Zehnter Prozesstag im Verfahren gegen antifaschistische Ultras
Am Dienstag, den 12.04.2016, wurde die Untersuchung des Tatkomplexes âGewaltsame Auseinandersetzungen rivalisierender FuĂballfans auf einer Hamburger S-Bahnstationâ vorgenommen. ZunĂ€chst wurde ĂŒber den Befangenheitsantrags gegen das Gericht entschieden, den die Verteidigung am letzten Prozesstag eingebracht hatte.
Das Gericht sieht sich nicht befangen
Verteidiger SĂŒrig hatte zuletzt am neunten Prozesstag einen Befangenheitsantrag gegen die prozessbeteiligten Richter_innen gestellt. Der Antrag wurde nun als âunbegrĂŒndetâ von der Kammer des Landgerichts zurĂŒckgewiesen. So sei die bisherige Arbeit der Richter_innen weder ârechtsfehlerhaftâ oder von einer âinneren Haltungâ geprĂ€gt, die schon im Vorfeld von einer Schuld der Angeklagten ĂŒberzeugt gewesen sei. Dies solle nach Auffassung des Vorsitzenden auch schon deshalb deutlich geworden sein, da eingerĂ€umt worden war, das Verfahren zum Tatkomplex âKörperverletzung durch Steinwurf gegen Journalisten bei einem NPD Aufmarsch in Rostockâ einzustellen, an einer Schuld des Angeklagten in dieser Sache sei folglich nicht von Anfang an ausgegangen worden. Es könne auch insgesamt nicht behauptet werden, dass es dem Gericht darum gegangen sei, eine âBlamage der Justiz und Polizeiâ abzuwenden. Die Forderung eines biometrischen Gutachtens sei in dem Zusammenhang ebenso zurĂŒckzuweisen. Bei so genannten âGroĂverfahrenâ, sei stets ein âeinfaches und beschleunigtes Verfahrenâ anzustreben. Da biometrische Gutachten zeitaufwendig seien, widerspreche das Festhalten an einem solchen Gutachten diesem Grundsatz.
Stellungnahme AKJ Bremen zur Abweisung des Befangenheitsantrags
Die Kritik die der AKJ Bremen an diesem Verfahren hat wurde bereits in den letzten Berichten von uns dargelegt und bleibt unverĂ€ndert. Der nun ergangene Beschluss der Kammer zeigt erneut keine Einsicht ĂŒber den ursprĂŒnglichen Mangel an dem das gesamte Verfahren krankt. Die zustĂ€ndigen Richter_innen haben nicht erkennen lassen, dass fĂŒr sie insgesamt ein Freispruch fĂŒr die Angeklagten genauso offen bleibt wie eine Verurteilung. Sondern leiten mit der bloĂen vorlĂ€ufigen âEinstellungâ des Anklagepunktes âKörperverletzung durch Steinwurf auf einer NPD Demoâ lediglich ein, dass fĂŒr sie weiterhin die Ăberzeugung besteht, am Ende des Verfahrens eine âerhebliche Strafeâ fĂŒr die Angeklagten zu erwarten; wenn nicht gar anzustreben. Auf eine Einstellung zu bestehen, sichert hier nur das weitere trotzige Verfahren der Justiz ab. Mit Zitaten juristischer KommentarbĂŒchern die Abweisung des Antrags zu rechtfertigen, warum Befangenheit nicht vorliegen könne, hat nichts mit einer konkreten, nachvollziehbaren BegrĂŒndung zu tun, die der Ăffentlichkeit Transparenz darĂŒber verschafft, warum das Gericht nicht befangen sei. Sondern versteckt weiterhin die trotzige Haltung der Justiz hinter oberflĂ€chlichen ErklĂ€rungen darĂŒber, wie die Hausaufgaben der Strafjustiz nach herrschender Auffassung von Rechtswissenschaftler_innen grundsĂ€tzlich auszusehen haben und wie sich die Justiz dahingehend selbst in ihrer bisherigen Mitarbeit darin benotet. Unter anderem BegrĂŒndet sie ihre gute Note damit, dass sie keine Innere Haltung habe, die bereits von einer Schuld der Angeklagten ĂŒberzeugt sei.
