Wer hat nicht schon mal daran gedacht: den oder die Ex abknallen? Ein richtiger Schlusspunkt. Oder zumindest die gemeinsame Geschichte so pedantisch sezieren, dass die Erinnerung einer rituellen Beisetzung gleichkommt, die das Vergessen ermöglicht: Hinterher fühlt man sich besser.
FX Karls Ich-Erzähler macht das systematisch. Er stellt sich einen Sekretär an, mit dessen Hilfe er die Beziehung zu Vera aufzuarbeiten versucht; d. h. eigentlich geht es um einen ganzen Zeitabschnitt in den frühen 90er Jahren. Kassetten werden besprochen, handschriftliche Notizen durchgesehen, wobei die Beziehung zu Vera des öfteren dezent in den Hintergrund tritt. Von den Streitereien, die da, irgendwo zwischen Zusammenbruch der DDR und Angliederung, ausgetragen werden und schließlich zum Ende jener angeblich so existenziellen Liebe führen, erfährt man wenig. Dafür umso mehr über den Erzähler und seine Blick auf die Welt. Lauter kleine Pirouetten drehend, gleitet FX Karl übers Parkett, springt ohne zu stocken von einem Zeitungsartikel, den der Sekretär vorliest, zur gerade laufenden Platte und von da wiederum zur Fernsehserie des Vorabends. Nicht anders der Bericht von einer Ostdeutschland-Reise mit Vera. Der Erzähler und seine Freundin gelangen vom KZ Buchenwald ins Goethe-Haus in Weimar (und finden dort sympathischerweise weniger abgedroschene Worte zum Verhältnis NS-Klassik als die alte Feuilleton-Leier von den "deutschen Extrempolen Hitler und Goethe"), geraten in eine bizarre DDR-Tanzveranstaltung und begeben sich schließlich auf Sightseeing ins sächsische Karl-Marx-Stadt, das schon bald nicht mehr Karl-Marx-Stadt heißen darf.
Das Lustige an diesen eher ereignisarmen Bewegungen ist, dass man FX Karls Ich-Erzähler wirklich gerne zuhört. Zwei Erkenntnisse. Erstens: ein ziemlich deutsches Buch - reflexiv, bildungsbeflissen, "wir sind eine verdammte Behörde" - kann schön anti-deutsch sein, soll heißen: den Normalzustand auf sehr unaufdringliche Weise ins richtige Licht setzen; und zweitens: München ist gar nicht so Scheiße, wie Lederhosen-Laptop-Filmfuzzis einen immer glauben lassen, zumindest gibt es auch da Leute, die auf Jimi Hendrix abfahren, einen Bardot-Film zu beurteilen wissen und mit geschultem kulturpessimistischen Blick durchs Leben wandeln. Der Ich-Erzähler, oder in dem Fall kann man wohl auch FX Karl sagen, ist ein beneidenswerter Durchblicker mit Kenntnissen sogar in biologischen Fragen (Stichwort: fehlendes Erinnerungsvermögen der amerikanischen Wasp-Wespe), der sich trotzdem nicht als Klugscheißer geriert. Ein bisschen wie Meinecke, nur nicht so wichtig.
Zur Liebesgeschichte mit Vera, die irgendwie dann doch Klammer des Buches ist, kehrt man trotz aller Exkurse gegen Ende zurück. Vera, die Schreckliche, schlägt ihrem Ex einen Waffenhandel vor, und der Ich-Erzähler, hörig wie er ist, lässt sich darauf ein. Bei so manchem Popliteraten wäre eine derartige Episode zur Möchtegern-Räuberpistole verkommen. Welcher erlebnisarme Salon-Poet träumt nicht von kleinkrimineller Provenienz? Doch bei FX Karl bleibt auch diese finale Station der Beziehung so bedeutungslos wie glaubwürdig. Bei der abziehenden Sowjetarmee kauft das Ex-Pärchen zwei Kisten Pistolen, die man hinterher nicht los wird und die beim Erzähler im Kofferraum landen, und schließlich wird ein imaginierter, also unfulminanter Schlusspunkt gewählt. Der Ich-Erzähler berichtet auf knappen zwei Seiten von der Star Trek-mäßigen Abrechnung mit "Vera Bitch": "Vera ist eine Lebensform mit einem blauen Lederminirock und einem goldenen Adidas-Fußball-Shirt. Ich gehe an der Lebensform vorbei und sehe mich um. Die Lebensform kommt hinterher und fragt mit Recht, was das Ganze bedeuten soll." Die Kugel aus der Armeepistole hinterlässt nur ein kleines Einschussloch, der Ich-Erzähler hat seinen Seelenfrieden wieder. Damit ist der Erinnerungswaschgang, programmatisch "Memomat", abgeschlossen. Der Roman endet, wie es sich für einen guten Haushalt gehört: in der Küche. "Ich ... öffne die Kühlschranktür, nehme einen Saft, schließe die Tür und bleibe stehen, lausche und warte, bis das Brummen des Kühlschranks wieder zu hören ist."
Hinzuzufügen wäre vielleicht noch, dass "Memomat" nicht nur das Debüt FX Karls, sondern auch des herausgebenden blumenbar Verlags ist. Der Münchner Club, in dem seit vielen Jahren Lesungen stattfinden und Platten aufgelegt werden, versucht sich jetzt als Literaturproduktion. Man kann den Münchnern nur Glück wünschen. Memomat, weiterspülen.
FX Karl: "Memomat" (Roman), blumenbar Verlag
www.blumenbar.de
Raul Zelik