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Vor einigen Tagen flatterte Post des Verfassungsschutzes bei mir ins Haus. Als eher naives Gemüt dachte ich einen Moment, der Geheimdienst wolle sich für seine Untätigkeit gegenüber dem „nationalsozialistischen Untergrund“ rechtfertigen oder rufe gar zu einer Kampagne gegen den militanten Rechtsextremismus auf. Doch weit gefehlt: Man teilte mir mit, ich sei in den vergangenen Jahren wegen mutmaßlicher Verbindungen zur baskischen Separatistenorganisation ETA überwacht worden.

Wie stets in solchen Fällen wurde nicht weiter erläutert, worauf sich die Ermittlungen stützten, und so drängten sich die üblichen Fragen auf: Bespitzelte man mich wegen meiner Freundschaft zu Sprechern der baskischen Linkspartei Batasuna – die in Spanien verboten, in Frankreich aber legal ist und maßgeblich zum definitiven Gewaltverzicht der ETA beigetragen hat? Oder hat der Verfassungsschutz meinen Roman „Der bewaffnete Freund“ für bare Münze genommen und glaubt, ich hätte –wie die Hauptperson des Buchs – einen ETA-Führer mit dem Auto durch Spanien gefahren? Und natürlich dann auch: Was habe ich in den letzten Jahren eigentlich alles am Telefon gesagt, was mir peinlich oder unangenehm sein müsste?

Von deutschen Behörden beim kolumbianischen Geheimdienst denunziert

Die westdeutsche Staatssicherheit trat nicht zum ersten Mal unverhofft in mein Leben. 2005 ermittelten Schlapphüte gegen eine Menschenrechtsdelegation nach Kolumbien, die ich mit organisiert hatte. Die Reisegruppe sollte kolumbianische Konfliktgebiete besuchen, um bedrohte Gewerkschafter, Bauernorganisationen und Menschenrechtskomitees zu interviewen und unterstützen. Da an der Delegation auch Berliner Antifas teilnahmen, vermuteten die deutschen Behörden illegale Kontakte und hörten Telefonanschlüsse ab. Die Verdachtsmomente erhärteten sich zwar nicht – im Übrigen führte unser erster Weg in Bogotá zur deutschen Botschaft, wo wir die diplomatische Vertretung über unsere Reiseziele informierten –, doch sicherheitshalber denunzierten uns die Ermittlungsbehörden trotzdem bei ihren kolumbianischen Kollegen. Wie später aus Akten ersichtlich wurde, kündigten sie der kolumbianischen Geheimpolizei DAS die Einreise mutmaßlicher, deutscher Terrorunterstützer an, so dass wir am Flughafen Bogotá bereits von einem Observationstrupp erwartet wurden.

Die Querverbindung nach Südamerika ist zufällig, wirft aber grundsätzliche Fragen über die Funktionslogik von Geheimdiensten auf. Die Denunziation der deutschen Behörden war alles andere als eine Lappalie. Immerhin stellte die kolumbianische Geheimpolizei DAS in den vergangenen 15 Jahren das Epizentrum des schmutzigen Kriegs in Kolumbien dar. Jorge Noguera, 2002 bis 2005 Direktor des DAS, wurde unlängst zu 25 Jahren Gefängnis verurteilt, weil er rechten Todesschwadronen Listen mit zu ermordenden Gewerkschaftern zukommen lassen hatte. Der Leiter der DAS-Informatikabteilung Rafael García war selbst Mitglied in den paramilitärischen „Selbstverteidigungsgruppen Kolumbiens“, und der Subdirektor der Behörde José Miguel de Narváez unterrichte die Rechtsterroristen in Taktiken der Aufstandsbekämpfung. Den Mord an dem Fernsehkomiker Jaime Garzón 1999 soll er höchstpersönlich in Auftrag gegeben haben. Wussten die deutschen Dienste das nicht, als sie unsere Delegation in Kolumbien anschwärzten, oder war es ihnen einfach völlig egal?

Seitdem bekannt ist, dass eine rechtsterroristische Gruppe namens „nationalsozialistischer Untergrund“ zehn Jahre lang in Deutschland unbehelligt Menschen nichtdeutscher Herkunft ermorden konnte, stellen sich diese Fragen in einem neuen Licht. Jede Woche kommen neue, irritierende Details ans Licht: Der langjährige Leiter des Thüringer Amtes, Ex-Panzeroffizier Helmut Roewer, der zwischen 1994 und 2000 großzügig Staatsgelder an die nationale Szene verteilte, publiziert heute beim Grazer Ares-Verlag, der als Schnittstelle von Neuen Rechten und militanten Rechten gilt. Über die Zwickauer Zelle erfuhr das Amt auch nach Roewers Abschied nichts, obwohl weiter großzügig Geld verteilt wurde. Von Recherchen bis ins außereuropäische Ausland ist im Fall der Rechtsterroristen nichts bekannt – sinnvoller Weise, denn bei der Zwickauer Zelle hätte es gereicht, die eigenen Informanten im Auge zu behalten. Stattdessen ließ der Geheimdienst dem NSU – angeblich um den Untergetauchten auf die Spur zu kommen – Geld für gefälschte Pässe zukommen, und eine ostdeutsche Meldestelle stellte (unwissentlich?, nicht wissen wollend?, aus Sympathie gegenüber einem nationalen Kameraden?) gar einen Reisepass mit falschem Foto für einen der Gesuchten aus. Allein mit Dilettantismus kann man das alles kaum erklären.

