Junta zwingt malischen Premier zum Rücktritt
Von
Ernst Wolff
20. Dezember 2012
Am vergangenen Montag verhaftete die malische Militärjunta Modibo Diarra, den Premierminister des Landes, und zwang ihn unter Androhung von Gewalt, seinen Rücktritt zu erklären. Mitte der Woche wurde Django Cissoko, ein Jurist und Karrierebeamter, zum neuen Premierminister ernannt. Am Samstag gab Cissoko die Zusammensetzung seiner neuen “Regierung der nationalen Einheit“ bekannt, in der enge Vertraute des Putschistenführers Sanogo nach wie vor die wichtigsten Ämter bekleiden.
Sanogos Junta hatte im März nach dem Sturz des damaligen Präsidenten Amadou Toumani die Macht im Lande übernommen. Die Militärs hatten Toumani vorgeworfen, sie im Kampf gegen die Tuareg-Rebellen im Norden des Landes nicht genügend zu unterstützen. Diese waren im Oktober 2011 nach der Ermordung Gaddafis, für den sie als Söldner gekämpft hatten, aus Libyen zurückgekehrt.
Kurz darauf kam es zu einem Machtkampf mit al-Qaida-nahen Islamisten, den diese für sich entschieden. Radikal-fundamentalistische Milizen kontrollieren seitdem über zwei Drittel des malischen Nordens – ein Gebiet von der Größe Frankreichs.
Im April hatte die Junta, deren Führer Sanogo seine Militärausbildung in den USA erhielt, Dioncounda Traoiré als Präsidenten eingesetzt. Traoré ernannte den sechzigjährigen Diarra, einen ehemaligen Astrophysiker der US-Raumfahrtbehörde Nasa und ehemaligen Microsoft-Chef für Afrika mit amerikanischem Pass, zum Übergangspremier. Als Traoré im April nach Frankreich floh, nachdem Demonstranten ihn krankenhausreif geprügelt hatten, übernahm Diarra bis zu seiner Rückkehr sein Amt.
Anfang November beschloss die Vereinigung Westafrikanischer Staaten (ECOWAS), im kommenden Jahr 3.300 Soldaten unter der Führung Nigerias in den malischen Norden zu schicken, um die islamistischen Kräfte zurückzudrängen. Erst in der vergangenen Woche forderte Alassane Ouattara, Präsident der Elfenbeinküste, ein schnelles militärisches Eingreifen, da die Islamisten in den von ihnen beherrschten Gebieten immer stärker Fuß fassen. Die Vereinten Nationen signalisierten ihre Bereitschaft, eine Intervention zu unterstützen, legten sich jedoch nicht auf Einzelheiten zu ihrem Vorgehen fest. Am vergangenen Montag stimmte die EU einem Plan zu, 250 Militärausbilder zum Aufbau des malischen Militärs in das Land zu entsenden.
Modibo Diarra unterstützte die Interventionspläne und tauschte sich in dieser Frage regelmäßig mit westlichen Regierungen aus. Am vorletzten Sonntag organisierte er in der malischen Hauptstadt Bamako eine pro-Interventions-Demonstration, die möglicherweise zu seiner Festnahme führte. Die Militärjunta unter Hauptmann Sanogo lehnt ein Eingreifen fremder Truppen nämlich strikt ab, weil sie nicht bereit ist, die Macht mit ausländischen Kräften zu teilen. Sanogos Sprecher beschuldigte Diarra vor seinem erzwungenen Rücktritt, „nicht länger im Interesse des Landes zu handeln“.
Die Ereignisse in Mali haben auch zu einer Verschärfung der Spannungen zwischen zwei führenden imperialistischen Mächten geführt – den USA und Frankreich. Beide tragen die Verantwortung für die gegenwärtige Krise in Mali, die eine Folge der regionalen Erschütterungen durch den Krieg von USA und Nato für einen Regimewechsel in Libyen ist.
„Wir müssen mit den Sicherheitsarrangements vorankommen, die notwendig sind, um den legitimen Militärbehörden in Mali den Rücken zu stärken“, sagte Victoria Nuland, Sprecherin des US-Außenministeriums. „Und sie werden mit Sicherheit noch mehr Hilfe benötigen.“
Offensichtlich zögert die US-Regierung mit einem Eingreifen in Mali. Einige US-Militärstrategen haben sich sogar gegen die Stationierung ausländischer Truppen auf malischem Boden ausgesprochen und fordern ausschließlich finanzielle und logistische Hilfe.
