Redemanuskript für die Auftaktdiskussion des BUKO 2006 (veröffentlicht im ak 6/06)

Wenn man über Formveränderungen von Herrschaft sprechen will, über die Entwicklung von Kontrollpolitiken und Krieg, dann liegt es nahe, dass man auf Carl Schmitt zu sprechen kommt. Der Theoretiker des autoritären Staates und spätere Nazi-Jurist hat in seiner Politischen Theologie geschrieben, dass sich der Normalzustand in der Ausnahme immer am deutlichsten offenbare. „Die Regel lebt überhaupt nur von der Ausnahme“, behauptet Schmitt, „der Ausnahmezustand offenbart das Wesen der staatlichen Macht“.

Es ist dieser Zusammenhang von Rechtsordnung und Aufhebung des Rechts, der in den vergangenen Jahren v.a. von Giorgio Agamben aufgegriffen und seitdem vielfach diskutiert worden ist.

Schmitt geht es mit seinem Hinweis genau um das Gegenteil dessen, was uns hier heute interessieren sollte. Der Staatstheoretiker, der von den Alliierten nach 1945 Lehrverbot belegt wurde, wollte mit der These, dass Rechtsordnung und Ausnahmezustand miteinander verschränkt sind, die Legitimität des autoritären Regierens nachweisen. Er wollte die Aufhebung des Rechts verrechtlichen. Ich hingegen möchte, wenn ich über die Ausnahme reden, in erster Linie Fragen über die Norm stellen.

In genau diesem Sinne will ich über Kolumbien diskutieren: nicht als den exotischen, weit entfernten Fall eines Drittweltlandes, in dem der Übergang zur Zivilisation nicht geglückt ist oder wie es in den Politikwissenschaften heutzutage heißt: in dem wir einen State Failure beobachten können, eine nicht geglückte Staatenbildung. Mich interessiert Kolumbien aus genau dem gegenteiligen Grund. Ich glaube, dass sich in dem Land verschärfte Herrschafts- und Kriegsformen erkennen lassen, die Rückschlüsse über den Normzustand nahe legen bzw. über die zukünftige Entwicklung dessen, was uns als Normzustand erwartet.

Die kolumbianischen Verhältnisse dürften den meisten Anwesenden in groben Zügen bekannt sein. In dem südamerikanischen Land werden seit 1982 jährlich mehrere Tausend Kleinbauern und Aktivisten ermordet. Die paramilitärischen Gruppen, die für den größten Teil der Verbrechen verantwortlich sind, gehen mit spektakulär inszenierter Gewalt vor. Sie versammeln die Bevölkerung eines Dorfes, hängen die Menschen wie Schlachtvieh auf, schneiden ihnen die Bäuche auf. Sie massakrieren mit der Motorsäge, hacken Menschen die Gliedmaßen ab, spielen mit abgetrennten Köpfen Fußball. Diese Szenen rufen gleichermaßen archaische wie popkulturelle Bilder auf. Bei den Geschichten des Terrors, die sich in Kolumbien – obwohl von den Medien meist ignoriert –mit ungeheurer Geschwindigkeit verbreiten, denkt man an Blutorgien des Altertums, aber eben auch an Horrorfilme, die in Videotheken ausliegen. Chain Saw Massacre.

Der maßlose Terror wird nicht in Einzelheiten von irgendwelchen Hintermännern angeordnet und folgt doch einem strategischen Kalkül. Die Paramilitärs entvölkern Gebiete, in denen die Bevölkerung tendenziell mit der Guerilla sympathisiert. Sie ermorden politische Aktivisten, die die Macht der traditionellen Eliten in Frage stellen, Gewerkschafter, die Konfliktbereitschaft gegenüber Unternehmen an den Tag legen, Landbesetzer, die eine Agrarreform fordern. In diesem Sinne hat der Paramilitarismus für Ordnung gesorgt: Er hat radikale Bewegungen ausgelöscht, reibungslos funktionierende Lokalsysteme errichtet und ganze Regionen für die ökonomische In-Wert-Setzung, d. h. den Weltmarkt, erschlossen. Gebiete, die früher von Indigenen bestellt wurden, wie z.B. der westkolumbianische Chocó, stehen nach der paramilitärischen Offensive für den Plantagenanbau zur Verfügung. Einst politisch renitente Regionen dienen British Petroleum und anderen Konzernen heute als friedliche Ölfördergebiete. Der Paramilitarismus steht also offensichtlich für ein extremes, durchaus erfolgreiches Kontrollregime.

