TAZ, Dezember 2008

Auch wenn der War on Terror dem Krieg gegen die Drogen in den letzten Jahren den Rang abgelaufen hat, zählt die Drogenbekämpfung nach wie vor zu den zentralen Paradigmen der US-Außenpolitik. Allein Kolumbien hat seit 1998 in diesem Zusammenhang 500 Millionen US-Dollar Militärhilfe jährlich erhalten. Bei derart massiven Anstrengungen sollten sich eigentlich Resultate vorweisen lassen. Und tatsächlich wurde bislang angenommen, dass der Drogenexport Kolumbiens gegenüber den Boomzeiten in den 1980er Jahren stark an Bedeutung verloren hat. Schätzungen gingen von 1 bis 2 Milliarden US-Dollar Einnahmen jährlich aus – weniger als 1 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Vor wenigen Wochen jedoch wurden neue und gänzlich andere Zahlen genannt. Der in die USA ausgelieferte Paramilitär-Kommandant Salvatore Mancuso erklärte, seine Organisation habe die Drogeneinnahmen des Landes mit 7 Milliarden US-Dollar mehr als dreimal so hoch veranschlagt.

Der Mann muss es wissen. Die rechten AUC-Milizen – die von staatlichen Behörden, Großgrundbesitzern, aber auch ausländischen Unternehmen wie Chiquita bei der Verfolgung mutmaßlicher Guerillasympathisanten lange Zeit tatkräftig unterstützt wurden – haben sich seit ihrer Demobilisierung als wichtigster Drogenhandelsring Kolumbiens entpuppt. Oder wie der kolumbianische Sozialwissenschaftler Gustavo Duncán es formuliert hat: „Nicht alle Narcos waren Paramilitärs, aber alle Paramilitärs waren Narcos.“ Oppositionsbekämpfung, die bewaffnete Kontrolle von Territorien und Drogenproduktion waren in Kolumbien in den vergangenen 25 Jahren untrennbar miteinander verknüpft. Die – staatlich zumindest tolerierten – AUC kontrollierten die wichtigsten Handelsrouten und kassierten Prozente bei den beiden anderen großen Kartellen Valle und Norte del Valle.

Das kolumbianische Drogenphänomen birgt eine ganze Reihe Überraschungen. Erstaunlich ist beispielsweise auch die differenzierte Haltung mancher Kokapflanzer. So gab der regionale Kleinbauernverband ADUC unlängst bekannt, dass man im Department Arauca mit der manuellen Zerstörung von Kokafeldern begonnen habe. 3500 Hektar seien bereits beseitigt worden. Die Bauern verfolgen das Substitutionsprojekt, obwohl sie weder von der Uribe-Regierung (die den Bauernverband ADUC kriminalisiert) noch von NGOs unterstützt werden und obwohl Koka die einzig einträgliche Einkommensquelle für sie darstellt. Ihre Haltung begründen sie damit, dass der Drogenanbau örtliche Sozialstrukturen zersetze und staatliche Repression legitimiere. In Angriff konnten sie ihr Programm allerdings erst nehmen, nachdem die FARC-Guerilla von einer anderen Rebellenorganisation, der ELN, aus der Region vertrieben worden war. Denn die FARC – Kriegsgegner der rechten Paramilitärs – fördern den Drogenanbau, um ihn zu besteuern.

Auch auf Regierungsebene stellt sich das Drogenphänomen unübersichtlich und widersprüchlich. Obwohl Präsident Álvaro Uribe von Washington beste Noten für seine Drogenpolitik erhält, hat die Organisierte Kriminalität den Staat während seiner Präsidentschaft so massiv durchsetzen können wie noch nie zuvor in der Geschichte. Ein aktueller Korruptionsskandal macht die Ausmaße der kriminellen Machtnahme deutlich: So wurde der Bruder des Innenministers, ein führender Staatsanwalt in Medellín, verhaftet, weil er zur Oficina de Envigado gehörte. An der Spitze dieses Netzwerkes von Drogenhandel und Auftragsmord steht ein demobilisierter Paramilitär-Kommandant. Involviert in die Affäre sind außerdem der wichtigste Wachschutzunternehmer des Landes, der von der Regierung für den Schutz demobilisierter Paramilitärs Millionenbeträge kassiert, sowie Uribes Drogenbeauftragte, die Pflanzungen der rechten Mafia vor Herbizidbesprühungen aus der Luft geschützt haben soll.

Die verbreitete These, dass der Drogenhandel Gesellschaften eben korrumpiert, kann die Situation in Kolumbien kaum befriedigend erklären. Zwar stimmt es, dass der Drogenhandel mit seinen phantastischen Gewinnmargen eine gewaltige Dynamik entfaltet. Und richtig ist weiterhin auch, dass – in unterschiedlichem Ausmaß – fast alle Glieder der Produktionskette finanziell profitieren: Das große Drogenkapital hat traditionelle Wirtschaftssektoren regelrecht an die Wand gedrängt. Das nordkolumbianische Montería, Bastion der Paramilitärs, wird wegen seiner Villen heute als „kolumbianisches Miami“ bezeichnet. Und auch ganz unten verdient man am Geschäft: Der Tageslohn eines raspachín, eines Kokapflückers liegt mit 20 Euro etwa vier Mal so hoch wie das eines normales Arbeiters.

Dennoch beschreibt der Begriff der Machtkalküle das Phänomen besser als das der Korrumpierung:
In den Debatten über „zerfallen(d)e Staaten“ und Global Governance wird Staatlichkeit in der Regel als Gegenpol zu Organisierter Kriminalität und ‚Warlordismus’ verstanden. Die Schwäche peripherer Staaten, so die allgemein akzeptierte These, trägt zur Ausbreitung illegaler Schattenökonomien und zum Erstarken privater Gewaltakteure bei. In diesem Zusammenhang werden Krieg und Staatszerfall für Banden, marodierende Rebellen und Terroristen zur Grundlage ökonomischen Handelns. Destabilisierung und Krieg ‚lohnen sich’.

