Die Berliner Morgenpost hat im Rahmen einen keliner serien zu den wohnungspolitischen Herausforderungen in Berlin eine Gespräch mit mir veröffentlicht:
Wie soll Berlin 2021 aussehen? Der Stadtsoziologe Andrej Holm fordert eine dauerhafte Mietpreisbindungen für Sozialwohnungen.
Berlin galt im Vergleich zu anderen Metropolen lange Zeit als Stadt, die preiswert ist und in der billiges Wohnen möglich ist, auch in den attraktiven Innenstadtlagen. Das hat sich in den letzten sechs, sieben Jahren vollständig verändert. Wir haben jetzt einen Wohnungsmangel, vor allem an preiswerten und leistbaren Wohnungen. Anders als in den vergangenen Jahren haben nicht nur Geringverdiener inzwischen Schwierigkeiten, eine Wohnung zu finden, sondern auch Menschen mit mittleren und sogar überdurchschnittlichen Einkommen.
Wir beobachten zudem, dass es extreme Mietsteigerungen in fast allen Innenstadtgebieten gibt. Hier herrscht eine hohe Veränderungsdynamik. Das gilt auch für ehemalige Problemlagen, wie Wedding, Teile Neuköllns und Moabit. Hier herrscht Verdrängung, das heißt, wir haben eine arme, abgehängte Bevölkerung, die dem hohen Verwertungsdruck der Immobilienwirtschaft ausgesetzt ist. Diese Dynamik führt mittelfristig zur Verdrängung an den Stadtrand, wie wir es aus anderen Städten kennen.
Dabei gibt es unterschiedliche Muster. Wenn man sich Prenzlauer Berg oder Friedrichshain ansieht, die die Sanierungskulisse der 90er-Jahre darstellten, dann sind das Gebiete, in denen durch eine umfangreiche Sanierung tatsächlich ein Bevölkerungstausch stattgefunden hat. In einzelnen Quartieren wohnen nur zehn bis 15 Prozent der Bevölkerung, die schon vor der Sanierungswelle dort gewohnt haben.
Zurzeit beobachten wir dagegen in Kreuzberg, Neukölln und Wedding eine Mikropolarisierung, die sich sehr kleinräumig abspielt. Wohlhabende ziehen in diese Viertel, der Anteil an Hartz-IV-Empfängern oder prekär Beschäftigten nimmt aber nicht in gleichem Maß drastisch ab. Das Geheimnis dahinter besteht darin, dass Haushalte mit geringen Einkommen versuchen, den steigenden Kostendruck durch Überbelegung zu kompensieren. Man zieht in kleinere Wohnungen oder vermietet Zimmer unter. Die befürchtete Verdrängung findet also erst einmal nicht statt, stattdessen registrieren wir eine Verdrängung aus dem Lebensstandard.
Viele Investitionen in Schulprogramme oder andere soziale Förderungen haben da erst einmal keine Wirkung, weil immer mehr Kinder wieder zu zweit oder dritt in einem Zimmer leben und nicht über einen eigenen Schreibtisch verfügen. Die Mietsteigerung führt also zu einer weiteren Verarmung, weil der Anteil des Einkommens, der für Miete aufgewandt wird, steigt und weniger Geld für anderes da ist: Manche verzichten auf Urlaub, andere auf Schulbücher und wieder andere verzichten aufs Essen.
Das wissen wir von der Berliner Tafel und anderen Einrichtungen, die berichten, dass gegen Ende des Monats die Schlangen vor ihren Türen regelmäßig länger werden. Dieser Trend lässt sich aufhalten. Stadtentwicklung ist ja keine Naturkatastrophe, sondern unterliegt gesellschaftlichen Bedingungen. Eine soziale Wohnungsversorgung müsste jedoch gegen private Verwertungsinteressen durchgesetzt werden.
Dafür wären neue Mietpreisbindungen notwendig, die auch in der Innenstadt preiswertes Wohnen ermöglichen. Leider gab es in den vergangenen Jahren von politischer Seite kein Interesse, sich mit Eigentümern, Investoren und Spekulanten anzulegen. Im Glauben an die angeblichen Segnungen des Wachstums war die Angst davor, Investoren abzuschrecken, größer als die Bereitschaft, die Spekulation auf steigende Mieten und Umwandlungsgewinne einzuschränken.
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