Amerika am Unabhängigkeitstag: Von Thomas Jefferson zu Donald Trump
5. Juli 2018
Vor 242 Jahren, am 4. Juli 1776, erklärte der Kongress im Namen von 13 an der Ostküste des nordamerikanischen Kontinents gelegenen Kolonien einstimmig seine Unabhängigkeit von Großbritannien und der britischen Krone. Die Unabhängigkeitserklärung aus der Feder von Thomas Jefferson ist bis heute eines der großen revolutionären Dokumente.
Marxisten sind sich natürlich der historischen Grenzen bewusst, innerhalb derer sich die Gründerväter der Vereinigten Staaten bewegten. Sie waren Vertreter der neuen bürgerlichen Welt, die gerade erst begann, sich aus Jahrhunderten des feudalen Despotismus und religiösen Obskurantismus zu befreien. Und doch gibt es nichts Erbärmlicheres als die postmoderne Dekonstruktion der Geschichte durch die heutige kleinbürgerliche Identitätspolitik, die eben jene aufklärerischen Ideale ablehnt, die in der Unabhängigkeitserklärung in den Worten zusammengefasst wurden, „dass alle Menschen gleich geschaffen sind, dass sie von ihrem Schöpfer mit gewissen unveräußerlichen Rechten ausgestattet sind; dass dazu Leben, Freiheit und das Streben nach Glück gehören“.
Die Unabhängigkeitserklärung ist in jedem Fall ein vernichtendes Urteil über die heutige herrschende Klasse in den USA. Alle darin aufgezählten Grundrechte werden mit Füßen getreten. Das elementare Prinzip der Gleichheit vor dem Gesetz steht nur noch auf dem Papier. Der 4. Juli 2018 steht im Zeichen der Massenverhaftung von Einwanderern, der offen faschistischen Auslassungen von Präsident Trump und des Baus moderner Konzentrationslager.
Im Zusammenhang mit den jüngsten Protesten gegen die Verfolgung von Einwanderern durch Trump ist anzumerken, dass dem britischen König in der Unabhängigkeitserklärung u.a. vorgeworfen wurde, er habe „sich bemüht, die Bevölkerung dieser Staaten zu hemmen, indem er behufs dessen die Einbürgerungsgesetze für Fremde behindert hat, indem er sich geweigert hat, andere zu bestätigen, die deren Einwanderung nach hier fördern sollten“.
Auch andere Passagen sind für das Jahr 2018 höchst relevant:
„Er hat danach gestrebt, die militärische Macht von der zivilen Macht unabhängig zu gestalten und sie ihr überzuordnen.“
Trump hat Armeeoffiziere in Spitzenpositionen seiner Regierung gebracht (mit Unterstützung der Demokratischen Partei), einen Rekord-Militärhaushalt auf Kosten der sozialen Dienste verabschiedet und eine bislang beispiellose Militärparade durch Washington DC angekündigt. Während Trump seine faschistische Politik vorantreibt, stellen die Demokraten die mit ihm verfeindeten Verbrecher im Militär- und Geheimdienstapparat als Verteidiger der Demokratie dar.
Unrechtmäßig, heißt es in der Unabhängigkeitserklärung, habe sich der britische König verhalten „betreff des Schutzes, der diesen [den britischen Truppen] durch ein Scheingerichtsverfahren gegen Bestrafung für alle Mordtaten gewährt wurde, die sie an den Einwohnern dieser Staaten zu verüben beliebten“.
Gewährte King George den britischen Truppen Straffreiheit, die das Feuer auf Zivilisten eröffneten, so verhält sich das heutige politische Establishment in derselben Weise gegenüber der Polizei, die pro Jahr mehr als 1.000 Zivilisten umbringt. Die Trump-Regierung hat selbst die fadenscheinigsten Ermittlungen wegen Polizeimorden eingestellt und alle Bemühungen, die Polizei für solche Verbrechen zur Rechenschaft zu ziehen, von sich gewiesen.
„Betreff des Entzuges der Vergünstigungen eines ordentlichen Gerichtsverfahrens, was uns gegenüber in zahlreichen Fällen geschah.“
Trump versperrt Einwanderern, die von der Einwanderungs- und Zollbehörde oder dem Grenzschutz aufgegriffen werden, jeden Zugang zu einem ordentlichen Verfahren und erklärt, dass sie aus dem Land geworfen werden sollten, ohne vor einem Richter, geschweige denn einer Jury zu erscheinen. Trumps Vorgänger Barack Obama hat erklärt, der amerikanische Präsident habe das Recht, jeden Menschen auf der Welt zu töten, ohne auf das Völkerrecht oder ein faires Gerichtsverfahren Rücksicht zu nehmen.
