Der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu steht im Verdacht, in drei verschiedene Fälle von Korruption und Bestechung verwickelt zu sein – einer darunter im Zusammenhang mit einem Milliarden-Rüstungsdeal mit dem deutschen U-Boot-Bauer ThyssenKrupp. Um seinen Untergang abzuwenden, mobilisiert Netanjahu verzweifelt weit rechtsaußen und treibt Israel damit gefährlich nahe an einen Erdoğan-ähnlichen Totalitarismus.

by Meron Rapoport from Middle East Eye

Wenn Benjamin Netanjahu mit seiner jüngsten Rede vor etwa 3.000 begeisterten Likud-Anhängern erreichen wollte, die Strafverfolgung gegen ihn zu stoppen, scheint sein Erfolg mehr als zweifelhaft. Aller Wahrscheinlichkeit nach wird der Ministerpräsident in den kommenden Monaten angeklagt.

Wenn die Idee jedoch war, der israelischen Öffentlichkeit zu signalisieren, dass sein Kampf um seinen Posten hässlich und möglicherweise gewalttätig werden wird, hat die Rede sicherlich ihren Zweck erfüllt.

Aller Wahrscheinlichkeit nach wird der Ministerpräsident in den kommenden Monaten angeklagt.

Was auch immer seine Absicht war, die Rede wird wahrscheinlich nicht nur die folgenden Monate – die auch seine letzten sein könnten – von Netanjahus Amtszeit prägen, sondern vielmehr auch die Amtszeit desjenigen, der ihm ins Amt folgen wird.

Untersuchungen gegen Netanjahu laufen seit Anfang des Jahres. Es handelt sich um drei Hauptfälle. In zwei von ihnen ist er verdächtigt, direkt beteiligt zu sein. Im dritten – der aus strafrechtlicher Sicht sowie in Bezug auf sein öffentliches Ansehen der schwerwiegendste ist – muss er noch verhört werden, doch einige der ihm am nächsten stehenden Personen sind in jedem Falle zutiefst verwickelt.

Im ersten Fall wird Netanjahu zur Last gelegt, Geschenke im Wert von Hunderttausenden von Schekeln – vor allem Zigarren und Champagner – von ihm nahestehenden Geschäftsleuten nicht bei den Behörden registriert zu haben. In dieser Angelegenheit ist die Faktenlage im Grunde unumstritten. Die Schlüsselfrage ist vielmehr, in welchem Maße Netanjahu und seine Frau Sara die Initiative ergriffen, um die Geschenke zu erhalten, und ob Netanjahu irgendeine Art quid pro quo-Deals versprach oder tatsächlich einlöste.

In der zweiten Affäre geht es um mehrere Treffen Netanjahus mit Arnon Mozes, dem Verleger von Yedioth Ahronoth – Israels zweitgrößter Tageszeitung. In der Vergangenheit war Yedioth Ahronoth Netanjahu feindlich gesinnt. Von der Polizei erhaltene Aufzeichnungen zeigen, dass Netanjahu und Mozes einen Deal besprochen haben: Anstatt Netanjahu weiter anzugreifen, würde das Blatt in Zukunft wohlgesonnener über ihn berichten, im Gegenzug würde Netanjahu seinen Einfluss auf Yedioth Ahronoths größten Konkurrenten, Israel Today, nutzen, um deren scharfe Konkurrenz gegenüber Mozes‘ Blatt abzumildern.

Die bloße Tatsache eines bedeutenden Zeitungsverlegers und eines Premierministers, die wohlwollende Berichterstattung im Austausch für finanzielle Gefälligkeiten bereden, spricht Bände über die beunruhigende Verfassung der israelischen Demokratie und ihrer Medienlandschaft. Weniger klar ist hingegen, ob der Staatsanwalt beweisen kann, dass diese Unterredungen den Straftatbestand der Bestechung darstellen.

Ein Hedonist und ein Opfer

Israels Ministerpräsidetn Benjamin Netanjahu und seine Frau Sara.

