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Matthew (Brender) Broberg  Headshot

Warum ich nach der Hochzeit den Namen meiner Frau angenommen habe

Veröffentlicht: Aktualisiert:
HOCHZEIT
Geneoh Photography
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Meine Frau und ich heirateten am 29. Mai 2016 und seit diesem Tag trage ich ihren Nachnamen.

Die Entscheidung zog sich über einen Zeitraum von mehreren Monaten hin und erforderte viele, viele Diskussionen. Ich teile meine Geschichte hier mit euch, damit ihr nachvollziehen könnt, wie ich mich während dieses Prozesses gefühlt habe. Denn ich bin sicher, dass gerade viele Männer genauso Angst vor diesem Schritt haben wie ich.

Die Geschichte in Kurzform:

Die gekürzte Erklärung, warum ich das getan habe, lautet wie folgt:

  • Sie wollte ihren Namen - Broberg - auf keinen Fall aufgeben.
  • Ich hatte den starken Wunsch, dass alle in unserer Familie denselben Namen haben.

Das ist es. Ich legte meinen Namen ab und nahm ihren an.

Die Geschichte in Langform:

Manche Lebensentscheidungen sind einfach. Diese war es nicht. Die lange Version der Geschichte dreht sich um den komplizierten Prozess der Angleichung meiner Überzeugungen und meiner Verhaltensweisen.

Meine Überzeugungen

Ich glaube an die Symbolik einer Familiengemeinschaft - mit gängigen Namen ohne Doppeldeutigkeit. Die Smiths. Die Jones. Die Familie Williams. Diese Einfachheit ist tröstlich für mich: eine alte Tradition, die Familienzusammenhalt bescheinigt. Ich mag das.

Ich glaube auch an die Prinzipien, die ich vom Judentum über die Familie gelernt habe. Ich bin das Kind zweier jüdischer Eltern und wurde auch teils in diesem Sinne erzogen.

Meine Brit Mila (jüdisches Beschneidungsritual, Anm. d. Red.), Mar Mitzvah, der Seder (häusliche Feier am ersten und zweiten Abend des jüdischen Passahfestes, Anm. d. Red.); ein Versuch, mir den Genuss von Schweinefleisch vorzuenthalten.

Keine dieser Traditionen fand ich besonders toll, aber die größere Idee hinter dem Judentum begeisterte mich: Das Judentum basiert auf einer gemeinsamen Geschichte, die nicht dadurch zerstört werden darf, dass man seinen Namen ändert.

Ich glaube außerdem an die Gleichheit der Geschlechter, feministische Theorien finde ich einleuchtend und wichtig. Von früh auf wurde mir beigebracht, dass Frauen und Männer gleichwertig sind und das prägte mich (meine Mutter war ein New Yorker BH verbrennender Hippie). Meine Überzeugungen in dieser Hinsicht wuchsen während des Studiums.

Besonders beeindruckte mich ein Kurs im College, in dem ich lernte, wie Geschlechter alltägliche Lebenskonzepte beeinflussen. Ich verliebte mich in Simone de Beauvoir und ihre Empathie, die in ihren Texten zum Ausdruck kommt.

Ich bin der Ansicht, dass die Welt stets männliche Sichtweisen fördert. Ich finde, dass die Geschichte sich um die Weltsicht von Männern entspinnt. Deswegen und noch wegen vieler anderer Gründe möchte ich Teil einer Zukunft werden, in der es keinen Unterschied zwischen Geschlechtern mehr gibt.

Doch das alles ist nur der Hintergrund eines akuten Problems. Als meine damals noch-nicht-Ehefrau und ich uns verlobten, sprachen wir über die Namen-Sache. Ich schlug mehrere Optionen vor.

Ganz ehrlich: Wenn unsere Nachnamen hintereinander gestellt nicht wie Scheiße mit Bindestrich klingen würde (Brender-Broberg klingt, als hätte man den Mund voll), hätten wir das gemacht. Doch das kam nicht in Frage.

