Der asymmetrische Krieg ist keine neue Herausforderung, sondern eine alte Strategie, die sich auf das Outsourcing von kriegerischer Gewalt auf private Akteure stützt

(Beitrag für den FREITAG 28.5.2009)


Rund um das NATO-Jubiläum im Frühjahr war wieder einmal viel von den „neuen, asymmetrischen Herausforderungen“ des Militärbündnisses die Rede. Piraterie, Massenmigration, religiös motivierter Terrorismus – das sind die Bedrohungsszenarien, auf die die auf konventionelle Kriege ausgelegte NATO angeblich nicht ausreichend vorbereitet ist.

Doch so simpel ist die Angelegenheit nicht. Auch wenn die Waffenarsenale der NATO in erster Linie für Staatenkriege zusammengestellt sein mögen, ist die Militärdoktrin führender Bündnismitglieder schon seit den fünfziger Jahren einem grundlegenden, kaum beachteten Wandel unterworfen.

Bereits im 2. Weltkrieg begann der asymmetrische Krieg zur zentralen Konfliktfigur zu werden. In Südeuropa – Jugoslawien, Griechenland, Italien – und in Ostasien erwies sich der Guerillakampf als kriegsentscheidend. Das „Erfolgsmodell“ Partisan breitete sich in den fünfziger und sechziger Jahren im Zusammenhang mit antikolonialen Bewegungen weltweit aus. Westliche Militärs – vor allem Briten, Franzosen und US-Amerikaner – ergriffen vor diesem Hintergrund eigene Initiativen und entwickelten in (Süd-) Ostasien, Nord – und Schwarzafrika ganz ähnliche Formen der Aufstandsbekämpfung.

Da der Partisan militärische Entscheidungsschlachten meidet und stattdessen auf eine Verschiebung gesellschaftlicher Kräfteverhältnisse hinarbeitet, rückt die (politische) Mobilisierung der Bevölkerung in den Mittelpunkt des Konflikts. Westliche Armeeführungen reagierten hierauf mit einer Entwicklung, die man als Biopolitisierung des Krieges beschreiben könnte. Die Feldhandbücher, die die USA ab 1960 in die gesamte Dritte Welt exportierten, bezeugen, was für ein radikaler Wandel hier stattfand. Hatten sich Militärs zuvor mit den Problemen Ressourcen, Terrain und Streitkräfte herumgeschlagen, so wurde nun die Bevölkerung zum zentralen Sujet. In Vietnam propagierten US-Militärs die Parole von den minds and hearts, den Herzen und Köpfen der Bevölkerung, die gewonnen werden sollten.

Manipulation des Meinungsklimas

Doch hinter der freundlichen Formulierung verbarg sich eine bedrohliche Entgrenzung des Militärischen: In der Aufstandsbekämpfung wurden psychologische, (entwicklungs-) politische, polizeiliche und geheimdienstliche Aspekte miteinander verschmolzen. Das primäre Ziel der Kriegführung bestand nicht länger darin, feindliche Armeen zu besiegen, sondern die Bevölkerung zu kontrollieren und Protestbewegungen zu brechen. Die Legitimierung einer eingesetzten Regierung, die Manipulation des Meinungsklimas, die Veränderung des Alltagslebens, die geheimdienstliche oder statistische Erfassung der Bevölkerung, die Durchführung von Gesundheitsprogrammen, aber auch das Verhängen von Medikamentenembargos über aufständische Gebiete – das waren die neuen, von Militärs übernommenen oder koordinierten Aufgaben.

Für die betroffenen Gesellschaften hatte diese Umorientierung beträchtliche Folgen. In so unterschiedlichen Staaten wie Südkorea, Kolumbien oder der Türkei sind die Spuren der „Nationalen Sicherheitsdoktrin“ bis heute deutlich zu erkennen. Gesellschaftliche Konflikte wurden militarisiert, die Exekutive ermächtigt, der Staat autoritär transformiert, Demokratisierungsprozesse auf Jahrzehnte blockiert.

