Facebook, Spotify, Google, Whatsapp – die Liste der Unternehmen, die Daten ihrer Nutzer_innen speichern und in ganz vielfĂ€tiger Weise verarbeiten, lĂ€sst sich beliebig erweitern. Der jeweilige Nutzen solcher Programme ist unbestritten hoch – die Gefahren, die mit der Freigabe von personenbezogenen Daten einhergehen, sind es allerdings auch. Gleichzeitig belegt der Fall Snowden, dass auch Staaten Daten von BĂŒrgerinnen im großen Stil erfassen.

In diesem Spannungsfeld versucht das Datenschutzrecht die Verarbeitung von Daten zu regulieren.
Ob das staatliche Recht dies kann (insbesondere vor dem Hintergrund, dass auch der Staat selbst sich solche Programme zu Nutze macht) oder ob es sich dem „Rausch der Daten“ ergeben hat – dies wollen wir am

14.06.2016 um 18:30 Uhr in Raum GW 1 C 2320 (ZERP- Raum)

mit

Dr. Imke Sommer (Landesbeauftrage fĂŒr Datenschutz und Informationsfreiheit)

und

Prof Dr. Benedikt Buchner, LL.M (UCLA)

am Fachbereich diskutieren.

Das Thema ist Teil der Veranstaltungsreihe „rechtspolitische Runde“, die es sich zum Ziel setzt, den Austausch ĂŒber aktuelle rechtspolitische Themen am Fachbereich zu fördern. NatĂŒrlich sind alle interessierten Personen, unabhĂ€ngig davon, ob sie am Fachbereich 6 studieren oder nicht, herzlich willkommen.

Plakat_Datenschutz_A4

Am 17.05. 2016 um 18:30 findet die nĂ€chste Veranstaltung in Kooperation mit dem Zentrum fĂŒr EuropĂ€ische Rechtspolitik (ZERP) an der Uni Bremen statt. Thema ist diesmal der Einsatz von Kriegsdrohnen im „War on Terror“ und zum AusfĂŒhren von sogenannten „targeted killings“. Wir stellen uns die Frage, ob und wenn ja, inwiefern solche EinsĂ€tze mit dem humanitĂ€ren Völkerrecht vereinbar sind. Da unter anderem in der US-MilitĂ€rbasis in Ramstein, Baden-WĂŒrttemberg, auch die Infrastruktur bzw. Koordination fĂŒr solche DrohneneinsĂ€tze gestellt wird, soll es vor allem auch um die juristische ÜberprĂŒfung von DrohneneinsĂ€tzen, in denen Ramstein involviert ist, vor deutschen Gerichten gehen.

Stattfinden wird die Veranstaltung wieder im ZERP-Raum ( GW1 C 2320).

Drohnenplakat

 

 

Am Freitag den 13.05. fand auch der 13 Prozesstag gegen Wesley S. und Valentin S statt. Geladen war der Zeuge W., der beim Sozialdienst des Jugendvollzugs arbeitet und Auskunft ĂŒber Valentins Verhalten in der Untersuchungshaft geben sollte.

Zudem wurde angekĂŒndigt, dass Valentin möglicherweise selber Angaben zu einigen VorwĂŒrfen machen wĂŒrde.

Zeuge des Sozialdienstes des Jugendvollzugs

Doch dazu kam es nicht. Der Zeuge W. berichtete zunĂ€chst davon, dass Valentins Verhalten in der Untersuchungshaft höflich, angemessen und positiv gewesen sein. Er habe den Anweisungen der Vollzugsbeamten stets Folge geleistet. Einzig der Fund eines Telefons in Valentins Zelle, habe nicht den Vorschriften entsprochen. Ähnliches habe er von seinen Kolleg*innen gehört. Zudem berichtete W., dass er von Valentin erfahren habe, dass dieser studieren wolle, konnte sich jedoch an die Studienrichtung nicht mehr erinnern.

Der Richter wollte daraufhin, dass der Zeuge den Inhalt eines Berichts wiedergebe, den eine Kollegin des Zeugen geschrieben hat. Hier intervenierte Horst Wesemann, Anwalt von Valentin, dass dies nicht zulĂ€ssig sei. Auch die Verlesung des Berichts wollte Wesemann nicht zulassen, das Gericht vertagte eine Entscheidung darĂŒber und verlies den Bericht an diesem Tag nicht.

Als Jan SĂŒrig, Verteidiger von Wesley, den Zeugen fragte, an wieviele Neonazis oder rechte Hooligans in Haft er sich erinnern könnte, wand dagegen der Vorsitzende ein, dass er die Frage nicht zulassen werde, da sie keine Erkenntnisse zur angeklagten Sache bringen könnte.

Die Suche nach dem Gesamtbild

Es folgte eine Reihe von AusfĂŒhrungen der Verteidiger, des Gerichts und des StA.

SĂŒrig warf dem Gericht in der Folge politische Ignoranz vor, auch die Weimarer Republik sei an Richtern zugrunde gegangen, die sich dem Diktat der angeblichen politischen NeutralitĂ€t unterordneten. Zudem sei der Eid, den Richter*innen aus Bremen schwörten keinesfalls unpolitisch, sondern vielmehr antifaschistisch.

Inhaltlich fĂŒhrte SĂŒrig an, dass die Beantwortung der Frage fĂŒr den Prozess wichtig wĂ€re, um Erkenntnisse zu gewinnen, ob Polizei und Justiz bei Auseinandersetzungen zwischen Linken und Rechten, die Rechten schonten und Taten von Linken schwerer gewichten.

Er nahm dabei Bezug auf die AusfĂŒhrungen Wesemanns vom Beginn des Prozesses, der schon angefĂŒhrt hatte, dass rechtsstaatliche GrundsĂ€tze im Verfahren ignoriert wĂŒrden. Mit seiner Frage habe er versucht eine Konstanz in der Ungleichbehandlung zwischen Linken und Rechten zu finden.

Er fĂŒhrte zudem eklatante Fehler der Polizei an. So war bei der ersten Auseinandersetzung am Verdener Eck, bei der Ultras durch Hooligans angegriffen wurden, mindestens ein Szenekundiger Beamter(SKB) anwesend, notierte jedoch keinen einzigen Namen der angreifen Hooligans, obwohl er diese kennen mĂŒsste. Als spĂ€ter Ultras von der Polizei festgehalten wurden, notierte er, so SĂŒrig, alle Namen, inklusive Geburtsdaten, der Ultras. SĂŒrig fĂŒhrte weiterhin aus, dass so ein Verhalten Ermittlungen gegen die Hooligans erschwerte und damit rechtsextreme Hooligans mindestens unbewusst durch die Polizei geschĂŒtzt werden.

SĂŒrig fĂŒhrte auch den Fall des als Opfers prĂ€sentierten Hooligans F. an. Dieser hat mutmaßlich, so soll ein Video zeigen, unmittelbar bevor er selbst angegriffen wurde, eine arglose Person hinterrĂŒcks mit einem Bierkasten so sehr geschlagen, dass diese Person regungslos zu Boden fiel und dort liegen blieb. Diesen Sachverhalt hat Valentin bei seiner HaftprĂŒfung bereits im November 2015 geschildert. Der StA hat davon mindestens durch die Akten Kenntnis erlangt, ist dem aber nicht weiter nachgegangen. Ermittlungen wurden erst eingeleitet, nachdem Wesemann das Video einbrachte, das den Vorfall zeigen soll. Fast ein halbes Jahr nachdem Valentin genau diesen Vorfall bereits beschrieb. Diese deutliche Verzögerung der Ermittlungen könnte, so SĂŒrig, bereits den Straftatbestand der Strafvereitelung im Amt erfĂŒllen.

Weiterhin sei bei diesem Vorfall eine Polizeikette nur etwa 30 Meter entfernt gewesen, hĂ€tte aber weder eingegriffen, noch versucht den mutmaßlich TĂ€ter festzusetzen.

Schlussendlich ging SĂŒrig noch auf das Versagen der Justiz und der Exekutive im Anschluss an den Angriff auf Racaille Verte im Ostkurvensaal ein.

SĂŒrig folgerte daraus eine strukturelle UnfĂ€higkeit oder Unwilligkeit gegen Rechtsextreme zu ermitteln und vorzugehen. Das mĂŒsse sich dementsprechend auch an den Zahlen inhaftierter Rechtsextremer zeigen. Eine solche UnfĂ€hig- oder Unwilligkeit hĂ€tte massiven Einfluss auf die Einhaltung der rechtsstaatlichen GrundsĂ€tze eines Verfahrens.

Dennoch entgegnete der Vorsitzende, dass die Frage keine Relevanz fĂŒr das Verfahren hĂ€tte, und lies diese nicht zu. Ein Fehlverhalten der Ermittlungsorgane sei nicht zu erkennen und im Zweifel im Einzelfall zu prĂŒfen.

Die StA fĂŒhre eine ganze Akte ĂŒber SolidaritĂ€tsbekundungen fĂŒr Valentin und verklĂ€re antifaschistischen Selbstschutz, der durch die UntĂ€tigkeit der Behörden notwendig wĂŒrde, zur Uneinsichtigkeit. Vielmehr sei es wichtig, das Gesamtbild zu sehen, er fĂŒhrte hierfĂŒr ein weiteres Beispiel an, als Hooligans bei einem anderen Nordderby mit einem Schiff, maskiert auf der Weser fuhren. Die Polizei stoppte das Schiff, nur wenige Hooligans wurden kontrolliert, die meisten konnten, weiterhin vermummut das Schiff unbehelligt verlassen und griffen in der Folge die Journalistin Andrea Röpke an.

Wesemann fĂŒhrte weiterhin aus, das Gesamtbild wĂ€re sicherlich auch anders, als durch diese Frage zu zeichnen, doch, so sein Eindruck, StA und Polizei wĂŒrden dagegen arbeiten. Er ergĂ€nzte dies mit diversen Beleidigungen und auch Mordaufrufen gegen Valentin, wegen derer die StA gar nicht, oder nur schleppend ermittle.

Trotz dieser FĂŒlle an Beispielen klassifizierte Behrens die VorwĂŒrfe gegen seine Arbeit als haltlos und abenteuerlich. Die Verteidigung wĂŒrde nur eine BĂŒhne fĂŒr ihre eigenen Statements suchen.

Als der Richter, so SĂŒrig, die Gefahren, die von Rechtsextremen und Hooligans ausgehen durch die Bemerkung, sie seien Vorstellungen, die innerhalb einer gewissen Szene vorherrschten, degradiert, stellen beide Verteidiger einen Befangenheitsantrag gegen die Richter*innen. Sie stĂŒtzen sich dabei auf ihre vorherigen AusfĂŒhrungen und folgern aus der Tatsache, dass die Richter*innen dies ignorierten, dass rechtsstaatliche GrundsĂ€tze durch diese Richter*innen nicht gewĂ€hrleistet seien.

Arbeitskreis kritischer Jurist_innen Bremen

Der Prozess wird am 26.05.2016 in der Strafkammer des LG Bremen, Raum 218, fortgesetzt.

Zwölfter Prozesstag im Verfahren gegen antifaschistische Ultras

Zu Beginn des zwölften Termins, 28.03.2016, im Prozess gegen antifaschistische Ultras in Bremen, wurde dem Angeklagten Wesley S. zunĂ€chst ein Vertreter seines Verteidigers fĂŒr diesen Verhandlungstag beigeordnet. Sodann erlĂ€uterte der Vorsitzende den heutigen Verfahrensablauf.

Zeugin N. EigentĂŒmerin des BlumenkĂŒbels Verdener Eck

Es wurde mit der Vernehmung der Zeugin N. begonnen. Die Zeugin ist Anwohnerin am Verdener Eck und sollte zu dem Beweisthema „BlumenkĂŒbel“ gehört werden. Sie sagte aus, dass der BlumenkĂŒbel aus Plastik gewesen sei und dass sich darin alte Pflanzen befunden hĂ€tten, da sie seit dem Winter noch nicht dazu gekommen sei, den KĂŒbel neu zu bepflanzen. Die darin befindliche Erde sei vertrocknet gewesen. Der KĂŒbel sei außerdem lediglich zu maximal zwei Dritteln mit Erde gefĂŒllt gewesen, da die Zeugin einen Gießrand von 5-10 cm gelassen habe. Zu der Frage, ob sie von dem Geschehen etwas mitbekommen habe gab die Zeugin an, dass sie bei dem guten Wetter in dem nach hinten liegenden Garten gesessen habe und nichts von dem Vorfall bemerkt habe. Erst als ihre Tochter nach Hause gekommen sei und gefragt habe, was auf der Straße los gewesen sei, sei sie nach vorne gegangen und habe das Chaos gesehen.

Der BlumenkĂŒbel habe ausgekippt auf dem Fußweg gelegen und ein MĂŒllsack sei aufgerissen und der MĂŒll auf dem Fußweg und der Vortreppe verteilt gewesen. Seit dem Vorfall könne nach Ansicht der Zeugin jedoch nicht viel Zeit vergangen sein, da in dem Haus acht Personen lebten und ein stĂ€ndiges Kommen und Gehen herrsche. Die Tochter mĂŒsse somit die Erste gewesen sein, die den MĂŒll vor dem Haus gesehen hatte. Die Zeugin gab weiter an, dass sie dann die Vortreppe und den Fußweg sauber gemacht und den BlumenkĂŒbel neu bepflanzt und gegossen habe, sodass er dann ein Gewicht von etwa zehn Kilo gehabt habe. Nach der Bepflanzung sei die Spurensicherung gekommen und noch einmal zwei Polizeibeamte, die den KĂŒbel mit einer Personenwaage wogen, die sie sich von der ebenfalls im Haus wohnenden Schwiegermutter der Zeugin besorgten. Die Zeugin schĂ€tzte, dass der BlumenkĂŒbel vor der erneuten Bepflanzung und dem Gießen nicht einmal die HĂ€lfte von dem von den Polizeibeamten festgestellten Gewicht gehabt habe. Der Zeugin wurde dann ein BlumenkĂŒbel vom Gericht gezeigt und sie bestĂ€tigte, dass es sich dabei um den ihr gehörenden BlumenkĂŒbel handele. Sie stimmte der weiteren Beschlagnahme zu.

