Wo ist die TAZ noch links?

Die linke Zeitungslandschaft in Deutschland nach 30 Jahren TAZ

Beitrag für die Schweizer Wochenzeitung WOZ April 2009

Was für ein eigenartiges Blatt die TAZ heute, 30 Jahre nach ihrer Gründung, ist, zeigt sich wohl in keiner anderen Hinsicht so deutlich wie in ihrem Verhältnis zu jenen Bewegungen, aus denen sie ursprünglich hervorging. Die TAZ geriert sich als Schiedsinstanz für das aktivistische Spektrum, zu dem sie nicht mehr gehören will, auf das sie als Legitimationsgrundlage allerdings auch nicht gänzlich verzichten kann.

So zuletzt auch wieder Anfang April beim NATO-Gipfel in Strassburg: Im Vorfeld vermied es die tageszeitung, für die Proteste zu mobilisieren, im Nachhinein argumentierte sie, als sei sie aktiver Teil der Bewegung. Die Beteiligung an den Protesten sei enttäuschend ausgefallen, kommentierte das Blatt und setzte sich ausführlich mit den gewalttätigen Auseinandersetzungen auseinander, die die Bewegung gespaltet und geschwächt hätten. Dass sich allerdings auch die TAZ als schwächender Faktor interpretieren lässt, blieb selbstredend unreflektiert. An jede noch so bescheidene Protestbewegung trägt die Zeitung die Gewaltfrage als eine Art Gesinnungstest heran und fordert dabei eine Homogenität ein, die Bewegungen nicht haben und auch gar nicht haben können. Auf der Strecke bleibt so auch die analytische Urteilskraft. Glaubt man der TAZ, so lässt sich die Welt der sozialen Bewegungen recht simpel in bunte, kreative und basisdemokratische Protestierer sowie schwarz gekleidete, destruktive und autoritär strukturierte Gewalttäter gliedern.

Dabei war das Entstehen der TAZ auch ein Statement gegen eben solche Gewaltdiskurse. Die Debatte um die Gründung der Zeitung setzte Mitte der 1970er Jahre ein – wohl nicht zuletzt unter dem Eindruck der von Jean-Paul Sartre und Rossana Rossanda mit gegründeten französischen Libération bzw. italienischen Il Manifesto. Der Herbst 1977 führte die Notwendigkeit einer alternativen Zeitung dann noch einmal drastisch vor Augen. Im sozialdemokratischen regierten Deutschland ließen sich die Medien beim Anti-Terror-Kampf bereitwillig gleichschalten. Wer nicht in den Chor der Terrorhysterie mit einstimmte und den Kotau verweigerte, wurde als RAF-Sympathisant gebrandmarkt und teilweise, wie etwa der Hannoveraner Professor Peter Brückner, auch juristisch belangt. Dabei geriet nicht nur mancher Intellektueller unter die Räder, der mit der RAF wahrlich nichts am Hut hatte, auch jede kritische Auseinandersetzung mit dem faktischen Ausnahmezustand in Deutschland wurde unterbunden.

Eben aus diesem Grund – an den die TAZ heute allerdings nicht mehr gern erinnert wird – entstand 1979 die tageszeitung. Sie war ein Statement gegen einen Meinungstotalitarismus, der jede Gewalt scharf verurteilt, es sei denn, diese kommt von oben. Ein damals noch dichtes Netzwerk nichtkommerzieller Stadtzeitungen sorgte dafür, dass die TAZ von Anfang an auf überregionale Unterstützung zählen konnte. Das Münchner Blatt, der Frankfurter Pflasterstrand, die Gründer der Westberliner Alternativen Liste um den späteren Bundestagsabgeordneten Christian Ströbele und zahlreiche kleinere Lokalblätter beteiligten sich am Aufbau von Informations- und Vertriebsstrukturen. Dass die TAZ schließlich im Westberliner Wedding landete, war vor allem den Besonderheiten der bundesdeutschen Subventionskultur geschuldet. Die Mauerstadt erhielt damals noch großzügige Zuschüsse aus Bundestöpfen.

