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Auf Einladung gewerkschaftlicher Basisgruppen und des "BUKO Internationalismus" waren Mitte Oktober mehrere AktivistInnen von griechischen Anti-Privatisierungsinitiativen in Deutschland. Im Interview berichten Marianna Grigoraskou von der Betriebsgewerkschaft der kommunalen Wasserwerke Thessaloniki und die Hochschullehrerin Eleni Portaliou von der Initiative gegen die Privatisierung des ehemaligen Athener Flughafens Hellinikon über den Troika-Putsch, den Ausverkauf öffentlichen Eigentums und die Zerstörung gesellschaftlicher Gegenmacht durch die Syriza-Regierung.


Seit dem Oxi-Referendum in Griechenland sind 16 Monate vergangen, danach kam das dritte Memorandum. Linke bezeichnen es als „Troika-Putsch“. Was hat sich seitdem verändert?

Portaliou: Es war viel einschneidender als die ersten beiden. Gerade was den Ausverkauf öffentlichen Eigentums angeht. Im vergangenen Juli wurde ein sogenannter „Superfonds“ gegründet, der jetzt alleiniger Verwalter des staatlichen Vermögens ist und den Ausverkauf umsetzt. Dieser Privatisierungsfonds untersteht direkt der Kontrolle der Gläubiger. Der Vorsitzende wird vom „Europäischen Stabilitätsmechanismus“ mit Sitz in Luxemburg gestellt. Die griechische Regierung darf drei Vorstandsmitglieder benennen, aber die Gläubiger müssen mit den Vorschlägen einverstanden sein. Der Superfonds agiert als privatwirtschaftlicher Akteur. Das heißt, er kann das öffentliche Vermögen ohne weitere Erlaubnis verkaufen. Der griechische Staat hat dadurch alle Souveränitätsrechte verloren. Wir können über unser öffentliches Eigentum nicht mehr politisch entscheiden.

Frau Grigoraskou, was bedeutet das konkret für die Wasserwerke von Thessaloniki?

Grigoraskou: Das Oberste Gerichtshof hat vor einiger Zeit ein Urteil gefällt, wonach die Privatisierung der Wasserwerke verfassungswidrig ist. Das Urteil bezog sich auf Athen, aber es trifft in der Sache auch auf andere Wasserwerke zu. Dem Superfonds für Privatisierung ist dieses Urteil jedoch egal. Er treibt den Verkauf aller Wasserwerke voran. Wir versuchen diese Privatisierung durch den Aufbau eines internationalen Solidaritätsnetzwerks und durch Klagen noch zu stoppen.

Welche Auswirkungen hätte die Privatisierung denn für KonsumentInnen und Beschäftigte?

Grigoraskou: Als Gewerkschaft haben wir dafür gesorgt, dass die Wasserwerke soziale Verantwortung übernehmen. Ich arbeite z.B. in der Finanzabteilung und konnte mit durchsetzen, dass wir Haushalten mit niedrigem Einkommen das Wasser zu Solidarpreisen anbieten. Diesen Haushalten darf das Wasser bei Zahlungsunfähigkeit auch nicht abgestellt werden. Wasser kostet normalerweise bis zu 4 Euro der Kubikmeter. Wir haben durchgesetzt, dass Suppenküchen und Solidaritätsprojekte nur 35 Cent dafür bezahlen.

Welche anderen großen Privatisierungsprojekte laufen gerade?

Portaliou: Häfen, Flughäfen, Elektrizitätswerke, Raffinerien, Immobilien, Verkehrsmittel, Autobahnen – das gesamte öffentliche Eigentum ist betroffen … An den Wasserwerken sind v.a. die französischen Konzerne Suez und Véolia interessiert, wobei sie offensichtlich vom französischen Präsident Hollande unterstützt werden. Die griechischen Flughäfen hat gerade der deutsche Multi Fraport übernommen.

In Argentinien waren die Privatisierungen, die der IWF in den 1990er Jahren erzwang, ein Einfallstor für Korruption. Viele der damals Verantwortlichen haben gigantische Summen beiseite geschafft. Machen Sie in Griechenland gerade ähnliche Erfahrungen?