Wer Foucaults Überwachen und Strafen gelesen hat, wird sich an die ersten Seiten erinnern, sie bleiben bei den meisten Lesern hängen: 1757 wird der Gefangene Damiens hingerichtet. Er wird mit glühenden Zangen gezwickt, mit geschmolzenem Blei überschüttet, sein Körper gevierteilt, seine Überreste verbrannt. Foucault stellt diese Formen des absoluten, zügellosen Strafens der neuen ökonomischen Justiz gegenüber. Das bürgerliche Gefängnissystem will kalkuliert, sachlich und erzieherisch wirken. Es dosiert seine Brutalität. Diese Ökonomisierung geht einher mit einer Verwissenschaftlichung der Strafdiskurse.

Der Paramilitarismus scheint dieser Strafökonomie radikal zu widersprechen. Das ist auch der Grund, warum fast die gesamte kolumbianische Linke, auch Linksradikale, heute für die Verteidigung des Estado Social de Derecho, des sozialen Rechtsstaats, eintreten. Der Paramilitarismus setzt sich als Souverän. Er etabliert ein gesetzloses Gesetz und straft willkürlich, er herrscht unberechenbar und maßlos.

Trotzdem - das wäre meine These – stellt der Paramilitarismus keinen Rückfall in die Zeit vor der Verwissenschaftlichung von Strafe und Kontrolle dar. Wenn man Foucault liest, sollte man immer mitdenken, dass seine Überlegungen dem bürgerlichen, nicht-kolonialisierten Europa galten. Die diesem Europa ausgelieferten Weltregionen waren immer ganz anderen Kontrollsystemen unterworfen, über deren Geschichte, glaube ich, noch eine ganze Menge herauszufinden ist. Doch auch diese Systeme haben sich verschränkt mit Diskursen des effizienten Regierens entfaltet und damit <ökonomisiert>.

Das, was heute in Kolumbien als Paramilitarismus zu beobachten ist, stellt einen Sprung in dieser Entwicklung dar. Zwar ist es historisch nichts Neues, dass nichtstaatliche Verbände, Banditen, zur Durchsetzung von Ordnung instrumentalisiert werden. Der Korsar, der mit Freibrief der englischen Krone im 17. Jahrhundert Handelsschiffe ausraubte, wäre so ein Beispiel. Doch der Paramilitär ist mehr als ein verrechtlichter Pirat – er ist eine komplexe, widersprüchliche Figur. In gewisser Weise steht er für Durchsetzung staatlicher Ordnung mit nicht-staatlichen Mitteln. Das erinnert daran, was Agamben über den Zusammenhang von Recht, Gewalt und Leben geschrieben hat, nämlich dass der „Schrein der Macht in seinem Zentrum den Ausnahmezustand enthalte“. Die Rechtsordnung, so wie wir sie kennen, fuße darauf, dass das Recht ständig suspendiert, also ausgesetzt, werden könne. Auf den Paramilitarismus trifft das ziemlich deutlich zu: Er bewegt sich einerseits außerhalb des Rechts, und ist doch gleichzeitig Kern und Grundlage der Rechtsordnung.

