Berlin: Bodendienstarbeiter stimmen mehrheitlich gegen Verdi-Tarifabschluss

Von Verena Nees
8. April 2017

56,8 Prozent der Bodendienstbeschäftigten an den beiden Berliner Flughäfen Tegel und Schönefeld haben den Tarifabschluss der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi in der Urabstimmung abgelehnt. Am Freitag wurde das Ergebnis bekannt gegeben. Da nur Gewerkschaftsmitglieder abstimmen durften, drückt das Ergebnis die massive Ablehnung durch die Beschäftigten nur verzerrt aus.

Nach den undemokratischen Regeln der DGB-Gewerkschaften ist zwar eine Zustimmung von 75 Prozent für einen Streik erforderlich, aber nur von 25 Prozent, um einen Arbeitskampf zu beenden und das Tarifergebnis anzunehmen. Trotz der großen Opposition tritt damit nun ein Tarifvertrag in Kraft, der für die meisten der 2000 Beschäftigten der Bodendienste Niedriglöhne und zugleich drei Jahre Streikverzicht festschreibt.

Mitte März hatten Gepäckabfertiger, Vorfeldarbeiter, Check-in- und Boarding-Personal mit großer Entschlossenheit drei Tage lang gestreikt und die beiden Berliner Flughäfen weitgehend lahmgelegt, um gegen Billiglöhne zu kämpfen. Viele Beschäftigte, darunter Leiharbeiter, die nicht Mitglied bei Verdi sind, haben sich am Streik beteiligt. Fast 99 Prozent der Gewerkschaftsmitglieder hatten Ende Februar für einen unbefristeten Ausstand gestimmt.

Aber Verdi brach am dritten Tag, dem 14. März, den Streik ab und führte geheime Verhandlungen mit einem „Vermittler“, dem ehemaligen SPD-Innensenator der rot-roten Regierungskoalition Ehrhart Körting. Ausgerechnet dieser SPD-Politiker hatte gemeinsam mit dem damaligen Wirtschaftssenator der Linkspartei, Harald Wolf, die Privatisierung der Berliner Bodendienste im Jahr 2008 durchgesetzt. Schon damals hatte Verdi an den Flughäfen auf das Engste mit der rot-roten Regierung zusammengearbeitet.

Als Ergebnis gibt es nun fünf private Unternehmen an den beiden Flughäfen, die unter üblen Ausbeutungsbedingungen die Bodenverkehrsdienste betreiben. Die größte darunter ist die vom SPD-Funktionär Claus Wisser gegründete WISAG mit ihren Tochter- und Subunternehmen. Ein großer Teil der Beschäftigten arbeiten in Teilzeit, mit befristeten Verträgen oder als Leiharbeiter und müssen die massiv gestiegenen Passagierzahlen in Berlin unter mörderischer Arbeitshetze und mit absoluten Niedriglöhnen bewältigen.

Selbst Verdi-Sekretär Enrico Rümker gibt in der Pressemitteilung zum Tarifabschluss zu: „Seit der Privatisierung der Globeground im Jahr 2008 ist das Lohnniveau bei Neueinstellungen bei den Berliner Bodenverkehrsdienstleistern um rund 30 Prozent gefallen und gleichzeitig die Arbeitsbelastung enorm gestiegen.“ Er vergaß hinzuzufügen, dass diese Entwicklung von Verdi mitorganisiert wurde.

Der jetzige Tarifabschluss schreibt die Niedriglöhne für die kommenden Jahre fest. Das schwer zu durchschauende Zahlenwerk des neuen Tarifvertrags hat zudem die vereinbarte Lohnerhöhung ungleich verteilt und damit die Arbeiter gespalten. Die Gruppen EG3 und EG5 profitieren mehr als die Gruppe EG4. Auf diese Weise erreichte Verdi, dass einige Arbeiter mit Ja stimmten, auch wenn sie kritisch zu Verdi stehen.

Besonders wütend haben sich Arbeiter während der Urabstimmung über die lange Laufzeit des Vertrags geäußert, die erst im März 2020 endet. Bis dahin gilt die sogenannte Friedenspflicht, das heißt Streikverzicht. Dies werde „kritisiert“, räumte auch Verhandlungsleiter Enrico Rümker am Freitag ein.

Der Tarifabschluss zeigt die ganze Verachtung der Gewerkschaft für die am schlechtesten bezahlten Arbeiter, die von solchen Löhnen auch in den kommenden Jahren kaum den Lebensunterhalt ihrer Familien bestreiten können.

Es ist wichtig, sich die Rolle, die Verdi im Kampf der Flughafenarbeiter gespielt hat, noch einmal zu durchdenken: Seit Ende letzten Jahres hat Verdi für die Bodendienste an den Flughäfen Berlin, Frankfurt, Hamburg, Stuttgart, München, Köln/Bonn, Leipzig/Halle, Dresden und Düsseldorf Tarifverhandlungen geführt und einen einheitlichen Branchentarifvertrag für alle Beschäftigten mit Lohnerhöhungen zwischen einem und zwei Euro pro Stunde gefordert.

Im Februar dieses Jahres fanden auf zahlreichen Flughäfen Warnstreiks statt, die die große Kampfbereitschaft der Arbeiter zum Ausdruck brachten, darunter in Hamburg, in Stuttgart und besonders massiv in Berlin. Auf den gewerkschaftlichen Flugblättern hieß es, die Arbeitgeber müssten „beim Gehalt und den Arbeitsbedingungen stark nachbessern“.