Verteidiger Wesemann gab nach der Zeugenaussage der Zeugin N. als ErklĂ€rung nach § 257 Abs. 2 StPO an, dass auf dem Video zu erkennen sei, dass sogar noch weniger Erde in dem KĂŒbel gewesen sei als die Zeugin angegeben hatte. Außerdem las er einen Beweisantrag vor, der im zweiten Teil „Anregungen und AntrĂ€ge“ enthielt. Er musste zunĂ€chst mit dem Vorsitzenden darĂŒber diskutieren, ob es sich hierbei um eine unzulĂ€ssige Vorwegnahme des SchlussplĂ€doyers handele, durfte den Text dann aber verlesen. Wesemann beantragte, als neues Beweismittel ein Video in den Prozess einzufĂŒhren, auf dem zu erkennen sei, wie der im Tatkomplex Verdener Eck vermeintlich GeschĂ€digte F. vor dem Angriff durch den Angeklagten Valentin S. eine flĂŒchtende Person mit einer leeren Bierkiste auf dem Kopf geschlagen und damit zu Boden gestreckt habe. Der Angegriffene habe eine blutende Verletzung am Kinn erlitten. Auf dem Video und daraus gefertigten Lichtbildern sei zu erkennen, dass der Angeklagte die Szene lediglich beobachtete und an dem eigentlichen Angriff nicht beteiligt gewesen sei. Auch solle die Akte aus dem Verfahren gegen den GeschĂ€digten F. wegen des Schlags mit der Bierkiste zugezogen werden.

Gutachten zum Symbol der Schwarzen Sonne

Desweiteren beantragte der Verteidiger, ein historisches Gutachten des Deutschen Historischen Museums in Berlin oder des Kreismuseums Wewelsburg zu dem Symbol der Schwarzen Sonne einzuholen. Er begrĂŒndete dies damit, dass es sich dabei keinesfalls um ein germanisches Symbol handele, sondern eine Erfindung der Nationalsozialisten sei und erstmals von der SS auf der Wewelsburg als Dekoration verwendet wurde. Es handele sich dabei um eine Darstellung der zwölf Siegrunen bzw. um ein zwölfarmiges Hakenkreuz. Zudem machte der Verteidiger rechtliche AusfĂŒhrungen zu dem Tatkomplex Wegnahme einer Schwarze Sonne Halskette und zitierte eine Entscheidung des Reichsgerichts aus dem Jahr 1930 und einen Kommentar, nach dem keine Zueignungsabsicht vorliege, wenn der TĂ€ter bei der Wegnahme einer Sache vor hatte, die Sache zu zerstören oder wegzuwerfen. Der Angeklagte Valentin S. habe die Kette mit der schwarzen Sonne, die er einem GeschĂ€digten am Bremer Hauptbahnhof entwendet haben soll, in die Weser geworfen und damit nicht die Absicht gezeigt, die Sache wenigstens vorĂŒbergehend behalten zu wollen. Der Tatbestand des Diebstahls sei deshalb nicht erfĂŒllt.

Zusammenfassung der Verteidigung zu verschiedenen Tatkomplexen

Auch bezĂŒglich der ĂŒbrigen TatvorwĂŒrfe trĂ€gt der Verteidiger vor, es liege kein Tatverdacht vor. Bei dem Vorfall am Verdener Eck habe der Angeklagte entgegen frĂŒheren Vorbringens der Staatsanwaltschaft keine Quarzhandschuhe getragen. Der BlumenkĂŒbel habe deutlich weniger als die von der Polizei angegebenen elf Kilo gewogen und der Angeklagte habe den GeschĂ€digten F. damit lediglich an der Schulter, nicht am Kopf getroffen. Die Qualifikation der Körperverletzung mit einem gefĂ€hrlichen Werkzeug könne nicht angenommen werden. Bei den Tatkomplexen Bushaltestelle, KurfĂŒrstenallee, Alwinenstraße und Vor dem Steintor könne der Angeklagte nicht als TĂ€ter identifiziert werden. Der TĂ€ter im Komplex Rostock sei nach den Angaben der Zeug_innen deutlich kleiner als der Angeklagte. Bei dem Tatkomplex Diebsteich sei auf dem Video der Angeklagte zwar zu sehen, jedoch nicht bei der Begehung einer Straftat. Damit blieben nur die von dem Angeklagten bereits eingerĂ€umten Taten ĂŒbrig.

Der Vertreter der Staatsanwaltschaft erwiderte darauf, fĂŒr ihn stelle sich die Beweislage anders dar. Betreffend den Tatkomplex S-Bahnstation Diepsteich sei die Rechtsprechung des BGH zur Drittortauseinandersetzung zu berĂŒcksichtigen. Danach liege in solchen FĂ€llen keine Notwehr vor. Er widersprach der Inaugenscheinnahme des Videos jedoch nicht.

Zeuge Kriminalhauptkommissar Q. Ursprung allen KĂŒbels

Als NĂ€chstes wurde der Zeuge Kriminalhauptkommissar Q. gehört. Er war an den Ermittlungen bezĂŒglich des auf dem Video zu sehenden BlumenkĂŒbels beteiligt. Der Zeuge gab an, dass die Ermittlungen ergeben hĂ€tten, dass der BlumenkĂŒbel als Schlaginstrument gegen den GeschĂ€digten F. eingesetzt worden sei. Das Wiegen des KĂŒbels habe ein Gewicht von elf Kilo ergeben. Der Vorsitzende hielt ihm vor, im Protokoll stehe zwölf Kilo. Daraufhin korrigierte der KHK seine Angabe. Er beschrieb den KĂŒbel. Dieser sei weiß, aus Plastik und mit Erde gefĂŒllt gewesen. Die Zeuginnen, die beim Wiegen anwesend waren, seien aus dem Haus gekommen. Er und sein Kollege hĂ€tten die Personalien nicht aufgenommen, weil die beiden Personen in den Ermittlungen nicht hĂ€tten auftauchen wollen. Auf Nachfrage gab der Zeuge an, der KĂŒbel sei mit frischer Blumenerde locker und etwa zu dreiviertel befĂŒllt gewesen. Die Erde sei nicht durchtrĂ€nkt und es seien keine Pflanzen darin gewesen. Der Vorsitzende zeigte auch diesem Zeugen den terracotta-farbenen KĂŒbel. Der KHK wiederholte daraufhin, in seiner Erinnerung sei der BlumenkĂŒbel weiß gewesen. Die rechteckige Form und die GrĂ¶ĂŸe wĂŒrde allerdings passen. Auf weitere Nachfrage gab der Zeuge an, das Video bereits vor den Ermittlungen gesehen zu haben. Der Verteidiger fragte daraufhin noch, ob ihm die aus der rechten Szene stammende Fehlinformation, dass der BlumenkĂŒbel aus Ton gewesen sei, bekannt sei. Damit sei die erhebliche Gewichtsangabe zu erklĂ€ren. Der Zeuge verneinte dies jedoch. Er habe den KĂŒbel selbst auf die Waage gestellt, dieser habe ganz darauf gestanden und der Zeuge habe auch die Anzeige noch vollstĂ€ndig sehen können.

Als NĂ€chstes wurden die Chats aus einem in der Zelle des Angeklagten Valentin S. in der JVA Bremen gefundenen Handys im Wege des Selbstleseverfahrens in den Prozess eingefĂŒhrt. Die Konversationen ĂŒber den Nachrichtendienst WhatsApp zwischen den Angeklagten Valentin S. und Wesley S. sollten dabei „das Verhalten des Angeklagten in der JVA“ darstellen, so der Vorsitzende.

Zeuge JVA Beamter W.

Der Zeuge W. wurde gehört. Es handelt sich dabei um den Justizvollzugsbeamten, der das erste Handy in der Zelle des Angeklagten in der JVA Bremen gefunden hatte. Er berichtete, das Handy wĂ€hrend einer Haftraumkontrolle auf dem Tisch habe liegen sehen. Es sei an ein Ladekabel angeschlossen gewesen. Auf Nachfrage gab er an, dass die Haftraumkontrollen tĂ€glich zwischen 9 und 11 Uhr stattfanden, wenn die Insassen bei der Arbeit seien. Es habe sich bei dem von ihm gefundenen Handy um ein Alcatel gehandelt. Das Handy sei eingeschaltet gewesen. Der Zeuge sagte aus, er habe das Handy sicher gestellt, im BĂŒro abgegeben und eine Meldung geschrieben. Von dort aus wĂŒrden sichergestellte GegenstĂ€nde in die Revision kommen und dem betreffenden Insassen ein Bericht zugestellt. Auf weitere Nachfrage gab der Zeuge an, bei der Zelle des Angeklagten handele es sich um eine Einzelzelle, zu der alle Vollzugsbeamt_innen einen GeneralschlĂŒssel hĂ€tten. ZusĂ€tzlich sei die Zelle noch durch einen Riegel gesichert, der vorgeschoben werden könne.

Zeugin JVA Beamtin O.

Dann wurde die Zeugin O. gehört. Sie hatte als Justizvollzugsbeamtin das zweite Handy in der Zelle des Angeklagten gefunden. Im Rahmen einer Haftraumkontrolle habe sie das Handy zwischen der gefalteten WĂ€sche des Angeklagten in seinem Schrank in einer Socke gefunden. Es sei auch ein LadegerĂ€t dabei gewesen. Es habe sich dabei um ein Handy der Marke Samsung gehandelt, das nicht eingeschaltet gewesen sei. Die Zeugin berichtete, sie habe das Handy in die Revision gebracht, wo es der Habe des Angeklagte zugefĂŒhrt worden sei. Es sei zudem ein Disziplinarverfahren gegen den Angeklagten eingeleitet worden. Der Verteidiger des Angeklagten machte hierzu eine ErklĂ€rung nach § 257 Abs. 2 StPO, dass das LadegerĂ€t nicht zu dem Handy gepasst habe und keine SIM-Karte in dem Handy gewesen sei.

Schließlich wurde das Video zum Tatkomplex Verdener Straße zu den Beweisthemen BlumenkĂŒbel und Bekleidung des Angeklagten Valentin S. in Augenschein genommen. Aus dem Video wurde fĂŒnf Lichtbilder gefertigt, von denen drei den Angeklagten zeigten, wie er die Szene mit der Bierkiste beobachtete. Auch das Video zum Tatkomplex Diepsteich wurde in Augenschein genommen, in dem der Angeklagte Valentin S. mit roten Handschuhen zu erkennen ist. Außerdem zeigte der Vorsitzende noch ein Foto der beiden Angeklagten mit geballten FĂ€usten vor der JVA Bremen, das von dem beschlagnahmten Handy des Angeklagten Wesley S. aus dem Ordner „Whats App Chat mit Valentin“ stammte.


Arbeitskreis kritischer Jurist_innen  Bremen

Der Prozess wird am Freitag, 13.05.2016, in der Strafkammer des LG Bremen, Raum 218, fortgesetzt.

Zehnter Prozesstag im Verfahren gegen antifaschistische Ultras

 

Am Dienstag, den 12.04.2016, wurde die Untersuchung des Tatkomplexes ‘Gewaltsame Auseinandersetzungen rivalisierender Fußballfans auf einer Hamburger S-Bahnstation’ vorgenommen. ZunĂ€chst wurde ĂŒber den Befangenheitsantrags gegen das Gericht entschieden, den die Verteidigung am letzten Prozesstag eingebracht hatte.

Das Gericht sieht sich nicht befangen

Verteidiger SĂŒrig hatte zuletzt am neunten Prozesstag einen Befangenheitsantrag gegen die prozessbeteiligten Richter_innen gestellt. Der Antrag wurde nun als “unbegrĂŒndet” von der Kammer des Landgerichts zurĂŒckgewiesen. So sei die bisherige Arbeit der Richter_innen weder “rechtsfehlerhaft” oder von einer “inneren Haltung” geprĂ€gt, die schon im Vorfeld von einer Schuld der Angeklagten ĂŒberzeugt gewesen sei. Dies solle nach Auffassung des Vorsitzenden auch schon deshalb deutlich geworden sein, da eingerĂ€umt worden war, das Verfahren zum Tatkomplex ‘Körperverletzung durch Steinwurf gegen Journalisten bei einem NPD Aufmarsch in Rostock’ einzustellen, an einer Schuld des Angeklagten in dieser Sache sei folglich nicht von Anfang an ausgegangen worden. Es könne auch insgesamt nicht behauptet werden, dass es dem Gericht darum gegangen sei, eine “Blamage der Justiz und Polizei” abzuwenden. Die Forderung eines biometrischen Gutachtens sei in dem Zusammenhang ebenso zurĂŒckzuweisen. Bei so genannten “Großverfahren”, sei stets ein “einfaches und beschleunigtes Verfahren” anzustreben. Da biometrische Gutachten zeitaufwendig seien, widerspreche das Festhalten an einem solchen Gutachten diesem Grundsatz.