In Kolumbien entfaltet sich das Phänomen ab 1962, als eine US-Militärmission unter General William Yarborough das Land bereist. Die Kommission empfiehlt – zwei Jahre vor dem Entstehen der linken Guerillas – die Gründung von paramilitärischen Gruppen, die zu Propaganda- und Sabotageakten gegen eine potenzielle kommunistische Bedrohung eingesetzt werden sollen.

Warum forcieren westliche Militärstrategen damals in der ganzen Welt die Gründung solcher Verbände?

Nach den Revolutionen u.a. in China und Kuba setzte sich damals unter Sicherheitspolitikern die Erkenntnis durch, dass der traditionelle zwischenstaatliche Krieg durch asymmetrische Konflikte abgelöst wird. Hier, und nicht bei denn Staatszerfallsvisionen des Berliner Professors Herfried Münkler, ist der Ursprung der Neuen Kriege zu suchen, über die in den vergangenen Jahren so viel gesprochen worden ist. Theoretisiert wurde diese neue Kriegführung u.a. von – Carl Schmitt.

Schmitt wurde 1962 auf Vorschlag Manuel Fraga Iribarnes als Ehrenmitglied in das spanische Instituto de Estudios Políticos berufen, eine politische Elite-Akademie der Franco-Diktatur. Fraga – das ist interessant, weil es auf Strukturen des Autoritarismus in Europa verweist – war nicht nur Innenminister der Franco-Diktatur, sondern auch führender Kopf während der spanischen Demokratisierung, lange Zeit Chef der konservativen PP. Erst letztes Jahr wurde Fraga als galizischer Ministerpräsident endlich abgewählt.

Für dieses Institut – in Deutschland hatte Carl Schmitt wie gesagt Lehrverbot – verfasst der deutsche Jurist eine Schrift über den Partisanenkrieg. Er schlug darin eine Brücke von den antinapoleonischen Guerillas des 19. Jahrhunderts bis zu den kommunistischen Guerillas in Asien. Schmitt sagt darin, dass der Partisan die Asymmetrie in den Krieg bringe, denn er löse die geregelte, geordnete Kriegführung – Herfried Münkler würde gehegte Kriegführung sagen – zwischen zwei Staaten auf und schlage zu, wann es ihm passt. Der Partisan, der sich in der Zivilbevölkerung versteckt und nicht die reguläre Armee, die die Bevölkerung angreift, weil sie den Partisan nicht zu fassen bekommt, ist damit verantwortlich für die Brutalität der neuen, irregulären Kriege. Schmitt gibt sich keine große Mühe, um seine Absichten zu verklausulieren. Er schreibt, die deutsche Wehrmacht sei in Russland von den Partisanen als Geisel genommen worden. Man habe der deutschen Nazi-Armee gar keine andere Wahl gelassen, als gegen die Bevölkerung vorzugehen, denn der Partisan habe sich sozusagen <unritterlich> unter den Zivilisten versteckt.

Als Konsequenz verweist Schmitt – und das ist bemerkenswert, weil kolumbianische Paramilitär-Kommandanten sich ausdrücklich auf das gleiche Zitat bezogen haben – auf Napoleon. Der französische General stellte in Spanien fest, dass sich Partisanen nur mit Partisanenkriegführung bekämpfen lassen. Oder wie es langjährige Paramilitär-Chef Carlos Castaño gesagt hat: „Wir sind die erste rechte Counterguerilla-Guerilla“.

An diesem Problem setzt auch die Nationale Sicherheitsdoktrin an, wie sie von den USA in den 1960er Jahren in so unterschiedlichen Ländern wie Südkorea, der Türkei, Südvietnam oder eben Kolumbien implementiert worden ist. Mit dem Besuch von General Yarborough 1962 rückt die Zivilbevölkerung ins Zentrum militärstrategischer Überlegungen, es kommt sozusagen zu einer gouvernmentalistischen Wende des Krieges. (- Gouvernmentalistisch in folgender Hinsicht: Foucault unterscheidet ja drei Machttypen: Die Souveränität, die das Territorium zum Thema hat, die Disziplin, die sich auf das Individuum bezieht, und die Gouvernmentalität, die sich mit dem Anleiten der Bevölkerung als Kollektiv beschäftigt. Das sind jene Techniken, Strategien, Politiken, mit denen so auf die Bevölkerung eingewirkt wird, dass bestimmte Prozesse in Gang kommen).

