Frittierfett

In der Wohnung über mir rückt einen eine Person einen Tisch oder ein anderes schweres Objekt. Das ergibt ein Geräusch, das entfernt nach Vibration klingt. Ich glaube kurz, es wäre mein Handy und schrecke zusammen. Weil ich immer zusammenschrecke. Laute Geräusche sind nicht gut für mich, und einzig die Angst, eine unglaublich wichtige Nachricht zu verpassen, führt dazu, dass ich dem Telefon überhaupt erlaube, zu vibrieren. Das soll es zwar auch nur in einigen wenigen Ausnahmefällen tun, aber manchmal häufen sich die Ausnahmefälle halt. Ich sitze nervös an meinem Schreibtisch und suhle mich in meiner Nervosität. Ich kann überhaupt an kaum was anderes denken, mein Körper fühlt sich an, als würde er sich auflösen, am Ende bin ich eine kribbelnde Masse Nervosität, ein Blob aus Ektoplasma.

In der Straßenbahn warf ich halblaut mit düsteren Prophezeiungen um mich. Sie haben sich alle erfüllt, oder zumindest glaube ich das. Das war eine andere Zeit, vor drei, vier Wochen (oder sind es mittlerweile Monate?), als noch Sommer war und der Herbst ein Gespenst, vor dem niemand Angst hat. Ich denke darüber nach, wie viele Zellen meines Körpers von damals wohl schon abgestorben sind, wie viele Hautschuppen ich seitdem verloren habe und wie viele Barthaare ich mir ausgerissen habe, weil sie in einem ungünstigen Winkel abgestanden sind. Ich wünsche mir, ich könnte in einen Spiegel schauen und den Menschen von damals sehen und mich selbst nicht wiedererkennen. Weiterlesen

15 Jahre Bloggen

vierzehnjahrebloggen

Dieses Blog existiert nun schon 15 Jahre lang. Letztes Jahr habe ich an dieser Stelle vom vergangenen Sommer geschwärmt, weil ich ihn damit verbracht habe, jeden Tag etwas ins Blog einzutragen. Und die Idee, jeden Tag zu bloggen, finde ich immer noch sehr gut. Ich merke, dass je mehr ich gegen Geld Auftragstexte schreibe, umso weniger bekomme ich es hin, zu bloggen. Interessanterweise war das zu meiner Schulzeit nicht so, aber wahrscheinlich bedeutet das einfach nur, dass Schüler_innen eigentlich gar nicht so viel schreiben müssen, wie sie vielleicht glauben. Es kann natürlich auch sein, dass ich alt geworden bin und nichts mehr aushalte, weder lange Partynächte noch wilde Schreiborgien.

Ich könnte jetzt an dieser Stelle auch über den vergangenen Sommer schwärmen, denn er war – bis auf ungefähr einen Monat relativ am Anfang – so ziemlich der beste, den ich je hatte. Das lag aber vor allem an den Menschen, mit denen ich ihn verbrachte und nicht so sehr daran, dass ich sonderlich viel gebloggt hätte. Ich habe diesen Sommer noch überhaupt nicht dokumentiert, was ich schon wieder unglaublich bedauere, denn jetzt sind alle Eindrücke natürlich schon vom herannahenden Winter getrübt. Es ist halt so viel passiert und es passiert ständig etwas. Aber eigentlich geht es ja um die Frage, was macht das mit mir und dem Blog, dass es das Blog jetzt schon 15 Jahre lang gibt? Immer noch fällt mir nichts ein, das ich – wenn auch nicht immer sehr gut – schon so lange mache. Weiterlesen

Rollfeld

Foto des Züricher Flughafens, vor allem blauer Himmel mit Wolken, am unteren Rand sind Flughafengebäude zu sehen, wir sehen auch ein kleines am Horizont verschwindendes Flugzeug
Ein Flugzeug nach dem anderen erhebt sich und steigt mit einer unerträglichen Langsamkeit in den hellblauen Sommerhimmel, dem mit seinen wenigen Wolken der starke Ostwind, der unseren Abflug verzögert, nicht anzusehen ist. So langsam, wie die Flugzeuge abheben, habe ich beinahe Angst, sie könnten ohne Vorwarnung wieder herunterfallen, wie Steine, die plötzlich merken, dass sie keine diplomatische Immunität gegenüber den Gesetzen der Physik haben. Wir werden umsorgt mit Schokolade und Wasser, ich habe außerdem ein kleines Päckchen PEZ (Erdbeer) gefunden, das ich aus Langweile esse. Es ist nicht so schlimm, aber irgendwo in den Sitzreihen hinter mit hört jemand mit schlecht abgeschirmten Kopfhörern elektronische Musik, was mich leicht nervös macht.

