zum Tod von Wolfgang Grams (RAF)

Am 27.Juni 1993 wurde Wolfgang Grams bei einer lange vorbereiteten Staatschutzaktion in Bad Kleinen durch einen aufgesetzten Kopfschuß getötet: Selbstmord in den abschließenden Untersuchungen – und damit offizielle Lesart. Gleichzeitig wurde Birgit Hogefeld, ebenfalls in der RAF organisiert, verhaftet und im November 1996 zu lebenslanger Haft verurteilt. Möglich wurde all dies durch den Verrat des vermeintlichen Genossen, aber tatsächlich langjährigen Spitzel des Verfassungschutzes, Klaus Steinmetz. Wir dokumentieren im folgenden einen Auszug aus der Chronologie der Ereignisse, einen Brief von Birgit Hogefeld und weiterführende links zu den Ereignissen in Bad Kleinen und zur politischen Entwicklung der revolutionären Linken in der Phase der „Antiimperialistischen Front“ der 80er Jahre und der Zäsur der RAF 1992. Bad Kleinen war der Anfang vom Ende der Rote Armee Fraktion und damit das vorläufige Ende revolutionärer Politik in der BRD.

Plakat von 1993:

Chronologie der Ereignisse

Sonntag, 27.06.93
In den Nachrichten am späten Nachmittag wird gemeldet, daß bei einer Schießerei am Schweriner See zwei RAF-Mitglieder festgenommen wurden, von denen eines lebensgefährlich verletzt sei. Außerdem sei ein Beamter der GSG 9 ums Leben gekommen. € Am Abend heißt es, die Festgenommene sei Birgit Hogefeld, der zweite – inzwischen an seinen Verletzungen gestorbene – sei Wolfgang Grams. Beide seien durch Hinweise aus »Stasi«-Akten enttarnt worden.
Montag, 28.06.93
Das ARD-Morgenmagazin berichtet, daß am Ort des Geschehens eine dritte Person, die ein V-Mann der Polizei sein soll, anwesend war. € Birgit Hogefeld teilt ihrer Mutter nach Eröffnung des Haftbefehls telefonisch mit, daß sie sich um einen Anwalt für »Klaus aus Wiesbaden« kümmern soll. € Die Verhaftung von Wolfgang Grams und Birgit Hogefeld sollte laut Bundesanwaltschaft beim Verlassen der Gaststätte »Waldeck« auf dem Bahnhofsvorplatz durch ein MEK des BKA und im Auftrag des GBA erfolgen. Birgit Hogefeld habe dabei den Schußwechsel eröffnet. € Wolfgang Grams stirbt an seinen Schußverletzungen am Sonntag gegen 18.00 Uhr in der Uni-Klinik Lübeck. € Mehrere Wohnungen im Bundesgebiet wurden ohne richterlichen Beschluß und mit der Begründung, man sei »auf der Suche nach zwei flüchtigen Terroristen«, durchsucht.
Dienstag, 29.06.93
Radio und Fernsehen melden, daß Wolfgang Grams durch einem Kopfschuß gestorben ist. € Die BAW verhängt eine Nachrichtensperre, unklar bleibt deshalb auch, seit wann die Behörden den Aufenthaltsort von Birgit Hogefeld und Wolfgang Grams kannten. € ZeugInnen sagen aus, Wolfgang Grams und Birgit Hogefeld seien im Bahnhof festgenommen worden. Sie hätten sich zuvor mit einem weiteren Mann getroffen, der in offiziellen Darstellungen jedoch nicht erwähnt wird. € In den Medien wird berichtet, es könnte sich möglicherweise um einen V-Mann des BKA gehandelt haben. Die Schießerei sei wahrscheinlich eine Panne gewesen. Die Festnahme hätte nicht vor der Bahnhofsgaststätte stattfinden sollen, Wolfgang Grams und Birgit Hogefeld hätten das Feuer jedoch sofort eröffnet. Wolfgang Grams sei über die Treppe auf den Bahnsteig geflohen. Wolfgang Grams habe laut GBA von Stahl den ihn verfolgenden GSG 9-Beamten aus nächster Nähe mit einem »Dum-Dum-Geschoß« erschossen. Es soll ca. 20 Minuten gedauert haben, bis Grenzschutzhubschrauber zum Abtransport der Verletzten eintrafen. Die Festnahme soll bereits für die Nacht auf den 26.06.93 geplant gewesen sein.
Mittwoch, 30.06.93
Die BAW korrigiert ihre Pressemeldung vom 27.06.93 und erklärt nun, die Verhaftung von Wolfgang Grams und Birgit Hogefeld sei in der Bahnhofsunterführung erfolgt, nachdem Wolfgang Grams und Birgit Hogefeld die Gaststätte »Billard Café« zwischen den Gleisen verlassen hätten. Birgit Hogefeld sei überwältigt worden, bevor sie hätte schießen können. € Zur dritten Person wird keine offizielle Erklärung abgegeben, nach ihr wird auch nicht gefahndet. € Alle am 28.06.93 festgenommenen Personen sind wieder freigelassen worden. € Der Bundestagsinnenausschuß beschäftigt sich mit den Vorgängen, die Informationspolitik des Generalbundesanwalts wird scharf kritisiert und sein Rücktritt gefordert.
Donnerstag, 01.07.93
Die Fernsehsendung Monitor veröffentlicht die Aussage einer Zeugin (Kioskverkäuferin), die eidesstattlich erklärt, daß ein Beamter Wolfgang Grams, der reglos auf dem Gleis lag, aus nächster Nähe gezielt in den Kopf geschossen hat. Ein zweiter Beamter schoß mehrmals auf Bauch oder Beine. Diese Aussage hatte sie schon am Abend des 27.06.93 gemacht. € Aus dem Obduktionsbericht vom 28.06.93 geht hervor, daß der tödliche Schuß auf Wolfgang Grams entweder »aus unmittelbarer Nähe« oder als »aufgesetzter« Kopfschuß abgegeben worden sein muß. € Das Bundesinnenministerium behauptet, die Beamten der GSG 9 hätten keinen Schuß aus allernächster Nähe abgegeben, das habe die Befragung aller beteiligten Beamten ergeben. € Der GBA erklärt dem Bundestagsinnenausschuß, die Einsatzkräfte seien sich nicht sicher gewesen, wen sie vor sich hatten. Die Einsatzkräfte der GSG 9 hätten keine schußsicheren Westen getragen. Birgit Hogefeld und Wolfgang Grams seien nicht durch »Stasi«-Akten entdeckt worden.
Freitag, 02.07.93
Birgit Hogefeld schildert in einem Brief an die Tageszeitung, daß sie festgenommen worden sei, bevor sie sich hätte zur Wehr setzen können. Sie wurde gefesselt. Ihr wurde eine Kapuze über den Kopf gestülpt und um Mund und Nase mit Klebeband verklebt. Später im Auto wurde ihr eine Pistole weggenommen. € Die Staatsanwaltschaft Schwerin bestätigt, daß im Obduktionsbericht der Uni Lübeck Hinweise auf einen Schuß aus nächster Nähe auf den Kopf von Wolfgang Grams enthalten sind. Es sei unklar, aus welcher Waffe und mit welcher Munition geschossen worden sei. € Es wird bekannt, daß noch am 28.06.93 ein Fernsehteam mühelos zwei Dutzend Patronenhülsen vom Tatort aufgesammelt hat. Die für Wolfgang Grams tödliche Kugel war bis nachmittags verschwunden, dann wurde eine Kugel von einem Zeugen gefunden, die möglicherweise die tödliche war. Das LKA Schwerin findet vier weitere Patronenhülsen zwischen den Gleisen. € Den Eltern Grams wurde verweigert, bei der Obduktion anwesend zu sein. Eine zweite von ihnen veranlaßte Obduktion bestätigt den unmittelbaren Nahschuß. Die Eltern erstatten Anzeige gegen Unbekannt wegen Mordes bzw. Totschlags. € Dem GBA wird vorgeworfen, durch seine Informationspolitik einen V-Mann »verbrannt« zu haben. Bundesinnenminister Seiters beauftragt den Präsidenten des Bundesverwaltungsamtes und früheren Abteilungsleiter im Bundesamt für Verfassungsschutz, Grünig, als »unabhängigen« Juristen mit der Untersuchung der Vorgänge. Die beteiligten Beamten wurden bisher nur von ihren Vorgesetzten befragt, nicht vernommen. € Bei der Fraktion der PDS/Linke Liste meldet sich am 02.07.93 ein anonymer Anrufer, gibt sich als »Kollege der in Bad Kleinen eingesetzten Sicherheitskräfte« aus und behauptet, Wolfgang Grams sei unbewaffnet gewesen und ein Kollege habe die Nerven verloren. Ein weiterer Zeuge sagt aus, ein Beamter sei auf den auf dem Gleis liegenden Wolfgang Grams zugegangen und habe ihm die Waffe aus der Hand genommen. Die Staatsanwaltschaft Schwerin erklärt, damit werde die Wahr- scheinlichkeit größer, daß sich Wolfgang Grams den tödlichen Schuß selbst gesetzt habe. € Bei einer nochmaligen Befragung der beteiligten Einsatzkräfte ergaben sich weder Hinweise auf einen »Nahschuß« noch auf einen Selbstmord von Wolfgang Grams. € Öffentlich bekannt wird, daß im Zuge der Fahndung vom 28.06.93 ein »Verdächtigter« auf der Autobahn durch eine absichtliche Kollision gestoppt und dabei verletzt wurde. € Der GSG 9-Beamte Newrzella wird beerdigt.