Die faktische âinnere Haltungâ der Richter_innen war und ist die Ăberzeugung, mit einer hohen Strafe fĂŒr die Angeklagten zu rechnen. Da liegt der Ursprung der Befangenheit und der Widerspruch, der zu einer vorlĂ€ufigen Einstellung statt zu einem entsprechenden Freispruch fĂŒhrt. Denn worauf stĂŒtzte sie zu Beginn und worauf stĂŒtzt sie weiterhin diese Annahme; nach all dem was bisher objektiv vorliegt. Wie es scheint, allein auf die bloĂen Behauptungen der Staatsanwaltschaft. Und diese Staatsanwaltschaft hatte es im Ermittlungsverfahren mit dilettantisch operierenden Behörden, voreingenommenen Behauptungen und Spekulationen seitens der Polizei zu tun. Sowie mit stark alkoholisierten, neonazistischen oder mit SchĂ€digungabsicht auftretenden Zeug_innen. Folglich einem Haufen zurechtgedrehter Behauptungen und Spekulationen auf dem schlussendlich alles grĂŒndet.
Es ist gerade zu absurd, wenn ein Gericht mit dieser Beweislage und mit Zitaten aus den juristischen Kommentaren beinah alle AntrĂ€ge abschmettert und in ihrer Eitelkeit allein darauf ihre Ablehnung abstellt. Gerade hier mĂŒsste sie ein Interesse haben, den Zweifel der Ăffentlichkeit zu beseitigen, die Beweismittel könnten von Anfang an nicht dem Anklageersuchen der StA genĂŒgt haben, und um Art. 6 EMRK gerecht zu werden, bemĂŒhe das Gericht sich wenigstens nun um ein faires Verfahren. Sich ausgerechnet jetzt auf den Beschleunigungsgrundsatz zu berufen, sowie ernsthaft auf eine metaphysisch hergeleitete, unbefleckte âInnerlichkeitâ der zustĂ€ndigen Richter_innen, zur Frage der eigenen Befangenheit, betoniert eine fortwĂ€hrende Asymmetrie zwischen Staatsanwaltschaft und Verteidigung. FĂŒr âfair und schnellâ ist aus unserer Sicht von Anfang an kein Raum gewesen, dies haben wir oft genug dargelegt und dient aus unserer Sicht dem Gericht inflationĂ€r als billiger ZurĂŒckweisungsgrund fĂŒr alle AntrĂ€ge die eine âBlamage der Justiz und Polizeiâ objektiv belegen könnten.
Wie unwichtig der Polizei und Justiz eine saubere BeweisfĂŒhrung und die Details der angeblichen Taten der Angeklagten von Anfang an war, zeigte sich bspw. an dem Tatmittel ‚BlumenkĂŒbel‘ das nicht vom Tatort ‚Verdener Eck‘ durch die Behörde mitgenommen wurde. Stattdessen legte die Polizei einfach 12 KG Gewicht fĂŒr das Tatmittel fest und damit den Ermittlungen der StA zu Grunde. Das sie sich gar nicht in der Rolle sah, die angebliche BrutalitĂ€t des Angeklagten zu beweisen, demonstriert sich daran, das sie weder Spuren daran sichern lieĂ, noch das tatsĂ€chliche Gewicht von 800 Gramm entlastend feststellte. Es passte den Ermittlern gut ins Bild von einem 12 KG Gegenstand zu sprechen, der angeblich brutal auf einen unbescholtenen FuĂball schauenden BĂŒrger geworfen wurde. Das ein rechter Hooligan mit 800 Gramm leicht getroffen wurde, wĂ€re mangels passender Skandalwirkung fĂŒr dieses kĂŒnstlich hochgeschraubte Verfahren folglich ohne Belang geblieben. Hierin liegt auch das Politikum, von dem sich die Justiz unbedingt frei machen will. Wir weisen daher nochmal daraufhin, dass sich fĂŒr uns das gesamte Verfahren nur politisch und nicht juristisch erklĂ€ren lĂ€sst. Das Urteil war schon lĂ€ngst gefunden, das hatte Innensenator MĂ€urer und die Polizeipressekonferenz damals groĂ angekĂŒndigt. Jetzt braucht es nur noch ein passendes Verfahren dazu.