Was also dann? "Die Brenders" werden, so wie das üblich ist? Sie findet, noch stärker als ich, dass ein Name ein starker Teil der eigenen Identität ist. Ich respektiere das. Ich dachte darüber nach, unkonventionelle Wege zu gehen. Beide einen neutralen Nachnamen annehmen? Nein, das war nicht unser Ding.

Also schlug ich etwas anderes vor: Warum nicht meinen Namen ändern? Was für eine coole Idee!

Uns fielen gleich mehrere Vorteile ein:

  • Es passt zu meinen Überzeugungen (schafft einen Familienzusammenhalt, es widersetzt sich Gender-Normen)
  • Es setzt eine Idee (sie und ich sind gleichgestellt) in die Tat um (beide Namen werden gleich berücksichtigt in der Überlegung)
  • Mir gefällt, dass ihrer noch jüdischer klingt als meiner (ein Extra-Bonus)

Wir waren uns einig. So würden wir es machen.

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Nachdem die Entscheidung gefallen war, verwandelte sich meine Freude allerdings schnell in Angst. Die Erkenntnis traf mich mit aller Wucht: Was gebe ich da nur auf?, fragte ich mich.

Von wem distanziere ich mich, wenn ich das tue? Mein Nachname ist von großer Bedeutung und gleichzeitig eigentlich sehr unwichtig. Bis jetzt bin ich mir in dieser Sache noch immer nicht sicher.

Gut sechs Monate sprachen wir über die Pros und Contras. Meine Sicherheit wurde in dieser Zeit stetig mehr und wieder weniger. Irgendwann verlor ich den Überblick, wie oft sie mich während dieses Prozesses fragte "bist du dir sicher?".

Ich erstellte eine Pro-Contra-Liste nach der anderen. Hier sind einige der wichtigsten Notizen, die ich mir machte:

Contra: Ich habe Angst, dass es meiner Familie weh tut.

Meine Familie war nicht die stärkste Gemeinschaft, der ich in meinem Leben bisher angehört habe, aber es war nichtsdestotrotz ein liebevolles Umfeld. Meine engsten Verwandten bemühen sich sehr, den Kontakt zu halten.

Meine entfernteren Verwandten sehe ich nicht ständig, aber sie sind erreichbar für mich. Als der Hochzeitstag näher rückte, bekam ich Panik. Ich fürchtete, meine Lieben könnten sich verletzt fühlen. Würde sich mein Vater schämen? Würde mein Bruder sich verleugnet fühlen? Würden meine Tanten und Onkel mich noch als Teil der Familie sehen?

Contra: Ich habe Angst, mich in den Stammbaum einer anderen Familie zu drängeln.

Mein Schwiegervater hat zwei Töchter. Ich heiratete die ältere. Ist es anmaßend, ihren Namen als meinen eigenen anzunehmen? Ist das fair ihrer Familie gegenüber?

Contra: Ich habe Angst davor, was im Falle einer Scheidung passiert.

Die Vorstellung, meinen Namen wieder zurückzuändern in Brender, wenn das Schlimmste geschehen sollte, wäre sehr schmerzhaft für mich. Ich wäre nicht der Erste - in meiner Familie gab es schon jede Menge Scheidungen - aber ich wäre der Einzige, der über die ganze Sache einen Blog geschrieben hat.

Pro: Es stimmt mit meinem Glauben an Gleichheit überein

Von außen sehen wir aus wie das klassische Paar, das perfekt den Gender-Klischees entspricht.

Ich erfülle die stereotype Rolle des männlichen Brötchenverdieners, die ich schon immer innehaben wollte. Mein Job hat uns quer durchs Land geführt, weg von ihrer Familie und ihrer Arbeitsstelle, für meine Karriere.

All diese Beobachtungen sind korrekt, aber sie zeigen nicht das ganze Bild. Sie wollte etwas Neues beginnen und das bietet ihr die Stadt, in die wir gezogen sind. Sie wollte ein Haus kaufen, das wir uns mit dem Umzug leisten konnten, mit ihren Ersparnissen und meiner neuen Arbeit.

Bei uns im Haushalt spüle ich das Geschirr ab. Das meiste andere teilen wir uns auf. Außenstehende mögen eine gendertypische Aufteilung beobachten, doch diese Sichtweise spiegelt nicht die Art und Weise wider, wie wir leben.

