In einem offenen Brief fordert der „Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung“ die Datenschutzkonferenz auf, sich für ein europaweites Verbot der Surfprotokollierung, wie im Telemediengesetz festgelegt, einzusetzen.
Warum ist das wichtig?
Auch nach Inkrafttreten der DSGVO gilt das Telemediengesetz unproblematisch weiter wegen der Öffnungsklausel in Art. 6 Abs. 2 und 3 DSGVO:
„Bei einem Anwendungsvorrang des Unionsrechts wird das nationale Recht nur soweit und nur solange von dem unmittelbar anwendbaren Unionsrecht verdrängt, wie es im konkreten Fall inhaltlich dem Unionsrecht widerspricht und eine unionsrechtskonforme Auslegung des nationalen Rechts nicht möglich ist.“ (siehe: juracademy.de)
Deshalb muss das strengere deutsche TMG weiter beachtet werden. In ihrem Brief fordern die Datenschützer vom AK Vorrat: Internetnutzer fordern Schutz vor Aufzeichnung des Surfverhaltens.
Deutschlands Datenschutzbehörden sollen ein „Verbot der Zwangsidentifizierung und der massenhaften Protokollierung des Surfverhaltens im Internet“ aussprechen, fordert der Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung in einem Offenen Brief an die Datenschutzkonferenz. Auch nach der neuen europäischen Datenschutz-Grundverordnung müssten Internetnutzer vor einer Vorratsspeicherung und Verfolgung der von ihnen abgerufenen Internetseiten durch Seitenbetreiber geschützt bleiben. Denn sensible Daten über die Internetnutzung könnten selbst höchste Amtsträger erpressbar machen, warnt der Zusammenschluss von Bürgerrechtlern, Datenschützern und Internetnutzern.
Klarstellung gefordert
Stein des Anstoßes ist ein Papier der Datenschutzkonferenz, demzufolge die Datenschutzregeln des deutschen Telemediengesetzes seit 25. Mai nicht mehr zu beachten seien [1] – obwohl das Gesetz weiterhin in Kraft ist. Nach Protesten aus der Werbewirtschaft, die das Surfverhalten weiterhin ohne Einwilligung aufzeichnen und auswerten will, haben die Datenschutzbehörden eine Anhörung dazu gestartet. [2]
Der Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung fordert von der Datenschutzkonferenz nun eine „Klarstellung, dass Telemedienanbieter das Internetnutzungsverhalten auch weiterhin nur dort aufzeichnen dürfen, wo es ausnahmsweise zur Ermöglichung oder Abrechnung ihres Angebots nötig ist, und dass sie soweit zumutbar weiterhin eine anonyme Nutzung ihrer Angebote zu ermöglichen haben“. Nur nicht gespeicherte Daten seien sicher vor Datenmissbrauch, Datendiebstahl und Datenhandel, wie der Facebook-Skandal zeige. Die digitale Meinungs- und Informationsfreiheit sei für die Gesellschaft so wichtig, dass sie eines besonderen Schutzes vor Selbstzensur aus Furcht von Nachteilen bedürfe.
Hintergrund: Der Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung wirbt mit seinem Portal „Wir speichern nicht!“ für einen Verzicht auf die weit verbreitete personenbezogene Aufzeichnung des Surfverhaltens (sog. IP-Logging) durch Betreiber von Internetportalen. Am 26. Juni verhandelt das Landgericht Berlin über eine Klage von AK Vorrat-Mitglied Patrick Breyer gegen die Surfprotokollierung auf Internetportalen des Bundes. [3]
Fußnoten:
[3] http://www.daten-speicherung.de/index.php/klage-gegen-surfprotokollierung/
Anlage: Der Offene Brief vom 4. Juni im Wortlaut
Sehr geehrte Damen und Herren,
am 26. April 2018 hat Ihre Datenschutzkonferenz eine Positionsbestimmung zur Anwendbarkeit des TMG für nicht-öffentliche Stellen ab dem 25. Mai 2018 beschlossen. Danach soll mit Inkrafttreten der Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) das Telemediengesetz nicht mehr anwendbar sein. Eine Einwilligung sei jedenfalls erforderlich „beim Einsatz von Tracking-Mechanismen, die das Verhalten von betroffenen Personen im Internet nachvollziehbar machen und bei der Erstellung von Nutzerprofilen“. https://www.ldi.nrw.de/mainmenu_Datenschutz/submenu_Technik/Inhalt/TechnikundOrganisation/Inhalt/Zur-Anwendbarkeit-des-TMG-fuer-nicht-oeffentliche-Stellen-ab-dem-25_-Mai-2018/Positionsbestimmung-TMG.pdf
Wir, der Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung, fordern eine Überarbeitung des Positionspapiers unter folgenden Gesichtspunkten:
1. Die Positionsbestimmung gilt laut Titel nur für den nicht-öffentlichen Bereich. Wir fordern eine Klarstellung, dass das Telemediengesetz jedenfalls für öffentliche Telemedien weiterhin gilt und gelten muss. Denn für Datenverarbeitungen im öffentlichen Interesse dürfen spezifischere nationale Datenschutzbestimmungen beibehalten werden (Art. 6 Abs. 2 und 3 DSGVO).