Bei dieser Darstellung unberücksichtigt bleibt die Tatsache, dass Organisierte Kriminalität und Warlords in staatliche und imperiale Sicherheitsarchitekturen eingebunden sein können. In Kolumbien etwa hat die Drogenökonomie in den vergangen 25 Jahren stets eine doppelte – sowohl destabilisierende als auch stabilisierende – Funktion innegehabt: In den 1980er Jahren überließ der Staat die Bekämpfung der Opposition maßgeblich den Auftragsmördern des Medellín-Kartells. Selbst die US-Regierung machte sich diese Verbindungen zunutze. Wie Zeugen 1988 vor der Untersuchungskommission des US-Abgeordneten John Kerry bekräftigten, stellten kolumbianische Capos Millionenbeträge zur Finanzierung der nicaraguanischen Contra zur Verfügung.

1992 kooperierten US-Dienste erneut mit Strukturen der kolumbianischen Gewaltökonomie: Bei der Jagd auf den außer Kontrolle geratenen Drogenbaron Pablo Escobar griffen sie auf die PEPEs-Todesschwadronen zurück, die von Abtrünnigen des Medellín-Kartells gebildet wurden und im Auftrag der kolumbianischen Polizei Hunderte Anhänger Escobars ermordeten. Unmittelbar nach dieser Operation gründeten die Führer der PEPEs die AUC-Paramilitärs, zu denen US-Behörden, wie sich anhand von freigegeben Akten mittlerweile nachweisen lässt, ebenfalls Kontakt unterhielten.

Das Verhältnis von Staatsmacht und Drogenkriminalität war dabei immer von einem Widerspruch geprägt: Einerseits ist die US-Drogenbekämpfung real. Die hysterischen Anti-Drogen-Diskurse schlagen sich auch in entsprechenden politischen Praktiken nieder. Andererseits jedoch werden auch immer Strategien der Instrumentalisierung verfolgt. Die Organisierte Kriminalität kann staatstragende Gewalthandlungen ausführen, die Polizei und Armee untersagt sind. Die Governance-Debatte, wie sie heute im Zusammenhang von Failing States geführt wird (und an der FU Berlin die Einrichtung eines ganzen Sonderforschungsbereich nach sich gezogen hat), ist in dieser Hinsicht meist blind: „Robuste Staaten“ machen sich – wie es bereits in den französischen und US-amerikanischen Indochina-Kriegen oder im Afghanistan der 1980er Jahre der Fall war – die Existenz von Schattenökonomien, Warlords und privaten Gewaltakteuren immer wieder zunutze, um eigene geopolitische Interessen informell durchzusetzen.

Insofern muss die Drogenökonomie in erster Linie als Machtressource verstanden werden. In Kolumbien etwa ermöglicht sie seit 25 Jahren die Finanzierung staatsnaher Parallelarmeen, mit deren Hilfe eine Gesellschaft autoritär transformiert wurde. Die ungeheure Kapitalschöpfung des Drogenhandels sorgte dabei jedoch auch für gewaltige Brüche innerhalb der Eliten: Der ökonomische Aufstieg ‚narcoparamilitärischer’ Kriegsunternehmer zog eine Verdrängung traditioneller Machtgruppen nach sich.

Dass diese Machtressource widersprüchlich wirkt, gilt schließlich auch für die Gegner des kolumbianischen Staates – wie sich am Beispiel der FARC-Guerilla zeigen lässt. Die spätstalinistischen FARC setzten sich Anfang der 1990er Jahre eine militärische Machtübernahme zum Ziel und finanzierten den Aufbau einer schlagkräftigen Armee mit Drogensteuern. Die sprudelnden Einnahmen erlaubten der Organisation zunächst ein rasantes Wachstum. 1996 ging die Guerilla im Süden des Lands zum Bewegungskrieg über und zerrieb ganze Eliteeinheiten der Armee. Dabei begann die ökonomische und militärische Macht jedoch bald die Politik zu substituieren. Die FARC, die stets ein auf den Staat fixiertes Machtkonzept verfolgt hatten, verhielten sich immer häufiger als Besatzungsmacht, die Zustimmung erkaufte und Widerstand mit Waffen unterdrückte. Auf diese Weise jedoch verloren sie jene Kraft, die Militärtheoretiker an Guerillabewegungen so fürchten: die power of weakness, eine aus Unterlegenheit erwachsene politische Legitimität.

Dass die FARC vom Drogenhandel korrumpiert wurden, trifft die Sache nicht wirklich. Es ist schwer vorstellbar, dass das FARC-Oberkommando in der herrschenden Kriegssituation die Drogengelder persönlich verprassen könnte. Unzweifelhaft ist hingegen, dass das politische Projekt der FARC heute nur noch als orthodoxe Rhetorik zu erkennen ist. Und es scheint, dass genau jene Machtressource, die die FARC zeitweise so stark machte, zuletzt die schweren Schlägen gegen diese Guerilla ermöglichte.

Raul Zelik

(lehrt zur Zeit als Gastprofessor an der Nationaluniversität in Bogota. Im Frühjahr 2009 erscheint von ihm Die kolumbianischen Paramilitärs – ‚Regieren ohne Staat’? im Verlag Westfälisches Dampfboot)

 

 

Design zersetzer. freie grafik / Berlin

Programmierung, Umsetzung G@HServices Berlin V.V.S.

Kopfbild Freddy Sanchez Caballero / Kolumbien