Stellungnahme AKJ Bremen zur Abweisung des Befangenheitsantrags

Die Kritik die der AKJ Bremen an diesem Verfahren hat wurde bereits in den letzten Berichten von uns dargelegt und bleibt unverĂ€ndert. Der nun ergangene Beschluss der Kammer zeigt erneut keine Einsicht ĂŒber den ursprĂŒnglichen Mangel an dem das gesamte Verfahren krankt. Die zustĂ€ndigen Richter_innen haben nicht erkennen lassen, dass fĂŒr sie insgesamt ein Freispruch fĂŒr die Angeklagten genauso offen bleibt wie eine Verurteilung. Sondern leiten mit der bloßen vorlĂ€ufigen ‘Einstellung’ des Anklagepunktes ‘Körperverletzung durch Steinwurf auf einer NPD Demo’ lediglich ein, dass fĂŒr sie weiterhin die Überzeugung besteht, am Ende des Verfahrens eine ‘erhebliche Strafe’ fĂŒr die Angeklagten zu erwarten; wenn nicht gar anzustreben. Auf eine Einstellung zu bestehen, sichert hier nur das weitere trotzige Verfahren der Justiz ab. Mit Zitaten juristischer KommentarbĂŒchern die Abweisung des Antrags zu rechtfertigen, warum Befangenheit nicht vorliegen könne, hat nichts mit einer konkreten, nachvollziehbaren BegrĂŒndung zu tun, die der Öffentlichkeit Transparenz darĂŒber verschafft, warum das Gericht nicht befangen sei. Sondern versteckt weiterhin die trotzige Haltung der Justiz hinter oberflĂ€chlichen ErklĂ€rungen darĂŒber, wie die Hausaufgaben der Strafjustiz nach herrschender Auffassung von Rechtswissenschaftler_innen grundsĂ€tzlich auszusehen haben und wie sich die Justiz dahingehend selbst in ihrer bisherigen Mitarbeit darin benotet. Unter anderem BegrĂŒndet sie ihre gute Note damit, dass sie keine Innere Haltung habe, die bereits von einer Schuld der Angeklagten ĂŒberzeugt sei.

Die faktische “innere Haltung” der Richter_innen war und ist die Überzeugung, mit einer hohen Strafe fĂŒr die Angeklagten zu rechnen. Da liegt der Ursprung der Befangenheit und der Widerspruch, der zu einer vorlĂ€ufigen Einstellung statt zu einem entsprechenden Freispruch fĂŒhrt. Denn worauf stĂŒtzte sie zu Beginn und worauf stĂŒtzt sie weiterhin diese Annahme; nach all dem was bisher objektiv vorliegt. Wie es scheint, allein auf die bloßen Behauptungen der Staatsanwaltschaft. Und diese Staatsanwaltschaft hatte es im Ermittlungsverfahren mit dilettantisch operierenden Behörden, voreingenommenen Behauptungen und Spekulationen seitens der Polizei zu tun. Sowie mit stark alkoholisierten, neonazistischen oder mit SchĂ€digungabsicht auftretenden Zeug_innen. Folglich einem Haufen zurechtgedrehter Behauptungen und Spekulationen auf dem schlussendlich alles grĂŒndet.

Es ist gerade zu absurd, wenn ein Gericht mit dieser Beweislage und mit Zitaten aus den juristischen Kommentaren beinah alle AntrĂ€ge abschmettert und in ihrer Eitelkeit allein darauf ihre Ablehnung abstellt. Gerade hier mĂŒsste sie ein Interesse haben, den Zweifel der Öffentlichkeit zu beseitigen, die Beweismittel könnten von Anfang an nicht dem Anklageersuchen der StA genĂŒgt haben, und um Art. 6 EMRK gerecht zu werden, bemĂŒhe das Gericht sich wenigstens nun um ein faires Verfahren. Sich ausgerechnet jetzt auf den Beschleunigungsgrundsatz zu berufen, sowie ernsthaft auf eine metaphysisch hergeleitete, unbefleckte “Innerlichkeit” der zustĂ€ndigen Richter_innen, zur Frage der eigenen Befangenheit, betoniert eine fortwĂ€hrende Asymmetrie zwischen Staatsanwaltschaft und Verteidigung. FĂŒr “fair und schnell” ist aus unserer Sicht von Anfang an kein Raum gewesen, dies haben wir oft genug dargelegt und dient aus unserer Sicht dem Gericht inflationĂ€r als billiger ZurĂŒckweisungsgrund fĂŒr alle AntrĂ€ge die eine ‘Blamage der Justiz und Polizei’ objektiv belegen könnten.

Wie unwichtig der Polizei und Justiz eine saubere BeweisfĂŒhrung und die Details der angeblichen Taten der Angeklagten von Anfang an war, zeigte sich bspw. an dem Tatmittel ‚BlumenkĂŒbel‘ das nicht vom Tatort ‚Verdener Eck‘ durch die Behörde mitgenommen wurde. Stattdessen legte die Polizei einfach 12 KG Gewicht fĂŒr das Tatmittel fest und damit den Ermittlungen der StA zu Grunde. Das sie sich gar nicht in der Rolle sah, die angebliche BrutalitĂ€t des Angeklagten zu beweisen, demonstriert sich daran, das sie weder Spuren daran sichern ließ, noch das tatsĂ€chliche Gewicht von 800 Gramm entlastend feststellte. Es passte den Ermittlern gut ins Bild von einem 12 KG Gegenstand zu sprechen, der angeblich brutal auf einen unbescholtenen Fußball schauenden BĂŒrger geworfen wurde. Das ein rechter Hooligan mit 800 Gramm leicht getroffen wurde, wĂ€re mangels passender Skandalwirkung fĂŒr dieses kĂŒnstlich hochgeschraubte Verfahren folglich ohne Belang geblieben. Hierin liegt auch das Politikum, von dem sich die Justiz unbedingt frei machen will. Wir weisen daher nochmal daraufhin, dass sich fĂŒr uns das gesamte Verfahren nur politisch und nicht juristisch erklĂ€ren lĂ€sst. Das Urteil war schon lĂ€ngst gefunden, das hatte Innensenator MĂ€urer und die Polizeipressekonferenz damals groß angekĂŒndigt. Jetzt braucht es nur noch ein passendes Verfahren dazu.

Wir betrachten das Gericht in der Sache, trotz der entgegengesetzten Feststellung der Kammer, folglich als von Anfang an befangen. Diese Befangenheit zieht sich wie ein nicht auflösbarer Makel durch das gesamte Verfahren und kann nicht mit abstrakten Zitaten aus juristischen Kommentarstellen geheilt werden. Es ist nicht ersichtlich geworden, wieso das biometrische Gutachten nicht in das Verfahren einfließen sollte, wenn es die kausale Wirkung entfalten könnte, einen Freispruch zu erreichen. Lediglich darauf abzustellen, dass aufgrund  der “GrĂ¶ĂŸe des Verfahrens” dieser Prozess “zu zeitintensiv” wĂŒrde, wenn dem Antrag “biometisches Gutachten” stattgegeben wĂŒrde, ist kein angemessener Grund. Gerade nachdem offenbar viel Zeit darauf verschwendet wurde, beliebig zu den Tatkomplexen herangezogene Polizeibeamte zu vernehmen, die ĂŒberwiegend keine eigenen Wahrnehmungen bezeugen konnten, oder sich hinter ihrer fehlenden Aussagegenehmigung versteckten. Obgleich bspw. ermittelnde Beamte, wie Martin W., eine voreingenommene Ermittlung gefĂŒhrt hatten, die auf dem rechten Auge offenbar blind sein wollte. Dies ist so gravierend, dass dies eine PrĂŒfung fǘr ein eigenes Ermittlungsverfahren nach § 344 StGB gegen diese Beamten schon fĂŒr sich rechtfertigten wĂŒrde. Warum nicht auch gegen den Staatsanwalt in dieser Sache ermittelt wird, erklĂ€rt sich aus dem Selbstschutz-System der Justiz, die ihre eigenen Leute kraft Gesetz nicht auf der Anklagebank sehen will und wenn doch, die HĂŒrden so hoch sind, das WillkĂŒr dieser Organe faktisch unbestraft bleibt.

Mit dieser gegenwĂ€rtigen Form, schablonenhaft unhaltbare Behauptungen oberflĂ€chlich abzuprĂŒfen, eine Entpolitisierung nach Außen zu vollziehen, die alles was offenbaren könnte, dass es sich um einen politischen Prozess handelt wegdrĂŒcken soll. Das bekannte Faschisten an dem Grund fĂŒr das gerichtliche Spektakel durch Falschbehauptungen mitgewirkt hatten, wird gĂ€nzlich ausgeklammert. Mit einseitigen Dauerbefragungen etlicher Polizeibeamter mit seltsamen ErinnerungslĂŒcken, konnte die Justiz bislang Monate verbringen und die Angeklagten wirtschaftlich unnötig belasten. FĂŒr ein biometrisches Gutachten oder die Anhörung entlastender Zeug_innen bleibt indes keine Zeit.

Der Staatsanwalt wiederholt dafĂŒr GebetsmĂŒhlenartig, dies alles und was da noch kommen möge, wĂŒrde noch das gewalttĂ€tige, gefĂ€hrliche Verhalten der Angeklagten offenbaren und ihre Schuld objektiv beweisen. Da fragen wir uns, wann dieser Moment nach zehn Verhandlungstagen kommen wird, und ob das gesamte Verfahren allein dem SchlussplĂ€doyer der Staatsanwaltschaft zu dienen hat oder irgendwann noch einmal auch der Wahrheitsfindung. Denn wodurch kann ein gewalttĂ€tiges Bild ĂŒber die Angeklagten skizziert werden, wenn bisher keine Tatbeteiligung an den VorwĂŒrfen bisher zweifelsfrei belegt werden konnte. Schließlich ist es nicht ausreichend das Videomaterial ‘Verdener Eck’ zur Grundlage dieses Verfahrens zu machen, auf dem sich im letzten Jahr Polizeigewerkschaft, Innensenat und Medien blind stĂŒrzten und nun konsequent zu den Ergebnissen, das es alles nun doch ganz anders gewesen sein könnte, schweigen.

Die jetzigen Erkenntnisse, das nichts zweifelsfrei erkannt wird, wĂ€ren bei sorgfĂ€ltiger PrĂŒfung der Akten bereits vor Anklage ersichtlich geworden und noch vor Anklage wĂ€re die Einstellung mangels ausreichender Beweislage zwingend erfolgt. Übrig geblieben wĂ€re die GestĂ€ndigkeit des Angeklagten Valentin S. zu dem Fall ‚Verdener Eck‘ und zwei geringfĂŒgiger Straftaten. Das Amtsgericht wĂ€re in dessen Folge allein ausreichend gewesen, um darĂŒber zu befinden. Das nennen wir echte Prozessökonomie und nicht das verspĂ€tete Abschmettern von Gutachten, AntrĂ€gen und jedweder Kritik in einem gewaltigen Schauprozess auf Landesebene. Als Verantwortliche fĂŒr die GrĂ¶ĂŸe und den Umfang des Verfahrens, das nun gefĂŒhrt wird, auf ein “beschleunigtes Verfahren” zu pochen, um den AntrĂ€gen der Verteidigung keinen Raum geben zu mĂŒssen, ist schlichtweg grotesk. Schließlich hatte das Gericht selbst unnötig fĂŒr ein langsames und kostenintensives Verfahren gesorgt, in dem sie ungerechtfertigt von einer ĂŒberwiegenden Wahrscheinlichkeit ausgegangen war, dass es zu einer Verurteilung in allen Punkten kommen wĂŒrde.

Der Prozess ist zur Farce verkommen und wir protestieren an der Stelle, da trotz so einer mangelnden Beweislage, dem Festhalten an subjektiven EindrĂŒcken und abstrakten “inneren VorgĂ€ngen” der Richter, gravierender Verfahrensfehler und Vorverurteilungen wĂ€hrend der Ermittlungen, dennoch stur an einer weitere Fortsetzung eines politischen Schauprozesses festgehalten wird. Ein Prozess, der mit einer zu erwartenden ObjektivitĂ€t einer unbefangenen, freien Justiz und unvoreingenommenen BeweiswĂŒrdigung nichts gemein hat.

Verwertungsverbot zweiter Versuch

So war es folgerichtig, dass der Vertreter des ProzessbevollmĂ€chtigen SĂŒrig, der in Person an diesem Tag verhindert war, einen weiteren Antrag stellte. Der Vertreter beantragte weitere Bremer Beamte als Zeug_innen der Hausdurchsuchung zu vernehmen. GeklĂ€rt werden soll mit diesem Antrag, wie es dazu gekommen sei, dass der Angeklagte exakt zu dem Zeitpunkt gegen sein Willen aus seinen RĂ€umen entfernt und zu einer DNA Entnahme auf einer Polizeistation verbracht wurde, zu dem Knallkörper in seinen RĂ€umen aufgefunden worden sein sollen. So sei die Maßnahme der Durchsuchung nicht nur zum gleichen Zeitpunkt begonnen worden, sondern ebenfalls zum gleichen Zeitpunkt beendet worden, wie auch die fragliche DNA Untersuchung, so der Vertreter SĂŒrig’s. Es sei wĂ€hrend sich der Beschuldigte noch in den RĂ€umen aufgehalten habe, keine Knallkörper entdeckt worden, aber ausgerechnet zu dem Zeitpunkt der widerrechlichen Entfernung des Beschuldigten aus seiner Wohnung.