Jedes startende Flugzeug dröhnt zuerst, wie Donner, dann drehe ich mich zum Fenster und schaue dem Aufstieg zu, bis sich die Maschine im Blau des Züricher Himmels verliert. Jedes Donnern heißt einen Platz weiter nach vorne in der Warteschlange für uns, jeder erstaunlich langsame Aufstieg bis zum Verschwinden am Horizont lässt die Zeit zum Take-Off dahinschmelzen. Hinter mir wird eine Physikaufgabe besprochen. Zum Glück geht es um Schmelzenthalpie und nicht um die Unmöglichkeit von Aerodynamik.

Ich könnte nochmal das Bordmagazin durchblättern, das ich schon beim Hinflug auf interessante Artikel prüfte. Ich könnte noch einmal das SIM-Kartenwechselspiel spielen, um die Credits auf meiner luxemburgischen SIM mit teurem Datenroaming aus der Schweiz zu verbraten. Jetzt aber bewegt sich das Flugzeug, die Physikaufgabe ist mittlerweile zu einer Geschichte über absichtlich vergessene Pralinen geworden, der Zuzuhören ich mich gezwungen fühle. Je länger ich auf das Papier starre, umso heller fühlt sich das Draußen an, obwohl sich mehr Wolken vor den Himmel schieben. Das Beton des Rollfeldes, die weißen Flugzeuge, alles scheint mir unerträglich hell.

Es ist schon lange kein Flugzeug mehr gestartet. Jemand hat sich beschwert, die schlecht abgeschirmte elektronische Musik ist abgeschaltet. Über die Flugzeuglautsprecher spielen sie wieder Frank Sinatra (oder sowas), der übers Fliegen singt, beschwingt und fröhlich.
Mir fallen die Augen zu, aber ich glaube nicht an Schlaf. Bald wird ein weiteres Flugzeug sich erheben und mit einer unerträglichen Langsamkeit immer weiter in den hellblauen Sommerhimmel aufsteigen, um schlussendlich am Horizont zu verschwinden. (30/8/2016, Flughafen Zürich)

Neverboy

neverboyGestern war ich das erste Mal in einem Comicbuchladen. Vielleicht stimmt das nicht ganz, aber gestern bin ich zum ersten Mal mit dem Gedanken „Heute will ich mir ein Comic kaufen“ in einen entsprechenden Laden gegangen. Und zwar zu dem neusten Wiener Comicbuchladen, Bunbury‘s in der Lindengasse. Der Laden ist recht klein und hat noch nicht soo unglaublich viel Auswahl. Was allerdings dort steht, ist ein spannender Mix aus deutschen, englischen und japanischen Heften, der sowohl die großen Verläge als auch unbekanntere Publisher abdeckt. Die Beratung war auch sehr freundlich und hat treffsicher etwas aus dem Regal gezogen, das ich schon kannte (die sehr empfehlenswerten Rat Queens, zu denen ich irgendwann vielleicht auch noch was schreibe) und mochte. Ich werde da wohl öfters hin.

Neverboy ist ein ehemaliger imaginärer Freund, der irgendwie den Sprung in die reale Welt geschafft hat. Er kann nur dort bleiben, wenn er sich ständig Drogen einflößt. Dadurch hält er sein scheinbar normales Leben inklusive Frau und Kind aufrecht. Auf dem Fersen ist aber nicht nur die Realität, die ihn sehr farbenfroh überrollt, wenn ihm die Drogen ausgehen, sondern auch noch Agent_innen des Fantasieministeriums, das die Beziehungen zwischen realer und fiktiver Welt regelt. Das ganze Setting verspricht einen wunderbaren psychedelischen Trip an den Grenzen dessen, was unsere Welt zusammenhält. Als Gegenstück zu Neverboy, der um jeden Preis in der realen Welt verbleiben will (auch wenn das mit der Familie auf einmal nicht mehr so klappt) dient der glücklose Künstler Julian Drag, der die Welt des Fiktiven für seine Kunst regelrecht melken will.