Samstag, 03.07.93
GBA von Stahl auf einer Pressekonferenz: Wolfgang Grams hat sich offenbar nicht selbst erschossen und möglicherweise auch nicht den tödlich verwundeten GSG 9-Beamten. Untersucht wird, ob der erschossene GSG 9-Beamte von der Kugel eines Kollegen getroffen wurde. € Der Spiegel gibt bekannt, daß sich ein weiterer Zeuge dort gemeldet hat, der die Aussage der Kioskverkäuferin bestätigt. Einer der eingesetzten Beamten habe Wolfgang Grams aus nächster Nähe erschossen. € Ein Polizeipsychologe kritisiert, daß der Einsatz nicht dokumentiert worden ist.
Sonntag, 04.07.93
Bundesinnenminister Seiters tritt überraschend zurück. € Es wird mitgeteilt, daß das LKA Schwerin Teile eines Projektils an der Stelle gefunden hat, an der Wolfgang Grams lag.
Montag, 05.07.93
Öffentlich bekannt wird: Rund 48 Stunden haben 54 Beamte auf ihren Einsatz in Bad Kleinen gewartet. € Bis Freitag, den 02.07.93, waren die Waffen der Beamten nicht eingesammelt worden. € Laut einer Erklärung des BKA waren zur Versorgung der Verletzten vier Rettungshubschrauber eingesetzt. Ein Sanitäter der GSG 9 und Notärzte führten die Erstversorgung durch. € Die beteiligten GSG 9-Beamten sollen erstmals von der Staatsanwaltschaft Schwerin vernommen werden. Die StA Schwerin fordert von BMI und BKA die Herausgabe der bisherigen Aussageprotokolle und die Namen der Beteiligten, die sie bis zum 04.07.93 noch nicht erhalten hatten. Die Schweriner Staatsanwaltschaft schließt aus, daß Wolfgang Grams Selbstmord begangen hat. € Ein Schweizer Institut soll Kopfhaut und Schädeldecke von Wolfgang Grams kriminaltechnisch untersuchen. € BKA-Präsident Zachert nennt drei Versionen zum Tod von Wolfgang Grams. Er könne sich selbst umgebracht oder der tödliche Schuß könne sich aus der Waffe von Grams gelöst haben, als er auf die Gleise fiel. Auszuschließen sei aber auch nicht, daß Wolfgang Grams von einer anderen Person erschossen worden ist. Das BKA widerspricht Berichten, nach denen Newrzella möglicherweise von seinen Kollegen getroffen worden ist. Newrzella sei von Wolfgang Grams erschossen worden. € Abgeordnete haben den Eindruck, daß von den Behörden vertuscht wird. Sie schließen eine Auflösung der GSG 9 nicht aus. € Am 29.06.93 wurden folgende Untersuchungsaufträge erteilt: 1. an die Universität Münster. Dort soll eine serologische Untersuchung der Waffen und Geschoßteile vorgenommen werden. 2. an den Wissenschaftlichen Dienst der Stadtpolizei Zürich (WD). Er soll prüfen, aus welcher Entfernung die tödliche Kugel auf Wolfgang Grams abgegeben wurde und mit welcher Waffe und welcher Munition. € Die Bundesarbeitsgemeinschaft kritische Polizisten erstattet Strafanzeige gegen Innenminister Seiters, GBA von Stahl, die Staatsanwaltschaft Schwerin und unbekannte Polizeibeamte wegen Strafvereitelung. € Bei der dritten Person soll es sich um einen V-Mann des rheinland-pfälzischen Verfassungsschutzes handeln. € In einem BKA-Bericht heißt es, Wolfgang Grams sei nicht in Bad Kleinen erwartet worden, seine Identität sei unklar gewesen. € Am 28.06.93 sind die sichergestellten Waffen im BKA routinemäßig beschossen worden.
Dienstag, 06.07.93
Manfred Kanther wird neuer Bundesinnenminister. GBA von Stahl wird in den Ruhestand entlassen. € Noch immer gibt es keine offizielle Äußerung zum V-Mann. € Die beteiligten GSG 9-Beamten werden erstmals in Schwerin vernommen. € Das BKA stellt das Gutachten aus Münster der Öffentlichkeit vor, nach dem Wolfgang Grams durch einen »absoluten Nahschuß« starb. Die »Stanzmarke« weise Übereinstimmungen mit seiner eigenen Waffe auf. Er könne sich selbst versehentlich getötet haben. € Der GBA will sich auch eine Woche nach Bad Kleinen nicht festlegen, ob Wolfgang Grams auf den GSG 9-Beamten Newrzella geschossen hat und ob er überhaupt eine Waffe bei sich hatte. € Der Vorsitzende des Bundestagsinnenausschusses fordert eine Umstrukturierung der Sicherheitsbehörden und eine Harmonisierung der Polizeigesetze von Bund und Ländern, um das Vertrauen der Bevölkerung in die Sicherheitsbehörden wieder herzustellen. Die Bundestagsgruppe Bündnis 90/Grüne fordert eine parlamentarische Untersuchungskommission. Der Rücktritt des BKA-Vizepräsidenten wird gefordert wegen seiner teils unglaubwürdigen Angaben vor dem Bundestagsinnenausschuß.
Mittwoch, 07.07.93
Bekannt wird: Die Einsatzkräfte haben gewußt, daß es sich bei ihren »Zielpersonen« um Wolfgang Grams und Birgit Hogefeld handelte und daß der V-Mann geschützt werden müsse. € Der Vergleich der Waffen mit den gefundenen Projektilen ist laut StA Schwerin noch nicht abgeschlossen. € Das Gutachten der Universität Lübeck kommt zu dem Ergebnis, daß der tödliche Schuß weder aus Wolfgang Grams¹ Waffe noch aus einer Polizeiwaffe stammen könne. Der Bauchschuß verlief horizontal durch seinen Körper. Nach Vermutungen von Gerichtsmedizinern kann nur auf den liegenden Wolfgang Grams geschossen worden sein. Auch die Bauchwunde wirkt »wie ausgestanzt«. € Die BAG Kritische Polizisten erklärt, daß Polizisten im Dienst auch andere als ihre dienstlich gelieferten Waffen tragen. Die Gewerkschaft der Polizei erklärt, daß GSG 9-Beamte neben ihren Dienstwaffen auch weitere Waffen mitführen könnten. € BKA-Chef Zachert beschwert sich über die »unerträglichen Vorverurteilungen« der Medien. € Öffentlich wird die Frage gestellt, ob der V-Mann geschossen hat. Seine Vernehmung wird gefordert.
Donnerstag, 08.07.93
Laut Süddeutsche Zeitung war die Festnahme von Birgit Hogefeld und Wolfgang Grams für den 25.06.1993 geplant, habe aber wegen logistischer »Schwierigkeiten« verschoben werden müssen.
Freitag, 09.07.93
Justizministerin Leutheusser-Schnarrenberger gibt bekannt, daß sie vom Generalbundesanwalt am 14.05.93 und am 17.06.93 über die bevorstehende Aktion unterrichtet wurde. € Bei einer Nachrichtenagentur geht eine Erklärung der RAF ein, die dazu auffordert, nach der Ermordung von Wolfgang Grams nicht zur Tagesordnung überzugehen. € Der StA Schwerin soll ein Videoband vorliegen, das ein »in dienstlicher Eigenschaft anwesender Zeuge« in Bad Kleinen gedreht haben soll. Außerdem soll ein zweites Video des BKA existieren. Beide Bänder zeigen nicht den Schußwechsel.
Samstag, 10.07.93