Wir betrachten das Gericht in der Sache, trotz der entgegengesetzten Feststellung der Kammer, folglich als von Anfang an befangen. Diese Befangenheit zieht sich wie ein nicht auflösbarer Makel durch das gesamte Verfahren und kann nicht mit abstrakten Zitaten aus juristischen Kommentarstellen geheilt werden. Es ist nicht ersichtlich geworden, wieso das biometrische Gutachten nicht in das Verfahren einflieĂen sollte, wenn es die kausale Wirkung entfalten könnte, einen Freispruch zu erreichen. Lediglich darauf abzustellen, dass aufgrund  der âGröĂe des Verfahrensâ dieser Prozess âzu zeitintensivâ wĂŒrde, wenn dem Antrag âbiometisches Gutachtenâ stattgegeben wĂŒrde, ist kein angemessener Grund. Gerade nachdem offenbar viel Zeit darauf verschwendet wurde, beliebig zu den Tatkomplexen herangezogene Polizeibeamte zu vernehmen, die ĂŒberwiegend keine eigenen Wahrnehmungen bezeugen konnten, oder sich hinter ihrer fehlenden Aussagegenehmigung versteckten. Obgleich bspw. ermittelnde Beamte, wie Martin W., eine voreingenommene Ermittlung gefĂŒhrt hatten, die auf dem rechten Auge offenbar blind sein wollte. Dies ist so gravierend, dass dies eine PrĂŒfung fÇr ein eigenes Ermittlungsverfahren nach § 344 StGB gegen diese Beamten schon fĂŒr sich rechtfertigten wĂŒrde. Warum nicht auch gegen den Staatsanwalt in dieser Sache ermittelt wird, erklĂ€rt sich aus dem Selbstschutz-System der Justiz, die ihre eigenen Leute kraft Gesetz nicht auf der Anklagebank sehen will und wenn doch, die HĂŒrden so hoch sind, das WillkĂŒr dieser Organe faktisch unbestraft bleibt.
Mit dieser gegenwĂ€rtigen Form, schablonenhaft unhaltbare Behauptungen oberflĂ€chlich abzuprĂŒfen, eine Entpolitisierung nach AuĂen zu vollziehen, die alles was offenbaren könnte, dass es sich um einen politischen Prozess handelt wegdrĂŒcken soll. Das bekannte Faschisten an dem Grund fĂŒr das gerichtliche Spektakel durch Falschbehauptungen mitgewirkt hatten, wird gĂ€nzlich ausgeklammert. Mit einseitigen Dauerbefragungen etlicher Polizeibeamter mit seltsamen ErinnerungslĂŒcken, konnte die Justiz bislang Monate verbringen und die Angeklagten wirtschaftlich unnötig belasten. FĂŒr ein biometrisches Gutachten oder die Anhörung entlastender Zeug_innen bleibt indes keine Zeit.
Der Staatsanwalt wiederholt dafĂŒr GebetsmĂŒhlenartig, dies alles und was da noch kommen möge, wĂŒrde noch das gewalttĂ€tige, gefĂ€hrliche Verhalten der Angeklagten offenbaren und ihre Schuld objektiv beweisen. Da fragen wir uns, wann dieser Moment nach zehn Verhandlungstagen kommen wird, und ob das gesamte Verfahren allein dem SchlussplĂ€doyer der Staatsanwaltschaft zu dienen hat oder irgendwann noch einmal auch der Wahrheitsfindung. Denn wodurch kann ein gewalttĂ€tiges Bild ĂŒber die Angeklagten skizziert werden, wenn bisher keine Tatbeteiligung an den VorwĂŒrfen bisher zweifelsfrei belegt werden konnte. SchlieĂlich ist es nicht ausreichend das Videomaterial âVerdener Eckâ zur Grundlage dieses Verfahrens zu machen, auf dem sich im letzten Jahr Polizeigewerkschaft, Innensenat und Medien blind stĂŒrzten und nun konsequent zu den Ergebnissen, das es alles nun doch ganz anders gewesen sein könnte, schweigen.