„Neverboy“ ist aber keine „Fear and Loathing in Las Vegas“-mäßige Tour de Force durch das gesamte Arsenal psychedelischer Drogen, sondern verwebt auf eine geschickte Art und Weise imaginäre Freund_innen, Inspiration und schlichte Kinderfantasien miteinander zu einer Story, die mich enorm gefesselt hat. Die Zeichnungen inklusive Farbgebung haben mir sehr gut gefallen und übertragen die generelle Stimmung sehr gut. Natürlich stellt sich bei so viel Drogenkonsum und Fantasie ständig die Frage, was denn jetzt real ist und was „nur“ Einbildung. Weiterlesen

1 Zweikilopackung gefrorener Shrimps

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Im Kühlschrank liegt seit drei Tagen eine Zweikilopackung gefrorener Shrimps. Es ist Anfang Juli und die Schrimps sind seit zwei Tagen nicht mehr gefroren. Die Schrimps gehören nicht mir, ich esse kein Fleisch oder Fisch. Nein, die Zweikilopackung ehemals gefrorener Shrimps gehören meinem lustigen Mitbewohner Klaus. Ich muss das immer so sagen, damit die Menschen wissen, wen ich meine: „Mein lustiger Mitbewohner Klaus“, als wäre Klaus so eine Zirkusattraktion, die nur unter diesem Namen bekannt ist. Das ist er nicht, aber trotzdem blicken mich die Menschen immer sehr verwirrt an, wenn ich von meinem lustigen Mitbewohner Klaus einfach nur als „Klaus“ rede.

Ich habe noch einen dritten Mitbewohner, aber der heißt nicht Klaus, ist auch nicht sonderlich lustig und verbringt die meiste Zeit bei seinem Freund, in der er seit vier Monaten unsterblich verliebt ist. Alle paar Wochen verbringen die beiden eine Nacht in unserer Wohnung und schleppen zu diesem Anlass zwei neue Zahnbürsten ins Bad. Ich habe mal versucht, unsere gigantische Zahnbürstensammlung zu zählen, aber nach 20 habe ich einfach aufgegeben.

Auf jeden Fall macht sich der Geruch, den die ehemals gefrorenen Shrimps verströmen, so langsam bemerkbar. Das ist unangenehm, denn bis gestern war es so, dass der Geruch innerhalb des Kühlschranks blieb, wenn ich diesen geschlossen hielt. Ich schreibe meinem lustigen Mitbewohner Klaus eine Nachricht, die hoffentlich bald auf seinem Handy erscheint: „Klaus, du Arsch. Deine fucking Shrimps verfaulen im Kühlschrank. Komm her und räum den Scheiß weg!“. Ich mache noch ein paar emojis, damit mein lustiger Mitbewohner Klaus nicht denkt, ich wäre ernsthaft wütend auf ihn. Das bin ich zwar, aber er soll das nicht wissen. Weiterlesen

Liebster Award

Der Dominik hat mich für den „Liebster Award“ nominiert. Das ist jetzt auch schon wieder fast einen Monat her, aber ich war leider etwas beschäftigt damit, zwischen Wien und Graz herumzupendeln, mittlerweile drei verschiedene Kleinstjobs zu jonglieren und nebenbei auch noch etwas zu studieren. Und diese Entschuldigung ständig aufzusagen, wenn mich wer gefragt hat. Eigentlich ein Stöckchen, das jedoch bei jeder neuen Iteration neue Fragen ausspuckt. Spannendes Konzept, ich bin gespannt, ob es funktioniert.

lieberaward

Hier also die elf Fragen, die Dominik sich ausgedacht hat: Weiterlesen

Fußmatte

Fußmatte mit Zeitung vor einer Wohnungstür, die leicht geöffnet ist. Links davon steht ein Regenschirm

Du hast deine Zigaretten mitgenommen. Das ist gut so, denn ich hätte sonst wieder mit dem Rauchen angefangen, drei Stunden alleine in deinem Zimmer. Ich meine, was sollte ich auch anderes tun, außer „Arbeiten“ und warten und vielleicht noch einen Kaffee trinken?

Ich denke zurück an letzten Freitag. In meinem Kopf sieht alles aus wie in einem Film, der wie ein Musikvideo geschnitten ist. Ich kann mich an jeden Moment erinnern. Erschrecken, weil jemand mich anspringt, von hinten oder von der Seite und ich dann in ein Gesicht blicke, das ich schon zehntausend Mal gesehen habe. Diesmal ist es anders. Weiterlesen

Cyberpunk-Schnitzeljagd

Schriftzug: READ ONLY MEMORIES A NEW CYBERPUNK ADVENTURE

Dieser Post erschien zuerst in der März-Ausgabe (01/2016) des progress.

