Schillerndes Dunkel: Geschichte, Entwicklung und Themen der Gothic-Szene Gebundene Ausgabe – 25. Mai 2010

Schillerndes Dunkel ist als ein Versuch die Schwarze Szene zu fassen an den Start gegangen. Allerdings wird der Versuch an einigen Stellen ungebremst vor die Wand gefahren. Das Beginnt schon mit der Erkenntnis welche fragwürdigen Personen sich munter in diesem Buch über ihre Schwachsinnsvorstellungen von der Welt und der Szene auslassen dürfen. Den tiefsten Punkt erreicht da der neurechte Publizist Lichtmesz in seinem Unsinnsbeitrag "Vom Rüschenhemd zur Uniform" mit dem fabulieren vom Neofolk als potentiell neurechte Jugend- und Gegenkultur, die von den Linken gestoppt worden wäre. m(

Also lieber Martin, ich weiß nicht genau wo Du damals warst, aber ich war da und so wie Du es schreibst war es nicht. Das ist gerade mal ein lauer Versuch eine viel zu einfache Legende zu etablieren. Ja ohne Flachs, in der Schlichtheit der Aussage ist das absolut Stumpf und wenn Du das wirklich glaubst tust Du mir leid. Zillo und Co. stellten in den 1990ern zunehmend die Pressearbeit über Neofolk ein. Einen kleinen Teil machten politische Entscheidungen nach Ettlers Tod aus, der weit größere zu diesem Zeitpunkt viel bedeutsamere Teil war allerdings eine rein kommerzielle Entscheidung. Neofolk hatte sich bis Mitte/Ende der 1990er kreativ totgelaufen und kam gegen die Konkurrenz des Alternative-Hypes nicht an. Witt, Rammstein, Nine Inch Nails, Manson, Wumpscut, Deine Lakaien, Projekt Pitchfork es ging verdammt heiß, laut und opulent her in der Szene. Das kurze zeitgleiche und nachkommende letzte Aufbäumen des Neofolk fiel da schon in eine Phase in der in der Schwarzen Szene andere weit massenkompatiblere Musikstile den Ton angaben. Neofolk blieb bei ein paar Namen die dazu noch häufig an Qualität verloren, alle nachkommenden Interpreten drangen kaum noch durch, denn die aus sich gewachsene Schwarze Szene boomte in einem Ausmaß, dass kleine Facetten wie Neofolk, Military-Pop oder auch Gothic zunehmend versiegten. NDH, Aggrotech, Mittelalter-Rock, Symphonic Metal, Future Pop das war die Szene-Musik der Stunde. Es musste knallen, laut sein, einfach sein, Comicartig überzogen und nicht zuletzt Partytauglich. Was die Szene erlebte war die Goldgräberstimmung der Musikindustrie, welche sie als lukrativen Absatzmarkt entdeckt hatte. Romantische Klampfe-am-Lagerfeuer-Leonard-Cohen-Musik der mittleren Neofolkphase, die wagneresk-kitschig nachfolgende Eis-und-Licht-Neofolk-Generation und das subversiv-ambivalente und schwer verdauliche von Proto-Neofolk und Proto-Military-Pop hatte keine Chance mehr in der Szene Fuß zu behalten oder gar zu fassen. Nicht weil irgendwer da gegengesteuert hätte, sondern einfach weil die Szene sich gewandelt hat, explodiert ist. Im Wachstum schleiften sich die Ränder zunehmend. Da war Neofolk zu einer Kleinstspartenmusik in einer immens gewachsenen Szene geworden. Da haben Büsser, Schobert und die Geister, wenn man mal ehrlich zu sich selbst ist, kaum Einfluss genommen. Das können sich weder die Linken als Erfolg auf die Fahne schreiben, noch können die (neu)rechten das zur Agitation stilisieren.

