nsu ard
Als Rainald Goetz 2013 seinen Roman „Johann Holtrop“ veröffentlichte, bemängelte so mancher Kritiker, die Personen seien ohne jedes Mitgefühl geschildert worden. Von „einer eintönigen Abscheu-Inszenierung“, war beispielsweise bei Volker Weidermann die Rede, einer „Giftzwergprosa“, durch die man nichts über die inneren Konflikte erfahre. Dabei war das vermutlich das Abgefahrene an dem Roman: das empathielose System totaler ökonomischer Herrschaft wurde nicht von irgendwelchen emotionalen Unterhaltungselementen zugekleistert. Über die Film-Trilogie „Mitten in Deutschland“, die die Geschichte der rassistischen Terrororganisation NSU nachzeichnet, lässt sich nichts Vergleichbares sagen. Hier wird aus allen Rohren gemenschelt – so als dürfe dem Fernsehpublikum die radikale Empathielosigkeit des Rassismus auf keinen Fall zugemutet werden.

Der erste, von Christian Schwochow verfilmte Teil der Trilogie erzählt über den Werdegang der NSU-Täter in den 1990er Jahren. Er zeigt Beate Zschäpe so, wie sie sich selbst im Verfahren zu präsentieren versucht: ein eher unpolitisches Mädel, das durch ihre Liebe zu zwei Männern, ostdeutsche Langeweile und ein paar dumme Zufälle in den Nazi-Untergrund abdriftet. Anders als vor dem Oberlandesgericht in München, wo die echte Zschäpe angeklagt ist, wird diese Sozialarbeitererzählung allerdings aufwändig illustriert: die kollektive Euphorie auf den Nazi-Konzerten, das lustige Herumflippen in der Nachbarschaft, die scharfen Küsse der Uwes ... Nur mal so als Gegenhypothese: Wären mechanisch-funktionaler Sex, soziale Angepasstheit und Autoritätshörigkeit als Eigenschaften einer rassistischen Politisierung in Deutschland nicht viel plausibler?

In „Die Opfer“, dem zweiten, von Züli Aladag inszenierten Teil, geht es inhaltlich zwar deutlich klarer zu, doch die Ästhetik bleibt erschreckend ähnlich. Offensichtlich wissen TV-RedakteurInnen, wie man narrativen Einheitsbrei produziert. Im Mittelpunkt steht hier die Geschichte Semiya Şimşeks, der Tochter des ersten NSU-Opfers, des 2000 in Nürnberg ermordeten Blumenhändlers Enver Şimşek. Als Opferperspektive und Dokumentation der Ermittlungen ist der Film sehr sehenswert. Chronologisch wird noch einmal alles gezeigt: Wie die Mordkommission die Familie Şimşek zu Tatverdächtigen macht. Wie sie Hausdurchsuchungen gegen die Opfer organisiert, Geld der Familie beschlagnahmt, einen Schwarzgeldprozess eröffnet, aus ermittlungstaktischen Gründen sogar eine Liebhaberin des Ermordeten erfindet und ihm Verbindungen zur Drogenszene andichtet.

Doch dieser realistische Blick ist weniger das Verdienst des ARD-Teams als von Semiya Şimşek selbst, deren Buch „Schmerzliche Heimat“ als Drehbuchgrundlage diente. Durch die Mühle der Fernsehredaktionen gequirlt wird auch der Rassismus der Behörden irgendwie zur Herzenssache: Der ermittelnde Polizist zeigt großes Mitgefühl für die Menschen, denen er nachstellt. Selbst dass er dem Ermordeten eine Geliebte andichtet und die verwitwete Ehefrau damit regelrecht in den Wahnsinn treibt, ist irgendwie nicht böse gemeint. Im deutschen Fernsehen kann man die inneren Konflikte der Hauptpersonen (anders als bei Rainald Goetz) sehr gut mitverfolgen: Polizist Hegemann muss immer wie ein Dackel schauen, wenn die Behörden zur Hausdurchsuchung einreiten.

Dass bei so viel emotionaler Identifikation in erster Linie auf Close-Ups gesetzt wird, versteht sich von selbst. Ob Täter oder Opfer – die Personen, die dem Publikum nah gebracht werden sollen, füllen gefühlte 50 Prozent der Sendezeit den Bildschirm aus. Da so viel Nähe in Anbetracht der eher vorhersehbaren Charaktere – die aus der Bahn geratene Nazi-Braut; das Einwanderermädchen, das sich nach oben kämpft – schnell langweilig zu werden droht, zappelt die Kamera mächtig herum. Bei Schwochows ersten Teil sind das v.a. die bewegten Bilder der Nazi-Partys, in Aladags zweitem Teil wird ständig um die Figuren gekreist.