Die jetzigen Erkenntnisse, das nichts zweifelsfrei erkannt wird, wĂ€ren bei sorgfĂ€ltiger PrĂŒfung der Akten bereits vor Anklage ersichtlich geworden und noch vor Anklage wĂ€re die Einstellung mangels ausreichender Beweislage zwingend erfolgt. Ăbrig geblieben wĂ€re die GestĂ€ndigkeit des Angeklagten Valentin S. zu dem Fall ‚Verdener Eck‘ und zwei geringfĂŒgiger Straftaten. Das Amtsgericht wĂ€re in dessen Folge allein ausreichend gewesen, um darĂŒber zu befinden. Das nennen wir echte Prozessökonomie und nicht das verspĂ€tete Abschmettern von Gutachten, AntrĂ€gen und jedweder Kritik in einem gewaltigen Schauprozess auf Landesebene. Als Verantwortliche fĂŒr die GröĂe und den Umfang des Verfahrens, das nun gefĂŒhrt wird, auf ein âbeschleunigtes Verfahrenâ zu pochen, um den AntrĂ€gen der Verteidigung keinen Raum geben zu mĂŒssen, ist schlichtweg grotesk. SchlieĂlich hatte das Gericht selbst unnötig fĂŒr ein langsames und kostenintensives Verfahren gesorgt, in dem sie ungerechtfertigt von einer ĂŒberwiegenden Wahrscheinlichkeit ausgegangen war, dass es zu einer Verurteilung in allen Punkten kommen wĂŒrde.
Der Prozess ist zur Farce verkommen und wir protestieren an der Stelle, da trotz so einer mangelnden Beweislage, dem Festhalten an subjektiven EindrĂŒcken und abstrakten âinneren VorgĂ€ngenâ der Richter, gravierender Verfahrensfehler und Vorverurteilungen wĂ€hrend der Ermittlungen, dennoch stur an einer weitere Fortsetzung eines politischen Schauprozesses festgehalten wird. Ein Prozess, der mit einer zu erwartenden ObjektivitĂ€t einer unbefangenen, freien Justiz und unvoreingenommenen BeweiswĂŒrdigung nichts gemein hat.
Verwertungsverbot zweiter Versuch
So war es folgerichtig, dass der Vertreter des ProzessbevollmĂ€chtigen SĂŒrig, der in Person an diesem Tag verhindert war, einen weiteren Antrag stellte. Der Vertreter beantragte weitere Bremer Beamte als Zeug_innen der Hausdurchsuchung zu vernehmen. GeklĂ€rt werden soll mit diesem Antrag, wie es dazu gekommen sei, dass der Angeklagte exakt zu dem Zeitpunkt gegen sein Willen aus seinen RĂ€umen entfernt und zu einer DNA Entnahme auf einer Polizeistation verbracht wurde, zu dem Knallkörper in seinen RĂ€umen aufgefunden worden sein sollen. So sei die MaĂnahme der Durchsuchung nicht nur zum gleichen Zeitpunkt begonnen worden, sondern ebenfalls zum gleichen Zeitpunkt beendet worden, wie auch die fragliche DNA Untersuchung, so der Vertreter SĂŒrigâs. Es sei wĂ€hrend sich der Beschuldigte noch in den RĂ€umen aufgehalten habe, keine Knallkörper entdeckt worden, aber ausgerechnet zu dem Zeitpunkt der widerrechlichen Entfernung des Beschuldigten aus seiner Wohnung.
Wir verweisen darauf, dass es das Recht eines Beschuldigten ist, der belastenden Hausdurchsuchung als Zeug_in beizuwohnen, sogar ggf. sich Zeug_innen dazu zu holen. Sowie ĂŒber Durchsuchung und Beschlagnahme einen Beleg zu erhalten. Dazu ist es jedoch zwingend erforderlich, dass Staatsanwaltschaft und Polizei nicht daran mirwirken, dieses Recht zu verunmöglichen; solange der Beschuldigte nicht die MaĂnahme als solches durch negative Einwirkung auf die Durchsuchung behindert. Verfahrensfehler bei einer Hausdurchsuchung können allerdings nur grundsĂ€tzlich zum Beweismittelverwertungsverbot fĂŒhren. Nicht jede Hausdurchsuchung ohne Anwesenheit des Beschuldigten fĂŒhrt auch zu einem Vewertungsverbot.
Im Ergebnis seien die vermeintlich sichergestellten Knallkörper als Beweismittel fĂŒr die Verteidigung folglich nicht verwertbar. Ein Freispruch in der Sache werde deshalb gefordert.