Neo-San-Francisco, wenige Tage vor Weihnachten 2064. Ich schreibe ein lange aufgeschobenes Review über besonders intelligente Kopfhörer. Danach genieße ich endlich den gerechten Schlaf freischaffender Journalist_ innen. Aber nur kurz: Ein kleiner Roboter namens Turing ist in meine Wohnung eingedrungen. Schlaftrunken höre ich seine Erklärungen: Mein Wohnungsschloss ist unsicher, er ist die erste künstliche Intelligenz mit richtigem Bewusstsein und Emotionen, und außerdem ist mein Bekannter Hayden Webber, der Turing gebaut hat, entführt worden. Weiterlesen

über der Arktis.

Zeppelin vor dunklen Wolken
Ich fühle mich, als hätte ich eine offene Wunde, durch die Gefühle in mein Innerstes eindringen können.
Meine rechte Hand kribbelt, das hat sie schon ewig nicht mehr getan, sicher zehn Jahre sind das her. Ich bin seit all diesen Jahren nicht schlauer geworden und weiß nicht, was das heißt oder heißen soll. Immer, wenn ich Leuten davon erzähle, fragen sie mich Dinge, die danach klingen, als wüsste ich nicht, wie sich „eingeschlafene“ Gliedmaßen anfühlen. Auf dem Klo in der Arbeit habe ich den Drang, einen Vorschlaghammer zu nehmen und durch die Wand zu brechen, immer weiter, immer weiter, durch alle Gebäude durch, bis es nicht mehr weitergeht. Auch nicht viel absurder als die anderen Dinge, die so in meinem Kopf herumschwirren.

Unrund. So heißt das hier. Von allen Formen ist mir der Tesserakt die liebste Form, aber leider hat Hollywood das Ding nur kurz nach mir entdeckt und somit kann ich es nicht mehr benutzen oder auch nur darüber reden, ohne wie jemand zu wirken, der seine lustigen „wissenschaftlichen“ Anekdoten aus Filmen hat. Auf jeden Fall: Wäre ich eine Form, ich wäre höchstwahrscheinlich eher nicht rund, was wiederum gut zur Gesamtwetterlage meiner Gefühle passt. Letzte Nacht waren alle Gedanken sehr klar, da war das Kribbeln in der Nacht am stärksten spürbar, als hätte ein Blitz in meine Hand geschlagen und ich würde meine Nervenstränge bis in den Oberarm brennen spüren, mit der Gewissheit, dass das eine körperliche Reaktion auf IRGENDETWAS ist, aber ich natürlich nicht weiß, was. Nicht nur, dass ich zwischenmenschliche Beziehungen nicht so hinkrieg; ich schaffe es noch nicht einmal, mit mir selbst so zu kommunizieren, dass die Botschaft ankommt. Nachts, wenn ich zu müde zum Schreiben bin, weiß ich immer ganz genau, was ich schreiben würde, wie ich Sätze und Silben aneinanderreihen würde, um einen großartigen Text zu schaffen, der noch in fünf Jahren glänzt. Weiterlesen

Da endlich sah ich das Pendel.

Pendel

Da endlich sah ich das Pendel.
Die Kugel, frei schwebend am Ende eines langen metallischen Fadens, der hoch in der Wölbung des Chores befestigt war, beschrieb ihre weiten konstanten Schwingungen mit majestätischer Isochronie. Ich wusste – doch jeder hätte es spüren müssen im Zauber dieses ruhigen Atems -, dass die Periode geregelt wurde durch das Verhältnis der Quadratwurzel aus der Länge des Fadens zu jener Zahl π, die, irrational für die irdischen Geister, in göttlicher Ratio unweigerlich den Umfang mit dem Durchmesser eines jeden möglichen Kreises verbindet, dergestalt, dass die Zeit dieses Schweifens einer Kugel von einem Pol zum Andern das Ergebnis einer geheimen Verschwörung der zeitlosesten aller Maße war – der Einheit des Aufhängepunktes, der Zweiheit einer abstrakten Dimension, der Dreizahl von π, des geheimen Vierecks der Wurzel und der Perfektion des Kreises.

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