Was jedoch klar war, ist, dass, obwohl Netanjahu in Bezug auf diese beiden Fälle mehrmals verhört wurde – und es gab gar öffentliche Statements, dass in einem oder beiden Fällen Anklage erhoben würde –, die meisten von Netanjahus Wählern diese Affären nicht als skandalös genug empfanden, um ihn aus dem Amt zu drängen.

In der Geschenk-Affäre wird er als Hedonist wahrgenommen, als Lebemann – nicht jedoch als Verbrecher. Und im Yedioth-Fall wird Netanjahu als das Opfer gesehen, das von einer Zeitung erpresst wird, die seit mehreren Jahrzehnten mit dem alten, vom rechten Flügel so sehr verhassten Establishment verbrüdert ist.

Der dritte Fall ist komplizierter und hat viel weitreichendere Implikationen. Dieser Skandal dreht sich um den Verdacht, dass der deutsche Rüstungskonzern ThyssenKrupp einen israelischen Geschäftsmann als Mittelsmann einsetzte, um Bestechungsgelder an hochrangige israelische Militärs und Politiker zu zahlen, um so Israels Bestellungen von U-Booten und anderen Schiffen im Wert von mehreren Milliarden US-Dollar abzusichern. In einem Land, in dem jede sicherheitsrelevante Angelegenheit als heilige Kuh angesehen wird, könnte diese Art Skandal möglicherweise ein Erdbeben auslösen.

Netanjahu muss in diesem Fall noch verhört werden. Die Tatsache jedoch, dass David Shimron – Netanjahus Cousin und vertrauter Botschafter für politische Angelegenheiten – der Rechtsvertreter des deutschen Schiffbauers in Israel war, stellt eine Verbindung zwischen diesem dubiosen Deal und dem Premierminister her.

Hinzu kommt der Umstand, dass Netanjahu – atypisch für ihn – den Widerstand seines Verteidigungsministeriums zu diesem Deal ignorierte und ihn stattdessen energisch voranpeitschte. Die Fragezeichen um die Verstrickung des Premierministers wuchern unaufhörlich.

Herbe Schläge

Wie erwähnt ist es Netanjahu bislang gelungen, seine Distanz zur strafrechtlichen Untersuchung in der U-Boot-Affäre zu wahren, in den vergangenen Wochen hat sich jedoch einiges getan.

Mickey Ganor, der israelische Geschäftsmann, der mutmaßlich die Bestechungsgelder an hochrangige Israelis weitergeleitet hat, willigte nun ein, als Kronzeuge auszusagen. Seine Aussage unterliegt noch einer Maulkorbsperre, doch was bisher bekannt ist, scheint den Verdacht gegen Shimron, Netanjahus Cousin, zu erhärten, der Millionen von Dollar für den Abschluss des Deals erhalten haben soll.

Berichten zufolge sagte Ganor den Ermittlern, dass „alles, was Shimron mir versprochen hat, auch eingetreten ist“. Da Shimron ein privater Anwalt ist, ist es schwer nachzuvollziehen, wie er in der Lage sein sollte, die offizielle Position Israels bei einer derart empfindlichen und teuren Transaktion wie dem U-Boot-Deal empfindlich zu beeinflussen, ohne seine engen persönlichen Beziehungen zu Netanjahu spielen zu lassen.

Sollten diese Dinge bewiesen werden, ergeben sich zwei Möglichkeiten: Entweder Netanjahu ließ einen riesigen korrupten Deal seines Cousins und Teilzeitbotschafter unter seiner Nase geschehen, ohne dass er es bemerkte. Oder aber er war in der ein oder anderen Weise direkt in den Deal involviert. Beide Möglichkeiten sehen nicht gut für Netanjahu aus.

Der schwerste Schlag wurde jedoch Anfang August gelandet, als die Polizei bekanntgab, dass Ari Harow – Netanjahus ehemaliger Stabschef und einer seiner engsten Vertrauten – ebenfalls als Kronzeuge aussagen wird. Auch seine Aussage unterliegt einer Maulkorbsperre, doch es ist bekannt, dass sie sowohl die Geschenk- als auch die Yedioth Ahronoth-Affäre umfassen wird, die beiden Fälle also, in denen Netanjahu der Hauptverdächtige ist. Ein Dokument, das der Staatsanwalt in diesem Fall dem Gericht jüngst vorgelegt hat, verwendet zum ersten Mal explizit den Begriff Bestechung.