Tatkomplex: Gewaltsame Auseinandersetzungen an einer S-Bahn Station in Hamburg
Als erster Zeuge wurde der Beamte Stefan H. geladen. Seine Funktion war es als Bundespolizist und Koordinator des Aktenvorganges die Videodaten ĂŒber den Tatkomplex zu sichern und auszuwerten.
Vor der genaueren Vernehmung bestand Wesemann darauf einen Antrag zu Protokoll zu nehmen, die Befragung des Zeugen abzubrechen. Es sei unzulĂ€ssig den Zeugen zu Ereignissen zu befragen, bei dem der Zeuge nicht selbst anwesend war. Nach einer kurzen Unterbrechung wurde der Antrag durch Beschluss zurĂŒckgewiesen und die Befragung des Zeugen fortgesetzt.
Den Tathergang erlebte der Zeuge nicht unmittelbar selbst, sondern entnahm seine EindrĂŒcke allein den polizeilich gefĂŒhrten Akten und aus gesicherten Videomaterialien. Der Zeuge wurde auch nicht als Gutachter zur Sache befragt. Seine Vernehmung dennoch zuzulassen und zu wĂŒrdigen ist nach unserer Auffassung der StPO fremd.
Der vorsitzende Richter fragte nach dem was sich am Tag der Auseinandersetzung konkret ereignet hat. Der Zeuge schilderte zunĂ€chst die Tatsache, dass an dem Tag das Nordderby Hamburger SV gegen SV Werder Bremen stattgefunden habe. Hier sollen sich traditionell verfeindete FuĂballfans gegenĂŒber stehen und eine ĂŒbliche Lage fĂŒr die Polizei bestehen und die Polizei ĂŒblicherweise massiv aufgestellt sein.
Trotz des massiven Polizeieinsatzes soll es auf der S-Bahnstation âDiepholzâ zu einer Gewaltorgie gekommen sein, bei dem sich duzende Personen gegenseitig geschlagen haben sollen. Dabei sollen Passant_innen, die in der ankommenden S-Bahn reisten, willkĂŒrlich involviert worden sein. Insgesamt sollen ca. 100 Fans sich mit 100 gegnerischen Fans zu dieser SchlĂ€gerei verabredet haben. Wie es aus Sicht des Zeugen ânur fĂŒr FuĂball-Hooligans ĂŒblichâ sei.
Weiter fragte Verteidiger Wesemann, von wem die Informationen gekommen seien. Hierzu antworte der Zeuge, die Informationen seien von dem Beamten M. gekommen. Welcher selbst vor Ort gewesen sein soll. (Der als Zeuge diesem Zeuge im Prozess nachfolgt)
Weiter schilderte der Zeuge: Trotz der teilweise âabgeklebten Kamerasâ im S-Bahn Wagon, soll es Erkenntnisse zugelassen haben, dass die Beteiligten der Auseinandersetzung sich mit Mundschutz und speziellen Handschuhen und Sturmmasken passiv im Wagon bewaffnet hĂ€tten. Die Gruppe der Hamburger_innen sollen zum vorderen Wagen gelaufen sein und die Gruppe der Bremer_innen soll aus dem TĂŒr-Ausgang der Bahn heraus gewirkt haben. Es sei schnell zu einer extremen Auseinandersetzung auf dem Bahnsteig zwischen den Gruppen gekommen. Hierbei seien Flaschen, Stangen (aus Plastik), Pyrotechnnik eingesetzt worden. Die âtumultartigen Szenenâ in der S-Bahn sollen auch unbeteiligte Passant_innen in die Auseinandersetzung hineingezogen haben. So sollen Reisende angebrĂŒllt worden sein, die Bahn zu verlassen. Dies habe der Zeuge alles dem ausgewerteten Videomaterial und Akten entnommen.
Der Vorsitzende hielt dem Zeugen ein Bericht vor, nachdem es auch zu einem Raubdelikt gekommen sein soll. Hierzu erklÀrte der Beamte: Einem Hamburger Fan soll bei der Auseinandersetzung ein Trikot ausgezogen und weggenommen worden sein. Dies brachte der Fan zur Anzeige. Dieses Delikt sei nach Aussage des Beamten von der Gruppe der Bremer_innen ausgegangen.