Dies liegt sehr wahrscheinlich daran, dass die USA Mali vor allem als Teil ihrer langfristigen Strategie zur Zurückdrängung des chinesischen Einflusses in China sehen. Außerdem zwingt die gegenwärtige Allianz der USA mit lokalen al-Qaida-Gruppen in Syrien die Regierung Obama zu extremer Vorsicht im politischen Umgang mit islamistischen Fundamentalisten in ganz Afrika.
Frankreich andererseits fordert ein sofortiges militärisches Eingreifen. Das Land stationiert bereits Drohnen auf malischem Boden und drängt den UN-Sicherheitsrat, endlich grünes Licht für die Entsendung von Truppen in Malis Norden zu geben. „Es geht um unsere eigene Sicherheit“, sagte der französische Außenminister Jean-Yves Le Drian vergangene Woche. „Wenn wir nicht zügig handeln, wird sich dort Schritt für Schritt ein neuer terroristischer Staat entwickeln.“
Wie so oft dient die terroristische Bedrohung auch hier weitgehend nur als Vorwand. Hinter den Kulissen kämpfen die imperialistischen Mächte um ihre Wirtschaftsinteressen und ihre strategischen Beziehungen zu Malis Nachbarstaaten. So braucht der französische Atomkonzern Areva, zu 79 Prozent in Staatsbesitz und weltweit größter Entwickler von Nuklearanlagen, dringend politische Stabilität in der Region, weil er einen Großteil seines Urans aus Mali und dem benachbarten Niger bezieht. Angesichts der Verschärfung der Eurokrise können sich Frankreich und einer seiner führenden multinationalen Konzerne keinen Ausfall in der Energie-Versorgungskette aus Afrika leisten.
Die wachsenden Spannungen zwischen den USA und Frankreich wurden vergangene Woche überaus deutlich. Während Philippe Lalliot, Sprecher des französischen Außenministeriums, Reportern in Paris verkündete, dass „diese Entwicklungen eine rasche Stationierung einer afrikanischen Stabilisierungstruppe erfordern“, tat Susan Rice, US-Botschafterin bei den Vereinten Nationen, die französisch-afrikanischen Pläne zur Rückeroberung von Malis Norden erheblich weniger diplomatisch als „Mist“ ab.
Trotz der scharfen Worte sind diese Differenzen rein taktischer Natur. Strategisch geht es sowohl Frankreich, als auch den USA, um die Erreichung ihrer imperialistischen Ziele. Um auf diesem Weg voranzukommen, haben beide Länder begonnen, Algerien hinter den Kulissen zu umgarnen.
Nach Hillary Clintons Abstecher im November reiste der stellvertretende US-Außenminister William Burns vor zehn Tagen nach Algier und traf zahlreiche Vertreter des Landes, darunter Präsident Abdelaziz Bouteflika, Premierminister Abdelmalek Sellal und den Minister für auswärtige Angelegenheiten, Abdelkader Messahel. Beide Seiten unterzeichneten zahlreiche Verträge in den Bereichen Wohnungs- und Straßenbau, Pharmazie, Öl und Gas.
Diese Woche wird der französische Präsident Hollande zu einem zweitägigen Besuch nach Algier reisen, um die Beziehungen zu Frankreichs ehemaliger Kolonie weiter zu verbessern. Algerien hat seine bisherige Position einer „absoluten Nicht-Einmischung“ in Mali inzwischen revidiert. In einem Interview mit Le soir d’Algerie sagte Abdelkader Messahel, als Minister zuständig für afrikanische Angelegenheit und die Beziehungen zum Maghreb, am 22. November, dass eine bewaffnete Intervention erst dann erfolgen sollte, „wenn alle Wege des Dialoges erfolglos beschritten wurden“ – ein deutliches Anzeichen dafür, dass Algerien zu handeln bereit ist, sofern die Imperialisten einen angemessenen Preis bezahlen.
Folge der WSWS