Es ist schwer vorstellbar, wie Netanjahu einer Anklage entgehen sollte, wenn Harow Beweise gegen ihn vorlegt. Die Statistik in Israel zeigt, dass 90 Prozent der Fälle, in denen der Staatsanwalt Kronzeugen aussagen lässt, mit einer Verurteilung enden. Netanjahu ist mit dieser Tatsache sicherlich vertraut.

Auch wenn sich die Ermittlungen noch Monate hinziehen, hat er guten Grund zur Annahme, dass es auf eine Anklage hinauslaufen wird. Und obwohl das Gesetz nicht ausdrücklich verlangt, dass Ministerpräsidenten oder Kabinettsmitglieder zurücktreten müssen, wenn sie angeklagt werden, so ist bislang jeder, der sich in dieser Situation befand, tatsächlich zurückgetreten – einschließlich der damalige Ministerpräsident Ehud Olmert [der im Juli 2017 aus der Haft entlassen wurde, nachdem er 16 der 27 Monate seiner Strafe wegen Bestechung abgesessen hatte und somit der erste israelische Ex-Ministerpräsident hinter Gittern war, Anm. J.R.].

Spiel mit dem Feuer

So hat sich Netanjahu – der überzeugt ist, die einzige Person zu sein, die in der Lage ist, den Staat Israel vor all seinen existenziellen Gefahren zu bewahren, insbesondere die potenzielle Entstehung eines palästinensischen Staates im Westjordanland und im Gazastreifen – das Ende seiner politischen Laufbahn gewiss nicht gewünscht.

Wie für jeden anderen Politiker ist dieser Kampf auch für Netanjahu ein persönlicher. Doch es gibt keinen vernünftigen Grund daran zu zweifeln, Netanjahu wäre nicht überzeugt, das Überleben des Staates Israel hinge von seinem persönlichen Überleben und seinem Weiterbestehen als Premierminister ab.

Dies ist der Hintergrund für die leidenschaftliche, manch eine würden sagen, hysterische Rede, die er vor Kurzem hielt. Er behauptete, die Untersuchungen zielten darauf ab, einen „Putsch“ gegen seine Regierung zu organisieren. Für Netanjahu ist diese Sprache nicht neu.

Vor zwanzig Jahren, als er zum ersten Mal in die Politik eintrat, sprach er genauso: von einem Frontalangriff gegen die „Eliten“ in den Medien, gegen das Rechtssystem und sogar gegen das Verteidigungsestablishment, nicht zu vergessen seine giftige Hetze gegen die Linke im Allgemeinen und gegen die palästinensische Minderheit in Israel im Speziellen.

Netanjahu weiß, dass das ein Spiel mit dem Feuer ist. Diese Sprache hat ihn bei den Wahlen von 1996 an die Macht gebracht – jedoch auch seine Niederlage bei den Wahlen von 1999 gegen Ehud Barak eingefahren. In seinen letzten drei Regierungszeiten hat er versucht, sich stärker im Zentrum der israelischen Gesellschaft zu positionieren. Die unmittelbare Bedrohung seines Regimes hat jedoch zu einem Rückfall zu den alten Taktiken geführt.

Dieser Rückfall beinhaltet auch die verstärkte Allianz mit den radikalen Segmenten der israelischen Rechten. Wenn er sich als letzte Bastion aufspielt, die in der Lage ist, die Gründung eines palästinensischen Staates zu verhindern – so wie er es in seiner jüngsten Rede tat – erntet er in diesen Kreisen fast automatisch Zuspruch.