Nach den Ereignissen in Zwickau hat der neue Chef des FAZ-Feuilletons Nils Minkmar die Abschaffung der deutschen Geheimdienste gefordert. Spöttisch verwies er darauf, dass die Zwickauer Gruppe nie wirklich abgetaucht gewesen sei. Es habe sich mehr um „so ein Schnorcheln“ gehandelt, „ein Untertauchen in der Badewanne“. Dass die Geheimdienste die Rechtsextremisten offensichtlich gewähren ließen, erklärt Minkmar mit dem Eigeninteresse des Apparats. Dieser sei daran interessiert, den seine Existenz rechtfertigenden Gegenstand am Leben zu erhalten. Ob es sich dabei um islamistische, rechts- oder linksradikale Gruppen handele, sei letztlich egal.

Der Hinweis ist nicht ganz falsch, immerhin ließen Verfassungsschützer einst auch dem Sozialistischen Deutschen Studentenbund (SDS) Sprengstoff zukommen. Doch bei Minkmars Erklärung bleibt ausgeblendet, dass westliche Geheimdienste wie auch polizeiliche Ermittlungsbehörden sehr gut zwischen Links und Rechts, Ausländern und Deutschen zu unterscheiden wissen.

Dass es nach der Gründung der Bundesrepublik persönliche und ideologische Kontinuitäten zwischen den neu entstehenden Sicherheitsorganen und alten Nazi-Strukturen gab, ist allgemein bekannt. Der BND rekrutierte sich aus NS-Kadern, autoritäre und antikommunistische Gesinnungen blieben auch in der Folgezeit identitätsstiftend. Dazu kommt außerdem, dass sich die westlichen Geheimdienste während des Blockkonflikts offensichtlich gezielt des organisierten Rechtsextremismus bedienten. In den NATO-Staaten, aber auch der Schweiz und Schweden wurden bewaffnete Under-Cover-Gruppen aufgebaut, die im Fall einer sowjetischen Invasion als Partisaneneinheiten tätig werden sollten. Rechtsextremisten schienen aufgrund ihrer gefestigt antikommunistischen Haltung für diese Tätigkeit besonders geeignet und wurden offensichtlich gezielt angeworben. Mindestens in Frankreich, Italien, Griechenland und der Türkei griffen diese Under-Cover-Einheiten dann auch in die innenpolitischen Konflikte ein. In Italien etwa verübten Rechtsextremisten mit geheimdienstlicher Deckung zwischen 1969 und 1984 eine Serie von Anschlägen, mit denen eine autoritäre Lösung der italienischen Krise herbei gebombt werden sollte. Und in der Türkei zeigt der Ergenekon-Skandal noch heute, wie aus der Verbindung von Geheimdiensten, Militärapparaten und Rechtsextremismus regelrechte Parallelstaaten hervorgehen können.

Geheimdienste und die Krisenoption Rechtsextremismus

Der „nationalsozialistische Untergrund“ ist sicherlich keine solche aus dem Staat heraus geborene Geheimstruktur. Eine derartige Annahme wäre völliger Blödsinn: Warum sollten deutsche Geheimdienste ein Interesse daran haben, dass Gewerbetreibende erschossen werden? Trotzdem irritiert, dass die Öffentlichkeit nur über mögliche Fehler, nicht aber über ein gewolltes Fehlverhalten der Geheimdienste debattiert. Wichtige Fragen tauchen in der aktuellen Diskussion nicht auf: Das Verbotsverfahren gegen die NPD scheiterte 2003, weil zu viele V-Leute in der Führungsgruppe der Partei aktiv waren. Doch warum hatten die Dienste überhaupt so viel Informanten in der Führung einer rassistischen, potenziell gewalttätigen Partei? Warum wissen die Dienste trotz ihrer V-Leute anscheinend nicht, was im rechtsextremistischen Milieu geschieht? Warum wurden die Informanten nach der Pleite vor dem Bundesverfassungsgericht nicht abgezogen? Hat es damit zu tun, dass noch mehr führende VS-Beamte in rechtsextremen Verlagen veröffentlichen? Oder wollen sich „Sicherheitsstrategen“ den Rechtsextremismus, wie einst im Kalten Krieg, vielleicht doch als Krisenoption offen halten?

Ich war bislang der Überzeugung, Linke sollten sich nicht allzu lautstark über staatliche Überwachung beklagen. Erstens hat die Linke Geheimdienstsysteme hervorgebracht, gegen die der bundesdeutsche Verfassungsschutz die reinste Witzveranstaltung ist, und zweitens dürfen sich Kritiker des Staates nicht wundern, wenn dieser ihnen misstraut. Nach den Vorfällen von Zwickau stellt sich das nun aber doch in einem anderen Licht dar. Nils Minkmar hat Recht: Zehn Menschen könnten noch leben, wenn die Geheimdienste ihre Arbeit gemacht hätten. Ihre Aufmerksamkeit und ihr ganzes Engagement jedoch galt anderen Milieus, anderen Überzeugungen – ein Zufall ist das nicht. Das kritische Denken von links beschäftigt die Sicherheitsapparate offensichtlich mehr als der rassistische Mord.

Raul Zelik ist Professor für Politikwissenschaften an der Nationaluniversität Kolumbiens

 

 

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Kopfbild Freddy Sanchez Caballero / Kolumbien