Verteidiger Wesemann befragte den Zeugen, warum dieser darauf kĂ€me. dass es sich dabei unweigerlich um Bremer Fans gehandelt haben mĂŒsse. Darauf antwortete der Zeuge, dies ergebe sich âeinfach aus dem Gesamtkontextâ. Weiter fragte Wesemann: âAber wieso sollen das konkret Werderfans seinâ. Der Zeuge verwies darauf, dass es schlicht die Erkenntnis der Behörde sei, dass âsehr sehr vieleâ den Bremern zuzuorden waren. So sei es ein âWagon mit Bremern gewesen, wo die drin gesessenâ hĂ€tten. Wesemann entgegnete dem: âSagen Sie bitte, dass sie gar nicht wissen, das es sich um Werder Fans handelteâ.
Zivilbeamter vor Ort in Angst und Schrecken
Der zweite Zeuge, Polizeibeamter Olaf M., der in Hamburg tĂ€tig ist, war am Tag des Geschehens als Zivilfahnder unter der Fangruppe âBremenâ mitgereist, um deren Tun zu beobachten und zur weiteren Koordination des Polizeieinsatzes Informationen an seine Kollegen zu ĂŒbermitteln.
So soll es dem Tag „ungewöhnlich“ gewesen sein, dass diese Fangruppe nicht wie ĂŒblich an so einem Spieltag an einer S-Bahn Station verblieb, um auf einen Bus zu warten, sondern in eine andere S-Bahn Richtung âDiepsteichâ stieg. Er und seine ebenso zivil gekleideten Kollegen hĂ€tten sich aufgrund dieser AuffĂ€lligkeit kurzfristig entschlossen, mit in die selbe S-Bahn zu steigen und seien in letzter Sekunde vor dem TĂŒren schlieĂen zugestiegen. In der Bahn sei nun eine âHorde vermummter Bremerâ gewesen. Gleich danach sei âdas Chaos losgegangenâ. Hierbei seien Flaschen geflogen, Stangen eingesetzt worden und es habe sich eine extreme SchlĂ€gerei entwickelt. Er habe sich rechts an das Treppenhaus des Bahnsteigs geflĂŒchtet. Sogleich habe er sich dann als Polizei zu erkennen gegeben und wollte per Funk die Auseinandersetzung durchgeben. Die âFunke war totâ. Er habe keine Antwort auf seinen Funkversuch erhalten. Weiter will der Beamte beobachtet haben, wie âviele ins Gleisbett gesprungenâ seien. Dort sollen die Personen sich Steine genommen haben. In dieser Situation âhatte ich schon Angstâ, bemerkte der Beamte. Dabei soll er im Schrecken ĂŒber die Stufe der Eskalation, seine mitgefĂŒhrte Schusswaffe den mutmaĂlichen TĂ€ter_innen um sich herum gezeigt haben, um diese von weiteren Taten abzuschrecken und um sich vor möglichen Angriffen zu schĂŒtzen. Als die PolizeikrĂ€fte hinzu kamen, seien die HSV Fans ĂŒber das Gleisbett geflĂŒchtet.
Der Vorsitzende wollte in Erfahrung bringen, ob denn Bremer Fans wieder in die Bahn gestiegen seien. Der Zeuge gab an, das zum Teil dies so gewesen sei. Auf die Frage wie viele es gewesen seien, konnte der Zeuge sich nicht erinnern. Ob denn die Bahn weggefahren sei, konnte der Zeuge nicht sagen. Er glaube, die Bahn sei durch die Polizei auf der Strecke irgendwo festgesetzt worden. Weiter wollte der vorsitzende Richter wissen, ob denn dieses Ereignis ungewöhnlich fĂŒr ein Nordderby gewesen sei. Dies beantwortete der Zeuge mit seiner Rolle als Zivilfahnder: âFĂŒr ein Nordderby nicht, aber fĂŒr mich war das neuâ.
