Sicherheitsbahnhof

Sicherheitsbehörden (sic!) testen an einem S. ein Pilotprojekt. Da fühlt man sich doch gleich viel sicherer. Allerdings gibt es dafür keinen Grund. Denn Videoüberwachung und Gesichtserkennung, um die es hier geht, machen die Welt nicht sicherer. Sie können keine Verbrechen verhindern. Sie können höchstens dabei helfen, sie hinterher schneller aufzuklären. Das ist gut, aber es hat mit Sicherheit – also mit der Abwesenheit von Gefahr – nichts zu tun. Die Wortneuschöpfung S. gaukelt das nur vor. Dabei ist eine umfassende Gesichtserkennung, so wie sie hier geplant ist, grundgesetzwidrig – vielleicht noch nicht in der Testphase, aber spätestens dann, wenn sie unausweichlich ist. Siehe auch → Videoschutz, → Sicherheitsindustrie, → Sicherheitsforschung oder gar → Sicherheitszone.

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Netzwerkdurchsetzungsgesetz

Gibt es endlich ein Gesetz, dass den Netzausbau in Deutschland durchsetzen soll? So zumindest klingt das N., weil Durchsetzung ein Tätigkeitsnomen ist: Wenn ein solches Nomen wie hier mit einem nominalen Erstglied versehen wird, ist dieses Nomen das Objekt des zugrundeliegenden Verbs: Flurbereinigung, Telekommunikationsüberwachung, Zugangserschwerung. Doch das N. ist anders. Hier bleibt offen, was durchgesetzt werden soll, der Name verschleiert es. Wer verstehen will, wozu das N. dient, muss das Gesetz selbst lesen. Die Lektüre zeigt, dass mit Netzwerk nicht etwa das physische Netz gemeint ist – also das Internet, sondern die sozialen Medien, die bisweilen soziale Netzwerke genannt werden. Nebenbei: Beides sind eher unbeholfene Lehnübersetzungen aus dem Englischen. Wenn aber schon die Bezeichnung eines Gesetzes Murks ist, dann gilt das oft auch für den Inhalt. Das N. ist ein Beleg für diese Theorie. Denn von ihm betroffen sind nicht nur Facebook, Google und Twitter, auf die es das federführende Ministerium eigentlich abgesehen hatte, sondern praktisch alle, die im Internet Inhalte anbieten. Da ihnen dank des N. hohe Strafen drohen, wenn sie Inhalte verbreiten, die nach den Regeln des Gesetzes problematisch sind, werden viele vorauseilend löschen, was sie für problematisch halten, ohne genau zu prüfen, ob die Äußerungen nun wirklich rechtswidrig sind oder nicht. Statt die Justiz anzurufen, wird hier Selbstjustiz gefördert. Statt auf erprobtem Wege mithilfe von Gerichten die Rechte der Bürger durchzusetzen, fordert der Staat mit dem N. von jedem Anbieter im Netz Zensur. Wer zuviel Bilder, Kommentare, Äußerungen löscht, auch wenn sie gar kein Problem sind, soll straffrei bleiben, nur wer zu wenig löscht, soll bestraft werden. Dass dadurch wirklich Hass und Gewalt im Internet eingeschränkt werden können, glaubt außer dem Bundesjustizminister kaum jemand. Ganz bestimmt aber wird das N. die Meinungsfreiheit stark beeinträchtigen, sollte es wirklich zu gültigem Recht werden. Bessere Bezeichungen für dieses unausgegorene juristische Machwerk wären also: Meinungsbeschränkungsgesetz oder Zensurdurchsetzungsgesetz.

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Bundesausreisezentrum

Das Ausreisezentrum oder die Ausreiseeinrichtung gibt es schon länger. Bereits 2002 wurden die Begriffe und die dazu gehörenden Einrichtungen auf Länderebene geschaffen. Dort sollen Ausländer gesammelt werden, um ihre Abschiebung zu organisieren. Obwohl es tatsächlich meist um Abschiebungen geht, wird der Euphemismus Ausreise verwendet und damit unterstellt, dass eine gewisse Freiwilligkeit bestünde. Ja, es gibt tatsächlich Fälle von freiwilliger Ausreise – meist wenn die Freiwilligkeit finanziell angeregt wird. Um die aber geht es hier nicht.