Wir verweisen darauf, dass es das Recht eines Beschuldigten ist, der belastenden Hausdurchsuchung als Zeug_in beizuwohnen, sogar ggf. sich Zeug_innen dazu zu holen. Sowie ĂŒber Durchsuchung und Beschlagnahme einen Beleg zu erhalten. Dazu ist es jedoch zwingend erforderlich, dass Staatsanwaltschaft und Polizei nicht daran mirwirken, dieses Recht zu verunmöglichen; solange der Beschuldigte nicht die Maßnahme als solches durch negative Einwirkung auf die Durchsuchung behindert. Verfahrensfehler bei einer Hausdurchsuchung können allerdings nur grundsĂ€tzlich zum Beweismittelverwertungsverbot fĂŒhren. Nicht jede Hausdurchsuchung ohne Anwesenheit des Beschuldigten fĂŒhrt auch zu einem Vewertungsverbot.

Im Ergebnis seien die vermeintlich sichergestellten Knallkörper als Beweismittel fĂŒr die Verteidigung folglich nicht verwertbar. Ein Freispruch in der Sache werde deshalb gefordert.

Tatkomplex: Gewaltsame Auseinandersetzungen an einer S-Bahn Station in Hamburg

Als erster Zeuge wurde der Beamte Stefan H. geladen. Seine Funktion war es als Bundespolizist und Koordinator des Aktenvorganges die Videodaten ĂŒber den Tatkomplex zu sichern und auszuwerten.

Vor der genaueren Vernehmung bestand Wesemann darauf einen Antrag zu Protokoll zu nehmen, die Befragung des Zeugen abzubrechen. Es sei unzulĂ€ssig den Zeugen zu Ereignissen zu befragen, bei dem der Zeuge nicht selbst anwesend war. Nach einer kurzen Unterbrechung wurde der Antrag durch Beschluss zurĂŒckgewiesen und die Befragung des Zeugen fortgesetzt.

Den Tathergang erlebte der Zeuge nicht unmittelbar selbst, sondern entnahm seine EindrĂŒcke allein den polizeilich gefĂŒhrten Akten und aus gesicherten Videomaterialien. Der Zeuge wurde auch nicht als Gutachter zur Sache befragt. Seine Vernehmung dennoch zuzulassen und zu wĂŒrdigen ist nach unserer Auffassung der StPO fremd.

Der vorsitzende Richter fragte nach dem was sich am Tag der Auseinandersetzung konkret ereignet hat. Der Zeuge schilderte zunĂ€chst die Tatsache, dass an dem Tag das Nordderby Hamburger SV gegen SV Werder Bremen stattgefunden habe. Hier sollen sich traditionell verfeindete Fußballfans gegenĂŒber stehen und eine ĂŒbliche Lage fĂŒr die Polizei bestehen und die Polizei ĂŒblicherweise massiv aufgestellt sein.

Trotz des massiven Polizeieinsatzes soll es auf der S-Bahnstation ‘Diepholz’ zu einer Gewaltorgie gekommen sein, bei dem sich duzende Personen gegenseitig geschlagen haben sollen. Dabei sollen Passant_innen, die in der ankommenden S-Bahn reisten, willkĂŒrlich involviert worden sein. Insgesamt sollen ca. 100 Fans sich mit 100 gegnerischen Fans zu dieser SchlĂ€gerei verabredet haben. Wie es aus Sicht des Zeugen “nur fĂŒr Fußball-Hooligans ĂŒblich” sei.

Weiter fragte Verteidiger Wesemann, von wem die Informationen gekommen seien. Hierzu antworte der Zeuge, die Informationen seien von dem Beamten M. gekommen. Welcher selbst vor Ort gewesen sein soll. (Der als Zeuge diesem Zeuge im Prozess nachfolgt)

Weiter schilderte der Zeuge: Trotz der teilweise “abgeklebten Kameras” im S-Bahn Wagon, soll es Erkenntnisse zugelassen haben, dass die Beteiligten der Auseinandersetzung sich mit Mundschutz und speziellen Handschuhen und Sturmmasken passiv im Wagon bewaffnet hĂ€tten. Die Gruppe der Hamburger_innen sollen zum vorderen Wagen gelaufen sein und die Gruppe der Bremer_innen soll aus dem TĂŒr-Ausgang der Bahn heraus gewirkt haben. Es sei schnell zu einer extremen Auseinandersetzung auf dem Bahnsteig zwischen den Gruppen gekommen. Hierbei seien Flaschen, Stangen (aus Plastik), Pyrotechnnik eingesetzt worden. Die “tumultartigen Szenen” in der S-Bahn sollen auch unbeteiligte Passant_innen in die Auseinandersetzung hineingezogen haben. So sollen Reisende angebrĂŒllt worden sein, die Bahn zu verlassen. Dies habe der Zeuge alles dem ausgewerteten Videomaterial und Akten entnommen.

Der Vorsitzende hielt dem Zeugen ein Bericht vor, nachdem es auch zu einem Raubdelikt gekommen sein soll. Hierzu erklÀrte der Beamte: Einem Hamburger Fan soll bei der Auseinandersetzung ein Trikot ausgezogen und weggenommen worden sein. Dies brachte der Fan zur Anzeige. Dieses Delikt sei nach Aussage des Beamten von der Gruppe der Bremer_innen ausgegangen.

Verteidiger Wesemann befragte den Zeugen, warum dieser darauf kĂ€me. dass es sich dabei unweigerlich um Bremer Fans gehandelt haben mĂŒsse. Darauf antwortete der Zeuge, dies ergebe sich “einfach aus dem Gesamtkontext”. Weiter fragte Wesemann: “Aber wieso sollen das konkret Werderfans sein”. Der Zeuge verwies darauf, dass es schlicht die Erkenntnis der Behörde sei, dass “sehr sehr viele” den Bremern zuzuorden waren. So sei es ein “Wagon mit Bremern gewesen, wo die drin gesessen” hĂ€tten. Wesemann entgegnete dem: “Sagen Sie bitte, dass sie gar nicht wissen, das es sich um Werder Fans handelte”.

Zivilbeamter vor Ort in Angst und Schrecken

Der zweite Zeuge, Polizeibeamter Olaf M., der in Hamburg tĂ€tig ist, war am Tag des Geschehens als Zivilfahnder unter der Fangruppe ‘Bremen’ mitgereist, um deren Tun zu beobachten und zur weiteren Koordination des Polizeieinsatzes Informationen an seine Kollegen zu ĂŒbermitteln.

So soll es dem Tag „ungewöhnlich“ gewesen sein, dass diese Fangruppe nicht wie ĂŒblich an so einem Spieltag an einer S-Bahn Station verblieb, um auf einen Bus zu warten, sondern in eine andere S-Bahn Richtung ‘Diepsteich’ stieg. Er und seine ebenso zivil gekleideten Kollegen hĂ€tten sich aufgrund dieser AuffĂ€lligkeit kurzfristig entschlossen, mit in die selbe S-Bahn zu steigen und seien in letzter Sekunde vor dem TĂŒren schließen zugestiegen. In der Bahn sei nun eine “Horde vermummter Bremer” gewesen. Gleich danach sei “das Chaos losgegangen”. Hierbei seien Flaschen geflogen, Stangen eingesetzt worden und es habe sich eine extreme SchlĂ€gerei entwickelt. Er habe sich rechts an das Treppenhaus des Bahnsteigs geflĂŒchtet. Sogleich habe er sich dann als Polizei zu erkennen gegeben und wollte per Funk die Auseinandersetzung durchgeben. Die “Funke war tot”. Er habe keine Antwort auf seinen Funkversuch erhalten. Weiter will der Beamte beobachtet haben, wie “viele ins Gleisbett gesprungen” seien. Dort sollen die Personen sich Steine genommen haben. In dieser Situation “hatte ich schon Angst”, bemerkte der Beamte. Dabei soll er im Schrecken ĂŒber die Stufe der Eskalation, seine mitgefĂŒhrte Schusswaffe den mutmaßlichen TĂ€ter_innen um sich herum gezeigt haben, um diese von weiteren Taten abzuschrecken und um sich vor möglichen Angriffen zu schĂŒtzen. Als die PolizeikrĂ€fte hinzu kamen, seien die HSV Fans ĂŒber das Gleisbett geflĂŒchtet.

Der Vorsitzende wollte in Erfahrung bringen, ob denn Bremer Fans wieder in die Bahn gestiegen seien. Der Zeuge gab an, das zum Teil dies so gewesen sei. Auf die Frage wie viele es gewesen seien, konnte der Zeuge sich nicht erinnern. Ob denn die Bahn weggefahren sei, konnte der Zeuge nicht sagen. Er glaube, die Bahn sei durch die Polizei auf der Strecke irgendwo festgesetzt worden. Weiter wollte der vorsitzende Richter wissen, ob denn dieses Ereignis ungewöhnlich fĂŒr ein Nordderby gewesen sei. Dies beantwortete der Zeuge mit seiner Rolle als Zivilfahnder: “FĂŒr ein Nordderby nicht, aber fĂŒr mich war das neu”.

Zu der Frage der Stangen die beide Gruppen wohl bei sich fĂŒhrten, gab der Zeuge an, diese irrtĂŒmlich fĂŒr Metallstangen gehalten zu haben. SpĂ€ter soll ihm klar geworden sein, dass es sich dabei um Plastikstangen handelte, wie sie ĂŒblicherweise auch fĂŒr Fahnen verwendet werden. Ob der Beamte klar zuordnen konnte, ob es sich um Bremer Fans handelte, entgegnete der Zeuge, dies sei ihn teilweise klar gewesen, da einige Schals, Zeichen und Jacken dieser Fangruppe getragen hĂ€tten. Weiter erkannte der Zeuge eine Person die wohl nur in UnterwĂ€sche das Gleis verlassen haben soll. Eine weitere habe Nasenbluten gehabt. Ob Passant_innen in Mitleidenschaft gezogen wurden, konnte der Beamte nicht bestĂ€tigen. Wer denn zuerst die Auseinandersetzung begonnen habe, bezeugte der Beamte, dies sei von den HSV Fans ausgegangen.

Auf die Frage, ob die Steine auch tatsĂ€chlich geworfen wurden, bestĂ€tigte der Beamte, diese seien in seine und in in Richtung seiner Kolleg_innen geworfen worden. Besondere Merkmale seien dem Beamten insgesamt nicht aufgefallen. Solche Beobachtungen will der Beamte auch deswegen nicht gemacht haben, weil dieser erklĂ€rte: “Wir mussten auch erstmal unsere eigene Haut retten”. Weiter sagte der Beamte: “Trotz dessen, dass ich meine Schusswaffe dabei hatte und zeigte, trotzdem noch so einer Eskalation ausgesetzt zu sein, brachte mich ernsthaft auf den Gedanken diese Schusswaffe auch einzusetzen”.

Zu der Frage der passiven Bewaffnung der Fangruppen fragte der Verteidiger Wesemann, ob es denn besonders ungewöhnlich sei, wenn Menschen sich im November Handschuhe anzögen. Auch wurde die StabilitĂ€t der Stangen besprochen. So wurde es nicht bestritten, dass die Stangen aus PVC waren und max. 55 mm Umfang hatten. Weiter wurde in Erfahrung gebracht, das die Zivilfahnder sich bereits um 10 Uhr Morgens auf dem zu erwartenden Einsatzort Poptown/Stresemannstr. befanden. Erst gegen 12.15 Uhr hĂ€tten sich ca. 80 – 100 Personen dort vor dem Fanhaus versammelt, die im spĂ€teren Verlauf sich als Gruppe Richtung Bahnsteig ‘Diepholz’ bewegt haben soll.

Viele Bilder nichts AussagekrÀftiges

Nachfolgend wurden Lichtbilder und Videomaterial zur Augenscheinnahme eingebracht. Auf den Bildern und Videos sind Sequenzen zu sehen, die sich vor dem Tunnel zum Gleis der S-Bahn ‘Stellingen’ abspielten und durch die Polizei vor Ort aufgezeichnet worden war. Sowie Videos aus der Bahn und auf dem Gleis. Das erste Video zeigt zwei Gruppen, die durch Polizei voneinander abgegrenzt werden. Die eine Gruppe ist durch ihre Trikos und Schals eindeutig als Hamburger SV Fans zu erkennen. Dies belegt auch deren Rufe. Die andere Gruppe die aus dem S-Bahn Tunnel mit Spalier der Polizei an den Hamburger_innen vorbeigefĂŒhrt wird, ist nicht klar als Bremer Fangruppe zuzuordnen. Diese sind ĂŒberwiegend dunkel gekleidet und haben keine offensichtlichen Embleme eines Vereins. Beim Vorbeilaufen skandieren die HSV Fans unter anderem der Gruppe der Bremer hinterher: “Bremer, Bremer Hurensöhne”, “Scheiß Werder Bremen”, “Eins kann uns keiner nehmen und das ist der pure Hass auf Bremen”.

Nach diesen vorhersehbaren Provokationen rivalisierender Fanblocks kommt es kurz zu kleinen Rangeleien vereinzelter Personen, die durch die anwesenden BFE vor irgendwelcher nennenswerter strafbaren Handlungen abgehalten wird. Der Block der als Bremer_innen abgegrenzt wurde, bewegt sich geschlossen in Richtung eines UnterfĂŒhrungstunnels, weg von dem HSV Block. Im weiteren Verlauf des Videos bleibt es friedlich, es werden Fanparolen skandiert und Choreographien mit positiven Bezug auf den Verein ‘SV Werder Bremen’. Beim Anhalten des Fanblocks durch die Polizei in diesem Tunnel, wurden durch die Beamten manche Personen mit Nahaufnahme aufgezeichnet. Nach einigen Minuten kann der Zug weiter laufen und das Video endet. Die Angeklagten sind fĂŒr Prozessbeobachter_innen aus der Entfernung zwischen Zuschauerbank und Richterpult, in einem Gerichtssaal so groß wie eine Schwimmhalle, auf dem Video insgesamt nicht zu erkennen.