2. Auch im nicht-öffentlichen Bereich verdrängt die Datenschutz-Grundverordnung das Telemediengesetz nur im Kollisionsfall (beschränkter Anwendungsvorrang). Wir sehen eine solche Abweichung nicht. Die in der DSGVO geforderte Abwägung zwischen berechtigten Interessen der Anbieter und den Interessen der Nutzer (Art. 6 Abs. 1 S. 1 Buchst. f DSGVO) kann zu keinem anderen Ergebnis führen als im Telemediengesetz geregelt. Insbesondere fordern wir von der Datenschutzkonferenz die Klarstellung, dass Telemedienanbieter das Internetnutzungsverhalten auch weiterhin nur dort aufzeichnen dürfen, wo es ausnahmsweise zur Ermöglichung oder Abrechnung ihres Angebots nötig ist (§ 15 Abs. 1 und 4 TMG), und dass sie soweit zumutbar weiterhin eine anonyme Nutzung ihrer Angebote zu ermöglichen haben (§ 13 Abs. 6 TMG).
3. Schließlich bitten wir die Datenschutzkonferenz, sich für eine dem Telemediengesetz entsprechende europäische Internet-Datenschutzgesetzgebung einzusetzen, die ein spezifisches und normenklares Verbot der Zwangsidentifizierung und der massenhaften Protokollierung des Surfverhaltens im Internet gewährleistet. Die geplante ePrivacy-Verordnung genügt nicht, weil sie im Kern nur für Telekommunikationsanbieter und -dienste gelten soll und Telemedien grundsätzlich nicht erfasst.
Details bitten wir Sie in unserer Stellungnahme zum Thema Surfprotokollierung nachzulesen.
Begründung:
Das Telemediengesetz schützt Internetnutzer bisher vor einer Vorratsspeicherung und Verfolgung ihres Surfverhaltens. Dieses Verbot der Surfprotokollierung ist unerlässlich, weil erfahrungsgemäß nur nicht gespeicherte Daten sicher vor Datenmissbrauch, Datendiebstahl und Datenhandel sind (siehe Facebook-Skandal). Meinungsumfragen belegen, dass Internetnutzer in großer Mehrheit eine Protokollierung ihres Surfverhaltens ablehnen. Sensible Daten über die Internetnutzung können selbst höchste Amtsträger erpressbar machen. Die digitale Meinungs- und Informationsfreiheit ist für unsere Gesellschaft insgesamt so wichtig, dass sie eines besonderen Schutzes vor Selbstzensur aus Furcht von Nachteilen bedarf.
Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Urteil zur Vorratsdatenspeicherung (BVerfGE 125, 260) betont: „Maßgeblich für diese Beurteilung sind insoweit insbesondere etwa die §§ 11 ff. TMG, die die Diensteanbieter nach dem Telemediengesetz grundsätzlich zur Löschung von nicht für die Abrechnung erforderlichen Daten verpflichten (vgl. § 13 Abs. 4 Nr. 2, § 15 TMG) und so auch gegenüber privatwirtschaftlichen Anreizen verhindern, dass die Internetnutzung inhaltlich in allgemeinen kommerziellen Datensammlungen festgehalten wird und damit rekonstruierbar bleibt. … Maßgeblich für die Rechtfertigungsfähigkeit einer solchen Speicherung ist deshalb insbesondere, … dass auch die Speicherung der von ihren Kunden aufgerufenen Internetseiten durch kommerzielle Diensteanbieter grundsätzlich untersagt ist. … Dass die Freiheitswahrnehmung der Bürger nicht total erfasst und registriert werden darf, gehört zur verfassungsrechtlichen Identität der Bundesrepublik Deutschland“.
Mit freundlichem Gruß
Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung
Mehr dazu auf vorratsdatenspeicherung.de und aktion-freiheitstattangst.org.
[Die Meinung der/s Autor*in entspricht nicht notwendigerweise der der Redaktion]