Wenn man sich nun die kolumbianischen Armee-Handbücher der Folgejahre anschaut, stellt man fest, dass die Soldaten ab 1962 darin geschult werden, die Zivilbevölkerung gleichzeitig als potenziellen Feind, als Verbündeten und als Kampfterrain zu betrachten. In den letzten Jahren war immer wieder von der „Verpolizeilichung des Krieges“ die Rede. In den Aufstandsbekämpfungsmodellen der Sechzigerjahre ist das bereits fester Bestandteil. Die Armee tritt gegenüber der Bevölkerung als Polizist, Geheimdienstler, biopolitischer Verwalter und Politiker auf. Sie macht Hausdurchsuchungen, bespitzelt die Bevölkerung, indem sie Soldaten als Guerilleros auftreten lässt und damit die Loyalität der Bevölkerung gegenüber dem Staat austestet, führt Volkszählungen durch, kontrolliert bzw. untersagt die Ein- und Ausreise in Gebiete, führt Impfkampagnen durch und lässt gleichzeitig keine Medikamente in Konfliktregionen, monopolisiert also die Gesundheitsversorgung, und versucht doch, wie ein guter Regierender, die Herzen und Köpfe der Menschen zu erobern.

(An dieser Stelle möchte ich noch eine zweite Klammer machen, um kurz auf General William Yaborough einzugehen: Die Geschichte des Mannes zeigt nämlich, wie sich Kontrollkonzepte nicht nur von den Zentrum politisch-ökonomischer Macht an die Ränder, sondern auch umgekehrt von den Rändern ins Zentrum bewegen. Die Washington Post hat anlässlich Yarboroughs Todes im Dezember 2005 einen biografischen Artikel veröffentlicht. Darin heißt es, dass der Weltkriegsveteran Yarborough – also jemand, der Europa vom Faschismus befreit hat, wofür ich ihm durchaus dankbar bin –,1961 zum Leiter der Special Warfare School in Fort Bragg ernannt wurde. Dort entstanden die berüchtigte Green Berets-Sondereinheiten, die sich durch ihre, wie es euphemistisch heißt, „unkonventionelle Kriegführung“ auszeichnen. Yarborough hat den Polizei-Krieg, den biopolitischen Krieg, den Geheimdienst-Krieg mit seiner Arbeit in Fort Bragg in der ganzen Welt verbreitet. 1967, nach den afroamerikanischen Unruhen in Detroit und Newark hat er aber auch in den USA gewirkt. Er leitete damals eine Aktion zur geheimdienstlichen Erfassung von vielen Tausend Bürgerrechtlern und Kriegsgegnern in den Vereinigten Staaten selbst. Man sieht also, wie Kontrollpolitiken miteinander verschränkt sein können.)

Doch zurück zum kolumbianischen Krieg. In den Sechzigerjahren wird im Rahmen der Nationalen Sicherheitsdoktrin wird also ein Kontrollregime etabliert, in der unterschiedliche staatliche Aufgaben in der Armee zusammengefasst werden. Der formal demokratische Staat regiert per Ausnahmezustand und tritt überwiegend in Form von Repressions- und Kontrollorganen in Erscheinung. Die Militärdiktaturen Südamerikas zeigen jedoch, welch enorme politische Kosten diese Form des Regierens impliziert. Martin van Crefeld, ein anderer vielgelesener Theoretiker der Neuen Kriege, behauptet deshalb, dass der Partisan oder Terrorist im asymmetrischen Konflikt dem Staat immer überlegen sei. Es ist das alte Schmittsche Argument: Der Staat kann den Partisanen nicht treffen, bei der Aufstandsbekämpfung unterdrückt er die Zivilbevölkerung, und als Reaktion steigen die Sympathien der Bevölkerung für die Partisanen / Terroristen. Was Martin van Crefeld und Herfried Münkler allerdings nicht sagen, ist, dass für dieses Problem längst eine Lösung entwickelt worden ist. Der Staat handelt nicht selbst, er lässt geschehen.