Es ist fraglich inwieweit der Sinn und Zweck des Öffentlichkeitsgrundsatzes gewahrt ist, wenn es der Öffentlichkeit nicht möglich ist genauso Einblick in Video und Fotomaterial zu erhalten, die fĂŒr ein Urteil von Bedeutung sind, wie es den Prozessparteien selbstverstĂ€ndlich ist.

Nach Augenscheinnahe diese Videos beantragt Verteidiger Wesemann festzuhalten, dass auf dem Video keine einzige Person von ihm erkannt worden sei. Der StA widersprach dem Ersuchen und behauptete Valentin S. erkannt zu haben. Wesemann verlangte ein Protokoll darĂŒber, was der vorsitzende Richter auf dem Video gesehen habe. Darauf antworte der betreffende Richter: “Sowas machen wir nicht!”:

Das zweite Video wurde in Augenschein genommen. Dieses soll die Szenen auf und um dem S-Bahnsteig zeigen und die Beteiligung des Angeklagten Wesley S.

Das erste Video zeigt die Überwachungskamera zum Treppenaufgang S-Bahn Station. Zu erkennen ist eine große Gruppe die zunĂ€chst in Ruhe die Treppe hinauf geht und wenige Zeit spĂ€ter vereinzelt Personen wieder die Treppe herunter rennen. Der StA will dabei den Angeklagten Wesley S. erkannt haben. Der Vorsitzende wies die ErklĂ€rung zurĂŒck. Dieser sei in dieser Sache gar nicht angeklagt. Der StA dazu: “Aber das ist in dem Zusammenhang vielleicht wichtig!”. “Dies braucht aber in dem Zusammenhang nicht geklĂ€rt werden”, so der Richter ablehnend.

Auf dem weiteren Videos sind aus verschiedenen Perspektiven eine mittelgroße Gruppe nahe der Kamera zu sehen. Davon ein Teil vermummt und sichtlich aufgeregt. Dann fĂ€hrt die S-Bahn ein und es rennt diese Gruppe auf die EingĂ€nge die stehende S-Bahn zu. Einer öffnet eine TĂŒr. Kurz darauf beginnen verschiedene körperliche Auseinandersetzungen zwischen zwei Gruppierungen im und vor der Bahn. Manche rennen nach einer kurzen ZĂ€sur aus anderen TĂŒren der Bahn den Steig herunter. Die Rangelei und mögliche TatbeitrĂ€ge sind unĂŒbersichtlich bis gar nicht zu erkennen. Durch das AbzĂŒnden von Pyrotechnik wird dieser Eindruck noch weiter verstĂ€rkt. Aus der Entfernung der Zuschauerbank lĂ€sst sich keine Person eindeutig erkennen. Das mag auch damit zusammenhĂ€ngen, das beinah alle Beteiligten auf den Sequenzen vermummt sind.

Der StA will eine Person mit roten Boxhandschuhen ausgemacht haben, die der Angeklagte Wesley S. sein soll. Dem entgegnete Wesemann: “Ich kann nur die Agression der HSV Fans erkennen. Wenn, dann wehrt sich die Person bestenfalls, weil sie angegriffen wird”.

Die Prozessbeobachtung konnte zwar etwas rotes erkennen, das wie Boxhandschuhe aussieht. Aber weder dies deutlich erkennen, noch die Person eindeutig die diese Handschuhe trug. Absolut gar nicht zu erkennen war irgendeine strafbare Handlung, die von dem vermeintlichen “Boxer” ausgegangen sein soll. Das Tragen von Boxhandschuhen mag in der Öffentlichkeit eines Bahnsteiges sozial unĂŒblich sein. Es stellt fĂŒr sich aber noch keine strafbare Handlung dar.

Die Verhandlung wird am 14.04.2014, um 09.00 Uhr, im Landgericht Bremen fortgesetzt.

Arbeitskreis kritischer Jurist_innen Bremen

Neunter Prozesstag im Verfahren gegen antifaschistische Ultras

WillkĂŒrliche Abweisung von Zuschauer_innen

Bereits vor der Eröffnung des 9. Prozesstermins, dem 22.03.2016, zur Hauptverhandlung gegen antifaschistische Ultras, wurde der Verteidiger des Angeklagten Wesley S. aus dem Publikum heraus darauf hingewiesen, dass Zuschauer_innen unten am Eingang zu den Einlasskontrollen mit der BegrĂŒndung abgewiesen wurden, es seien bereits alle PlĂ€tze im Saal belegt. Das war offensichtlich nicht der Fall; der Zuschauerraum war nicht annĂ€hernd gefĂŒllt und so stellte der Verteidiger SĂŒrig in der dann eröffneten Hauptverhandlung den Antrag, die Personalien des betreffenden Polizeibeamten zu spĂ€teren möglichen Beweiszwecken aufzunehmen. Er warf dem Polizisten vor, den Grundsatz der Öffentlichkeit des Verfahrens verletzt zu haben und begrĂŒndete seinen Antrag vor allem damit, dass lediglich Justizbeamte und nicht die dem Verfahren aus SicherheitsgrĂŒnden beiwohnenden Polizisten die Befugnis hĂ€tten, Zuschauer_innen wegzuschicken. Der betreffende Polizeibeamte gab einen “ZĂ€hlfehler” zu. Dem spĂ€ter gestellten Antrag gab das Gericht statt.

Mögliche Einstellung des Verfahrenskomplexes: Steinwurf bei NPD-Aufmarsch

Nach der Eröffnung des Verfahrens tauschten die Verfahrensbeteiligten sich zunĂ€chst zum Thema ‘biometrisches Gutachten’ aus. In dem vorangegangenen Hauptverhandlungstermin hatte der Vertreter der Staatsanwaltschaft den Antrag gestellt, bezĂŒglich des Vorwurfs ein biometrisches Gutachten zu einem Foto einzuholen, das den Angeklagten Wesley S. zeigen soll. Am heutigen Prozesstag ging es nun darum, dass seitens der Staatsanwaltschaft und des Gerichts auf die Einholung eines solchen SachverstĂ€ndigengutachtens verzichtet werden wĂŒrde, wenn eine Einstellung dieses Tatkomplexes nach § 154 StPO erfolgen wĂŒrde. Paragraf 154 StPO, der die nichtamtliche Überschrift „Unwesentliche Nebenstrafen“ trĂ€gt, sieht eine Einstellung von Tatkomplexen vor, wenn die erwartete Strafe im VerhĂ€ltnis zu der erwarteten Strafe bezĂŒglich der ĂŒbrigen angeklagten VorwĂŒrfe nicht betrĂ€chtlich ins Gewicht fĂ€llt.

Der erste Anschein eines Vorteils fĂŒr den Angeklagten Wesley S. durch die Einstellung trĂŒgt also. Vielmehr bedeutet das Angebot zur Einstellung von Gericht und Staatsanwaltschaft, dass sie bezĂŒglich der ĂŒbrigen angeklagten TatvorwĂŒrfe eine erhebliche Strafe erwarten und ein Freispruch kaum in Betracht kommt. Deshalb widersprach der Verteidiger der Einstellung. Das Gericht erklĂ€rte zudem, dass der Vorwurf des Landfriedensbruchs aufgrund der bisher erfolgten Beweisaufnahme wohl nicht aufrechterhalten werden könne, da es an der dafĂŒr erforderlichen Teilnehmerzahl fehle. Es handele sich nach Ansicht des Vorsitzenden lediglich um einen möglichen Verstoß gegen das ‘Versammlungsgesetz’, der angesichts der ĂŒbrigen angeklagten TatvorwĂŒrfe hinter diesen zurĂŒck trete. Außerdem sei nach Ansicht des Gerichts tatsĂ€chlich anhand des Fotos nicht klar zu identifizieren, ob es sich bei der abgebildeten Person um den Angeklagten Wesley S. handele oder nicht. Der Verteidiger bemĂ€ngelte daraufhin, dass die Staatsanwaltschaft erst weniger als 24 Stunden vor Verhandlungsbeginn angekĂŒndigt hatte, den Beweisantrag bezĂŒglich des biometrischen Gutachtens zurĂŒck zu nehmen und einer Einstellung zuzustimmen. Dies wĂŒrde eine Abtrennung und Entscheidung in dem Verfahren gegen den Angeklagten Wesley S. bedeuten. Angesichts dessen, dass der letzte Verhandlungstermin ĂŒber zwei Wochen her sei, hĂ€tte die Staatsanwaltschaft dies schon sehr viel eher mitteilen können und der Verteidiger hĂ€tte sich auf ein SchlussplĂ€doyer vorbereiten können, so SĂŒrig. So liefe es darauf hinaus, dass die Staatsanwaltschaft mit ihrer RĂŒcknahme des Beweisantrags bis kurz vor dem nĂ€chsten Verhandlungstermin gewartet hĂ€tte und die Verteidigung weniger als 24 Stunden Zeit gehabt hĂ€tte, darauf zu reagieren und sich auf das Ende des Verfahrens vorzubereiten.

Der Verteidiger kam auch noch einmal auf die ‘Einstellung’ zu sprechen und kĂŒndigte fĂŒr den Fall an, dass das Gericht mit Zustimmung der Staatsanwaltschaft eine Einstellung vornĂ€hme, einen Befangenheitsantrag wegen der Verhandlungszeit und der IntensitĂ€t der Beweisaufnahme zu stellen. Er begrĂŒndete dies damit, dass der Tatvorwurf, den die Einstellung betreffe, zu den schwerwiegendsten Grundrechtseingriffen gegenĂŒber seinem Mandanten gefĂŒhrt habe. So wurde die WohnungstĂŒr der Angeklagten mit einem Rammbock aufgebrochen. Der Angeklagte Wesley S. wurde zu Boden gebracht und gefesselt und die Wohnung wurde durchsucht. Der Vorsitzende betonte daraufhin, dass in der Kostenentscheidung klar gestellt werden könne, dass die derzeitige Beweislage eher fĂŒr einen Freispruch als fĂŒr eine Verurteilung spreche, indem der Staatskasse die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen des Angeklagten Wesley S. auferlegt wĂŒrden. Der Vorsitzende wollte jedoch zunĂ€chst die geladenen Zeugen hören und bat den Verteidiger, im Interesse seines Mandanten noch einmal ĂŒber eine mögliche Einstellung nachzudenken.

Kritik AKJ Bremen an Taktik der vorsitzenden Richter_innen

Der AKJ kann das Verhalten des Vorsitzenden an dieser Stelle nur vehement kritisieren. Der Vorsitzende erweckte den Eindruck, der Verteidiger handele wider die Interessen seines Mandanten, wenn er einer Einstellung widersprechen sollte. Dass der Verteidiger mit einer Zustimmung zu § 154 StPO aber indirekt zugeben wĂŒrde, dass die ĂŒbrigen angeklagten TatvorwĂŒrfe eine erhebliche Bestrafung erwarten ließen und keinesfalls zu einem Freispruch kommen könnten, wurde nicht deutlich. Zudem rief der Vorsitzende dem Verteidiger ins GedĂ€chtnis, dass dieser bereits angemerkt hatte, das Verfahren bedeute fĂŒr seinen Mandanten eine erhebliche finanzielle Belastung. So könnte der Eindruck entstanden sein, dass der Verteidiger entgegen der finanziellen Interessen des Angeklagten Wesley S. eine Verzögerung der Entscheidung herbeifĂŒhre. Angesichts der immer wieder von der Verteidigung bemĂ€ngelten vielfachen Verfahrensverzögerungen durch die Justiz erscheint es geradezu absurd, diesen Vorwurf jetzt der Verteidigung zu machen. So kritisierte der Verteidiger aufs SchĂ€rfste, dass das Gericht unter anderem nicht begrĂŒnden wollte, warum es die nahezu abwegige Anklage ĂŒberhaupt zur Hauptverhandlung zugelassen hatte. Aus Sicht des AKJ Bremen sollte der Verteidiger nicht dazu gedrĂ€ngt werden, auf die AufklĂ€rung des Sachverhalts und einen eventuell möglichen Freispruch zu verzichten, um das Verfahren um jeden Preis möglichst schnell zu beenden. Dadurch wird das Recht des hier zu unrecht Angeklagten auf Freispruch massiv untergraben.


Tatkomplex: Wegnahme einer Halskette mit schwarzer Sonne Emblem

ZunĂ€chst wurde der Zeuge Kai M. zu einem Vorfall am Bremer Hauptbahnhof vernommen, bei dem ihm eine Kette mit einem AnhĂ€nger, der eine sogenannte “schwarze Sonne” zeigte, abgenommen wurde. (Die Schwarze Sonne ist das Symbol fĂŒr ein Bodenornament in Gestalt eines Sonnenrades, das in der Zeit des Nationalsozialismus von der SS im Nordturm der Wewelsburg eingelassen wurde. Als Symbol wird diese schwarze Sonne in der Neonaziszene auch als Erkennungscode offen getragen.) Der Zeuge sagte aus, er sei mit drei Begleitern auf dem RĂŒckweg von der Osterwiese gewesen und sei auf dem Bahnsteig auf drei mĂ€nnliche Personen getroffen, die ihn angesprochen hĂ€tten. Er gab an, die Personen hĂ€tten sich um ihn herum aufgestellt. Eine der Personen habe ihn aufgefordert, die Kette heraus zu geben. Eine oder zwei der ĂŒbrigen Angreifer hĂ€tten ihm angedroht, wenn er die Kette nicht abnehme, gĂ€be es „was auf die Fresse“.

