(Buchbesprechung von Jochen Beckers (Hg.) "bigness - Kritik der unternehmerischen Stadt" aus der FAZ Sommer 2002)

Es gehört zu den unsympathischen Aspekten der sogenannten Antiglobalisierungsbewegung, daß antiamerikanische Schlagworte in ihrem Dunstkreis wieder diskursfähig zu werden scheinen. Immer häufiger machen Begriffe wie 'McDonaldisierung' und 'Disneyfizierung' die Runde, wenn die Kommerzialisierung von Alltagskultur oder öffentlichem Raum kritisch beschrieben werden soll. Insofern ist positiv hervorzuheben, daß die Autoren von "bigness - Kritik der unternehmerischen Stadt" - einer Textsammlung zum Themenkomplex Städtebau, Stadtplanung und alternative Handlungsmöglichkeiten - derartige Verkürzungen von vornherein zurückweisen. Im ersten Textbeitrag zu "bigness" schreibt Klaus Ronneberger, Kulturwissenschaftler und längjähriger Mitarbeiter des Frankfurter Instituts für Sozialforschung, über die Ausbreitung von Erlebnisparks und Shopping Malls: "Eine Kritik an der Instrumentalisierung des Erlebnisses für die Ziele der Kulturindustrie ist zwar angebracht, aber die Denunziation von Malls und Themenparks als 'Amerikanisierung' oder 'Disneyfizierung' der 'Europäischen Stadt' entspricht letztlich einer konservativ-elitären Kritikfigur, die Phänomene einer kommerziellen Massenkultur zur nationalen Eigenheit erklärt und nicht als Ausdruck eines dominanten Gesellschaftsmodells versteht, das zweifelsohne in den USA viel weiter fortgeschritten ist als in Frankreicht oder Deutschland."

Das Zitat kann man durchaus als programmatische Leitlinie des Sammelbands bezeichnen. Herausgeber Jochen Becker, der das Konzept für "bigness" auf der Grundlage eines von ihm miterstellten Themenschwerpunkts für die Oberhausener Kurzfilmtage 1999 entwickelte, hat Texte versammelt, die die Verwertung öffentlicher Räume beschreiben, ohne in gängige Klischees vom 'Größenwahn der Stadtplaner' zu verfallen oder angebliche 'Ursprünglichkeiten' zu idealisieren. Die von ihm ausgewählten Beiträge decken dabei sowohl hinsichtlich des Inhalts als auch der Form ein erfreulich breites Spektrum ab. Filmemacher Harun Farocki etwa zeigt in "Notizen zu einem Film über Malls" auf tragisch-amüsante Weise auf, zu welch absurden Entwicklungen die Kommerzialisierung öffentlichen Raums führt. So erfährt man, daß Mall-Manager in den USA die Ansiedlung von Badeartikelgeschäften mit Mietsenkungen fördern, weil der Geruch von Badeessenzen wissenschaftlichen Studien zufolge die Kaufbereitschaft der Kunden erhöht. Oder daß sich in den USA ein ganzer Gewerbezweig auf die Präparierung von Baumstämmen spezialisiert hat, weil in einer guten Mall natürlich wirkende Palmen stimulierende Urlaubs- und Glücksassoziationen auslösen können. Jochen Becker selbst untersucht, wie sich Stadien in Großprojekte der Freizeitindustrie verwandelt haben, die sich längst nicht mehr nur mit Sportereignissen amortisieren, und weist darauf hin, daß die Errichtung dieser Unterhaltungsarenen auch mit der Ausbreitung neuen Kontrolltechnologien einhergeht. Er zitiert in diesem Zusammenhang das Beispiel eines Super Bowl-Spiels in Tampa / Florida, bei dem im Januar 2001 100.000 Gesichter beim Einlaß erfaßt und mit Datenbanken der Polizei und anderen Strafverfolgungsbehörden abgeglichen wurden.

Mit dem Zusammenhang von sportlichen Megaprojekten und städtebaulichem Umbau beschäftigt sich auch der Beitrag des Journalisten Gunnar Ulbrich, der die Errichtung des Fußballstadions in St. Denis zur WM 1998 zum Anlass genommen hat, die Sozialstruktur dieser Pariser Banlieue zu untersuchen. Es ergibt sich das Bild eines von ökonomischer Marginalisierung und Einöde geprägten Viertels, in dem das (nach dem WM-Finale zur nationalen französischen Kultstätte aufgestiegene) Stadion ein gewaltiger, unangebundener Fremdkörper geblieben ist.

An diesen Beispielen dürfte deutlich werden, daß Herausgeber Becker bei der Zusammenstellung der Beiträge auf Parteilichkeit nicht verzichtet hat. Den Texten gemein ist die offen ablehnende Haltung gegenüber einer marktförmig orientierten, an Imagegewinn interessierten Stadtplanung. Nichtsdestotrotz hinterlässt der Sammelband einen angenehm heterodoxen, facettenreichen Eindruck. Eine Stärke von "bigness" ist, dass die mehr als 20 Autorinnen und Autoren aus den verschiedensten Diskussionskontexten stammen und sehr verschiedene Formen gewählt haben. So forscht der Künstler Peter Tolkin mit einer Fotoreihe namens "Airline Food" der Universalität von Flughäfen nach und zeigt auf, daß hinter den normierten Ess-Tabletts auch Arbeitsverhältnisse und Menschen stehen. Margit Czenki und Christoph Schäfer erzählen in "Park Fictions. Drehbuch, Parktheorie, Gespräch" in Form von Drehbuchnotizen, wie im Hamburger Stadtteil St. Pauli Mitte der 90er Jahre Musiker, Aktivisten und Anwohner ein kunstpolitisches Projekt zur Aneignung öffentlichen Raums entwickelten und die Planung eines Parks im Hamburger Hafengebiet vorantrieben. Und die Schauspielerin Hanna Fröhlich schließlich berichtet in "Surveillance Camera Players" von Straßentheater vor Überwachungskameras.

Auf diese Weise abwechslungsreich bewegt sich "bigness" im Grenzbereich zwischen zwischen Kunst, wissenschaftlicher Debatte, politischem Aktivismus und filmischer Reflektion. Zwar wirken diejenigen Beiträgen, in denen konkrete Handlungsmöglichkeiten dargestellt werden, überwiegend hilflos bis naiv, und fallen damit gegenüber den anderen Texten deutlich ab, aber dennoch kann man feststellen, dass es dem Berliner Kleinverlag "b_books" mit dieser Veröffentlichung erneut geglückt ist, Kunst, Analyse und Politik fruchtbar miteinander in Verbindung zu setzen.

Raul Zelik

"bigness - Kritik der unternehmerischen Stadt"
Untertitel: "Size does Matter. Image / Politik. Städtisches Handeln."
b_books
Berlin 2001
ISBN 3-933557-17-8
32 DM
www.bbooksz.de

 

 

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