In Kolumbien entfaltet sich ab 1982 eine Art Outsourcing staatlicher Gewalt. Das ist genau das Gegenteil dessen, was heute als Staatszerfall durch Medien und Universitäten geistert. In dem Zusammenhang mit diesem Begriff sollte man erwähnen, dass die Clinton-Regierung in den Neunzigerjahren eine State Failure Task Force einrichtete, die den Staatszerfall von Ländern des Südens anhand von Kennziffern bewertet und die Notwendigkeit von Interventionen definiert – auch das natürlich ein Instrument globaler Kontrolle.

In Kolumbien haben wir es, so weit ist das Argument nicht falsch, seit vier Jahrzehnten mit einer Krise staatlicher Herrschaft zu tun. Die Legitimation der Regierenden ist in Frage gestellt: Nur 40 Prozent der Bevölkerung wählt. Das Gewaltmonopol ist durch die Guerilla, aber auch die Kriminalität aufgehoben, es werden grundsätzliche Systemalternativen diskutiert.

Was macht nun dieser delegitimierte Staat seit etwa 1982? Er oder richtiger gesagt: Teile dieses Apparats forcieren die Gründung nicht-staatlicher parainstitutioneller Truppen, die sich zum Ziel setzen, ein herrschaftliches Gewaltmonopol zu etablieren, das mit nicht-staatlichen Mitteln eine Ordnung durchsetzt, auf deren Grundlage es dann eine neue Rechtsordnung geben soll. Auch das im übrigen ganz im Sinne von Carl Schmitt: „Es gibt keine Norm, die auf ein Chaos anwendbar wäre. Die Ordnung muss hergestellt sein, damit die Rechtsordnung einen Sinn hat. Es muss eine normale Situation geschaffen werden, und souverän ist derjenige, der definitiv darüber entscheidet, ob dieser Zustand wirklich herrscht.“

Damit entfaltet sich ein funktionales Szenario. Die Paramilitärs sorgen dafür, dass die Systemopposition zurückgedrängt wird, gleichzeitig kann sich der Staat als Opfer des „Terrorismus von links und rechts“ präsentieren, das von der internationalen Gemeinschaft gestützt werden muss.

Der kolumbianische Staat hat also, anders als van Crefeld es vorhersagt, die politischen Kosten der Partisanenbekämpfung nicht bezahlen müssen. Er konnte im Gegenteil gerade die zahllosen, zu seinem Vorteil verübten Massaker als Argument nutzen, um seine Schwäche zu belegen. Und so ist Kolumbien – über den Plan Colombia – zum drittgrößten Empfänger von US-Militärhilfe aufgestiegen. Etwa 500 Millionen US-Dollar pumpen die USA jährlich in die kolumbianischen Streitkräfte und damit letztlich in die US-Militärindustrie.

Das birgt allerdings Risiken. Die von Armee und Paramilitärs kontrollierten Zonen sind Parallelstaaten, in denen die rechtliche Norm gleichzeitig verstärkt und aufgelöst wird. Diese Form verschärfter Proto-Macht affirmiert den Staat, stellt die existierende Staatlichkeit jedoch in Frage. Es ist eine Frage, die sich, glaube ich, auch im Irak abzeichnet: Die US-Regierung hat sich privater Militärunternehmen bedient, um die politischen Kosten des Kriegs zu mindern. Das verbessert die Stellung der US-Regierung, aber stellt den Staat auch in Frage, denn das Gewaltmonopol, laut Max Weber entscheidende Säule jeder Staatlichkeit, bekommt Risse. Herrschaft wird auf diese Weise zum einen mittelbarer – ein Söldner agiert im Auftrag eines Staates, was eine neue Ebene zwischen Souverän und dem unterworfenen Subjekt einzieht; gleichzeitig wird Herrschaft aber auch unmittelbarer – weil ökonomische Interessen nicht mehr politisch vermittelt, sondern direkt von interessierten Unternehmen geschützt werden.