Das B. steigert die sprachliche Beschönigung des Ganzen noch. Der Kern des Kompositums ist dabei das Zentrum oder die Einrichtung, also ein bedeutungsleeres Wortbildungselement (vgl. → Kompetenzzentrum), das wohl vor allem dazu dient, das Wort Lager zu vermeiden.

Dieser bedeutungsleere Kern wird dann gleich zweimal modifiziert: zum einen durch die schon erwähnte Ausreise und zum anderen durch Bundes-. Denn es darf unterstellt werden, dass sich Bundes- auf Zentrum bezieht (um es von den Landeseinrichtungen abzugrenzen) und nicht auf Ausreise. Obwohl auch diese Deutung denkbar wäre, denn es soll ja aus der Bundesrepublik ausgereist beziehungsweise abgeschoben werden, und der Bund soll das organisieren.

Insgesamt handelt es sich bei dem B. um ein Determinativkompositum – ein vorderes Wortglied bestimmt ein hinteres näher. Doch das Wort versagt auf ganzer Linie: Zentrum ist nichtssagend, Ausreise ein Euphemismus und Bundes- hat zumindest einen unklaren Bezug. Der verständlichere Ausdruck wäre Abschiebelager. Aber wahrscheinlich wären diese politisch nicht durchzusetzen, wenn sie auch so heißen würden.

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Präventivhaft

Auch → Unterbindungsgewahrsam. Klingt, als würde die P. Verbrechen vorgebeugen. Tut sie nicht. Noch dazu werden dabei Grundrechte ignoriert. Präventiv stammt vom lateinischen praevenire und bedeutet „überholen, übertreffen oder zuvorkommen“. Es wird allgemein als vorbeugen verstanden und wegen seiner positiven Wirkung geschätzt. Denn vorbeugen ist besser und billiger als heilen. Zumindest in der Medizin. Sich häufiger die Hände zu waschen, um seltener krank zu werden, nutzt nicht nur. Es schadet auch nicht, wenn es denn doch mal nicht funktioniert, und man trotz gewaschener Hände eine Grippe erwischt. Bei der Kriminalität ist dieser Zusammenhang nicht ganz so einfach. Doch leider greift auch dort dieses Konzept inzwischen um sich.

CC-BY-NC 2.0 Simon Zamora Martin
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Das deutsche Strafrecht kennt keine Bestrafung von Taten, die noch nicht begangen wurden. Es soll strafen und auf diese Art abschrecken. Es soll nicht vorbeugen. Daher gibt es im Strafgesetzbuch keinen → Gefährder, schließlich hat ein solcher noch nichts getan. Aus dem gleichen Grund existiert im Strafrecht auch keine P. Die haben sich Politiker ausgedacht, um Wählern das Gefühl zu geben, dass sie etwas für deren Sicherheit tun. Sie wollen damit → Handlungsfähigkeit beweisen. Immerhin klingt es gut, dass Straftaten vorgebeugt werden soll.

Doch sollte schon stutzig machen, wie kreativ in diesem Zusammenhang eindeutige Ausdrücke wie Gefängnis und Verhaftung vermieden werden. Der bayerische Innenminister Joachim Herrmann spricht lieber von Freiheitsentziehung, Ingewahrsamnahme oder noch versteckender von freiheitsentziehenden Maßnahmen. Wenn sich jemand so sehr bemüht, nicht zu sagen, was er meint, ist das, was verborgen werden soll, garantiert nicht nett. Der Ausdruck P. ist bewusst verschleiernd, er soll verdecken, was hier passiert.

Denn bei der P. kommt jemand ins Gefängnis, für dessen bösen Willen es keine Beweise gibt. Es gibt nur Hinweise, Annahmen, einen Verdacht. Das wäre schon schlimm genug. Aber den Betroffenen soll auch kein ordentlicher Prozess gemacht werden, um diesen Verdacht zu prüfen. Sie sollen nicht die Chance bekommen, in einem rechtsstaatlichen Verfahren aufzutreten und sich zu verteidigen. Die Vermutung, dass sie unschuldig sein könnten, die eine Basis des Rechtsstaates ist, gilt für sie nicht. Es geht nur darum, sie eine Weile aus dem Verkehr zu ziehen.