Vor diesem Hintergrund ist man über den letzten Teil „Die Ermittler“ schon fast ein wenig erleichtert. Florian Cossen hat als dritter Regisseur des Projekts einen klassischen Krimi über die erfolglosen Ermittlungen der Thüringer Polizei gedreht, in dem ein Zielfahnder immer wieder vom Verfassungsschutz bei den Recherchen behindert wird. Eine surreale Karnevalsfeier im Thüringer Landesamt des VS gerät zur Metapher für den NSU-Skandal: Der Zielfahnder steht vor der schrillen Geheimdienstparty wie vor einem Spiegelkabinett: keine Ahnung, was da läuft, aber es ist reichlich bizarr.

In einem Interview mit der ZEIT haben die Regisseure Schwochow, Aladag und Cossen ihre Arbeit als Material gegen rechts beschrieben. Und bei aller Kritik sind die Filme das auch irgendwie. Immerhin wird Deutschland, wo die AFD gerade zur Volkspartei aufsteigt und die Nazi-Band Frei.Wild den Musikpreis der Phonoindustrie einheimst, noch mal damit konfrontiert, dass Rechte hier weitgehend ungestört töten können (seit 1990 mehr als 180 Mal), dass Ermittlungsbehörden die Täterschaft von Rassisten regelmäßig vertuschen und militante Nazi-Strukuren von den Geheimdiensten mit aufgebaut wurden. Schon allein dafür, dass so etwas zur besten Sendezeit gesagt wird, muss man den Machern der Trilogie dankbar sein. (Dass es das Fernsehpublikum nicht wissen will, ist die andere Seite des Problems: Mit 2,3 bis 2,9 Millionen Zuschauern blieben die Filme unter den Quotenerwartungen des ARD).

Doch gut gemeint ist eben noch lange nicht gut gemacht. Auf die eigentlichen Fragen der NSU-Affäre können emotionale Identifikationsangebote wahrscheinlich nur falsche Antworten liefern. So hinterlässt die Trilogie einen ganz ähnlichen Eindruck wie der (im Film kritisch eingebaute) Auftritt Angela Merkels auf der Gedenkfeier für die NSU-Opfer: Deutschland versucht sich selbstkritisch mit sich selbst auszusöhnen. Mehr Sozialarbeit gegen die Radikalisierung von Jugendlichen! Behandelt eure Einwanderer nicht wie Fremde! Mehr Kontrolle der Geheimdienste durch die Demokratie! ... Das sind die Botschaften, die die Fernsehtrilogie verbreitet. In Anbetracht dessen, dass Zschäpe, Böhnhardt und Mundlos 13 Jahre in einer eher überschaubaren Stadt im Untergrund leben konnten, sie von Informanten des Verfassungsschutzes regelrecht umstellt waren, Zeitungen und Ermittlungsbehörden die Opfer begeistert zu Verdächtigen machten, niemand – auch die Linke nicht – skeptisch wurde und die Geheimdienste hinterher sogar noch größere Vollmachten erhielten, ist das allerdings ein bisschen wenig.

Statt der Fernsehfilme schaut man sich also lieber die Dokumentation „Der NSU-Komplex“ von Dirk Laabs an. Die liefert zwar auch keine abschließende Antwort darauf, wieso sich der Naziterror so unbehelligt ausbreiten konnte und kann, aber sie zeigt immerhin Zusammenhänge auf. Zum Beispiel, dass der NSU-Terrorist Uwe Mundlos Anfang der 2000er Jahre für die Baufirma des VS-Spitzels Ralf Marschner arbeitete und dass über dessen Unternehmen 2001 just zu dem Zeitpunkt Fahrzeuge angemietet wurden, als der NSU Morde in Süddeutschland verübte. Oder dass Marschner nach diesen Morden abgeschaltet und mit einer neuen Identität ausgestattet wurde.

Wie andere V-Leute lebt er heute übrigens in der Schweiz.

Raul Zelik

 

 

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Kopfbild Freddy Sanchez Caballero / Kolumbien