Neben diesem Unfug von der ausgebremsten neokonservativen Jugendkultur und ein paar wenigen fragwürdigen Namen mehr, deren Beiträge aber zumindest annehmbarer als das Gewäsch vom Lichtmesz sind, ist das größte Problem des Buches, dass es ein wehmütiges und nostalgisches Buch zunehmend alternder vornehmlich männlicher Szenegänger und -akteure darstellt. Aktualität ist hier nicht zu finden. Beinah könnte man sagen dass dies Buch wohlwollend bis in die große Umbruchphase der Szene Mitte der 1990er blickt und danach das Interesse verlor. Ja sich danach in abfälligen Bekundungen des eigenen Unverständnisses für die jüngere Generation ergeht. Zuvorderst steht dabei das vehemente Cyberbashing. Man mag von den Knicklichtern halten was man möchte, aber in diesem Sammelband wirkt das was sich da findet wie eine Mischung aus Großvaters verklärte Kriegsgeschichten in das sich stetiges Gemaule über die Jugend fügt. Früher war alles besser, damals hatten wir noch Werte, wir waren nett zueinander, solidarisch, die Mark war noch was Wert und man bekam Knöterich an der Bude für zwei Pfennig … ehm, Bier auf dem WGT für 2 DM. Jetzt trifft man sich noch alle paar Jahre zum Bingo, trinkt Eierlikör und Jägermeister und hört Unknown Pleasures, In the Flat Fields, Faith und Nada!, spricht von damals und wartet auf das kommende Ende. Gute Nacht ihr Lieben, war schön mit euch.

Wenn es schon diesen Schnitt gibt und Nym sowie die von ihm versammelten Schreiber den Sprung in die Gegenwart nicht schaffen wäre zumindest ein kritischerer Blick angebracht gewesen. Doch auch der kommt hier kaum vor. Am Ende bleibt dieser fade Geschmack eines rosarot-verklärenden “Früher war alles Besser“-Geschwätzes. War es nicht. Es ging damals wie heute um die Party, man saß nicht in der Disko und philosophierte zu Anne Clark über Baudelaire und de Sade. Man trank, man tanzte, man präsentierte sich, lernte einander kennen und schwätzte über den gleichen Unsinn wie immer: Wer mit wem und wer mit wem nicht. Wann, woher, wohin. Was machst Du morgen? Ey geiler Song, ich geh mal tanzen. Und dachte über den gleichen Unsinn wie eh nach: Sieht mich wer? Bin ich gut angezogen? Was zu trinken in die Murmel. Ey geiler Song, ich geh mal tanzen.

Auch wenn viele das nicht wahrhaben möchten doch Das war nie anders. Nur in der Rückschau alternder zum Teil ehemaliger Szeneanhänger wird das ganze zunehmend zu einem Potpourri nostalgischer Wehmutsgeschichten gespickt mit mittelprächtigen Analysen, die man zum Teil schon in anderen Szenebüchern lesen konnte. So ist das von Judith Platz, Alexander Nym und Megan Balanck geschriebene Kapitel über “Schwarze Subgenre und Stilrichtungen“ nicht nur zum Großteil aus Platz Beitrag in “Die Welt der Gothics.“ von Axel Schmidt, Klaus Neumann-Braun übernommen, sondern auch immer noch Randgefüllt mir fehlerhaften Einschätzungen. Wie der Idee HIM seien eine Gothic-Rock-Band. Die enthaltene Befragung von Schmidt und Neumann-Braun hingegen ist gerade in den abgefragten Stilbegriffen völlig unklar. Und so zieht sich das unstete und unausgereifte durch die wissenschaftlichen, das nostalgisch-verklärende durch die anekdotischen Beiträge des Buches.

Dennoch trotz all der Häme, das Buch ist nicht wirklich schlecht. Es ist ein nett aufgemachter Sammelband der an den eigenen Zielen krankt. Zum Durchblättern, Stöbern und gelegentlich nostalgischen Schwelgen (ja natürlich darf man das, ich habe mir nur mehr erhofft) ist er durchaus geeignet. Dabei ist mit dem Neofolk ein Schwerpunkt gesetzt worden zu dem heute kaum noch ein Szenegänger Bezug hat und der auch schon in den frühen 90ern eher in den Rändern als in der Mitte der Szene anzutreffen war.