Das aber wirft gleich mehrere Fragen auf: Warum wird, wenn diese Menschen wirklich einen Anschlag vorhaben, nicht solange gegen sie ermittelt, bis es genug Beweise gibt, um sie dafür zu bestrafen? Immerhin ist bei schweren Taten bereits der Versuch strafbar. Warum werden sie, wenn sie so gefährlich sind, nicht dauerhaft überwacht? Warum kommen sie nicht in Untersuchungshaft? Denn die kennt das Prozessverfahrensrecht sehr wohl. Wenn jemand zu fliehen droht, der dringend verdächtig ist, kann er ins Gefängnis kommen, bis genug Beweise gegen ihn gesammelt wurden und er angeklagt werden kann. Übrigens genügt es bereits, Mitglied einer Terrorgruppe zu sein, um in Untersuchungshaft genommen werden zu können – Terrorismusverdacht ist ein „besonderer Haftgrund“.

Wozu braucht es also überhaupt eine P.?

Die böse Ahnung: Weil sie weniger aufwändig ist, als die Ermittlungen und die Überwachung. Im besten Fall, so das Kalkül, können die Betroffenen gleich ins Ausland abgeschoben werden. Dabei löst die P. das Problem nicht. Denn irgendwann muss der → Gefährder ja doch wieder freigelassen oder eben woanders hingebracht werden. Wenn er wirklich gefährlich ist, bleibt er es anschließend weiterhin. Wenn er jedoch nicht gefährlich ist und es nie war, wurde einem unschuldigen Menschen ohne rechtsstaatliche Prüfung das nach seinem Leben und seiner Würde höchste Gut genommen, die Freiheit.

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Neusprech-Unworte des Jahres 2016

Die Unworte des Jahres 2016? Hier sind unsere. Die am meisten gelesenen Begriffe im Neusprechblog waren im vergangenen Jahr in dieser Reihenfolge:

1. Richteramt, Befähigung zum
2. Säuberung
3. Kaufzurückhaltung
4. Probewirkbetrieb
5. Dateninseln
6. Gastrecht
7. Verfügbarkeitsmanagement, dynamisches
8. Herkunftsstaat, sicherer
9. Sicherheitslücke
10. Technikoffensive

Aufgelistet sind nur die neuen Begriffe des jeweiligen Jahres. Der Ausdruck alternativlos erscheint daher nicht, obwohl er bisher noch jedes Jahr einen der vorderen Plätze belegte.
Das Unwort des Jahres des gleichnamigen sprachkritischen Projektes war 2016 der Volksverräter.

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Distanz-Elektroimpulsgerät

Elektroschockpistole, Verzeihung, Distanz-Elektroimpulsgerät der Polizei Berlin

Technisch klingende Umschreibung für Waffen, die aufgrund ihrer markerschütternden Wirkung umgangssprachlich als Airtaser, Elektroschocker oder zutreffenderweise als Elektroschockpistole bezeichnet werden. Rechtlich sind es Waffen, wie auch die Berliner Polizei schreibt, da sie zwei Elektroden bis zu zehn Meter weit schießen. Normalen Menschen ist es verboten, solche Elektroschockpistolen zu besitzen, da sie so gefährlich sind. Polizisten dürfen sie tragen. Aber die Behörde bevorzugt offensichtlich verschleiernde Ausdrücke, wenn es um ihren Einsatz geht. Sie sollen ein „ergänzendes Distanzeinsatzmittel“ sein, das in seiner Wirkung „zwischen dem Reizstoffsprühgerät und der Schusswaffe“ liegt – somit harmloser ist als die herkömmlichen Pistolen. Etwas weniger lebensgefährlich als Geschosse im Kaliber neun Millimeter mögen sie ja sein, ungefährlich sind sie nicht.