Der frühere Justizminister Kinkel erklärte am 10.07.93, er stehe weiter zu seiner Politik der »ausgestreckten Hand« gegenüber der RAF. € In Wiesbaden findet eine Trauer-Demonstration zum Tod von Wolfgang Grams mit ca. 4.000 TeilnehmerInnen und in Bad Kleinen eine Kundgebung statt.
Sonntag, 11.07.93
Der rheinland-pfälzische Ministerpräsident Scharping bestätigt, daß es sich bei der dritten Person um einen V-Mann des Verfassungsschutzes Rheinland-Pfalz handelt. € Bürgerrechtsvereinigungen fordern die Einsetzung einer unabhängigen Untersuchungskommission. € Der Spiegel berichtet, auf dem Videoband, das der Staatsanwaltschaft Schwerin vorliegt, sei manipuliert worden. Die ZDF-Sendung Bonn direkt behauptet, eines der aufgenommenen Videos zeige den Schußwechsel auf dem Bahnhof Bad Kleinen.
Montag, 12.07.93
Auch in einer weiteren Sitzung von Innen- und Rechtsausschuß werden die Ausschußmitglieder nach eigenen Angaben nur unzureichend über den Einsatz informiert.
Dienstag, 13.07.93
Die Bundesregierung spricht den Einsatzkräften, dem BKA und der BAW ihr volles Vertrauen aus.
Donnerstag, 15.07.93
In der Fernsehsendung Panorama wird behauptet, die Festnahme des V-Mannes sei eine Panne gewesen. Er hätte eigentlich die Möglichkeit zur Flucht haben sollen. Die Staatsanwaltschaft Schwerin fordere von der Redaktion von Panorama die Herausgabe von Name und Anschrift des V-Mannes, da Bundeskriminalamt, Verfassungsschutz und Bundesanwaltschaft keine Angaben machten.
Freitag, 16.07.93
Birgit Hogefeld wird von Frankfurt nach Bielefeld verlegt, wo sie verschärften Isolationshaftbedingungen ausgesetzt ist.
Samstag, 17.07.93
»Freunde und Freundinnen aus Wiesbaden« veröffentlichen einen »offenen Brief an Klaus S.« und fordern ihn zur Offenlegung seiner Rolle in Bad Kleinen auf.
Montag, 19.07.93
Der Gerichtsmediziner Sellier übt Kritik an den Ermittlungen. Die Bestimmung der Tötungswaffe hätte durchaus sofort nach dem Einsatz erfolgen können. € Der rheinland-pfälzische Innenminister Zuber erklärt am Wochenende vorher, daß er von der Aktion der RAF in Weiterstadt am 27.03.93 keine Kenntnis durch den V-Mann hatte. € Nach Presseberichten sollen bereits Treffen zwischen dem V-Mann und Birgit Hogefeld und Wolfgang Grams im Februar und April stattgefunden haben. In der Tageszeitung wird ein Brief von Klaus S. veröffentlicht, in dem er behauptet, kein V-Mann zu sein.
Dienstag, 20.07.93
Öffentlich bekannt wird das Zwischengutachten des WD der Züricher Stadtpolizei mit dem vorläufigen Ergebnis, daß Wolfgang Grams¹ Waffe mit der »Stanzmarke« nach Form und Ausmaß übereinstimmt. Der Lübecker Gutachter besteht nicht mehr darauf, daß die Druckstelle an Wolfgang Grams¹ Kopf nicht zu seiner Waffe passe. € Der rheinland-pfälzische Innenminister Zuber erklärt, daß im Rhein-Main-Gebiet seit 10 Jahren ein V-Mann für den VS Rheinland-Pfalz arbeitet. € Die Eltern Grams und Newrzella kritisieren die Ermittlungsbehörden. Die Eltern von Newrzella haben bis jetzt keine offizielle Nachricht über die Todesumstände und -ursache ihres Sohnes bekommen.
Donnerstag, 22.07.93
Die Tageszeitung veröffentlicht einen Brief von Birgit Hogefeld, in dem sie klarstellt, daß Klaus Steinmetz der V-Mann ist. € Bundeskanzler Kohl spricht in Hangelar der GSG 9 sein »ganz besonderes Vertrauen« aus. Unter Bezug auf Wolfgang Grams erklärt er, es werde versucht, aus einem Mörder eine Art Märtyrer zu machen. Die Presse wird bei diesem Besuch massiv behindert.
Freitag, 23.07.93
Die StA Schwerin vermutet Absprachen unter den vernommenen Beamten. Der Aufenthalt des V-Mannes ist nach offizieller Darstellung noch immer unbekannt. € Die Eltern Grams erstatteten Strafantrag gegen Kohl wegen Verunglimpfung des Andenkens Verstorbener und des Verdachts der üblen Nachrede, weil er Wolfgang Grams öffentlich zum Mörder erklärt hat. € Die Wochenzeitschrift Freitag veröffentlicht einen anonymen Brief von zwei angeblichen leitenden Beamten des Bundesinnenministeriums, die behaupten, es handele sich bei den Ereignissen in Bad Kleinen um ein Komplott von Regierungsstellen, um das Thema »Terrorismus von links« zum Wahlkampfthema zu machen.Weiter wird behauptet, Birgit Hogefeld und Wolfgang Grams seien über ein Jahr einer lückenlosen Kontrolle unterlegen.
Dienstag, 27.07.93
Das jetzt bekannt gewordene Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes der Züricher Stadtpolizei besagt, daß der GSG 9-Beamte Newrzella von Wolfgang Grams erschossen wurde.
Donnerstag, 29.07.93
Bekannt wird die Aussage einer weiteren Zeugin, die angibt, daß nach einer Pause im Anschluß an die Schießerei noch ein einzelner Schuß gefallen sei, und damit die Aussage der Kioskbesitzerin bestätigt. € Nach einer Meinungsumfrage glauben 76% der BürgerInnen nicht an eine völlige Aufklärung von Bad Kleinen.