Waren die Anfangsjahre von einer radikalen Offenheit der Zeitung gegenüber LeserInnen und AutorInnen und einem manchmal sympathischen, manchmal nervenden Dilettantismus geprägt, kam es Mitte der 1980er Jahre zu einer gründlichen Transformation der Zeitung. Vor allem das Frankfurter Milieu um den späteren Außenminister Joschka Fischer drängte zur (persönlichen) Macht, die als „Übernahme politischer Verantwortung“ verbrämt wurde. Der rasante Abstieg der Grünen von der gesellschaftskritischen Sammlungsbewegung zur marktliberalen Umweltpartei kam auch in der TAZ voll zum Tragen. Als die Grünen 1986 in Hessen und 1989 in Berlin in Koalitionsregierungen eintraten, ging die TAZ Politikberatungsjournalismus über, der sich für die Besetzung von Ministerialposten mehr interessiert als für gesellschaftliche Kräfteverhältnisse. Nur folgerichtig war denn auch, dass unter dem Schlagwort der Professionalisierung in den Folgejahren auch Prinzipien der Selbstverwaltung wie demokratische Entscheidungsstrukturen und Einheitslohn geopfert wurden.

Die TAZ etablierte sich als relativ konventionelle, grünennahe Zeitung, die allerdings durch eine – mehr oder weniger – kreative Titelgestaltung und einzelne Blattprojekte eine Sonderstellung in der deutschen Medienlandschaft zu behaupten suchte. Inhaltlich wurden hingegen auch die banalsten Grundpositionen aufgegeben: Nicht einmal die NATO-Bombardements während des Kosovo-Kriegs 1999 und Joschka Fischers unsägliche Rechtfertigung des Jugoslawien-Kriegs mit dem Verweis auf Auschwitz (der Grünen-Guru damals: die Deutschen müssten sich wegen ihrer historischen Schuld an der Bombardierung Belgrads beteiligen) veranlassten die Zeitung zu einem Bruch mit der rot-grünen Regierung. Heute unterscheidet sich das, was in der TAZ steht, inhaltlich kaum noch von dem, was in der bürgerlichen Süddeutschen Zeitung oder der ZEIT zu lesen ist. Die TAZ mag formal anders gestaltet sein und kommt sprachlich meist etwas ungelenker daher. Im Großen und Ganzen jedoch positioniert man sich ähnlich.

Vor diesem Hintergrund bietet die linke Zeitungslandschaft in Deutschland heute ein bizarres Bild: Vor lauter Bäumen macht sich Leere breit. Neben der TAZ gibt es das ostdeutsche Neue Deutschland, die Tageszeitung der Linkspartei, deren Leserschaft zum größten Teil älter als 60 Jahre ist und die dementsprechend in erster Linie mit dem „demographischen Faktor“ zu kämpfen hat. Die junge Welt, die ebenfalls aus der DDR-Presse hervorgegangen ist, steht den sozialen Bewegungen zweifellos am nächsten und bietet Aktiven in Gewerkschaften, ATTAC und Antifa immer bereitwillig ein Forum für Gegenöffentlichkeit und Debatten. Doch die Offenheit hat inhaltlich klare Grenzen: Dominiert wird die Zeitung parteikommunistisch und bedient damit ein übersichtliches Spektrum. Außerdem gibt es die Wochenzeitung Jungle World, die praktisch alle politischen Konflikte auf das Antisemitismus-Problem zu reduzieren weiß, und den linksliberalen Freitag, der als übergreifendes Meinungsmedium lange Zeit eine interessante Funktion innehatte, aber seit dem Kauf durch den Millionenerben Jakob Augstein völlig beliebig zu werden droht. So bleibt als wichtigster Referenzpunkt für die Öffentlichkeit – und leider auch Teile der sozialen Bewegungen selbst – dann doch wieder die TAZ. Jene Zeitung, die längst nicht mehr links steht (wenn man darunter die Kritik an Kapital- und Marktverhältnissen versteht), wird nach wie vor als das Zentralorgan der Linken betrachtet.

Wie schön wäre es, wenn sich dieses Missverständnis anlässlich des 30. Geburtstags der Zeitung endlich ausräumen ließe. Denn dagegen, dass es in Deutschland eine konzernunabhängige, überregionale liberale Tageszeitung gibt, kann selbstverständlich niemand etwas haben. Jugendliche Eiferer erfanden in den 1980er Jahren den Slogan „TAZ lügt“. So simpel ist es denn doch nicht. Viel eher verhält es sich so, dass die Zeitung Teil eines Mainstreams ist, zu dem sie nicht gehören will, weil man sich sonst die Sinnfrage stellen wüsste. Denn wozu sollte man mit viel persönlichem Aufwand und zu erschreckend niedrigen Löhnen eine Zeitung machen, die sich vom Mainstream inhaltlich nicht mehr grundlegend unterscheidet?

Raul Zelik

 

 

Design zersetzer. freie grafik / Berlin

Programmierung, Umsetzung G@HServices Berlin V.V.S.

Kopfbild Freddy Sanchez Caballero / Kolumbien