Wie würde angesichts dessen wohl ein Dialog vor Gericht aussehen, falls der Einsatz dieser Waffen zu Problemen führt?
Richter: Was haben Sie mit dem Mann gemacht?
Polizist: Ich habe ihn nur ein wenig, äh, elektroimpulst…
Richter: Also haben Sie ihn geblitzdingst, oder was?

Die Betonung auf Gerät und Elektroimpuls ist technisch nicht falsch, angesichts der Wirkung aber geradezu irreführend. Dieser Technizismus lenkt davon ab, dass Elektroschockpistolen von Organisationen wie Amnesty International als lebensgefährlich und als Folterinstrument kritisiert werden.

Mit Dank an Frank K. für den Fund.

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Kampf, kultureller

Im Gespräch mit dem „Spiegel“ forderte Sigmar Gabriel:

„Wenn wir den Kampf gegen den Islamismus und den Terrorismus ernst meinen, dann muss es auch ein kultureller Kampf werden“

Offenbar meint er damit, dass nicht nur Polizei und Militär etwas gegen Islamismus und Terrorismus tun sollen, sondern alle – wobei Gabriel unfairerweise offen lässt, wer eigentlich mit → wir gemeint ist und ob das → wir hier bestimmte Bevölkerungsteile ausschließt oder einschließt.

Gabriels kultureller K. erinnert damit zum einen an den „Kulturkampf“ des 19. Jahrhunderts, der vor allem eine ideologisch-politische Auseinandersetzung zwischen dem Staat und der katholischen Kirche war, beziehungsweise zwischen liberalen und konservativen Politikern. Wahrscheinlich meint Gabriel auch diesen ideologisch-politischen Aspekt, wenn er vom „Zusammenhalt der Gesellschaft“ spricht.

Sein K. erinnert aber vor allem an Samuel P. Huntingtons Buch „Kampf der Kulturen“ (Originaltitel: Clash of Cultures) von 1996, in dem Huntington von neuen Machtblöcken in der Welt spricht, die kulturell definiert sind und sich angeblich unversöhnlich gegenüberstehen, insbesondere der westliche, der islamische und der chinesische Kulturblock. Huntingtons Thesen sind umstritten, dient Religion doch vielen Aggressoren nur dazu, ihre wahren Ziele wie Einfluss, Macht oder Geld, zu verstecken. Auch ist Terrorismus ein Angriff auf die Werte aller Menschen und damit in erster Linie ein Verbrechen, das alle betrifft, egal welcher Religion sie anhängen.

In diesem Sinn ist Gabriels K. eine gefährliche Verschleierung der tatsächlichen Probleme, wenn zu seinem Konzept gehört, dass der Staat Moscheen verbieten soll, wie Gabriel es fordert. Es ist wichtig, jenen Einhalt zu gebieten, die Volksverhetzung predigen oder zu Gewalt aufrufen; aber das Verbot von Moscheen scheitert hoffentlich an der in der Verfassung garantierten Religionsfreiheit. Dieses Grundrecht soll dafür sorgen, dass niemand diskriminiert wird, auch kein Moslem.

Dazu ein Zitat von Bundeskanzlerin Angela Merkel. Der Regierungssprecher twitterte:

Merkel sei „überzeugt, dass auch der notwendige entschlossene Kampf gegen den Terrorismus es nicht rechtfertigt, Menschen einer bestimmten Herkunft oder eines bestimmten Glaubens unter Generalverdacht zu stellen“.

Fakten, alternative

Von Fakten spricht man im Deutschen meist im Plural. Das Wort kommt vom lateinischen Partizip factum ‚getan, geschehen‘ und Realität setzt sich eben aus vielen Fakten zusammen. Natürlich wählt jeder – auch Politiker und Journalisten – aus der Unzahl von Fakten aus, wenn er eine Geschichte erzählt. Niemand könnte alle Fakten verarbeiten, daher sind menschliche Wahrnehmungsorgane und menschliche Gehirne vor allem Filter, die nach den für sie relevanten Informationen suchen.