Dabei wurde die Staatsmacht irregulärer und ihre Gewalt entgrenzt. Französische Militärs hatten das schon in den fünfziger Jahren propagiert: Da sich der Partisan in der Zivilbevölkerung verberge, müsse auch die Staatsmacht zu flexiblen Mitteln greifen. Roger Trinquier, einer der jüngeren Offiziere, die in Algerien und Indochina zum Einsatz kamen, verfasste 1961 die militärtheoretische Schrift Der moderne Krieg, die von US-Militärs in den Folgejahren als Anti-Guerilla-Handbuch international verbreitet wurde. Darin forderte Trinquier den gezielten Einsatz von Folter zur Informationsbeschaffung und die Zwangsumsiedlung bzw. Vertreibung von Zivilisten.

Kriegsführung geringer Intensität

Die Misshandlungen, wie sie zuletzt in Guantánamo und Abu Ghraib sichtbar wurden, haben deshalb nicht viel mit dem Seelenzustand gestresster Soldaten zu tun. Sie folgen in erster Linie wissenschaftlichen Erkenntnissen. Nachdem die Franzosen dank der Folter die erste Schlacht um Algier gewonnen hatten, ließ der US-Geheimdienst unter so unscheinbaren Titeln wie KUBARK Counterintelligence Interrogation (1963) oder Human ­Resources Exploitation Manual (1983) Handbücher zirkulieren, in denen wissenschaftlich erprobte „Verhörmethoden“ erläutert wurden. Schon damals hatte man eine Präferenz für solche Methoden entwickelt, bei denen gezielt psychische Störungen ausgelöst wurden oder Gefangene sich Schmerzen selbst zufügen mussten.

Und die Entgrenzung blieb nicht auf die Folter beschränkt: In Vietnam setzte die US Army auf irreguläre Kampfeinheiten, die als Todesschwadronen agierten. Die berüchtigten Tiger Forces sollten die Guerilla „mit deren eigenen Mitteln schlagen“ und räumten Tausende mutmaßlicher Vietcong-Anhänger aus dem Weg.

Diese Kriegführung, die eine Lähmung durch Schock (shock and awe) auslöst, ist für das Ansehen eines Staates jedoch außerordentlich problematisch. US-Militärs gelangten in den achtziger Jahren daher zu der Überzeugung, dass man indirekter in Konflikte eingreifen müsse. Sie entwickelten Strategien des Low Footprint, der „geringen Spuren“, und konzentrierten sich unter dem Schlagwort „Kriegführung geringer Intensität“ auf die Unterstützung von Verbündeten.

Der Krieg wurde auf diese Weise sozusagen outgesourct: Über Waffenlieferungen und Ausbildungsprogramme stärkte man in Zentralamerika, aber auch in Afghanistan Alliierte, ohne dass US-Personal sich direkt an Kampfhandlungen beteiligen müssen hätte. Es galt, Gewalthandlungen nicht mehr selbst anzuordnen oder gar durchzuführen, sondern Konstellationen so zu beeinflussen, dass sich bestimmte Dinge ereigneten. Dieses Vorgehen, das den gouvernementalen Konzepten des zurückhaltenden Regierens entspricht, lässt sich auch im Irak beobachten, obwohl es sich dort doch eigentlich um eine klassische Okkupation handelt. Der relative Erfolg der Welle (Surge) unter General Petraeus ist nicht nur einer Aufstockung der US-Truppen geschuldet, sondern hatte vor allem mit der Einbindung lokaler Kriegsakteure zu tun. Neben dem Einsatz privater Militärfirmen, die im Irak noch vor den USA das größte Kontingent stellen sollen, hat man sich vor allem auf mehr oder weniger formale Allianzen mit Stammesführern, Warlords und wohl auch der organisierten Kriminalität gestützt.

