Die Verlängerung des Krieges

Neue Bücher zu den neuen Kriegen der Gegenwart

Im Wissenschaftsbetrieb geht es manchmal auch nicht anders zu als im Feuilleton: Derjenige, der einen Trend als erster ausmacht, darf ihn für sich beanspruchen. Leider jedoch werden bei der Bemühung, Trends zu entdecken, des öfteren Phänomene zusammengefasst, die nicht ganz zueinander passen. Oder es werden Entwicklungen ausgemacht, die sich zum Zeitpunkt der Veröffentlichung schon wieder ganz anders darstellen. So ähnlich verhält es sich auch mit der Debatte um die Neuen Kriege und den dazu in den vergangenen Monaten erschienenen Veröffentlichungen.

Das in diesem Zusammenhang wohl meist beachtete Buch dürfte Herfried Münklers Die neuen Kriege sein, das mittlerweile auch über die Bundeszentrale für Politische Bildung erhältlich ist. Der an der Humboldt-Universität zu Berlin lehrende Münkler richtet seinen Blick unter anderem gen Süden und stellt die These auf, es drohe in der Welt eine Rückkehr zu nicht länger »staatlich eingehegten« Kriegsformen, wie sie in Mitteleuropa Ende des 17. Jahrhunderts verschwunden seien. Diese Art Kriege zeichne sich durch geringe Kosten, niedrige Verluste unter den Soldaten (dafür umso höhere in der Zivilbevölkerung) und eine starke Verbindung von Raubökonomie und militärischem Handeln aus. Ähnlich wie bei den Landsknechts- und Söldnertruppen des europäischen Mittelalters sei auch für die modernen Warlords der Krieg zur ökonomischen Existenzweise geworden und dauere deshalb immer länger an. Die bewaffneten Konflikte endeten erst dann, wenn das betroffene Land in jeder Hinsicht ausgeblutet sei.

So weit ist das einleuchtend und wird von Münkler auch anschaulich mit Kapiteln zu den italienischen Condottieri und zum Dreißigjährigen Krieg historisch eingeordnet. Die Probleme fangen an, wo Münkler diesen Kriegen einen zivilisierten, »staatlichen eingehegten« Krieg entgegen setzt. Eine solche Gegenüberstellung ist in vieler Hinsicht problematisch: Beweisen die beiden Weltkriege nicht hinlänglich, dass es gerade im modernen Europa zur größten Grausamkeit gegenüber der Zivilbevölkerung und zur geringsten »Einhegung« gekommen ist? Kann man die Verstaatlichung des Kriegsregimes im Europa des 18. und 19. Jahrhunderts verstehen, ohne die »entgrenzten« Unterwerfungs-, Raub- und Plünderungsfeldzüge der europäischen Kolonialmächte im Süden zu berücksichtigen? Und: Mangelt es den Freischärler-Verbänden in Afghanistan und Angola tatsächlich an internationaler staatlicher Regulation, wenn man daran denkt, dass sie im Wesentlichen von internationalen Geheimdiensten aufgebaut wurden?

Münkler stellt sich solche Fragen nicht. Überhaupt wirkt vieles an seiner Arbeit zwar anschaulich, aber seltsam oberflächlich. Leichtfertig werden die afrikanischen Bürgerkriegsländer von Sierra Leone und Kongo bis Angola über einen Kamm geschert, was umso zweifelhafter scheint, als Münkler, möglicherweise aus Ermangelung eigener Recherchereisen, häufig auf zweifelhafte journalistische Überflieger wie Peter Scholl-Latour als Quelle zurückgreift. Damit bleibt die Kernthese von den schwachen Staaten, um die sich bei Münkler so viele andere Argumente gruppieren, letztlich unbelegt. Anne Jung, Angola-Spezialistin von Medico International, verwies auf dem Symposium »Krieg.Stadt.Ökonomie« in Berlin unlängst darauf, dass sich der angolanische Staat ihrer Einschätzung nach keineswegs handlungsunfähig darstelle. Die Staatsführung sei durchaus in der Lage, Zehntausende von Menschen umzusiedeln. Die Regierung (und die protostaatliche Gegenseite) mäßen der Versorgung der Bevölkerung einfach keine Bedeutung zu. Das jedoch habe nichts mit dem Verlust von Staatlichkeit, sondern mit veränderten Prioritäten des Staates zu tun.

Unsauber recherchiert sind auch Münklers Darlegungen zur Ökonomie der Neuen Kriege. Der Drogenhandel, der als Einkommensquelle unter anderem in den Konflikten Afghanistans und Kolumbiens eine Schlüsselrolle spielt, wird von ihm als ein ökonomischer Motor des Warlord-Systems interpretiert. Doch gerade der kolumbianische Fall zeigt bei genauerer Betrachtung letztlich etwas ganz anderes. Dort sind die Verbindungen zwischen Drogenhandel, staatlicher Militärstrategie und Geheimdienstpraxis so eng, dass man mittlerweile von einer Neuauflage der im Iran-Contra-Skandal bekannt gewordenen Praxis ausgehen muss. Mitte der achtziger Jahre tolerierte die US-Administration den Kokainhandel, um am Senat vorbei die nicaraguanische Contra zu finanzieren. Ähnlich der kolumbianische Paramilitarismus heute: Er agiert wie eine verlängerte, ausgelagerte Armeestruktur, wird von Großunternehmen unterstützt, finanziert sich weitgehend über den Kokainhandel und hat in den vergangenen 20 Jahren immer wieder direkt mit US-Behörden kooperiert. Es gibt also schwerwiegende Argumente dafür, dass es sich bei den »entgrenzten« neuen Kriegen in Wirklichkeiten um hybride Formen handelt, in denen sich Normal- und Ausnahmezustand, private und staatliche Formen, Raubökonomien und internationale Entwicklungsprogramme auf überraschende Weise ergänzen.