Und natürlich ist es problemlos möglich, durch die Auswahl einzelner Fakten oder durch das Weglassen bestimmter Fakten zu täuschen. Dafür wird im Englischen seit einiger Zeit das Wort „paltering“ verwendet, wofür es noch keine wirklich gute deutsche Entsprechung gibt. Durch „paltering“ getäuscht zu werden, hat denselben Effekt wie belogen zu werden.

Darum aber geht es bei den alternativen F. nicht, auch wenn der Begriff genau das gerne nahelegen würde. US-Präsidenten Donald Trump hatte für jeden offen sichtbare Fakten geleugnet. Sein Pressesprecher Sean Spicer bezeichnete anschließend jeden, der auf diese Fehler hinwies, als Lügner. Und Kellyanne Conway, Beraterin Trumps, behauptete dann zur Rechtfertigung, Trump habe alternative F. genutzt.

Hat er nicht. Er hat gelogen und die Realität geleugnet. Der Unterschied zwischen der Auswahl einzelner Punkte aus einer Menge von Fakten und der bewussten Leugnung aller Fakten ist für manche Menschen offenbar so klein, dass sie ihn nicht mehr wahrnehmen. Nur so ist es erklärlich, wie jemand ganz im Sinne Orwells eine Lüge als alternative F. bezeichnen kann. Nur für den, der Unwissen und Ignoranz für Stärke hält, werden Lügen zu alternativen F.

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Fußfessel, elektronische

Die elektronische F. ist oberhalb des Fußes – eigentlich ans Bein – ‚gefesselt‘, aber wer sich davon erhofft, dass sie auch Übeltäter (oder → Gefährder) fesselt, der wird von dem Begriff getäuscht. Die F. ist ein Überwachungsgerät, das einen Alarm verschickt, wenn der so Markierte einen vorher definierten Bereich verlässt oder die F. ablegt. Sie erleichtert es, die Bewegungen des auf diese Weise Überwachten zu kontrollieren. Doch hilft sie nicht dabei, zu erfahren, was derjenige plant und tut, unterbinden kann sie gleich gar nichts. Wenn der Beobachtete die F. entfernt und flieht, um vielleicht irgendwo einen Anschlag zu begehen, wird die Polizei zwar schnell informiert, dass er sich regelwidrig verhält und verschwunden ist. Aber weder die Flucht noch der Anschlag werden durch die F. verhindert. Die F. als „Konsequenz“ aus einem Terroranschlag und als Mittel gegen künftige Anschläge zu propagieren, nennt man daher auch Symbolpolitik.

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Die Sprache der Populisten

Vermeintliche „Gewissheiten“, die sich bei näherer Betrachtung als Unsinn, ja als Lüge entlarven, sind das wichtigste Mittel der Rechtspopulisten. Mit Hilfe der Sprache versuchen sie, diese Lügen zu tarnen, um sie als faktenbasiert oder wenigstens als akzeptabel erscheinen zu lassen. Auf dem 33. Chaos Communication Congress zeigte Neusprech-Autor Martin Haase die Mechanismen auf, die populistische Sprache charakterisieren.

Die FAZ-Autorin Andrea Diener zieht über den Vortrag folgendes Fazit:

„Die Umdeutung, Verbiegung und Verharmlosung von Begriffen, wie sie der Populismus betreibt, verfolgt ein Ziel, das man sich nicht zu eigen machen soll. Und wenn man mit Populisten redet, solle man sich klar machen, dass man mitunter nicht auf der gleichen semantischen Grundlage argumentiert. Da helfe nur nachfragen, […]: Was genau ist denn Ihre Wahrheit? Was verstehen sie darunter?“

Und hier noch ein Tipp aus Haases Vortrag, wie sich solche Lügen enttarnen lassen: „Ich bin gefragt worden vor einiger Zeit, wie man eigentlich Fake News erkennt. Naja, die Rechtschreibfehler sind ein guter Hinweis.“

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Neusprechfunk

Es wächst wieder zusammen: Neusprechfunk 8 als Crossover

In leicht abgewandelter Runde haben wir uns zu einem weiteren Crossover aus Staatsbürgerkunde und Neusprechfunk zusammengefunden. Der fabulöse Martin Fischer, der gerade für einen Grimme-Online-Award nominiert wurde, ist also unser Gast.