Freitag, 30.07.93
Der rheinland-pfälzische Innenminister Zuber berichtet vor dem Innenausschuß des Landtages über die Aussagen von Steinmetz. Danach habe der V-Mann im Nachhinein zugegeben, von der Aktion der RAF gegen den Gefängnisneubau Weiterstadt am 27.03.93 gewußt zu haben.
Montag, 02.08.93
Der Spiegel berichtet, die Bundesanwaltschaft ermittele gegen Steinmetz wegen »Unterstützung einer terroristischen Vereinigung«. Die »Pannen« in Bad Kleinen seien auf eine Verwechslung von Wolfgang Grams mit dem V-Mann und einen verstümmelten Funkspruch zurückzuführen. Statt »Zugriff erfolgt wie besprochen« sei »Zugriff erfolgt« übermittelt worden. € Die Verteidigung von Birgit Hogefeld teilt in einer Presseerklärung mit, daß diese bei der Vernehmung durch die Staatsanwaltschaft Schwerin ausgesagt hat, sie habe mindestens einen Beamten mit einer Maschinenpistole gesehen und während des Schußwechsels eine MP-Salve gehört. Dies hatten mehrere andere ZeugInnen auch ausgesagt.
Freitag, 06.08.93
Wolfgang Grams wird in Wiesbaden beerdigt. € Es wird bekannt, daß das BKA im Zusammenhang mit der Ereignissen in Bad Kleinen nach zwei weiteren Personen, die der RAF zugeordnet werden, fahndet. Samstag, 07.08.93 Die beiden weiteren Personen, nach denen jetzt gefahndet wird, sollen laut Süddeutsche Zeitung am 27.06.93 auf dem Bahnhofsvorplatz Bad Kleinen gewesen sein, von wo sie entkommen konnten. € Die Veröffentlichung eines Zwischenberichts der Bundesregierung wird verschoben. Laut Vorabmeldung des Spiegel behauptet der Zwischenbericht, daß der für Wolfgang Grams tödliche Kopfschuß »auf eine Selbsttötung oder einen Unfall zurückzuführen« sei, obwohl die Ermittlungen und Untersuchungen noch nicht abgeschlossen seien.
Freitag, 13.08.93
Es wird bekannt, daß die Staatsanwaltschaft Schwerin ein Ermittlungsverfahren gegen zwei GSG 9-Beamte (Nummer 6 und Nr. 8; ihre Namen sind nicht bekannt) eingeleitet hat wegen des Verdachts, Wolfgang Grams vorsätzlich getötet zu haben. € Der rheinland-pfälzische Innenminister Zuber hat vor dem Innenausschuß der Verwechslungstheorie (Verwechslung von Wolfgang Grams mit dem V-Mann) widersprochen. Von Birgit Hogefeld und dem V-Mann seien »in den Tagen vor Bad Kleinen hervorragende Videos und Fotos« gemacht worden.
Montag, 16.08.93
Im vorab bekannt gewordenen Zwischenbericht der Bundesregierung werden zahlreiche »Pannen« aufgelistet. Der Bericht enthält zahlreiche Widersprüche, obwohl es sich um die letzte von mehreren Versionen handelt. € Die Tageszeitung zitiert aus einem Brief von Steinmetz, in dem er behauptet, im Chaos nach seiner Festnahme entkommen zu sein. Mehrmals hatte er Kontakt zu Leuten aus Wiesbaden und zu seiner Familie. Ein Treffen einer Person aus Wiesbaden mit ihm hatte stattgefunden. € In einem offenen Brief an die Bundesanwaltschaft verlangen die Eltern Grams Aufklärung darüber, warum in Bad Kleinen – obwohl gesetzlich vorgeschrieben – keine Notärzte vor Ort waren und warum Wolfgang Grams in der Uni Lübeck Gesicht und Hände abgewaschen wurden. Außerdem verlangen sie die Aushändigung des Haftbefehls und des Obduktionsberichts Newrzella.
(…)
Mittwoch 20.10.93
Das mecklenburgische Justizministerium teilt mit, das weitere Teilgutachten aus Zürich liege nun vor und besage, daß außer dem »aufgesetzten Kopfschuß« keiner der anderen Schüsse auf Wolfgang Grams aus einer Entfernung von weniger als 1,5 Metern abgegeben wurde, was die Selbstmordthese stütze.
Freitag, 29.10.93
Der Anwalt der Eltern Grams kritisiert das Verhalten des Justizministeriums von Mecklenburg-Vorpommern, das jeweils nur diejenigen Gutachten-Teile veröffentliche, die die unter Verdacht stehenden GSG 9-Beamten entlasten. Widersprüche in den Gutachten, zum Beispiel die Untersuchung einer »offensichtlich frisch gewaschenen« Hose, würden der Öffentlichkeit vorenthalten, genauso wie ein nachträglich entdecktes Projektil, das weder aus einer Polizeiwaffe noch aus Wolfgang Grams¹ Waffe stamme.
Donnerstag, 18.11.93
Das Abschlußgutachten der Stadtpolizei Zürich liegt jetzt dem Justizministerium Mecklenburg-Vorpommern vor. Es bestätige die Ergebnisse des vorherigen Teilgutachtens, wonach sich Wolfgang Grams selbst erschossen hat. Genauere Einzelheiten sollen noch mitgeteilt werden.
Samstag, 20.11.93
