Ende 2005 habe ich angefangen, die Seite NPD-Blog.info aufzubauen. Das Watchblog stieß in ein mediales Vakuum, das längst ausgefüllt worden ist. Zeit, den Laden dichtzumachen.
Von Patrick Gensing
Das NPD-Watchblog hatte ich aus wenig selbstlosen Motiven konzipiert: Um stets überall die relevanten Informationen zur NPD griffbereit zu haben, erstellte ich Blog-Beiträge, die zumeist auf Meldungen aus Zeitungen basierten. Viele Medien hatten damals gar kein oder nur ein rudimentäres Angebot im Netz, es ging also auch darum, die Informationen zunächst überhaupt zu finden und dann aufzubereiten.
Das Konzept war denkbar einfach – und es funktionierte gut. Bald begann ich eigene Kommentare und Geschichte zur NPD und anderen Neonazis zu recherchieren und zu schreiben, das Blog gedieh prächtig und sammelte mehrere Preise ein.
Doch keine Modeerscheinung?
Gleichzeitig entwickelte sich die digitale Medienwelt weiter: Google News erleichterte die Arbeit zunehmend – und auch die etablierten „Holzmedien“ mussten langsam einsehen, dass das Internet wohl doch keine reine Modeerscheinung sein würde.
Nach mehreren Jahren waren zudem die Geschichten rund um die NPD auserzählt, die Strategien analysiert, Gegenkonzepte entwickelt. Neonazis und rechtsextreme Gewalt waren auch nicht nur mehr ein mediales Konjunkturthema – gerne genommen in nachrichtenschwachen Zeiten wie zu Ostern oder im Sommerloch, sondern große Medien boten eine kontinuierliche und fundierte Berichterstattung. Ein wichtiger Fortschritt.
Allerdings konzentrierte sich die Aufmerksamkeit auf offen auftretende und organisierte Rechtsextremisten – die Neue Rechte und andere Strömungen, die weniger Wert auf provokante Aktion legten, blieben unterhalb des Wahrnehmungsradars – was uns jetzt auf die Füße gefallen ist – siehe AfD und Konsorten.
Publikative.org wird geboren
Das Blog wurde indes neu ausgerichtet: publikative.org wurde aus der Taufe gehoben, das Themenspektrum erweitert, neue Autoren stiegen ein. Das neue Konzept funktionierte gut, publikative.org holte mit manchen Geschichten weit mehr als 100.000 Klicks und setzte Themen.
Allerdings verpassten wir die Gelegenheit, dem Blog eine professionelle Struktur zu geben. Ich hatte schlicht keine Lust dazu, mich um Geld und Infrastruktur zu kümmern, wollte und will immer lieber journalistisch tätig sein. Und so blieb publikative.org stets ein Projekt, das ehrenamtlich getragen wurde.
Finanziell nur bedingt gemästet
Böse Zungen behaupteten dagegen immer wieder gerne, wir würden durch Steuer- und / oder Stiftungsgelder gemästet, was Unsinn war und bleibt. Die Amadeu-Antonio-Stiftung trat freundlicherweise als „Verantwortlicher im Sinne des Presserechts“ auf, sodass ich im Impressum nicht meine Privatadresse als Einladung an meine zahlreichen Freunde und Gönner angeben musste.
Die Stiftung unterstützte uns allerdings bei gelegentlichen Rechtsstreitigkeiten, die leider nicht ausblieben; dafür gebührt ihr großer Dank. Nicht nur aus diesem Grund hat es die AAS verdient, mit Spenden bedacht zu werden. Hier könnt Ihr helfen.
Sauberer Schnitt
Ein ernstzunehmendes journalistisches Angebot braucht eine professionelle Infrastruktur, dies habe ich in den vergangenen Jahren immer wieder festgestellt. Diese Infrastruktur fehlt bis heute, was publikative.org ein Maximum an Unabhängigkeit verschafft hat, aber eben auch die Möglichkeiten beschränkte sowie eine enorme persönliche Belastung mit sich brachte. Gleichzeitig etablierten wir uns als Journalisten, konnten anderswo schreiben und arbeiten – man kann es an der sinkenden Zahl der Artikel der vergangenen Monate ablesen; dazu kamen auch mal persönliche Konflikte. Journalisten sind – kein Betriebsgeheimnis – eben auch nur Menschen – und vielleicht nicht einmal die unkompliziertesten.
In dieser Form hat publikative.org auf jeden Fall keine Zukunft, das ist mir schon deutlich länger klar, sondern dämmert eher vor sich hin. Kein guter Zustand. Daher machen wir nun einen sauberen Schnitt und stellen das Projekt ein. Den Twitter- und Facebook-Kanal werden wir aber sicherlich noch nutzen, um weiterhin hemmungslos auf unsere journalistischen Werke hinzuweisen.
Danke für das Interesse, wir lesen uns – beispielsweise bei Twitter und auf meinem privaten Blog.
Wir sind dann mal woanders…
Als Patrick 2005 NPD-Blog aus der Taufe hob, entschied ich mich gerade für eine Studienrichtung und hatte wenig mit Journalismus zu tun. Einige Jahre später stieß ich dann – nach längerer universitärer Beschäftigung – auch als Autor zum NPD-Blog. Nach einiger Zeit und der Umwandlung in Publikative.org gehörte ich fortan zur Redaktion und unsere unterschiedlichen Schwerpunkte spielten sich gut ein und waren wohl ein interessantes Angebot für viele Menschen. Bis heute wird bei einschlägigen Themen regelmäßig von anderen Medien auf uns zurückgegriffen, was zeigt, dass eine kontinuierliche Beschäftigung mit dem Bereich extreme Rechte eine gute Ergänzung zur Alltagsberichterstattung ist. Hinzu kommt aber – darauf hat Patrick hingewiesen – eine zunehmende Beachtung der Themen in den großen Medien, die wir uns ja immer gewünscht haben. Für mich zeichnete sich Publikative.org immer auch durch die Mischung aus fundierter Recherche und Kommentaren zu aktuellen Entwicklungen im Bereich extreme Rechte und Rassismus aus und auch jenseits der Tätigkeit in der Redaktion habe ich selbst gern Artikel von unseren Gastautoren gelesen. Doch eine Schwierigkeit bei einem ehrenamtlichen Blog ist eben die Gewinnung von Autoren, die regelmäßig und verlässlich Texte beisteuern. Von einer Hand voll Menschen, die neben ihrer beruflichen Haupttätigkeit ein solches Blog betreiben, ist dies einfach nicht zu leisten. Meiner Einschätzung nach hat dies einen deutlich größeren Einfluss als finanzielle Grundlagen.
Mein Blick zurück auf das letzte halbe Jahrzehnt hier im Blog ist sehr positiv. Es war eine wichtige Zeit, um in den Journalismus einzusteigen und viel zu lernen. Dafür bin ich allen Beteiligten – allen voran Patrick und Andrej – dankbar. Aber auch ich habe in letzter Zeit neben der extremen Rechten stärker über andere Themen geschrieben und so ist es wohl in der Tat der richtige Zeitpunkt, hier einen sauberen Schnitt zu machen. Los werdet ihr uns natürlich dennoch nicht! Wie Patrick werde ich weiterhin für andere Medien über die extreme Rechte berichten und immer mal wieder meine Gedanken zum Thema Fotografie irgendwo öffentlich machen. Wer sich dafür interessiert, ist herzlich eingeladen, bei Twitter vorbeizuschauen.
Vielen Dank für euer Interesse
Felix
Hinweis: Die Artikel von publikative.org werden nicht ewig im Netz stehen, wer sich also Material sichern will, sollte dies bald tun.