Der Zeuge gab an, die Kette sichtbar ĂŒber dem Shirt getragen zu haben. Er sagte, er habe die dĂŒnne Silberkette von seiner Mutter geschenkt bekommen und sie habe einen ideellen Wert fĂŒr ihn gehabt. Den AnhĂ€nger mit der schwarzen Sonne hingegen habe er von einem Freund bekommen und er selber wĂŒsste nicht, was fĂŒr eine Bedeutung dieses Symbol habe. Auf Nachfrage gab er an, nicht der rechten Szene anzugehören und sich mit deren Symbolik auch nicht auszukennen. Insbesondere betonte er, dass sein “Vater aus der TĂŒrkei” kĂ€me. Auf Anraten eines seiner Begleiter, er solle die Kette abnehmen bevor es Stress gĂ€be, habe er die Kette abgenommen und gerade in die Tasche stecken wollen, als eine der Personen sie ihm aus der Hand gerissen habe und weggerannt sei. Auch die anderen Angreifer seien geflĂŒchtet. Auf Nachfrage gab der Zeuge noch an, beim Wegreißen der Kette “völlig ĂŒberrascht” gewesen zu sein. SpĂ€ter habe er die Angreifer noch einmal wieder gesehen. Da habe einer seiner Begleiter ihn angerufen und ihm mitgeteilt, die Personen wĂŒrden sich gerade bei den drei PfĂ€hlen aufhalten. Daraufhin habe er sich dorthin begeben und die Polizei verstĂ€ndigt. Bei diesem Zusammentreffen habe er die Personen eindeutig wieder erkannt.


Der AKJ Bremen hatte hierbei erneut den Eindruck, der Vertreter der Staatsanwaltschaft wolle wiederholt bewusst ein eindimensionales Bild “linker Chaoten” zeichnen, die bei jeder Gelegenheit ihre politische Einstellung – auch mit Gewalt – durchsetzen wollten. Dies passt nicht zur gegenwĂ€rtigen Beweislage. 

Tatkomplex: Angriff auf einen JackentrÀger der Marke Thor Steinar in Hannover

Als nĂ€chstes wurde der Zeuge und GeschĂ€digte Davis K. zu einem Vorfall am Hauptbahnhof in Hannover vernommen, bei dem er zusammen geschlagen wurde. Der Zeuge gab an, bei dem Angriff eine rote Jacke der Marke ‚Thor Steinar‘ getragen zu haben. Er sei von hinten angegriffen und auf die rechte Seite des Gesichts geschlagen worden. Nachdem er zu Boden gegangen sei, hĂ€tten noch eine oder mehrere Personen auf ihn eingetreten. Die Tritte hĂ€tten ihn am Oberkörper und an den Beinen getroffen und er habe eine Schwellung im Gesicht sowie blaue Flecke, insbesondere an der HĂŒfte und an den Ellenbogen davon getragen. Der Zeuge sagte aus, mit seiner jetzigen Frau und einem befreundeten Paar unterwegs gewesen zu sein. Seine Begleiter hĂ€tten versucht, die Angreifer abzuwehren. Auf Nachfrage zum Bewusstsein ĂŒber die Marke seiner Jacke und ihrer Bedeutung gab der Zeuge an, dass die Marke Thor Steinar „fĂŒr manche Leute“ ein Anlass sei zu denken, „man gehöre gleich zur rechten Szene“. Auf weitere Nachfrage sagte er aus, dass er jedoch nicht der rechten Szene angehöre. Er habe nach der Tat auf Ă€rztlichen Rat etwa „sieben Tage weiche Kost“ zu sich nehmen sollen und habe auch noch bis zu drei Wochen nach dem Angriff eine Schwellung im Gesicht und Schmerzen beim Kauen gehabt.

AntrÀge vom letzten Sitzungstermin 

Beim letzten Termin zu Hauptverhandlung wurde eine Mail verlesen, die eine dienstliche Äußerung eines Kriminalhauptkommissars (KHK) vom 16.03.2016 beinhaltete, der bei der NPD-Demonstration fĂŒr die Verfahrenssicherung verantwortlich war und einen Stein sichergestellt hatte. Der Verteidiger hatte die Form der Mail bemĂ€ngelt, weil diese keine Urkunde darstellt und so nicht als Beweis in den Prozess eingefĂŒhrt werden kann. Der Vorsitzende hatte bis zum heutigen Verhandlungstag die dienstliche Äußerung des KHK in Schriftform vorliegen und verlas diese. Darin hieß es, der KHK habe unmittelbar nach einem Steinwurf den fraglichen Stein als SpurentrĂ€ger zu Beweiszwecken sichergestellt. Als Zeugen nannte der KHK weitere Polizist_innen, die den Steinwurf beobachtet, jedoch keine TĂ€ter erkannt hĂ€tten.

Außerdem verkĂŒndete das Gericht einen Beschluss zu dem im letzten Termin von der Verteidigung gestellten Antrag, den Vertreter der Staatsanwaltschaft zu der Durchsuchung in der Wohnung der Angeklagten zu vernehmen. Dadurch sollte vor allem klar gestellt werden, dass das angebliche Auffinden von pyrotechnischen GegenstĂ€nden in der Wohnung in Abwesenheit der Angeklagten erfolgte. Der Antrag wurde durch den Beschluss zurĂŒckgewiesen, da es sich um eine Tatsache handele, die fĂŒr den Tatvorwurf des Verstoßes gegen das Sprengstoffgesetz unerheblich sei.

Einstellung statt Freispruch

Schließlich kamen die Verfahrensbeteiligten noch einmal auf die mögliche Einstellung zu sprechen. Der Verteidiger betonte erneut, dass mit bloßem Auge zu erkennen sei, dass die Person auf dem Foto nicht der Angeklagte Wesley S. sei. Die Person auf dem Foto zeichne sich durch deutliche Stirnfalten aus, die bei seinem Mandanten nicht vorhanden seien. Zudem habe die Person auf dem Foto eine TĂ€towierung auf dem linken Oberarm. Der Verteidiger kĂŒndigte einen Beweisantrag dahingehend an, den TĂ€towierer seines Mandanten als Zeugen zu der Frage zu hören, ob sein Mandant zum Zeitpunkt des Tatvorwurfs eine TĂ€towierung auf dem linken Oberarm gehabt hĂ€tte oder nicht. Der Vertreter der Staatsanwaltschaft trug vor, eine „gewaltige“ Übereinstimmung zwischen dem Angeklagten Wesley S. und der Person auf dem Foto zu sehen. Insbesondere sei der Angeklagte zum Zeitpunkt der Aufnahme deutlich dĂŒnner gewesen, sodass das Auftreten von Stirnfalten anders ausgefallen sein könnte. Zudem sagte er, auch bezĂŒglich des Haaransatzes und der Ohren eine Ähnlichkeit zu erkennen. Dennoch stimmte er der Einstellung nach § 154 StPO zu, im Hinblick darauf, dass wegen der ĂŒbrigen angeklagten VorwĂŒrfe eine Strafe zu erwarten sei, verglichen mit der eine mögliche Bestrafung wegen dieses Tatvorwurfs in den Hintergrund treten wĂŒrde. Der Verteidiger beantragte, eine Einstellung nach § 154 StPO wegen Rechtsmissbrauchs zurĂŒck zu weisen. Hilfsweise trug er vor, dass eine Einstellung nach dieser Vorschrift schon nicht in Betracht kĂ€me, weil eine Verurteilung bezĂŒglich der anderen angeklagten VorwĂŒrfe nicht hinreichend wahrscheinlich sei. Außerdem erscheine eine Einstellung angesichts der im Zusammenhang mit dem betreffenden Tatvorwurf begangenen schwerwiegenden Grundrechtseingriffe seinem Mandanten gegenĂŒber unangemessen.

Behördengutachten

Seit dem letzten Verhandlungstermin holte das Gericht ein Behördengutachten betreffend die in der Wohnung der Angeklagten bei der Durchsuchung aufgefundenen und sichergestellten Feuerwerkskörper ein. Der Vorsitzende verlas das Gutachten. Bei den Feuerwerkskörpern handelte es sich laut Gutachten um eine 20-StĂŒck-Packung, in der sich noch sechs funktionsfĂ€hige sogenannte „La Bomba„-SĂ€tze befanden. Dabei handelt es sich dem Gutachten nach um in der BRD verbotene BlitzknallsĂ€tze, die geschossartig verwendet werden können und somit eine “erhebliche Gefahr” darstellen sollen. Der Umgang mit diesen in der Bundesrepublik nicht zugelassenen, als SprengsĂ€tze klassifizierten, Feuerwerkskörpern bedarf einer behördlichen Erlaubnis, ansonsten ist ein Verstoß gegen das Sprengstoffgesetz gegeben.

Einstellung Tatkomplex Steinwurf bei NPD Aufmarsch

Das Gericht nahm entgegen des Widerspruchs des Verteidigers die Einstellung nach § 154 StPO bezĂŒglich dieses Tatkomplexes vor mit der BegrĂŒndung, die Einholung eines biometrischen SachverstĂ€ndigengutachtens sei unverhĂ€ltnismĂ€ĂŸig und dadurch drohe eine Prozessverschleppung oder zumindest Prozessverzögerung. Das Gericht sei nicht abschließend in der Lage, zu entscheiden, ob das Foto den Angeklagten Wesley S. zeige. Die Kosten fĂŒr das Verfahren und die notwendigen Auslagen des Angeklagten wurden der Staatskasse auferlegt. Das Gericht wies noch darauf hin, dass auch eine mögliche EntschĂ€digung des Angeklagten Wesley S. nach dem StrafverfolgungsentschĂ€digungsgesetz durch die Einstellung nicht ausgeschlossen sei, sodass keine unangemessene Benachteiligung des Angeklagten durch die Einstellung vorliege.

Abschließend stellte Verteidiger SĂŒrig noch einen Beweisantrag dahingehend, dass alle bei der Durchsuchung der Wohnung der Angeklagten anwesenden Polizist_innen zu der Frage vernommen werden sollen, dass die „La Bombas“ entweder nicht oder zumindest in “Abwesenheit der Angeklagten” aufgefunden wurden. Er begrĂŒndete den Antrag damit, dass der Vertreter der Staatsanwaltschaft nicht als Zeuge zu dieser Frage vernommen worden sei und das Gericht seinen diesbezĂŒglichen Beweisantrag abgelehnt hatte. Dies bedeute die Unterstellung, dass der berichtende Polizeibeamte die Wahrheit gesagt habe, nĂ€mlich dass zumindest der Angeklagte Wesley S. sich noch in der Wohnung befunden habe, was der Verteidiger bestreitet. Zum Beweis nennt Verteidiger SĂŒrig diverse Beschlagnahmebescheinigungen, in denen das Feld „dem Beschuldigten ausgehĂ€ndigtnicht angekreuzt sei. Dies bedeute, dass die Angeklagten zum Zeitpunkt der Beschlagnahme bereits zwangsweise aus der Wohnung verbracht worden seien.

SchlussantrÀge zur möglichen Befangenheit des zustÀndigen Gerichts

Nach einer Pause wurde dem Verteidiger SĂŒrig Gelegenheit gegeben, seine AntrĂ€ge zu stellen. Vorab ließ der vorsitzende Richter ihm mitteilen, dass die Reihenfolge der AntrĂ€ge fĂŒr den Verteidiger “keinen Rechtsverlust darstellen” wĂŒrde und bat darum, den “Befangenheitsantrag gegen das Gericht” erst zum Schluss zu stellen.

Der umfassende Antrag des Verteidigers bezieht sich auf den 16.12.2014, dem Tag der Hausdurchsuchung. Hier soll gerichtlich festgestellt werden, dass die beiden Angeklagten im Zuge der Hausdurchsuchung “gegen ihren Willen aus den eigenen RĂ€umen entfernt wurden” und erst nach der zwangsweisen Entfernung aus deren Wohngemeinschaft die fraglichen “pyrotechnischen Objekte”, hier Knallkörper, durch die Beamt_innen in den WohnrĂ€umen aufgefunden und beschlagnahmt worden sein. In dem Zusammenhang wurde von dem Verteidiger beantragt, alle zur Zeit der Hausdurchsuchung anwesenden und zustĂ€ndigen Polizeibeamt_innen zu laden, um zu bezeugen, was sich an dem Tag der Hausdurchsuchung tatsĂ€chlich zugetragen hat. Weiter begrĂŒndete der Verteidiger seinen Antrag mit der Feststellung, dass mit der zwangsweisen Entfernung der Angeklagten wĂ€hrend der Hausdurchsuchung “mutwillig” die Anwesenheit der Angeklagten “vereitelt” worden sei. Dieser Verfahrensfehler fĂŒhre zum “Verwertungsverbot” der beschlagnahmten Objekte und somit zum “Freispruch” im Sinne der Anklage. Eine Einstellung sei somit abwegig.