Teile des Züricher Gutachtens werden der Öffentlichkeit vorgestellt. Darin heißt es u. a., die Waffe von Wolfgang Grams erzeuge eine Stanzmarke, die »maßtechnisch und morphologisch nicht von der Stanzmarke an der rechten Schläfe von Grams unterschieden werden kann«. Die Schweriner Staatsanwaltschaft hält »eine direkte Fremdbeibringung der Nah-Schußverletzung durch diesen Beamten (exekutionsähnliche Handlung) für praktisch ausgeschlossen. Es gibt somit aus unserer Sicht keine neuen Erkenntnisse, die zwingend gegen eine Selbstbeibringung des Nahschusses durch Grams sprechen würden«. Der WD der Züricher Stadtpolizei teilt außerdem mit, daß die Jacke eines Beamten nach der Untersuchung abhanden gekommen ist. Sie sei vermutlich gestohlen worden.
Montag, 29.11.93
Der Chef der Kriminaltechnik im LKA Sachsen-Anhalt, Lichtenberg, erklärt im Spiegel, von der Stanzmarke könne man gar nicht auf die Waffe schließen, die Schmauchspuren seien entscheidend. Mit einer entsprechenden Untersuchung hätte man die Schußwaffe sehr schnell bestimmen können. Außerdem seien die bisher in der BRD beauftragten Gutachter keine Schußspurenexperten. Laut Spiegel ist der Münsteraner Gutachter Brinkmann ein guter Bekannter des Schweriner Oberstaatsanwalts Schwarz.
Mittwoch, 02.02.94
Der Haftbefehl gegen Birgit Hogefeld wird auf Antrag der Bundesanwaltschaft um die Punkte »Verdacht der Teilnahme an der Sprengung des Gefängnisneubaus in Weiterstadt im März 1993«, »Mord« und »sechsfacher Mordversuch« an Beamten der GSG 9 in Bad Kleinen erweitert, obwohl sie zum Zeitpunkt des Schußwechsels gefesselt und mit einer Kapuze über dem Kopf in der Bahnhofsunterführung lag. Die Verteidigung von Birgit Hogefeld gibt bekannt, daß das Bundesamt für Verfassungsschutz ihr signalisieren ließ, diese Mordanklage sei zu »kippen«, Birgit Hogefeld müsse dazu nur eine gewisse Kooperation, d. h. Gesprächsbereitschaft, zeigen. Das Bundesamt für Verfassungsschutz bestreitet dies.
Montag, 14.02.94
Es wird bekannt, daß das Ermittlungsverfahren gegen den V-Mann Steinmetz wegen des Verdachts der »Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung« und »Nichtanzeigens von Straftaten« von der Bundesanwaltschaft eingestellt worden ist. Der Spiegel veröffentlicht ein Interview mit dem V-Mann, in dem dieser erklärt, er habe von der geplanten Aktion in Weiterstadt vorher nichts gewußt. Seine frühere Behauptung, er habe vorher einen entsprechenden Kassiber erhalten, sei erfunden gewesen. Außerdem schließe er einen Selbstmord von Wolfgang Grams aus.
Samstag, 26.02.94
Die Tageszeitung veröffentlicht Teile einer internen Analyse des BKA, wonach der V-Mann Steinmetz »tragendes Mitglied der RAF« gewesen sein soll.
Montag, 28.02.94
Die Existenz eines derartigen internen Berichtes vom August 1993 wird vom BKA bestätigt.
Donnerstag, 03.03.94
Die Tageszeitung berichtet, ihr liege ein Entwurf des Abschlußberichtes der Bundesregierung zu Bad Kleinen vor. Darin wird den beteiligten Beamten »Ernsthaftigkeit ihres Bemühens um Aufklärung« attestiert und erklärt, Wolfgang Grams habe sich selbst »möglicherweise noch während der Schüsse der Beamten in Suizidabsicht einen Kopfdurchschuß« versetzt. Die Zeugenaussagen seien »ohne Beweiswert«. In diesem Bericht werden nun 10 »Schwachstellen« aufgelistet, u. a. sei der Verbleib von Birgit Hogefeld nach der Schießerei nicht klar gewesen. »Die anschließende Suche, an der sich der Beamte GSG 9 Nr. 6, der Grams sicherte, nicht beteiligte, trug zu Hektik und Nervosität unter den Einsatzkräften bei.« Das Vertrauen in die GSG 9 sei »wieder hergestellt«.
Donnerstag, 07.04.94
Das BKA dementiert Meldungen von Focus, wonach in Bad Kleinen zwei weitere RAF-Mitglieder entkommen seien.
Dienstag, 19.04.94
Nach Pressemeldungen sollen in dem erst am 02.02.94 beschlagnahmten Wagen des V-Mannes Spuren desselben Sprengstoffes entdeckt worden sein, wie er bei der Aktion gegen die JVA Weiterstadt verwendet worden sein soll. Ein Ermittlungsverfahren gegen Unbekannt wird eingeleitet.
Freitag, 22.04.94
Die Bundesanwaltschaft teilt mit, daß der Nachfolger von GBA von Stahl, Kai Nehm, bereits am 24.03.94 Anklage gegen Birgit Hogefeld u. a. wegen Mordes und sechsfachen Mordversuches im Zusammenhang mit Bad Kleinen erhoben hat.
Montag, 06.06.94
Die Anwälte der Eltern Grams geben auf einer Pressekonferenz neue Fakten bekannt, die die Behauptung, wonach Wolfgang Grams Selbstmord begangen habe, widerlegen. Der Rechtsmediziner Prof. Bonte stellt sein Gutachten vor, das zum Ergebnis hat, daß die Waffe Wolfgang Grams entwunden worden sein muß und aufgrund des vorgefundenen Spurenbildes nicht – wie von der Staatsanwaltschaft Schwerin behauptet – auf dem Boden gelegen haben kann. Aufgrund dieser neuen Erkenntnisse haben die Anwälte der Eltern Grams Strafanzeige gegen alle am direkten Zugriff beteiligten GSG 9-Beamten erstattet wegen eines »vorsätzlichen Tötungsdeliktes«.