Zu der Frage der Stangen die beide Gruppen wohl bei sich fĂŒhrten, gab der Zeuge an, diese irrtĂŒmlich fĂŒr Metallstangen gehalten zu haben. SpĂ€ter soll ihm klar geworden sein, dass es sich dabei um Plastikstangen handelte, wie sie ĂŒblicherweise auch fĂŒr Fahnen verwendet werden. Ob der Beamte klar zuordnen konnte, ob es sich um Bremer Fans handelte, entgegnete der Zeuge, dies sei ihn teilweise klar gewesen, da einige Schals, Zeichen und Jacken dieser Fangruppe getragen hĂ€tten. Weiter erkannte der Zeuge eine Person die wohl nur in UnterwĂ€sche das Gleis verlassen haben soll. Eine weitere habe Nasenbluten gehabt. Ob Passant_innen in Mitleidenschaft gezogen wurden, konnte der Beamte nicht bestĂ€tigen. Wer denn zuerst die Auseinandersetzung begonnen habe, bezeugte der Beamte, dies sei von den HSV Fans ausgegangen.
Auf die Frage, ob die Steine auch tatsĂ€chlich geworfen wurden, bestĂ€tigte der Beamte, diese seien in seine und in in Richtung seiner Kolleg_innen geworfen worden. Besondere Merkmale seien dem Beamten insgesamt nicht aufgefallen. Solche Beobachtungen will der Beamte auch deswegen nicht gemacht haben, weil dieser erklĂ€rte: âWir mussten auch erstmal unsere eigene Haut rettenâ. Weiter sagte der Beamte: âTrotz dessen, dass ich meine Schusswaffe dabei hatte und zeigte, trotzdem noch so einer Eskalation ausgesetzt zu sein, brachte mich ernsthaft auf den Gedanken diese Schusswaffe auch einzusetzenâ.
Zu der Frage der passiven Bewaffnung der Fangruppen fragte der Verteidiger Wesemann, ob es denn besonders ungewöhnlich sei, wenn Menschen sich im November Handschuhe anzögen. Auch wurde die StabilitĂ€t der Stangen besprochen. So wurde es nicht bestritten, dass die Stangen aus PVC waren und max. 55 mm Umfang hatten. Weiter wurde in Erfahrung gebracht, das die Zivilfahnder sich bereits um 10 Uhr Morgens auf dem zu erwartenden Einsatzort Poptown/Stresemannstr. befanden. Erst gegen 12.15 Uhr hĂ€tten sich ca. 80 – 100 Personen dort vor dem Fanhaus versammelt, die im spĂ€teren Verlauf sich als Gruppe Richtung Bahnsteig âDiepholzâ bewegt haben soll.
Viele Bilder nichts AussagekrÀftiges
Nachfolgend wurden Lichtbilder und Videomaterial zur Augenscheinnahme eingebracht. Auf den Bildern und Videos sind Sequenzen zu sehen, die sich vor dem Tunnel zum Gleis der S-Bahn âStellingenâ abspielten und durch die Polizei vor Ort aufgezeichnet worden war. Sowie Videos aus der Bahn und auf dem Gleis. Das erste Video zeigt zwei Gruppen, die durch Polizei voneinander abgegrenzt werden. Die eine Gruppe ist durch ihre Trikos und Schals eindeutig als Hamburger SV Fans zu erkennen. Dies belegt auch deren Rufe. Die andere Gruppe die aus dem S-Bahn Tunnel mit Spalier der Polizei an den Hamburger_innen vorbeigefĂŒhrt wird, ist nicht klar als Bremer Fangruppe zuzuordnen. Diese sind ĂŒberwiegend dunkel gekleidet und haben keine offensichtlichen Embleme eines Vereins. Beim Vorbeilaufen skandieren die HSV Fans unter anderem der Gruppe der Bremer hinterher: âBremer, Bremer Hurensöhneâ, âScheiĂ Werder Bremenâ, âEins kann uns keiner nehmen und das ist der pure Hass auf Bremenâ.
Nach diesen vorhersehbaren Provokationen rivalisierender Fanblocks kommt es kurz zu kleinen Rangeleien vereinzelter Personen, die durch die anwesenden BFE vor irgendwelcher nennenswerter strafbaren Handlungen abgehalten wird. Der Block der als Bremer_innen abgegrenzt wurde, bewegt sich geschlossen in Richtung eines UnterfĂŒhrungstunnels, weg von dem HSV Block. Im weiteren Verlauf des Videos bleibt es friedlich, es werden Fanparolen skandiert und Choreographien mit positiven Bezug auf den Verein âSV Werder Bremenâ. Beim Anhalten des Fanblocks durch die Polizei in diesem Tunnel, wurden durch die Beamten manche Personen mit Nahaufnahme aufgezeichnet. Nach einigen Minuten kann der Zug weiter laufen und das Video endet. Die Angeklagten sind fĂŒr Prozessbeobachter_innen aus der Entfernung zwischen Zuschauerbank und Richterpult, in einem Gerichtssaal so groĂ wie eine Schwimmhalle, auf dem Video insgesamt nicht zu erkennen.
