(Buchbesprechung von Katja Diefenbachs / Katja Eydels "belgrad interviews"; erschienen in der FAZ, Sommer 2001)

"Die Texte ... sind dem Gedanken verbunden, daß die Analyse mit der Beobachtung des Kleinen und das Begreifen mit der Verbindung differenter Linien des Geschichtlichen, Politischen, Sexuellen, Ökonomischen und Begehrenden beginnt", schreibt die Autorin Katja Diefenbach einleitend zu belgrad interviews. Auf den ersten Blick mag diese Herangehensweise erstaunlich wirken, immerhin behandelt das Buch mit den Balkankriegen und der Genese des serbischen Nationalismus eines der zentralen Probleme der jüngeren europäischen Geschichte. Doch die Lektüre zeigt schnell, wie sinnvoll es sein kann, der großen Politik im mikropolitischen Raum nachzupüren. Gerade dann, wenn man verstehen will, was im ehemaligen Jugoslawien heute, ein halbes Jahr nach Milosevic, passiert.

Daß sich Diefenbach, die als Journalistin u. a. für die Zeitschrift Spex geschrieben hat und inzwischen als Dozentin an der Berliner HdK tätig ist, im Umfeld popkultureller Debatten bewegt, ist dem Buch deutlich anzumerken. belgrad interviews ist ein 'Sampler' aus Essays, Interviews, Reportagen und Fotomaterial, der Fragmente zur Kritik der post-jugoslawischen Realität zusammentragen will. Das Interesse Diefenbachs und der mit ihr zusammenarbeitenden Fotografin Katja Eydel galt dabei allerdings weniger den politischen Größen der Anti-Milosevic-Bewegung, die inzwischen in Regierungsämter vorgerückt sind, sondern der städtischen und kulturellen Opposition: etwa den Machern der 'Underground'-Projekte Radio B-92 und Cinema Rex, die schon während des ersten Balkankriegs für nationalismuskritische Jugendliche zum wichtigen Referenzpunkt wurden, der Historikerin Dubravka Stojanovic oder der Kunsttheoretikerin Bojana Pejic. Es geht um ein Kräftefeld, dessen Eckpfeiler die soziale Krise Jugoslawiens Mitte der 80er Jahre, die dissidenten Kulturbewegungen um die Neue Slowenische Kunst - aus deren Reihen u. a. die umstrittene Musikgruppe Laibach hervorging - und die von Milosevic betriebene nationale Erweckungsmythologie darstellen.

Vor allem Bojana Pejic zeigt die Verbindungen zwischen diesen Entwicklungen auf. Sie geht davon aus, daß Milosevic die serbisch-chauvinistische 'Wiederentdeckung' des Amselfelds Ende der 80er Jahre als Instrument begriff, um die jugoslawische Krise zu seinen Gunsten zu wenden. Vor dem Hintergrund, daß das titoistische Projekt an einem Endpunkt angelangt war, formierte sich um den Funktionär eine neue Elite, die ihr nationalistisches Programm massenwirksam zu inszenieren verstand und damit neue (pop-) kulturelle Trends in Bewegung setzte. Eine These, die Dubravka Stojanovic in belgrad interviews für den Bereich Literatur genauer ausführt. So sei auf die große serbische Kundgebung auf dem Amselfeld 1989, die von den Albanern nicht zu Unrecht als verkappte Kriegserklärung verstanden wurde, die Renaissance einer antimodernistisch gefärbten serbischen Nationalliteratur gefolgt.

Noch deutlicher wird das Erstarken des Nationalismus in den kulturellen Diskursen im sogenannten "Turbo-Folk", einer in Serbien äußerst erfolgreichen Musikrichtung. "Anfang der 90er", schreibt Katja Diefenbach, "wurde Oriental mit serbischen Lyrics populär. Die Musik wurde zum Soundtrack einer nationalistischen Subkultur. Eine der bekanntesten Sängerinnen ist Ceca Velickovic, die Frau von Zeljko Raznatovic", dem inzwischen toten Anführer der rechtsextremen 'Serbischen Freiwilligengarde'. Daß der Paramilitär Raznatovic alias 'Arkan' darüber hinaus in jener Phase der Renationalisierung auch Präsident der Fußballmannschaft Obilic Belgrad wurde und diese zur jugoslawischen Meisterschaft 1997 führte, ist ein weiterer Hinweis, wie sich politische und popkulturelle Phänomene miteinander verknüpften.

Es ist unbestreitbar ein Verdienst von belgrad interviews, diese Entwicklung einer deutschsprachigen Leserschaft nachvollziehbar gemacht zu haben. Etwas weniger aktuell, aber nichtsdestotrotz ebenfalls interessant sind die Reflexionen Diefenbachs über die jugoslawische 'Praxis'-Gruppe. Aus diesem philosophischen Diskussionszusammenhang entstand in den 60er und 70ern der sogenannte "schöpferische Marxismus", der immerhin zu einem Referenzpunkt für so unterschiedliche Theoretiker der "Neuen Linken" wie Agnes Heller, Iring Fetscher, Ernst Bloch, Herbert Marcuse oder Jürgen Habermas wurde. Auch hier spart die Autorin trotz unverkennbarer Sympathie nicht mit kritischen Beobachtungen. So weist sie darauf hin, daß zahlreiche exponierte Mitglieder dieser unter Tito als 'Linksabweichler' bezeichneten Gruppe Mitte der 80er Jahre mit dem serbischen Nationalismus zu sympathisieren begannen - etwa Mihajlo Markovic, Svetozar Stojanovic oder Ljubomir Tadic.

Wenn es gegen belgrad interviews etwas einzuwenden gibt, dann ist es die Tatsache, daß die von Diefenbach gewählten Gesprächspartner keinesfalls als repräsentativ für die jugoslawische Gesellschaft gelten können. Doch auch das ist vom Ansatz der Autorin betrachtet in gewisser Hinsicht konsequent. Poststrukturalistische Ansätze haben stichhaltige Argumente gegen die Konzepte von Repräsentanz und Repräsentativität vorgebracht. Solange man sich also vergegenwärtigt, daß man in belgrad interviews nur Mosaiksteine und keine Gesamtüberblicke in die Hand bekommt, kann man von der Lektüre mit Sicherheit profitieren.

Raul Zelik

Katja Diefenbach: belgrad interviews, Gespräche und Texte (mit Fotografien von Katja Eydel), b_books, Berlin, 26 DM

 

 

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