Es gibt viel zu besprechen, sowohl Aktuelles als auch Vergangenes: Wir reden über die vorletzte Ausgabe der Zeitschrift „Gerbergasse 18“:

gerbergasse

Denn es gibt darin einen Artikel zur Sprache der Stasi, der sich mit der sprachlichen Verschleierung, Schmähwörtern und der gezielten Benutzung bestimmter Wörter und Phrasen durch den ostdeutschen Geheimdienst auseinandersetzt:

bilde schreiber stasi-sprache

Der Ausschnitt ist aus dem Heft 77 „Sprache in der Diktatur“ ebenjener Thüringer Vierteljahresschrift für Zeitgeschichte und Politik Gerbergasse 18, wo anhand einiger Textbeispiele der Sprachstil der Stasi analysiert wird.

Wir haben außerdem typische Losungen des Arbeiter- und Bauernstaats besprochen, was zu einiger Heiterkeit führte. Diese Losungen waren Appelle an die Bevölkerung, oft in Befehlsform, entsprechend das Ausrufezeichen zumeist nicht optional. Wir wollen nicht alle Parolen vorwegnehmen, aber ein Beispiel wäre: Es lebe der feste und unzerstörbare Bruderbund zwischen der DDR und der Sowjetunion! Oder:

arbeite mit

Wer sich obiges Beispiel betrachtet, entdeckt vielleicht links oben eine Frau mit gewisser Ähnlichkeit zu einer ausgesprochen prominenten heutigen Politikerin, deren Losung „Wir schaffen das!“ Thema unzähliger Diskussionen war. Das Motiv findet sich bei der „Gerbergasse 18“ wieder:

rueckseite gerbergasse

Die Losung „Alles zum Wohle des Volkes – das schaffen wir!“ (Rückseite der „Gerbergasse 18“, Ausgabe 4/2015, Heft 77) konnten wir natürlich nicht unkommentiert lassen. Wer sich nicht sicher ist: Ob die abgebildete Person tatsächlich die junge Angela Merkel ist, lösen wir im Podcast auf.

Ein weiteres Thema des Neusprechfunk 8 (mp3) ist das Buch „Die Sprache der Stasi. Ein Beitrag zur Sprachkritik“:

sprache der stasi

Das Buch ist leider vergriffen, es gibt aber eine lesenswerte Rezension.

Vom Geheimdienst zur Einheitspartei ist der Weg nicht weit, die Verzahnung von SED und Stasi war und ist ja kein Geheimnis. Deswegen reden wir im Podcast auch über Politik und Medien in der DDR und darüber, wie die SED in der Endphase vor dem Mauerfall versuchte, die Werktätigen von ihrer Dialogwilligkeit zu überzeugen. Wer die von uns im Gespräch vorgetragene Definition aus der Berliner Zeitung nochmal durchlesen möchte, sei auf das folgende Foto verwiesen. Unter dem Titel „Wo wir Mängel selbst aufdecken, kann sich kein Gegner einnisten“ werden die lebensverbundenen Medien so beschrieben:

lebensverbundene medien

Der Artikel um eine Diskussion mit DDR-Politbüro-Funktionär Günter Schabowski schaffte es sogar auf die Titelseite der Berliner Zeitung (vom 17. Oktober 1989, Einzelpreis: fünfzehn DDR-Pfennig).

berliner zeitung 1989

Wir sprechen bei der Gelegenheit auch über den innerparteilich als Reformer geltenden Schabowski am Beispiel seiner Rede auf der Großdemo am 4. November 1989 auf dem Berliner Alexanderplatz, die vom Fernsehen der DDR live übertragen wurde. Die große Mehrheit der Teilnehmer der Demo sahen ihn eher als Apparatschik und buhten ihn nach Kräften und anhaltend aus.

Wir reden außerdem über:

Den Neusprechfunk 8 gibt es als mp3, alternativ bieten wir auch die ogg-Version von Neusprechfunk 8 an. :}

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