„In jedem Stadium dieser Bedrückungen haben wir in den untertänigsten Ausdrücken um Abhilfe ersucht: unser wiederholtes Ersuchen ist lediglich durch wiederholtes Unrecht beantwortet worden.“
In den letzten 18 Monaten haben mehr Menschen gegen die Politik der Trump-Regierung demonstriert, als in den vergangenen 30 Jahren insgesamt auf die Straße gegangen sind. Das Weiße Haus ignoriert die Proteste und setzt seinen reaktionären Amoklauf fort, wohl wissend, dass die Demokratische Partei nichts dagegen unternehmen wird.
In ihrer revolutionären Blütezeit brachte die amerikanische Bourgeoisie politische Führer mit enormen Fähigkeiten, Mut und politischem Weitblick hervor, von Thomas Jefferson bis Abraham Lincoln. Heute widerspiegelt sich der historische Verfall des amerikanischen Kapitalismus in den immer elenderen Gestalten, die die herrschende Elite zu ihrem Führungspersonal auserwählt, gipfelnd in der grotesken Gestalt von Donald Trump, dem milliardenschweren Hochstapler, Immobilienbetrüger und Star des „Reality-TV“.
Leo Trotzki stellte einmal fest, dass der Nationalsozialismus die wahre Sprache der Politik im Bellen des Hundes und im Grunzen des Schweines entdeckt habe: eine passende Beschreibung der Prahlereien und Beleidigungen, die Trump über Twitter verbreitet.
Die Trump-Regierung ist Ausdruck einer tiefer liegenden Krankheit der Gesellschaft, die sich bei seinen Gegnern innerhalb der herrschenden Klasse nur in anderer Form äußert. Die Demokraten beschränken sich darauf, die wachsende soziale Opposition gegen den amerikanischen Kapitalismus als Resultat russischer „Spaltungsbestrebungen“ darzustellen. Als wäre die amerikanische Gesellschaft ein Garten Eden, wenn nur die angebliche Einmischung Moskaus nicht wäre!
James P. Cannon, der Gründer der amerikanischen trotzkistischen Bewegung, schrieb einmal, dass die Sozialisten den 4. Juli deshalb feiern sollten, weil die amerikanischen Revolutionäre „etwas begonnen haben, das der ganzen Menschheit ein neues Zeitalter verhieß ... Aber Reden über den 4. Juli, in denen der Auftakt als Abschluss und das Versprechen als Erfüllung verkauft werden, überzeugen mich nicht.“
Mit den großen Ereignissen von 1776 nahm vieles seinen Anfang. Sie inspirierten die Französische Revolution von 1789 und die großen Umwälzungen des 19. Jahrhunderts – nicht zuletzt die „Zweite Revolution“ des amerikanischen Bürgerkriegs, mit dem die Sklaverei abgeschafft wurden und Millionen befreit wurden. Doch die formale Demokratie und die Gleichheit vor dem Gesetz brachten keine „Erfüllung“, um mit Cannon zu sprechen, d. h. keine echte soziale Gleichheit und wirkliche Demokratie. In einer Gesellschaft, die auf kapitalistischen Eigentumsverhältnissen basierte, war dies nicht möglich.
Heute ist der Widerspruch zwischen dem demokratischen Versprechen der Amerikanischen Revolution und der Realität des amerikanischen Kapitalismus, der durch extreme soziale Ungleichheit zerrissen wird, .größer denn je zuvor. Der Staat ist eine monströse Repressionsmaschinerie, ein Militär- und Geheimdienstapparat, der die größte Bedrohung für die demokratischen Rechte der arbeitenden Menschen darstellt.
Die einzige Klasse in der amerikanischen Gesellschaft, die die demokratischen Ideale der amerikanischen Revolution verteidigen kann, ist die Arbeiterklasse. Der Kampf zur Verteidigung dieser Rechte – und zur Bekämpfung der sozialen Ungleichheit, zur Beendigung der Verfolgung von Einwanderern und gegen die Gefahr eines Weltkriegs – bringt die Arbeiterklasse unweigerlich in Konflikt mit der Diktatur der Finanzoligarchie und ihrem kapitalistischen System.
In ihren Statements zum 4. Juli verschweigen die Medien und das politische Establishment durchgängig das grundlegende Prinzip der Unabhängigkeitserklärung, „dass, wenn irgendeine Regierungsform sich für diese Zwecke als schädlich erweist, es das Recht des Volkes ist, sie zu ändern oder abzuschaffen und eine neue Regierung einzusetzen und sie auf solchen Grundsätzen aufzubauen und ihre Gewalten in der Form zu organisieren, wie es zur Gewährleistung ihrer Sicherheit und ihres Glücks geboten zu sein scheint.“
Das ist ein Recht, von dem die heutige Generation amerikanischer Arbeiter und die Arbeiterklasse auf der ganzen Welt gezwungenermaßen Gebrauch machen wird.
Patrick Martin
Folge der WSWS