Aber solche Blicke von Außen, oberflächlich oder nicht, sagen dir etwas darüber, wie du dich verhältst. Meinen Namen zu ändern ist ein deutliches Zeichen, dass ich meine Frau als mir gleichgestellt ansehe.

Pro: Ihr Name klingt jüdischer.

Es ist lustig, das zu sagen, aber es gibt eine Geschichte dazu. Ich bin stolz auf mein jüdisches Erbe und alles, was ich dadurch gelernt habe. Dieses Erbe allerdings ist nicht an meinen Namen gebunden.

Meine Familie hat Nachforschungen angestellt und herausgefunden, dass unser Nachname keine lange Geschichte hat, sondern irgendwann von unseren Vorfahren in die Welt gesetzt wurde, um in einer Zeit des Hasses Verfolgung zu entkommen.

Mein Name entstand irgendwann zwischen den Schützengräben des einen Krieges und den Konzentrationslagern des anderen und es ist ganz egal, dass er nicht ursprünglich unserer Familie gehört. Das Volk, das Erbe und die Geschichte gehören zu mir. Und kein Name der Welt wird das ändern.

Pro: Die Entscheidung passt zu meinem Verständnis von Familie.

In meiner Familie waren Nachnamen nie wichtig. Ich wurde teilweise von meiner Stiefmutter groß gezogen. Wir hatten nicht dasselbe Blut und nicht denselben Namen - sie und mein Vater heirateten erst zehn Jahre, nachdem sie ein Paar geworden waren -, doch sie sorgte so liebevoll für mich als sei sie meine leibliche Mutter.

Meine Mutter hat wieder geheiratet und ist jetzt, da sie einen anderen Namen trägt, nicht weniger meine Mutter als davor. Meine Schwester ist noch immer meine Schwester, auch wenn sie jetzt anders heißt. Gemeinsame Erfahrungen und Ziele halten eine Familie zusammen, nicht Namen.

Klingt das alles inkonsequent? Mag sein. Ich kann es nicht genau erklären, aber ich beobachte, wie eine neue Generation an Menschen entsteht, die eine etwas andere Vorstellung von Familie hat als nur mit denen in Kontakt zu bleiben, die man seit der Geburt kennt. Ihr mögt mir da auch widersprechen.

Zeit zu handeln

Pro, contra, contra, pro. Die Liste ist am Ende nicht so wichtig wie das Gefühl und ich fühlte, dass dieser Weg der richtige für mich ist. Offiziell ist mein Name Matthew Brender Broberg. Das ist meine Geschichte. Eine Geschichte, auf die ich stolz sein kann.

Ich habe meine Online-Aktivitäten langsam umgestellt auf meinen neuen Namen. Meinen Spitznamen "Brender" werde ich nun in einer völlig neuen Weise genießen.

Am Ende geht es bei alldem um einen Abgleich von Überzeugungen und Handlungen. Der Ausdruck "ich glaube" ist mächtig, einflussreich und wichtig. Doch seinem Glauben Taten folgen zu lassen ist noch viel stärker. Und ich hoffe, meine Worte werden andere Männer dazu inspirieren, ihren Namen auch abzulegen.

Mir ist bewusst, dass eine Namensänderung allein noch nicht zur Gleichheit der Geschlechter beiträgt. Er ist ein kleiner Anfang des lebenslangen Ziels, die Gleichheit jeden Tag in die Praxis umzusetzen.

Mir gefällt auch, was andere darüber wohl denken. Ich stelle mir eine Zukunft vor, in der ich als Chef eines Technologieunternehmens "richtig durchstarte", lächerlich große Mengen an Geld verdiene und hunderte wenn nicht tausende Mitarbeiter unter mir habe. Und all das werde ich mit dem Namen meiner Frau tun.

Der Post erschien zuerst auf Medium.com, wurde anschließend auf Huffington Post USA veröffentlicht und von Lea Kosch aus dem Englischen übersetzt.

Hier könnt ihr Matthew auf Twitter und GitHub folgen.

(mm)