Portaliou: Griechenland litt schon vor den Troika-Memoranden unter Korruption. Der Privatisierungsprozess jetzt ist völlig intransparent und befördert das Phänomen noch weiter. Ich bin mir sicher, dass die Privatisierungen nicht legal verlaufen und dass das von der Troika auch so gewollt ist. Immerhin hat sie durchgesetzt, dass der Vorstand des Privatisierungsfonds in Griechenland nicht gerichtlich belangt werden kann.

Grigoraskou: Im Übrigen dient die Privatisierung auch nicht dazu, Schulden zurückzuzahlen. 23% unserer Wasserwerke werden gerade verkauft – für 30 Millionen Euro! So viel erwirtschaften die Wasserwerke alle 2 Jahre als Gewinn. Man könnte mehr Schulden zurückzahlen, wenn man das Unternehmen behielte.

Wir haben auf einem Seminar in Berlin mit Betriebsräten ehemaliger DDR-Unternehmen diskutiert, die damals durch die Treunhand abgewickelt wurden. Auch da gibt es viele Parallelen: Geheimverträge, politische Mauscheleien, Verkauf unter Wert, Bestechung. Natürlich auch, was die sozialen Folgen angeht: Arbeitslosigkeit, Lohnverfall, Auswanderung, Deindustrialisierung.

An den Wahlsieg von Syriza 2014 wurden große Hoffnungen geknüpft. Im letzten Jahr wurden diese Hoffnungen bitter enttäuscht. Gibt es denn kleinere Erfolge, die man Syriza zugute halten kann?

Portaliou: Ich würde behaupten, das Einzige, was es gibt, ist Zerstörung.

Grigoraskou: Die Enttäuschung ist natürlich auch deshalb so groß, weil Syriza unsere letzte Hoffnung war. Manche Kollegen unserer Initiative wurden von Syriza letztes Jahr so enttäuscht, dass sie schwer erkrankt sind. Vielleicht haben wir uns zu viele Illusionen gemacht. Aber Syriza trägt als linke Partei natürlich auch Verantwortung dafür, falschen Illusionen zu widersprechen.

Portaliou: Syriza trat an, die Memoranden zu stoppen. Dafür hätte man bereit sein müssen, im Notfall mit Europa zu brechen. Auf dieses Szenario hat sich Syriza nicht vorbereitet. Und die Partei hat auch die Bedeutung gesellschaftlicher Bewegungen für einen derartigen Bruch nicht erkannt.

In Griechenland sind in den letzten Jahren viele Solidaritätsinitiativen von unten entstanden. Sind diese durch die Syriza-Regierung gestärkt worden?

Grigoraskou: Ich würde sagen, die Solidaritätskliniken und Suppenküchen sind in erster Linie eine unmittelbare Antwort auf die Krise. Jetzt sind die Leute zwar enttäuscht von der Regierung, aber viele kämpfen in Basisbewegungen und Projekten weiter.

Portaliou: Was stimmt, ist, dass nach dem Wahlsieg von Syriza 2014 neue Solidaritätsprojekte entstanden – gerade auch mit Geflüchteten. Aber das war eher dem gesellschaftlichen Klima als einer politischen Linie geschuldet.

Gibt es heute eine landesweite Koordination von Basisprojekten und Bewegungen wie Ihren?

Portaliou: Die Anti-Privatisierungs-Initiativen z.B. haben ein Komitee, über das wir landesweit zusammenarbeiten.

Grigoraskou: … aber mittlerweile geht uns auch die Kraft aus, um andere zu unterstützen.

Ich frage das auch, weil Syriza ja eine Partei der Bewegungen zu sein schien, die Basisinitiativen zusammenführte. Jetzt, da Syriza mit den Bewegungen eigentlich nichts mehr zu tun hat, stellt sich die Frage, ob die Basisprojekte anders zusammenkommen können.

Portaliou: Ich glaube nicht, dass Syriza jemals eine Partei der Bewegungen war. Viele Parteimitglieder waren gleichzeitig auch in Bewegungen aktiv. Aber Syriza hatte nie eine Strategie, wie Bewegungen und politische Linke gemeinsam für eine Verbesserung von Lebensbedingungen kämpfen können.