Schließlich macht Münkler auch den internationalisierten Terrorismus als Bestandteil der Neuen Kriege aus. Hier bleibt die wissenschaftlich gebotene Skepsis endgültig auf der Strecke. Man muss die kindischen Verschwörungstheorien von Matthias Bröckers oder Andreas von Bülow nicht teilen, wenn man zur Zeit herumgeisternden Informationen zum al Qaida-Netzwerk misstraut. Tatsächlich stammt ja fast das gesamte zirkulierende Wissen zu Al Qaida auf Quellen einer Regierung, die offen zugibt, ein Büro für Desinformation zu unterhalten. Bei den Anthrax-Anschlägen, die Münkler im gleichen Atemzug mit dem 11. September nennt, muss mittlerweile davon ausgegangen werden, dass sie von Leuten mit Zugang zum US-Biowaffenprogramm verübt wurden. Wie jedoch will man ernsthaft über Zielsetzungen und Strategien von Gruppen reden, von denen man letztlich nicht einmal weiß, welche Aktionen sie bisher verübt haben? Wer seriös über den 11. September sprechen will, kann im Moment eigentlich nur die verschiedenen Lesarten des Anschlags und den ideologisch-religiösen Gehalt der aufgerufenen Assoziationsketten diskutieren, nicht aber über die Intentionen einer Organisation, deren Verantwortung für die Aktion nach wie vor, zumindest der Öffentlichkeit, nicht bewiesen wurde.

Dass die Sehnsucht nach dem Staat groß ist, lässt sich aber nicht nur bei Münkler beobachten. Auf sehr viel niedrigerem Niveau stößt der Chefredakteur der Le Monde Diplomatique Ignacio Ramonet mit Kriege des 21. Jahrhunderts in ein ähnliches Horn. Über das Buch, das offensichtlich als Argumentationshilfe für Globalisierungskritiker und solche, die es werden wollen, geschrieben ist, muss man nicht viele Worte verlieren. Ramonet, dessen unbestrittenes Verdienst darin besteht, standhaft auf die Untragbarkeit der Verhältnisse hinzuweisen und sich dabei dem berufsüblichen Zynismus der Journalisten zu verweigern, versammelt in dem Buch zahlreiche mehr oder weniger nützliche Einzelinformationen über den Zustand der Welt. Von Reichtumsverteilung über IWF-Politik bis zum Palästina-Konflikt werden alle Fragen angeschnitten. Die Düsenjets auf dem Cover wirken da fast schon programmatisch: in Schallgeschwindigkeit einmal um den Globus.

Bleibt als positives Gegenbeispiel Tom Holerts und Mark Terkessidis´ Studie Entsichert. Die beiden dem Cultural Studies-Ansatz verbundenen Autoren sind zwar auch nicht davor gefeit, unterschiedliche Phänomene zur weltumspannenden Entwicklung zusammenzufassen. So behaupten sie, es gebe eine Massenkulturalisierung des Militärischen, die sich von modischem Camouflage-Outfit und Körperkult hierzulande über das Hollywood-Kino bis hin zur Selbstwahrnehmung der Bürgerkriegskämpfer in Afghanistan manifestiere. (Der Military-Händler bei mir um die Ecke hat sein Schaufenster zurzeit mit selbstgemachten »Krieg ist doof«-Plakaten vollgepflastert - so viel zum militaristischen Gehalt der Camouflage-Mode.) Doch von dieser Verkürzung einmal abgesehen kann man sich mit Holert/Terkessidis auf interessante Beobachtungsfahrt durch das Alltägliche begeben. Sie zeichnen nach, wie sich die Wahrnehmung des Soldatischen im Kino gerade durch einen vermeintlichen Antikriegsfilm wie Apocalypse Now verändern konnte und Subkulturen mit dem Militärischen ausgesöhnt wurden. Sie beschreiben, wie sich Jungunternehmer und Rucksacktouristen als dem Kino entstiegene Einzelkämpfer imaginieren, wie sich also die Selbstwahrnehmung im Neoliberalismus mit soldatischen Motiven auflädt. Und wie der Krieg auf dem Balkan sowohl in Jugoslawien als auch in Deutschland die Realitäten verschoben hat. Hierzulande wurden der linksliberale Antimilitarismus weitgehend zerschlagen, in Serbien sind kriminelle, subkulturelle und paramilitärische Milieus miteinander verschmolzen. Dass Holert / Terkessidis Erzähl- und Analysestrukturen verbinden, macht das Ganze in der Form ansprechend, und politisch bedeutsam für die Antikriegsbewegung ist ihr Buch auch. Letztlich werfen die Autoren nämlich die zentrale Frage auf, wie Krieg und Normalzustand aneinander gekoppelt sind. Oder wie es bei Foucault heißt: »Politik als Verlängerung des Krieges.«

Herfried Münkler: Die neuen Kriege. Rowohlt, Reinbek 2002, 284, 19,90 EUR Ignacio Ramonet: Kriege des 21. Jahrhunderts. Die Welt vor neuen Bedrohungen. Rotpunkt, Zürich 2002, 217 S., 19,80 EUR Tom Holert / Mark Terkessidis: Entsichert. Krieg als Massenkultur im 21. Jahrhundert. Kiepenheuer&Witsch, Köln 2002, 287 S., 9,90 EUR

http://www.freitag.de/2003/15/03151501.php

Kultur | Sehnsucht nach dem Staat | 04.04.2003 | Raul Zelik

 

 

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Kopfbild Freddy Sanchez Caballero / Kolumbien