Es ist also anzunehmen, dass sich Netanjahus erneuerte Allianz mit den israelischen Rechtsaußen in noch drakonischerer Gesetzgebung gegen die palästinensische Minderheit in Israel manifestieren wird. So etwa das jüngst diskutierte „Nationalitätsgesetz“ [welches faktisch das institutionalisierte Ende der israelischen Demokratie darstellen würde, Anm. J.R.] oder die Gesetze, die den demokratischen Raum beschränken – wie etwa die Gesetze gegen Nichtregierungsorganisationen, die bereits während Netanjahus Amtszeit verabschiedet wurden.

Es ist zu bezweifeln, dass Netanjahu Militärschläge gegen die Hamas oder auch die Hisbollah plant – wie es einige Kommentatoren der Linken vermuten. Verglichen mit Olmerts Mitte-Links-Regierung, die während ihres ersten Jahres zwei Militärkampagnen im Libanon und in Gaza führte, in denen Tausende von Libanesen und Palästinenser zusammen mit etwa 200 Israelis getötet wurden, waren die letzten 12 Jahre unter Netanjahu verhältnismäßig ruhig – abgesehen von der tödlichen Operation Protective Edge vor drei Jahren. Die aufgeheizte Rhetorik gegen die Palästinenser läuft jedoch Gefahr, zu unvorhersehbaren Konsequenzen zu führen.

Die wirkliche Gefahr

Die Untersuchungen durch die Polizei und den Staatsanwalt gegen Netanjahu als versuchten Putsch zu beschreiben, reiht sich ein in die lange Liste der Konfrontationen zwischen der gegenwärtigen israelischen politischen Führung und ihren staatlichen Institutionen.

Wenn Netanjahu zurücktritt und Israels Rechtsaußen die nächste Wahl gewinnen, wird die nächste Regierung für ihr antidemokratisches Programm gewählt.

Wiederholte Versuche, die Autorität des höchsten Gerichts des Landes zu unterminieren einerseits, und die offene Konfrontation der Regierung mit dem Shin Bet [der israelische Inlandsgeheimdienst, Anm. J.R.] und dem Militär über die Metalldetektoren an den Eingängen zu Al-Aqsa-Moschee andererseits, sind beides gute Beispiele für die zunehmenden Spannungen.

Derartige Spannungen prägen auch die Beziehungen zwischen US-Präsident Donald Trump und dem Netzwerk aus Institutionen aus CIA, FBI, Oberstem Gerichtshof und anderen, das in den USA unter dem Label „Deep State“ agiert. Netanjahu driftet definitiv in dieselbe Richtung. In einem Land wie Israel jedoch, wo Zweifel an der Legitimität dieser Institutionen zur Tagesordnung gehört, kann ein solcher Prozess katastrophale Auswirkungen haben. Es könnte Israel beispielsweise näher an einen Zustand bringen, in dem sich die Türkei unter Recep Tayyip Erdoğan derzeit befindet.

Wenn Netanjahu nicht in der Lage ist, einer Anklage zu entgehen, wird in praktischer Hinsicht genau dies das wahrscheinliche Erbe seines Regimes sein. Es wird auch Auswirkungen auf seinen Nachfolger geben, wer auch immer dies sein wird. Wenn Netanjahu zurücktritt und Israels Rechtsaußen die nächste Wahl gewinnen, wird die nächste Regierung für ihr antidemokratisches Programm gewählt – so wie es Netanjahu in seiner jüngsten Rede umrissen hat. Dies könnte sich als die wirkliche Gefahr der Netanjahu-Affäre erweisen.


This piece by Meron Rapoport was originally published on Middle East Eye
and was translated for JusticeNow! by Jakob Reimann.

Meron Rapoport ist ein israelischer Journalist und Schriftsteller, Gewinner des Napoli International Prize for Journalism für seine Untersuchung den Raub von Olivenbäumen von ihren palästinensischen Besitzern. Er schrieb u.a. für Le Monde Diplomatique, The Guardian und war Chef der Nachrichtenabteilung der israelischen Haaretz und ist nun ein unabhängiger Journalist.

JusticeNow! sends the best wishes to Israel to Meron Rapoport and to London to the Middle East Eye staff and says THANK YOU! to everyone involved for their great job – connect critical journalism worldwide!

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