Eine Zusammenarbeit der Bewegungen heute ist natürlich auch deshalb so schwer, weil sich die einzelnen Initiativen in einer sehr schwierigen Situation befinden. Wir sehen keine schnellen Lösungen, viele Leute haben sich ins Privatleben zurückgezogen, die Bewegungen werden von wenigen Leuten getragen.

Frau Portaliou, Sie sind zwar in erster Linie Bewegungsaktivistin, aber Sie waren eine Weile auch Mitglied des Zentralkomitees von Syriza. Glauben Sie, dass es andere Handlungsoptionen gab? Hätte man im Juli 2015 abtreten müssen? Hätte man damals sagen müssen: „Die Troika hat geputscht. Nun soll sie diese Diktatur auch selbst verantworten“?

Portaliou: Ich denke, unsere Probleme reichen weiter zurück. Ich habe mich schon nach den Regionalwahlen 2014 aus dem ZK von Syriza zurückgezogen, weil ich die Linie unverantwortlich und unrealistisch fand. Große Teile von Syriza haben einfach immer geglaubt, dass man Veränderungen durch parlamentarische Mehrheiten durchsetzen kann. Aber wenn eine linke Partei heute an die Regierung kommt, braucht sie große gesellschaftliche Gegenmacht, um den Bruch mit der herrschenden Politik durchsetzen zu können. Die Linke kann nicht einfach versprechen, dass die EU dem Druck einer kleinen linken Regierung nachgeben wird.

Syriza hätte neben dem Plan A – den Verhandlungen mit der EU – auch ernsthaft darüber sprechen müssen, welche Industriekapazitäten und Entwicklungspotenziale Griechenland noch besitzt. Und Syriza hätte der Bevölkerung sagen müssen, dass nur sie, die Arbeitenden selbst, das Land wieder aufbauen können. Man hätte also einen Bruch mit der EU riskieren müssen. Man hätte Gesetze einführen können, die im Widerspruch zur EU-Gesetzgebung stehen. Man hätte die Voraussetzungen dafür schaffen können, um mit staatlichen Geldern gerettete Banken zu verstaatlichen. Und man hätte für den Fall, dass das verhindert wird, einen Plan B vorbereiten können: den Austritt aus der Euro-Zone. Das wäre natürlich eine sehr harte Alternative gewesen. Aber man hätte sie der Gesellschaft unterbreiten müssen, damit diese entscheiden kann, was sie will.

Frau Grigoraskou, sehen Sie das auch so, dass Syriza zu viel auf die Regierung und zu wenig auf den Aufbau gesellschaftlicher Macht geschaut hat?

Grigoraskou: Zumindest hat uns die Art, wie Syriza verhandelt hat, sehr enttäuscht. Am Ende hat die Partei die eigenen Interessen über die Interessen der Bevölkerung gestellt. Sie hätten die Memoranden nicht unterschreiben dürfen.

Aber es gab doch Parteien – die Volkseinheit LAE, die Kommunistische Partei KKE – die genau das vorgeschlagen und bei den Wahlen nur 8 Prozent der Stimmen bekommen haben.

Portaliou: Es ist doch klar, dass Mehrheiten für gesellschaftliche Alternativen nicht durch Fernsehdebatten oder Wahlkämpfe zustande kommen. Sie sind nur möglich, wenn Menschen mit einbezogen werden; wenn sie für ihr eigenes Leben kämpfen und darin Überzeugungen entwickeln. Wenn Syriza sagt: „Wählt uns, wir werden die Memoranden abschaffen“, dann denkt die Bevölkerung: „Super, wir gehen 2 Jahre auf die Straße und dann kommt eine Regierung, die unsere Probleme lösen wird.“ Aber so funktioniert das nicht.

Wie sehen Sie heute eigentlich Alexis Tsipras?

Grigoraskou: Ich glaube, dass er sich wie ein Narzisst verhält und nicht an der Macht bleiben sollte. Er wird die Konsequenzen für die enttäuschten Hoffnungen der Linken tragen müssen.

Interview: Raul Zelik

 

 

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