Schillerndes Dunkel - Geschichte, Entwicklung und Themen der Gothic-Szene

Nach Durchsicht des Buches muss ich mich doch stark wundern. Schillerndes Dunkel will offensichtlich über die Gothic-Kultur berichten, rutscht in seinem Themenschwerpunkt jedoch zu stark in die Industrial-, Avantgarde- und Neofolk-Ecke ab. Diese Bereiche waren für das Gothic-/Wave-Umfeld nur von sekundärer Bedeutung und keinesfalls Dreh- und Angelpunkt der Szene. Es sind Nischenbereiche, die nicht zwingend (!!!) szeneprägend waren. Damit will ich nicht behaupten, dass der Inhalt uninteressant wäre - es ist guter Stoff für eine separate Publikation. Ich bin mir jedoch nicht sicher, was mir das Buch eigentlich vermitteln will und welchem Szeneumfeld es nun tatsächlich gewidmet ist. Einerseits wird hier der klassische Waver/Goth beschrieben. Und dieser ist nun mal korrekterweise mit New Wave, Post-Punk und Gothic Rock groß geworden und nicht mit Experimentalmusik. Wenn ein Waver von Industrial sprach, meinte er zumeist die Neubauten (die eigentlich längst Post-Industrial waren), poppige Cabaret Voltaire oder die tanzbare Endphase von SPK (Metal Dance, Breathless etc., ihr wisst schon). Monte Cazazza oder Boyd Rice wäre für den ein Buch mit sieben Siegeln gewesen. Andererseits lässt der Inhalt des Buches anmuten, die Szene der 90er habe hauptsächlich auf Industrial und Neofolk beruht, als sei das der Hauptzweig der Szene der 90er gewesen. Dem kann ich so nicht zustimmen.

Gothic Rock, das Genre, das der Szene ihren Namen gab, kommt meiner Meinung nach zu kurz, ebenso die ganzen Electro-Wave-Sachen, zu denen sich der 80er Fraggle, auch Grufti genannt, im Stroboskop-Licht die Glieder abstrampelte. Insgesamt erscheint das Buch wie das Machwerk einiger Früh-90er Gruftis, die zu dieser Zeit mit Ritual-, Noise- und Neofolk-Musik in Berührung kamen und diesem Bereich nun gewisse "Sonderrechte" einräumen. Schön für sie. Schlecht für jene, die sich an traditionellem Goth/Wave und dessen Nachfolge orientieren.

Positiv hervorzuheben ist die Anzahl der (zum Teil nie zuvor gesehenen) Fotografien, ein ganz klarer Pluspunkt. Bezüglich der optischen Aufmachung halte ich Schillerndes Dunkel für das gelungenste Buch, das derzeit auf dem Markt ist. Allerdings muss ich zustimmen, wenn einer meiner Vorredner kritisiert, dass viele Fotos einfach zu klein sind (eines ist sogar doppelt vorhanden, falls ich richtig gesehen habe). Das ist verdammt schade.

Ebenfalls lassen sich dem Buch etliche Informationen zur derzeitigen (Fehl-)Entwicklung der Schwarzen Szene entnehmen (ich sage nur Cyber und Co.). Wie lange musste man darauf warten, dass dies einmal in einem Buch ausführlich geschildert wird. Es ist eben nicht alles Friede, Freude, Eierkuchen, wie es oftmals gerne dargestellt wird.