In diesem Sinne laufen moderne Interventionen darauf hinaus, Sicherheitsgefüge zu schaffen, bei denen sich der Hegemon aus dem Gröbsten heraushalten kann. Das Perfide an dieser Outsourcing-Strategie ist, dass hier niemand mehr zur Rechenschaft gezogen werden kann. Verbündete werden je nach Bedarf an – oder ausgeschaltet – was gelegentlich (siehe Bin Laden) zu Problemen führt, oft jedoch reibungslos funktioniert.

Die in Deutschland so harmlos daher kommenden Afghanistan-Debatten haben vor diesem Hintergrund eine radikal andere Bedeutung. Die „Stärkung der Zivilgesellschaft“, wie sie NGOs im Auftrag der Bundesregierung leisten sollen, wirkt faktisch eben nicht als Alternative zum Militäreinsatz. Entwicklungspolitische Programme, die Ordnung legitimieren, sind der Kern moderner Aufstandsbekämpfung. Und wenn an deutschen Universitäten heute über „transnationale Security Governance“, also die Einbindung nicht-staatlicher Akteure in Sicherheitsarchitekturen gesprochen wird, dann läuft das in der Praxis auf Kriegsarrangements hinaus. Ganz unabhängig davon, ob die Protagonisten der Debatte sich dessen bewusst sind oder nicht.

Wie die asymmetrische Kriegführung des Westens in der Realität aussieht, zeigt ein Blick auf die jüngere Geschichte. Im Kampf gegen den Kommunismus stärkten die USA in den achtziger Jahren in Afghanistan sowohl den Drogenhandel als auch den religiösen Fundamentalismus. In Zentralamerika protegierten sie aus den gleichen Gründen Teile des Kokainhandels – obwohl man sich gleichzeitig in einem War on Drugs wähnte.

Man kann diese Kriegführung aber auch anhand jener Dokumente nachvollziehen, die heute im Umfeld westlicher Militärakademien kursieren. In einer Studie der renommierten RAND Corporation über so genannte „Netzkriege“ aus dem Jahr 2000 wird der islamistische Terrorismus in einem Atemzug mit der internationalen Kampagnen gegen Landminen genannt – weil beide netzförmig organisiert seien und die USA herausforderten. Und das international besetzte Fourth Generation Seminar des konservativen US-Militärexperten William Lind empfiehlt den Irak-Truppen gar die Einrichtung von Dienststellen für Bestechungszahlungen, die gezielte Desinformation der Öffentlichkeit und den Einsatz mafiaähnlicher Gewalt. Da das Militärs gute Beziehungen zur Zivilbevölkerung pflegen müsse, sollte es notwendige Schläge gegen Aufständische „wie die Mafia“ so durchführen, dass keine Spuren hinterlassen würden – es sei denn, die Inszenierung der Gewalt sei als Botschaft für ein größeres Publikum gedacht.

Der Witz an solchen Entgleisungen ist, dass hierfür niemand mehr verantwortlich zeichnet: Die Strategiedebatten werden offiziell außerhalb der Armeekörper geführt. Eben deshalb ist die so genannte Security Governance, bei der staatliche und private Akteure ko-agieren, aus Herrschaftsperspektive so funktional. Die Dinge geschehen, ohne dass sie jemand angeordnet hätte.

Hier zeichnet sich die neue exekutive Macht des 21. Jahrhunderts ab: Eine parastaatliche Gewalt, die den globalen Status Quo sichert, aber der politischen Kontrolle entzogen ist. Ja, die Gesellschaft nimmt nicht einmal mehr zur Kenntnis, was für ein grundlegender Wandel im Gange ist.

Raul Zelik, Jahrgang 1968, ist Schriftsteller und war zuletzt Gastprofessor an der Nationaluniversität in Bogotá. In seinem neuen Buch Die kolumbianischen Paramilitärs – Regieren ohne Staat? (Westfälisches Dampfboot) untersucht er die gezielte Entstaatlichung von Herrschaft

 

 

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Kopfbild Freddy Sanchez Caballero / Kolumbien