Weiter sei die Weigerung des Gerichts, die vorgebrachten Tatsachen “begĂŒnstigend” zur Kenntnis zu nehmen, fĂŒr den Verteidiger ein klares Zeichen dafĂŒr, dass bei diesem Verfahren nicht die Wahrheitsfindung im Vordergrund stehe, sondern vielmehr die Absicht, “eine Blamage fĂŒr Polizei und Justiz” zu verdecken. Die Richter seien offenkundig befangen, da sie ihre “Macht missbrauchen”, um “begĂŒnstigende Beweise zu ignorieren”, die einen “Freispruch erfĂŒllen” wĂŒrden, so der Verteidiger. Hierzu zĂ€hlte er aus seiner Sicht offenkundige Tatsachen auf, wie die Lichtbilder aus Rostock. Die mit bloßem Auge erkennen ließen, dass es sich nicht um den Angeklagten Wesley S. handeln könne. Ebenso wie die Behauptung, die TĂ€towierung auf dem Lichtbild zeige die TĂ€towierung des Angeklagten, obgleich auch hier eindeutig zu erkennen sei, dass diese nicht vom Angeklagten stammen könne. Ebenso seien die Oberarme des Angeklagten nicht identisch, sondern “eindeutig weniger muskulös”, als die Oberarme auf den Lichtbildern, die den mutmaßlichen TĂ€ter zeigen sollen.

Die Verteidigung von Valentin S. schloss sich den AntrÀgen des Verteidigers von Wesley S. an.

Die Hauptverhandlung wird fortgesetzt am Dienstag, 12.04.2016, um 9.30 Uhr im Saal 218 des Landgerichts Bremen.

VerschÀrfungen des Rechts: Sexualstrafrecht

Die Ereignisse wĂ€hrend der Kölner Silvesternacht, in der offenbar hunderte Frauen sexuell belĂ€stigt und bestohlen wurden, haben eine neue Debatte ĂŒber sexualisierte Gewalt und die Frage, wie mit dieser rechtlich umzugehen ist, entfacht. Diese Debatte und die Tatsache, dass viele der mutmaßlichen TĂ€ter einen Migrationshintergrund hatten, wurde dabei zum Teil genutzt, um Stimmung gegen „FlĂŒchtlinge“ zu machen und sexualisierte Gewalt pauschal als ein „importiertes“ Verbrechen darzustellen. Dass aber Frauen in Deutschland immer wieder, unabhĂ€ngig von der Herkunft der TĂ€ter, von sexualisierter Gewalt betroffen sind, zeigt, dass dies ein generelles Problem ist. Die genannten Ereignisse haben jedenfalls dazu gefĂŒhrt, dass der Ruf nach einer VerschĂ€rfung des Sexualstrafrechts momentan immer deutlicher wahrzunehmen ist.

  • Doch inwiefern ist eine VerschĂ€rfung des bestehenden Sexualstrafrechts eine
    wirksame Maßnahme gegen sexualisierte Gewalt?
  • Welche StrafbarkeitslĂŒcken weist das bestehende deutsche Strafrecht auf?
  • Welche gesellschaftlichen Faktoren spielen eine Rolle und wie muss gesellschaftlich mit sexualisierter Gewalt umgegangen werden?

Wir möchten uns dem Thema annÀhern und die Streitfragen am
05.04.2016 um 18:30 Uhr in Raum GW1 C 2320 (ZERP-Raum)
am Fachbereich 6 der Uni Bremen diskutieren. Hierzu haben wir folgende Personen eingeladen:

  •  BĂ€rbel Reimann (Bremische Zentralstelle fĂŒr die Verwirklichung der
    Gleichberechtigung der Frau)
  • Anna Wolfinger und Maren Winter (Studentinnen am Fachbereich 6)
  • Prof. Dr. Ingeborg Zerbes (Fachbereich 6)

 

 

Plakat_VerschÀrfung_Sexualstrafrecht_A4

Achter Prozesstag im Verfahren gegen antifaschistische Ultras

Tatkomplex: Steinwurf gegen NPD Aufmarsch in Rostock – Fortsetzung


Sicherstellung digitale Kommunikation der Angeklagten

Am Donnerstag, 03.03.2016, wurde die Untersuchung des Tatkomplexes, welcher bereits am 25.02.2016 im Landgericht verhandelt wurde, fortgesetzt.

Zu Beginn beantragte Verteidiger Wesemann das Verfahren auszusetzen, um neue Informationen, die der Staatsanwaltschaft (StA) vorliegen sollen, in die Akte der Verteidigung aufzunehmen und sich mit dem Verteidiger SĂŒrig ĂŒber den Inhalt zu beraten. Hierbei soll es sich um mehrere von der StA sichergestellte Daten-CD’s mit Aufzeichnungen ĂŒber den Chatverlauf zwischen den beiden Angeklagten, beim Social-Media Anbieter WhatsUp, handeln. Sowie sichergestellte Korrespondenz ĂŒber e-Mail der Angeklagten.

Die StA kĂŒndigte an, damit beweisen zu wollen, der Angeklagte Wesley S. habe „BetĂ€ubungsmittel ĂŒber die GefĂ€ngnismauern der JVA geworfenund habe hiermit durch „Handel treiben mit BetĂ€ubungsmitteln“ auch wĂ€hrend des Verfahrens gegen ihn, eigenes strafbares Handeln fortgesetzt. Auch soll hiermit aus Sicht der Anklage bewiesen werden, der Angeklagte Valentin S. habe „in der Untersuchungshaft vier verschiedene Mobiltelefone“ widerrechtlich in seiner Zelle besessen und diese u. a. genutzt, um damit Kontakt zu dem Mitangeklagten zu halten. Hierbei seien Dialoge zustande gekommen, die beweisen sollen, die beiden Angeklagten hĂ€tten sich ihrer, den ihnen vorgeworfenen Taten, gerĂŒhmt. So konstatierte der StA: „Aus dem extrahierten Chat sei die Einstellung der Angeklagten zum Einsatz von Gewalt erkennbar“. Weiter soll die zuletzt in den Verhandlungssaal mitgefĂŒhrte Mappe und ein T-Shirt des Angeklagten Valentin S., mit der Aufschrift „Antifa Boxing Club“ und „Free Valentin“, gegen die -Sitzungspolizeiliche VerfĂŒgung- des Gerichts verstoßen.

Nach diesen AntrĂ€gen und AnkĂŒndigungen der StA wurde die Untersuchung durch Vernehmung von Zeugen zum Tatkomplex ‚Steinwurf auf eine NPD Demo in Rostock‘ fortgesetzt.

Zeuge der Polizeibehörde Markus W.

Der erste Zeuge, Beamter der Bundespolizei, war zum Zeitpunkt des Aufmarsches der NPD, in Rostock, im Bahnhofsgebiet eingesetzt. Nach seinen Einlassungen war er an diesem Tag zustĂ€ndig die politischen Lager „Links“ und „Rechts“ voneinander getrennt zu halten und die sogenannte Sicherheit und Ordnung am Bahnsteig zu gewĂ€hrleisten. Indem die als „Rechts“ eingestuften Personengruppen auf Gleis 3 von den als „Links“ eingestuften Personen auf Gleis 7 voneinander abgeschirmt und entsprechend den Lagern zugeordnet wurden. Hier sei ihm „eine ca. 14-Köpfige Personengruppe aufgefallen„, unter der sich die Angeklagten befunden haben sollen. Diese habe er und seine Kollegen aufgrund der Kleidung und Ă€ußeren Erscheinung nach „Rechts“ sortiert. Erst beim Skandieren von „Alerta Antifascista“ durch diese Gruppe, sei ihnen der Fehler bewusst geworden und sollen daraufhin die Provokateure gewaltsam zurĂŒck in den Block „Links“ gedrĂ€ngt haben. Nach Schilderung des Zeugen habe Valentin S. sich in der Gruppe befunden und einen Mundschutz getragen, weshalb er diesen auch direkt angesprochen hĂ€tte. Auch auf Hinweis diesen Mundschutz zu entfernen, sei dieser seiner Aufforderung nicht nachgekommen. Wenige Zeit spĂ€ter soll der Person der Mundschutz heraus gefallen sein. Daraufhin soll der Zeuge ihn separiert und belehrt haben. Dieser sei dennoch nicht kooperativ gewesen und habe sich weiterhin auf seine Gruppe konzentriert und auf weitere Provokationen gegen das „rechte Lager“. Nach der Personalien-Feststellung und weiteres Maßregeln, soll Valentin S. sich ohne Erlaubnis von der Position entfernt haben und in seiner Gruppe verschwunden sein.

Der eintreffende Zug, der die beiden Lager zurĂŒckfĂŒhren sollte zu ihren Wohnorten, wurde durch den Beamten und seinen Kollegen in zwei Teile eingeteilt, um darin die Lager getrennt transportieren zu können. Nach Abfahrt des Zuges soll gegen 21.07 Uhr die Notbremse fĂŒr ca. 45 Min. im Zug widerrechtlich aktiviert worden sein. Mit der Folge, dass der Zug den Bahnhofsbereich Rostock nicht verlassen konnte und den gesamten Personenverkehr beeintrĂ€chtigt haben soll. Nach dem der Zug wieder gefahren sei, gab es nach Aussagen des Zeugen einen Umstieg auf dem Bahnhof ‚Bad Kleinen‘. Auch hier sei dem Beamten unter „einhundert Personen wiederum der Angeklagte aufgefallen„. Dieser soll wiederholt durch Provokationen entgegen der in Sichtweite stehenden „rechtem Lager“ aufgefallen und wiederum vermummt aufgetreten sein. Hiernach habe der Zeuge den Angeklagten jedoch nicht noch einmal wahrnehmen können.

Nach dieser Darstellung des Polizeibeamten, fragte der Vorsitzende wie dieser sich auf diese Verhandlung vorbereitet habe. Dieser entgegnete, dass er sich noch einmal den Bericht durchgelesen habe. Auf die Frage, ob er sich auch selbststĂ€ndig an dieses Ereignisse erinnere, gab er an, sich durch das Lesen der DiensterklĂ€rung und durch Einlesen in den Vorgang wieder erinnert habe. SelbststĂ€ndig sei ihm der Vorfall auch deswegen nicht eingefallen, da er dies damals als „Verstoß gegen das Versammlungsgesetz“ verfolgt hatte und nicht wie im Strafverfahren just wegen des Vorwurfs der Körperverletzung. Weiter wurde der Zeuge gefragt, ob ihm auch Fotos gezeigt worden seien auf denen angeblich die Angeklagten zu sehen sein sollen. Solche Fotos seien dem Zeugen nach eigener Aussage jedoch nicht vorgehalten worden. Warum ausgerechnet der Zeuge darauf kĂ€me, dass es sich nun auch um den Angeklagten Valentin S. handele, der im Tatzusammenhang mit Körperverletzungen stehen soll, beantwortete der Zeuge, dass es eine fĂŒr ihn erkennbaren Tatsache sei, das dieser sich im „Nahbereich der Aktion“ aufhielt und sich dem polizeilichen Zwang entzogen hatte. Schließlich habe aus seiner Sicht auch der beschlagnahmte Mundschutz eine Rolle dabei spielen mĂŒssen.

Nach diesen Antworten auf die Fragen der Vorsitzenden setzte Verteidiger SĂŒrig mit seiner Befragungen fort. SĂŒrig wollte in Erfahrung bringen, ob die Gruppe „Links“ dem Lager „Rechts“ auch dann zugeordnet worden wĂ€re, hĂ€tte diese sich ruhig verhalten. Der Zeuge wies diese Frage als Spekulation zurĂŒck. Dem entgegnete Verteidiger SĂŒrig, dass es doch gerade die Gruppe „Links“ war, die weitere Eskalation mitunter von körperlicher Gewalt dadurch selbst verhinderte, in dem sie trotz der falschen Zuordnung nach „Rechts“ und der sich damit bietenden Tatgelegenheit, diese dennoch ausließ. Stattdessen lautstark auf sich aufmerksam machte und damit selbststĂ€ndig die Gelegenheit unterband. WĂ€re es der Gruppe „Links“ um eine körperlichen Auseinandersetzung gegangen, wie der Zeuge behauptete, wĂ€re die Chance dafĂŒr nur dann gegeben gewesen, wenn sie den Irrtum der Beamten vor Ort ausgenutzt hĂ€tten, so SĂŒrig. Dies sei aber nicht geschehen und deshalb sei auch nicht zu unterstellen, die Gruppe „Links“, unter denen sich die Angeklagten befunden haben sollen, sei es unweigerlich um eine gewalttĂ€tige Konfrontation gegangen.

Der Verteidiger Wesemann setzte die Befragung unter dem Aspekt der Bekleidung der mutmaßlichen Gruppe „Links“ fort. Hierbei befragte er den Zeugen auf die Marken der KleidungsstĂŒcke und Schuhe. So nannte Wesemann die Marken „New Balance“ und „Lonsdale“ und fragte, ob dem Zeugen diese Labels als szenetypisch „Rechts“ bekannt seien. Der Zeuge verwies auf seine erste Aussage, keine eigenstĂ€ndigen und detaillierten Erinnerungen mehr an den Tag zu haben. Wesemann befragte im Detail weiter den Zeugen zu Aussehen der Personen, zu den Schuhen, Marken, Hosen, Haaren und der Oberbekleidung. An keines der abgefragten Details erinnerte sich der Zeuge selbststĂ€ndig.