Es ist fraglich inwieweit der Sinn und Zweck des Ăffentlichkeitsgrundsatzes gewahrt ist, wenn es der Ăffentlichkeit nicht möglich ist genauso Einblick in Video und Fotomaterial zu erhalten, die fĂŒr ein Urteil von Bedeutung sind, wie es den Prozessparteien selbstverstĂ€ndlich ist.
Nach Augenscheinnahe diese Videos beantragt Verteidiger Wesemann festzuhalten, dass auf dem Video keine einzige Person von ihm erkannt worden sei. Der StA widersprach dem Ersuchen und behauptete Valentin S. erkannt zu haben. Wesemann verlangte ein Protokoll darĂŒber, was der vorsitzende Richter auf dem Video gesehen habe. Darauf antworte der betreffende Richter: âSowas machen wir nicht!â:
Das zweite Video wurde in Augenschein genommen. Dieses soll die Szenen auf und um dem S-Bahnsteig zeigen und die Beteiligung des Angeklagten Wesley S.
Das erste Video zeigt die Ăberwachungskamera zum Treppenaufgang S-Bahn Station. Zu erkennen ist eine groĂe Gruppe die zunĂ€chst in Ruhe die Treppe hinauf geht und wenige Zeit spĂ€ter vereinzelt Personen wieder die Treppe herunter rennen. Der StA will dabei den Angeklagten Wesley S. erkannt haben. Der Vorsitzende wies die ErklĂ€rung zurĂŒck. Dieser sei in dieser Sache gar nicht angeklagt. Der StA dazu: âAber das ist in dem Zusammenhang vielleicht wichtig!â. âDies braucht aber in dem Zusammenhang nicht geklĂ€rt werdenâ, so der Richter ablehnend.
Auf dem weiteren Videos sind aus verschiedenen Perspektiven eine mittelgroĂe Gruppe nahe der Kamera zu sehen. Davon ein Teil vermummt und sichtlich aufgeregt. Dann fĂ€hrt die S-Bahn ein und es rennt diese Gruppe auf die EingĂ€nge die stehende S-Bahn zu. Einer öffnet eine TĂŒr. Kurz darauf beginnen verschiedene körperliche Auseinandersetzungen zwischen zwei Gruppierungen im und vor der Bahn. Manche rennen nach einer kurzen ZĂ€sur aus anderen TĂŒren der Bahn den Steig herunter. Die Rangelei und mögliche TatbeitrĂ€ge sind unĂŒbersichtlich bis gar nicht zu erkennen. Durch das AbzĂŒnden von Pyrotechnik wird dieser Eindruck noch weiter verstĂ€rkt. Aus der Entfernung der Zuschauerbank lĂ€sst sich keine Person eindeutig erkennen. Das mag auch damit zusammenhĂ€ngen, das beinah alle Beteiligten auf den Sequenzen vermummt sind.
Der StA will eine Person mit roten Boxhandschuhen ausgemacht haben, die der Angeklagte Wesley S. sein soll. Dem entgegnete Wesemann: âIch kann nur die Agression der HSV Fans erkennen. Wenn, dann wehrt sich die Person bestenfalls, weil sie angegriffen wirdâ.
Die Prozessbeobachtung konnte zwar etwas rotes erkennen, das wie Boxhandschuhe aussieht. Aber weder dies deutlich erkennen, noch die Person eindeutig die diese Handschuhe trug. Absolut gar nicht zu erkennen war irgendeine strafbare Handlung, die von dem vermeintlichen âBoxerâ ausgegangen sein soll. Das Tragen von Boxhandschuhen mag in der Ăffentlichkeit eines Bahnsteiges sozial unĂŒblich sein. Es stellt fĂŒr sich aber noch keine strafbare Handlung dar.
Die Verhandlung wird am 14.04.2014, um 09.00 Uhr, im Landgericht Bremen fortgesetzt.
Arbeitskreis kritischer Jurist_innen Bremen