Dann schloss Verdi jedoch an einem Flughafen nach dem andern einzelne Haustarife mit mehrjährigen Laufzeiten ab, bevor es zum Streik kam: In Köln, Hamburg, Düsseldorf und Stuttgart. Jedes Mal ließ Verdi verlauten, man habe in letzter Minute Streiks abwenden können. Die Forderung nach einem einheitlichen Branchentarifvertrag löste sich in Luft auf, und die Berliner Beschäftigten wurden isoliert. Enrico Rümker rechtfertigte dies am 13. März gegenüber WSWS mit dem Argument, bei so guten Abschlüssen könne man „keinem erklären, warum man dort in einen Streik treten soll“.

Rümker gehört zu der Sorte Gewerkschafter, die erst ein bisschen Kritik am Gewerkschaftsvorstand andeuten, nur um dann umso effektiver die Vorstandslinie durchzusetzen. Am Morgen des 14. März verbreitete er noch vor demonstrierenden Arbeitern in Tegel und Schönefeld Kampfparolen per Megaphon. Mittags verkündete er „eine Streikpause“, obwohl die Arbeitgeber kein neues Angebot vorgelegt hatten. Dies würde den Kampf „für unsere Sache“ jedoch nicht beenden, fügte er angesichts der Überraschung der Arbeiter hinzu.

In Wirklichkeit wollte Verdi von Anfang an verhindern, dass ein bundesweiter und umfassender Arbeitskampf zustande kommt. Die Warnstreiks und auch die Streiktage in Berlin, die Verdi aufgrund der besonders hohen Kampfbereitschaft organisieren musste, waren als Ventil gedacht, um Dampf abzulassen. Die markigen Sprüche von Enrico Rümker und die schnell herbeizitierten Solidaritätsdelegationen aus anderen Städten sollten den Arbeitern Sand in die Augen streuen.

Verdi hat, wie auch andere Gewerkschaften hierzulande und in allen anderen Ländern, längst die Seiten gewechselt. Sie sind ebenso wie Arbeitgeber und Regierung daran interessiert, sogenannte Planungssicherheit an den „eigenen“ deutschen Luftverkehrsstandorten zu schaffen, um im verschärften internationalen Konkurrenzkampf eine bessere Position zu erreichen. Im Zentrum der Tarifabschlüsse stehen daher die mehrjährigen Verträge, die die Arbeiter knebeln sollen.

Entsprechend erleichtert reagierten auch die Luftfahrt-Chefs. Air-Berlin-Chef Winkelmann erklärte kurz nach der Einigung gegenüber stern tv, ein stabiler und reibungsarmer Luftverkehr sei von zentraler Bedeutung für die deutsche Hauptstadt Berlin. „Airlines, die Mitarbeiter der Bodenverkehrsdienste und die Berliner Wirtschaft haben nun Planungssicherheit für die nächsten drei Jahre.“

Im April 2016 hatte eine bundesweite Verdi-Betriebsrätekonferenz in Berlin, an der auch Regierungsvertreter und Manager der Luftkonzerne teilnahmen, diese nationalistische und prokapitalistische Position auf den Punkt gebracht. In der Pressemitteilung betonten die Betriebsräte: „Wir wollen uns erfolgreich dem Wettbewerb im internationalen Luftverkehrsmarkt stellen“. Weiter appellierten sie an die Bundesregierung, sie solle die Zusicherung aus ihrem Koalitionsvertrag umsetzen: „Stärkung des Luftverkehrsstandorts Deutschland und Erhalt seiner Wettbewerbsfähigkeit.“

Für die Mitarbeit Verdis bei dieser Zielsetzung werden ihre Funktionäre mit gutbezahlten Aufsichtsratsposten belohnt. Im neuen Aufsichtsrat der Flughafen Berlin Brandenburg GmbH, der nach Amtsantritt der rot-rot-grünen Senatskoalition am 8. Februar neu konstituiert wurde, sitzt neben Betriebsräten und anderen Gewerkschaftssekretären wie Holger Rößler und Jens Gröger auch der Enrico Rümker. Gewerkschaftssekretär Rößler, der bereits seit langem Aufsichtsmitglied ist, wurde zum stellvertretenden Aufsichtsratsvorsitzenden gewählt.

Die mehrheitliche Abstimmung gegen den Tarifabschluss ist ein erster Schritt, um sich aus dem Korsett der Gewerkschaftsbürokratie zu befreien, die immer offener als Gegner der Arbeiter auftritt, Der Grund für ihr Verhalten liegt nicht nur in persönlichem Karrieredenken und Korruptheit. Verdi ist mit tausend Fäden an die Vorstandsgremien der Unternehmen und der Regierung gebunden. Sie war in die Privatisierung von Globeground durch SPD und Linkspartei einbezogen und ist für die Verschlechterung der Löhne und Arbeitsbedingungen bei den Bodendiensten mitverantwortlich.

In der heutigen scharfen Wirtschaftskrise, die wieder Nationalismus, Handelskrieg und Kriege auf die Tagesordnung setzt, verteidigen Verdi und alle Gewerkschaften die nationalen kapitalistischen Interessen bis hin zur Unterstützung von Militarismus und Krieg. Den wachsenden Widerstand in den Betrieben, nicht nur an den Flughäfen, sieht die Gewerkschaft genauso wie die Unternehmensspitzen und Regierungsvertreter mit Sorge und wachsender Feindschaft.

Die Lebensbedingungen der Arbeiterklasse sind dagegen von einer globalen Zusammenarbeit abhängig. Ihre wirklichen Verbündeten sind die Arbeiter der anderen Länder, die mit den gleichen Problemen und Verrätereien ihrer alten Gewerkschaften zu kämpfen haben.

Als Schlussfolgerung aus dem abgewürgten Streik an den Berliner Flughäfen müssen die Beschäftigten sich unabhängig von der Gewerkschaft organisieren und mit Arbeitern an allen Standorten national und international einen gemeinsamen Kampf organisieren. Dafür treten die WSWS und die Sozialistische Gleichheitspartei ein.