Brief aus dem Knast von Birgit Hogefeld, in Erinnerung an Wolfgang Grams:

Jetzt sitze ich an meinem Zellentisch und schaue auf sein Bild – es hängt vor mir an der Wand.
Was für ein Mensch ist Wolfgang gewesen? Vermutlich kannte ihn niemand so gut wie ich und gerade das macht es so schwer, über ihn zu schreiben. Denn egal wo ich anfange und wo aufhöre, am Ende wird es mir vorkommen wie vereinzelte Steinchen eines Mosaiks – das kann wohl auch gar nicht anders sein, denn ein auch nur annähernd vollständiges Bild nachzuzeichnen, erscheint mir unmöglich.
Wolfgang hat – wie viele andere Jugendliche auch – mit Freundinnen und Freunden ganze Nächte lang über seine Träume, Hoffnungen andere Lebensvorstellungen und eine menschliche Welt philosophiert – mit viel Musik hören und machen, mit kiffen und andere Drogen ausprobieren.
Er war sich schon früh im klaren darüber, daß er nicht in diesem auf Leistung ausgerichteten Gesellschaftsmodell, in dem Vorstellungen und Utopien von Menschen nicht zählen, leben will. Dazu haben auch seine Erfahrungen in der Schule, die er fast durchgängig als nackte Unterdrückung erlebt hat, beigetragen.
Gegen Ende seiner Schulzeit schloß er sich der » Sozialistischen Initiative Wiesbaden« an. Das war ein Zusammenschluß ganz unterschiedlicher Menschen aus dem linken und fortschrittlichen Spektrum. In ihr galt der Grundsatz, niemanden auszugrenzen. Von dieser Gruppierung gingen die verschiedensten Initiativen aus. Viele waren im Sozialbereich, also als SozialarbeiterInnen in Jugendzentren oder Obdachlosensiedlungen tätig; es gab aber auch Initiativen zur Irland-Solidarität oder eine Palästina-Gruppe und auch der Hungerstreik der politischen Gefangenen 1974, in dem Holger Meins umgebracht worden ist, wurde von dieser Gruppierung unterstützt. Auch die »Rote Hilfe« ist aus ihr hervorgegangen.
Damals lebte Wolfgang mit Leuten aus diesem politischen Zusammenhang auch zusammen.

