land grabbing

Anmoderation

Im vergangenen Jahrzehnt sind weltweit riesige Flächen Natur- und Ackerland von Großunternehmen und Finanzinvestoren aufgekauft worden. Bodenspekulation und die steigende Nachfrage nach Agrarprodukten verwandeln Land in ein zunehmend wertvolles Gut. Doch wer profitiert von diesem Prozess und wie geht er konkret vonstatten? Der britische Wissenschaftsjournalist Fred Pearce ist in Land Grabbing. Der globale Kampf um Grund und Boden diesen und anderen Fragen nachgegangen.

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In Europa erleben wir heute, wie sich Krisen verlagern können. Nach dem Crash von 2008 und dem drohenden Bankenkollaps haben die europäischen Regierungen die Privatverluste faktisch verstaatlicht und in der Folge bei öffentlichen Ausgaben zu sparen begonnen. Auf diese Weise hat sich die Finanzkrise in eine Schulden- und gesellschaftliche Armutskrise verwandelt.

Doch das ist nicht das einzige Beispiel dafür, wie Reichtum und Kosten heute im Gefolge der Krise umverteilt werden. Global betrachtet gibt es noch einen weiteren, weitaus gravierenderen Prozess: die rasante Umverteilung von Land. Vor allem in Asien, Lateinamerika und Afrika haben sich internationale Finanzinvestoren im vergangenen Jahrzehnt riesige Flächen gesichert – meist für den großflächigen Anbau von Agrarprodukten wie Soja, Mais oder Ölpalmen.

 

Fred Pearce, der sich als Umweltjournalist einen Namen gemacht hat und unter anderem für den britischen Guardian schreibt, untersucht in seinem Buch konkrete Beispiele dieser Landnahme, durch die Flächen von der Größe Westeuropas ihren Besitzer gewechselt haben:

Zitat 1

Die Weltbank nannte im Jahr 2010 die Zahl von 47 Millionen Hektar. Das Global Land Project, ein internationales Forschungsnetzwerk, warf die Zahl von 63 Millionen Hektar in den Ring. Die Land Deal Politics Initiative, ebenfalls ein Netzwerk von Forschern (...) zählte 80 Millionen Hektar. Die Hilfsorganisation Oxfam schließlich veröffentlichte eine Schätzung, die sich auf 227 Millionen Hektar belief. Die Wahrheit ist, dass niemand die genauen Zahlen kennt. Es gibt kein Zentralregister (...) Manche der größten Deals, auf die ich stieß, waren heimlich abgeschlossen worden ...

 

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Pearce beschreibt in 27 reportageähnlichen Texten, wie im malischen Nigerdelta und im brasilianischen Binnenland, in den fruchtbaren Schwarzerdegebieten der Ukraine, den Tropenwäldern Indonesiens oder im gerade erst unabhängig gewordenen Südsudan Naturgebiete und Kleinbauernland für den Weltmarkt erschlossen wurden.

Dabei wird deutlich, wie eng Umweltzerstörung und Verarmung mit Marktdynamiken verknüpft sind. Die enormen Investitionen in Grund und Boden sind nämlich nicht zuletzt Folge davon, dass die großen Investitionsfonds – nicht zuletzt dank der staatlichen Bankenrettung – nicht wissen, wohin mit ihrem Kapital. Da die Konsummärkte gesättigt sind, investiert man in Sachwerte und im Besonderen in ein Gut, das durch Erderwärmung und Bevölkerungswachstum in den nächsten Jahrzehnen noch sehr viel stärker nachgefragt werden dürfte: in wenig erschlossene Naturlandschaften. Auf diese Weise jedoch werden die Umweltprobleme, die man fürchtet, noch weiter verschärft.

Fred Pearce verurteilt diese Landnahme in seinem Buch aber nicht nur. Er setzt sich auch mit dem populärsten Argument für die Investition in Grund und Boden auseinander. Die Akteure der globalen Landnahme verteidigen ihr Vorgehen nämlich gewöhnlich mit dem Hinweis, dass die großflächige, mechanisierte Landwirtschaft für die Nahrungsmittelversorgung der Weltbevölkerung unverzichtbar sei. Kleinbauern wirtschafteten zu ineffizient. Erst durch große Kapitalinvestitionen und die Teilnahme am Weltmarkt würden höhere Erträge möglich.

Doch Pearce wendet ein:

Zitat 1

Die Annahme, kommerzielle landwirtschaftliche Großbetriebe, könnten die Ernährung der Weltbevölkerung sicherstellen – wenn es denn überhaupt ihr Ziel wäre –, ist gefährlich (...)

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... und zitiert aus der Studie eines kenianischen Forschungsinstituts.

Zitat 2

 „Es sind nicht die großen effizienten Farmen auf höchst ertragreichen Böden, sondern eine Milliarde kleiner landwirtschaftlicher Familienbetriebe ... die heute einen Großteil der Armen dieser Welt ernähren.“

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Fred Pearces Buch ist verdienstvoll, weil es eine der dramatischsten Globalisierungsfolgen sichtbar macht. Außer Frage steht auch, dass Pearce ein sachkundiger Autor ist, der um Gegen-Recherche bemüht stets das Gespräch mit allen Akteuren sucht. Trotzdem kann Land Grabbing als Buch nicht wirklich überzeugen. Die 27 Einzeltexte ergeben kein Gesamtbild, immer wieder werden die gleichen Beobachtungen und Überlegungen aneinandergereiht. Mehr ökonomische und politische Analyse, durch die ein Gesamtzusammenhang sichtbar würde, hätte hier nicht geschadet. Auch eine Einordnung der empirischen Fälle in das heute in den Sozialwissenschaften diskutierte „Landnahme-Theorem“ wäre interessant gewesen. So hingegen bleibt es bei einer ersten, faktenreichen und doch oberflächlichen Bestandsaufnahme, die ein Phänomen beschreibt, ohne es gänzlich zu erklären.

 

Abmoderation: Fred Pearce „Land Grabbing. Der globale Kampf um Grund und Boden”, 400 Seiten, 22.95 Euro, Verlag Antje Kunstmann

 

 

 

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Kopfbild Freddy Sanchez Caballero / Kolumbien