Ein klarer Minuspunkt geht an die Genreerläuterungen. Hier mischt sich (zum Teil korrektes) Wikipedia-Wissen mit subjektiven Ansichten und schon zuvor dutzendfach kopierten Fehlinformationen früherer Lektüren. So wird aus Dark Wave erneut ein mutmaßlich elektronischer Musikstil der 90er geformt, was schlicht verkehrt ist und sich so weder durch Printmedien der 80er noch der frühen 90er belegen lässt. Ganz im Gegenteil, wurde diese Bezeichnung in den meisten Printmedien seinerzeit vorrangig für Gitarren-Wave-Bands und Gothic-Rock-Gruppen der zweiten Generation verwendet. Elektronische Wave-Bands firmierten hingegen nachweislich (na, ratet!) unter der Bezeichnung Electro Wave. Fortification 55, frühe Project Pitchfork, Deine Lakaien - sie alle wurden als Electro Wave bezeichnet und auch so von den Plattenfirmen beworben. Richtig ist, dass viele dieser Bands unter die Dachbezeichnung Dark Wave fielen - neben obig erwähnten Gruppen aus dem Gothic-Rock/Gitarren-Wave-Lager, wohlgemerkt. Dark Wave funktionierte stets als Sammeletikett für elektronisch- und gitarren-orientierte Wave-Substile. Nur deshalb bot es sich eine Zeitlang auch als Szenename an.

Ein weiterer Fehler entpuppt sich in Zusammenhang mit New Romantic. Es gibt keinen Musikstil mit diesem Namen. Die New Romantics bildeten eine eher modisch orientierte Jugendszene, die sich musikalisch zwischen Glam Rock, Gitarren- und Synth-Pop bewegte.

Kleiner Tipp an die Verfasser aller nachfolgenden Bücher: Vermeidet es doch bitte, den fehlerhaften Unsinn anderer Bücher zu kopieren und recherchiert selbst nach! Auch die 80er hatten Printmedien, sowohl etablierte Musikmagazine als auch Fanzines! Es ist diesbezüglich völlig unnötig, Fehlinformationen und subjektiv gefärbte Texte in Bücher zu quetschen.

Insgesamt sagt mir die gesamte Sektion zur Genreerläuterung nicht zu - siehe hierzu auch den Abschnitt zu Electro: als mutmaßlich bedeutende Vertreter werden sogleich vier (v i e r !!!) Chris-Pohl-Projekte aufgelistet. Der Typ ist sowas von irrelevant. Vergessen wurden hingegen Protagonisten wie Lassigue Bendthaus, Plastic Noise Experience oder Cat Rapes Dog. Und überhaupt: wo enthält der Cyber-Style bitteschön Elemente der EBM-Mode? Die Genresektion ist eindeutig zu fehlerbehaftet, auch wenn sich darin durchaus brauchbare Informationen finden lassen.

Darüber hinaus bin ich der Meinung, dass Rammstein auch in dieser Lektüre viel zu viel Aufmerksamkeit geschenkt wird. Diese Band hatte und hat mit der Schwarzen Szene NICHTS zu tun. Laibach-inspiriert, ja. Image-inspiriert. Ansonsten hat sich diese Band selbst immer dem Metal-Umfeld zugeordnet (Tanzmetall), ist weder Wave-, EBM- noch Goth-verwandt. Rammstein sind schlicht und ergreifend eines der ersten Anzeichen unvorteilhafter Fehlkategorisierungen innerhalb der Schwarzen Szene. Die Popularität dieser Band hatte schon Ende der 90er vieles verändert - und zwar nicht wirklich zum Positiven. Unheilig, ASP und Co. bilden nur die Nachhut.

Müsste ich das Buch weiterempfehlen, dann eher an Leute mit obig beschriebenem (Post-)Industrial- und Neofolk-Bezug. Für diesen Bereich findet sich auch etliches an Bildmaterial. Goths/Waver traditioneller Prägung (Gothic Rocker usw.) sollten es erst begutachten, zumal der Preis nicht gerade der niedrigste ist. Die fotografischen Darstellungen zahlreicher Gruftis machen das einigermaßen wieder wett. Trotz dessen hinterlässt Schillerndes Dunkel bei mir einen zwiespältigen Eindruck. Es ist einfach nicht das, was ich erwartet hatte. Vieles fehlt meiner Meinung nach - insbesondere ein thematisches Gleichgewicht.