Als während des Hungerstreiks 1974 die Zentrale von amnesty international in Hamburg besetzt wurde, um die Forderungen der Gefangenen zu unterstützen, war auch Wolfgang mit mehreren Leuten aus der Roten Hilfe Wiesbaden dabei. Ich glaube, es war das erste von unzähligen Malen, daß er festgenommen worden ist.
Nach dem Abitur hat er als Zivildienstleistender in einem Krankenhaus gearbeitet und später ein Mathematikstudium angefangen, aber sehr schnell wieder abgebrochen. Danach hat er Gelegenheitsjobs gemacht, meistens ist er zwei Nächte in der Woche Taxi gefahren. Er war ein Mensch, der nicht viel Geld zum Leben gebraucht hat.

Angesichts der Brutalität, Unmenschlichkeit und Menschenverachtung dieses Systems sah Wolfgang schon sehr viele Jahre, bevor er selber die Entscheidung getroffen hat, hier bewaffnet zu kämpfen, im Kampf der RAF die adäquate Antwort auf diese Verhältnisse. Er hat Kontakt zu den GenossInnen, die damals in der RAF organisiert waren aufgenommen, denn er wollte die gemeinsame Diskussion und er wollte sie in praktischen Dingen unterstützen.
Im Herbst 1978 wurde Willy Stoll in einem Restaurant in Düsseldorf von Mitgliedern einer Spezialeinheit erschossen – es war die Zeit der »Kill-Fahndung«, d.h. solche Einheiten hatten den Auftrag RAF-Mitglieder nicht lebend gefangen zu nehmen, sondern sie zu erschießen. In dieser Zeit fanden außer Willy auch Elisabeth von Dyck und Michael Knoll den Tod. Rolf Heißler und Günter Sonnenberg wurden bei ihrer Festnahme durch Schüsse in den Kopf lebensgefährlich verletzt.
In einem bei Willy Stoll gefundenen Notizbuch wurden Hinweise auf den Kontakt zwischen Wolfgang und der RAF gefunden und Wolfgang wurde verhaftet und kam nach Frankfurt-Preungesheim in Totalisolation. Ich habe einen seiner ersten Briefe aus dieser Zeit, darin schreibt er:
»(…) alles voller grauer Beton und Gitter, mir fiel sofort das eine Plakat ein »Kulturdenkmäler des Faschismus« oder Imperialismus. So was perverses von »Schutzvorkehrungen« habe ich mir früher nie so richtig vorstellen können: die Vernichtungsmaschine, der Menschenkäfig.«
Und weiter schreibt er, daß es für ihn (und auch für andere) darum geht »zu verstehen, daß das, was wir über dieses System kapiert, gelernt haben uns nie so total direkt getroffen hat (…), daß es kein Sandkastenspiel ist, (…)«