So wird, wie Agamben es formuliert, eine „Schwelle der Ununterscheidbarkeit“ errichtet. Der Ausnahmezustand hält die rechtliche Norm und die anomische, metarechtliche Autorität (die Gewalt, die das Recht setzt) zusammen. Wenn der Ausnahmezustand zur Regel wird und sich die gesetzlose Gesetzeskraft ausbreitet„transformiert sich das politisch-rechtliche System in eine tödliche Maschine“. Das sind Formen der Herrschaft, wie sie sich abzeichnen.

Doch wer wird dadurch eigentlich stärker und schwächer? Der Staat? Das Kapital? Die sie repräsentierenden kriegerischen Akteure? Das Empire?

In den 1970ern findet die Faschisierungsthese großen Anklang. Viele sehen den totalitären Staat heraufziehen. Foucault widerspricht dem. In den Vorlesungen zur Gouvernementalität sagt er, schon Nazideutschland sei nicht durch einen starken Staat charakterisiert gewesen. Nazideutschland habe sich auf Volk, Partei und Führer und nicht auf den Staat gestützt. Die Entwicklung moderner Staatlichkeit weise nicht in Richtung starker Staaten, sondern in Richtung rationalen Lenkens. Eines der wichtigsten Kennzeichen der Gouvernementalität, der Regierungskunst bestehe darin, die Wirkungskraft des Staates zu beschränken. Effizientes Regieren funktioniere wie das Festlegen von Spielregeln. Der Staat kann das Ergebnis des Spiels nicht voraussehen, er agiert selbst nur als Spieler wie andere auch. Das, so Foucault, ist die Grundlage der Unternehmergesellschaft, wie sie – Foucault sagt das 1979 – in Deutschland nach dem 2. Weltkrieg von den Ordoliberalen – heute würden wir Neoliberalen sagen –entwickelt worden ist.

Was wäre, wenn wir die extremen Formen scheinbar ungeordneter, brutalisierter Herrschaft, die man in Kolumbien, aber auch anderswo in der Welt beobachten kann, als Kriegs-Gouvernementalität interpretierten? Dinge werden angeordnet, um sie geschehen zu lassen, staatliche Eingriffe sparsam dosiert, ohne dass das mit einer Schwächung des Staates einhergehen muss.

Der Begriff der Gouvernementalität ist in diesem Zusammenhang natürlich begrenzt aussagekräftig. Foucault geht es bei seinen Überlegungen um die Komplexität des Regierens in bürgerlichen Gesellschaften, bei den verschärften Herrschaftsformen in irregulären Kriegen haben wir es mit der Unregierbarkeit von Situationen zu tun. Das sind zwei sehr unterschiedliche Fälle. Trotzdem scheint es mir sinnvoll, die Begriffe durchzuspielen. Die Errichtung staatlicher Macht mit nicht-staatlichen Mitteln, die Etablierung einer Souveränität, bei der der Souverän nicht eindeutig zu verorten ist, der rationale, ökonomische Einsatz der Zügellosigkeit, die Anwendung von Herrschaftsstrategien, die ihre Protagonisten in Frage stellen – all das sind merkwürdige Verwerfungen bei der Entfaltung jener Kontrollsysteme, wie wir sie heute erleben.

Raul Zelik

 

 

Design zersetzer. freie grafik / Berlin

Programmierung, Umsetzung G@HServices Berlin V.V.S.

Kopfbild Freddy Sanchez Caballero / Kolumbien