Diese Erfahrungen – die Erschießung von Willy, seine Verhaftung, die Totalisolation und später ein Hungerstreik, um eine Verbesserung der Haftbedingungen zu erkämpfen, haben Wolfgang in seiner Einstellung gegenüber diesem Staat und dem imperialistischen System bestärkt, sie vertieft und sie haben seinen weiteren Lebensweg mit geprägt.
Meine Genossinnen und Genossen aus der RAF haben in einem Brief kurz nach Wolfgangs Tod geschrieben:
»Seine Skepsis gegenüber vorschnellen Entscheidungen, seine Geduld, etwas auch mehr als einmal zu hinterfragen, was von allen anderen Genauigkeit in der Auseinandersetzung gefordert hat und was nicht immer bequem war – damit hat er z. B. dafür gesorgt, alle Aspekte der Situation oder der eigenen Vorstellung anzusehen und nicht nur die Aspekte wahrzunehmen, die einen selbst bestätigen. Auch das wird uns fehlen.«

Als ich diese Zeilen zum ersten Mal gelesen habe, mußte ich innerlich lachen, denn mir sind sofort unzählige Situationen eingefallen, in denen dieses Verhalten auch zu Reibungen geführt hat. Es stimmt, er hat durch seine Fragen viele gute und produktive Diskussionen ausgelöst, aber er tat sich auch schwer, zu politischen Entscheidungen zu finden.
Wolfgang war ein sehr ruhiger, eher in sich gekehrter Mensch. Schon an seiner Art sich zu bewegen, war ihm anzumerken, daß Hektik und jede Form von Streß seinem Naturell zuwider lief. Ich schreibe das hier auch deshalb, weil Menschen, die ihn nicht kannten und denen nur die letzten Minuten seines Lebens bekannt sind, vermutlich ein völlig anders Bild von ihm haben. Ich kannte Wolfgang 18 oder 19 Jahre lang. Er war ein Mensch, dem man grenzenlos vertrauen konnte, von dem seine GenossInnen wußten, daß er jederzeit bereit war, sein eigenes Leben zu geben, um andere zu schützen. Und er war ein Mensch, der sich immer um Übereinstimmung zwischen dem, was er sagte, und seinem Handeln bemüht hat.

Kürzlich las ich in einem Buch folgende Charakteristik: »Ein Wesen, in dem die Liebe verkörpert war, nicht nur zur Menschheit, sondern zum einzelnen Menschen« – ich mußte dabei sofort an Wolfgang denken, denn es beschreibt den Wesenszug, den ich an ihm am meisten mochte. Wenn ein Mensch, der einem sehr nahe steht stirbt, ergibt sich wie von selbst, daß man darüber nachdenkt, welche Eigenschaften dieses Menschen in einem selber weiterleben sollen; bei mir ist es vor allem eben diese Eigenschaft, daß Wolfgang nie den anderen Menschen aus dem Auge verloren hat – selbst im Streit nicht. Das war auch in unseren politischen Zusammenhängen nicht immer selbstverständlich.

Auf seinem Grabstein werden die Zeilen des türkischen Dichters Nâzžm Hikmet stehen:

Leben. Wie ein Baum, einzeln und frei
und brüderlich wie ein Wald,
diese Sehnsucht ist unser!


weiterführende Links:

- Text von „Kein Friede“ aus dem Jahre 1994 zu den Ereignissen in Bad Kleinen, zu Steinmetz und der Politik der RAF
- Buch als webfassung „Bad Kleinen und die Erschießung von Wolfgang Grams“ der Redaktionsgruppe Jitarra