Nachdem hier keine erhellenden Informationen von dem Zeugen vorgebracht werden konnten, setzte Verteidiger SĂŒrig die Befragung fort. Dieser wollte in Erfahrung bringen, ob „eigentlich das Lager Rechts gĂ€nzlich aggressionfrei gewesen“ sei und ob nicht von dieser Seite ein Plan zur Gewalt gegen das Lager „Links“ bestanden haben könnte. Schließlich sei nach Auffassung des Verteidigers dieses rechte Lager auf dem Bahnsteig gegenĂŒber, in Sichtweite, gewesen und habe auf Provokationen doch wohl reagiert. SĂŒrig erklĂ€rte weiter, sich unmöglich vorstellen zu können, das dieses rechte Lager ganz ruhig da gestanden habe und keine Parolen skandiert oder mit Beschimpfungen provoziert hĂ€tte. Auch sei es fĂŒr ihn seltsam, warum denn der Fokus der Beamten vor Ort nur auf das Lager „Links“ gerichtet gewesen sei. Hierauf antwortete der Zeuge, dass dieser sich „nicht mehr erinnere.“

Nach dieser Befragung wurde der Zeuge entlassen. Hierauf verkĂŒndete Verteidiger Wesemann, fĂŒr ihn sei „keinerlei Zusammenhang zu den Angeklagten herstellbar„. Dies wies der StA entschieden zurĂŒck mit der Behauptung: „Die Fotos reichen hier vollkommen aus“. Wesemann sah dies als falsche Annahme und machte dem Gericht deutlich, dass der Zeuge, Beamter Markus W., sich nicht einmal erinnern könne, ob auf den KleidungsstĂŒcken der Gruppe „Links“ ĂŒberhaupt irgendetwas gestanden habe.

Zeuge Dr. Korzinski – Gutachter fĂŒr DNA Analysen

Der nĂ€chste Zeuge (Gutachter) arbeitet als Diplom-Biologe in einem Institut zur Analyse von DNA Spuren. Seine Funktion bei Gericht ist es, objektiv dem Gericht zu erklĂ€ren, ob an dem mutmaßlichen Tatmittel, hier einem sichergestellten Stein, der als Wurfgegenstand genutzt worden sein soll, DNA Anhaftungen sind, die in Beziehung zu dem Angeklagten, hier Valentin S. stehen sollen. Hierbei bezieht sich, im Gegensatz zur gewöhnlichen Befragungen von Zeug_innen, eine Aussage eines Gutachters nicht auf subjektives Erleben und Erinnern, sondern allein auf wissenschaftlich objektiv belastbare Tatsachen.

Der Gutachter hat im Auftrag der Ermittlungsbehörden folgende Maßnahmen zur Untersuchung vorgenommen und die folgenden Tatsachen festgestellt:

Nach acht ‚Mundschleimhaut-Abstrichen‘ möglicher DNA Spur TrĂ€ger, darunter die Angeklagten, die im kausalen Zusammenhang zum Steinwurf stehen könnten, hat das Labor im Ergebnis keine eindeutige DNA Spur die vom Tatmittel stammt, den Angeklagten Valentin S. als alleinigen Verursacher zuordnen können. Im Ergebnis handelt es sich bei der untersuchten Probe, um eine sogenannte ‚Mischspur‘. Allein ein aufwendiges Laborverfahren muss die NĂ€he des Tatmittels zu den mutmaßlichen TĂ€tern eindeutig herstellen oder ausschließen können. So kommt der Gutachter zu dem Ergebnis, das Valentin S. als Verursacher einer der DNA Spuren auf dem untersuchten Stein in Frage kommt. Dies bedeutet im juristischen Sinne jedoch nicht, das ihm auch unterstellt werden kann, tatsĂ€chlich selbststĂ€ndig Kontakt zu dem Stein gehabt zu haben, um diesen als Tatmittel zu verwenden. Es lĂ€sst sich auch vertreten, das eine dritte Person dieselben Handschuhe oder Ă€hnliches vor BerĂŒhrung des Steins trug, die auch der Angeklagte zuvor getragen haben könnte. Hierbei kann es zu Übertragungen der eigenen DNA auf die DNA eines Dritten gekommen sein. In dessen Folge vermischen sich die beiden DNA Spuren und lassen eine juristisch saubere Zurechenbarkeit zwischen TĂ€ter und Tathandlungen, oder auch nur die wirkliche NĂ€he des DNA TrĂ€gers zu dem Tatmittel zum Tatzeitpunkt, nicht zu. Dies ist zum VerstĂ€ndnis des faktischen Ergebnisses des Gutachtens des Zeugen von Bedeutung. Eine Vielzahl von Szenarien lassen sich denken, wie es zu der Mischspur gekommen war. Dies ist eines von vielen Problem beim Nachweis des Verursachers bei Mischspuren.

(Der Weserkurier hatte irrefĂŒhrend in seinem Artikel mit der Schlagzeile „Statistische Berechnung zu DNA-Spuren belastet Werder-Ultra“ das Ergebnis des Gutachters so dargestellt, als ob allein die Tatsache das Valentin S. als DNA Verursacher objektiv nicht ausgeschlossen werden könne, schon fĂŒr sich eine „belastende“ Tatsache fĂŒr den Angeklagten darstelle. Dies ist jedoch nicht zutreffend. Eine Tat muss einem Beschuldigten zweifelsfrei durch sein kausales Zutun zum Erfolg der Tat objektiv nachgewiesen werden. Objektive Zweifel ĂŒber die kausale Zurechenbarkeit zwischen Taterfolg und TĂ€ter fĂŒhren nicht zu einer Belastung fĂŒr den Beschuldigten)

 

Vorausgegangen war dieser Feststellung ĂŒber das Gutachten einer sehr detaillierten AufschlĂŒsselung von Zahlen, Techniken, angewendeter Software und mathematischen Modellen, durch die jene DNA Spur auf dem fraglichen Stein mit der Probe der Mundschleimhaut, der infrage kommenden TĂ€ter abgeglichen wurde. Die genaue Erörterung möchten wir den Leser_innen an dieser Stelle ersparen.

Zeuge Polizeibeamter Nicola F.

Der dritte Zeuge an diesem Verhandlungstag hatte die Funktion den Demonstrationszug zu begleiten und eine Sitzblockade, die den Aufmarsch zu blockieren suchte, zu rĂ€umen. Hierbei sei dem Beamten eine Gruppe ca. 20 Meter entfernt von ihm aufgefallen. Aus dieser Gruppe heraus habe eine Person die vermummt gewesen sein soll mit dem Mittelfinger in Richtung Aufmarsch provozierend gestanden. Den Wortlaut von provozierenden Rufen habe er nicht verstanden. Dabei will der Beamte beobachtet haben, wie eine Person an einer Hauswand hinter der Hecke verschwand und nach Sekunden wieder auftauchte und mit einem Stein warf. Hierauf habe der Beamte sofort reagiert und laut gerufen: Steinwurf. Nachdem eine Person getroffen wurde, sei er mit seinen Kollegen zum GeschĂ€digten gelaufen und dort verblieben. Weiter habe er das Geschehen um den mutmaßlichen TĂ€terkreis nicht verfolgen können.

Auf Nachfrage des vorsitzenden Richters, wie groß die Gruppe war und ob ihm weitere Details in Erinnerung seien, antwortete dieser, er habe ca. 10 Personen wahrgenommen. Weiter habe er eine „beige Hose“ als „auffĂ€llig“ empfunden. Die anderen sollen alle „schwarze“ Kleidung getragen haben. So wie Personen in Kapuzenpullovern und einem Tuch um den Mundbereich. Sonst seien ihm keine Merkmale in Erinnerung geblieben. Auch könne er zu den KörpergrĂ¶ĂŸen keine Angaben machen. Auf direkte Nachfrage, ob denn bei den GrĂ¶ĂŸen der Person irgendeine AuffĂ€lligkeit bestanden habe, verneinte dieser Zeuge dies betont. So sei hier „nichts weiter auffĂ€llig“ gewesen. Nach diesen Einlassungen wurden Fotos in Augenschein genommen. 

Hier brachte folglich der Zeuge auch keine eindeutigen Erkenntnisse zutage. Dies wurde an Aussagen deutlich wie „kann mich an Details nicht erinnern“ oder „kann mich an dieses Foto nicht erinnern“ sowie „die erste Person auf dem Bild könnte passen„. Nach der Augenscheinnahme wurde der Zeuge ebenfalls entlassen.

Zeuge der Polizeibehörden Ronny S.

Der nĂ€chste Zeuge war bei dem Aufmarsch nach eigener Aussage an der „rechten Flanke“ aktiv. Ihm sei dir betreffende Gruppe aufgefallen wĂ€hrend der Sitzblockade gegen den Aufmarsch der NPD. Es sei fĂŒr die Polizei in solchen Situation ĂŒblich, nicht so sehr auf das Gesamtgeschehen zu achten, sondern auf „verdĂ€chtiges Verhalten„, da erfahrungsgemĂ€ĂŸ solche Situationen von Störern ausgenutzt wĂŒrden und ein erhöhtes Risiko bestehe, dass es zu Straftaten komme. In seinen weiteren Einlassungen war die Beschreibung der fraglichen Gruppe und dessen Verhalten zu den Einlassungen des Polizeibeamten Nicola F. in etwa deckungsgleich. Abweichend war die Beschreibung der Hosen der tatverdĂ€chtigen Gruppe. Hier will der Zeuge nun auch „Jeanshosen“ gesehen haben.

Insgesamt waren auch bei diesem Zeugen die meisten der Erinnerungen nicht eigenstĂ€ndiger Natur, sondern stammten aus dem Nachlesen der angefertigten Notizen in den Akten der zustĂ€ndigen Dienststelle. Die Erinnerungen waren insgesamt eher spekulativ und brachten ebenso wenig klare Erkenntnisse, die eine Verbindung zwischen der fraglichen Gruppe und den Angeklagten sichern wĂŒrden. Nach dieser Vernehmung wurde der Zeuge entlassen.

Zum Abschluss des Verhandlungstages wurden zwischen den Prozessparteien die Merkmale auf den vorgelegten Fotos diskutiert. Dies mit Hinblick darauf, dass hier nach Auffassung der StA gutachterlich festgestellt werden mĂŒsse, ob die Merkmale auf den Fotos mit denen der Angeklagten ĂŒbereinstimmt. Dies konnte durch Augenscheinnahme bisher nicht objektiv geklĂ€rt werden. Zur Disposition stehen die Merkmale: Augenpartie, Haaransatz, Augen – Nase Abstand, Form der Ohren, TĂ€towierung auf den Lichtbildern und die des Angeklagten Wesley S. sowie die „helle Hose“ auf den Lichtbildern von Rostock. Nach Auffassung der Verteidigung sei dies bereits durch das Betrachten der Fotos objektiv erkennbar, dass es sich unmöglich um die Angeklagten handeln könne. 

Die AntrĂ€ge der Verteidigung der letzten Verhandlungstage wurden durch BeschlĂŒsse des Gerichts insgesamt zurĂŒckgewiesen. Somit hatte keines der AntrĂ€ge der Verteidiger erfolg. Beantragt worden war unter anderem: Aussetzung des Verfahrens, Beweisverwertungsverbot der Facebook Observation durch den in Bremen in der Sache zustĂ€ndigen Beamten Martin W., Verwertung der Aussagen eines Oberstaatsanwaltes in Beziehung zu Aussagen der rechtsradikalen Aktivistin F., die in BĂŒckeburg wahrheitswidrig gegen Antifaschist_innen ausgesagt haben soll, Verwertungswiderspruch zu den Beschlagnahmungen der Hausdurchsuchungen bei den Angeklagten.

Beantragt wurde durch die StA ein biometrisches Gutachten zu erstellen und dem Gericht so die Frage zu klĂ€ren, ob es sich bei den auf den Lichtbildern zu sehenden Personen tatsĂ€chlich nicht um die Angeklagten handelt. Verteidiger SĂŒrig bestand darauf, dass wenn dies beantragt wird, ein unabhĂ€ngiger Gutachter bestellt werden mĂŒsse und bemĂ€ngelte, dass es nicht erklĂ€rbar sei, warum der StA erst zu diesem Zeitpunkt des Verfahrens diesen Schritt einleitete, obwohl angeblich fĂŒr seinen Mandanten schon damals „dringender Tatverdacht“ bestanden haben soll. Folglich das Gutachten bereits im Vorverahren bereits geklĂ€rt hĂ€tte, das es sich nicht um die Angeklagten handele und es nicht zur Anklage hĂ€tte kommen mĂŒssen. 

 

Der neunte Prozesstag wird im LG Bremen am 22.03.2016, um 09.00 Uhr, fortgesetzt.

Arbeitskreis kritischer Jurist_innen Bremen

Siebter Prozesstag im Verfahren gegen antifaschistische Ultras

Tatkomplex: Steinwurf gegen NPD Aufmarsch in Rostock

Am inzwischen siebten Prozesstag, dem 25.02.2016, wurde ein neuer Tatkomplex untersucht, der sich anlĂ€sslich eines NPD Aufmarsches, am 11.05.2015, in Rostock, ereignet haben soll. Vorgeworfen wird den beiden Angeklagten, sie seien aus einer grĂ¶ĂŸeren Gruppe von maskierten Personen heraus, provokativ auf den NPD Aufzug zugegangen und hĂ€tten mit Steinen in Richtung der Teilnehmenden geworfen. Hierbei sollen, neben eines auffĂ€llig großen, auch mehre kleinere Steine geworfen worden sein. Durch den Steinwurf mit dem grĂ¶ĂŸeren Stein, sei eine Person durch das Auftreffen des Steins in dessen Brustbereich, verletzt zu Boden gegangen und musste medizinisch behandelt werden. Des Weiteren sei die mitgefĂŒhrte Kamera des GeschĂ€digten im Zuge dessen zerstört worden.

Am achten Prozesstag (03.03.2016) soll die Untersuchungen dieses Tatkomplexes fortgesetzt und abgeschlossen werden. Das Verfahren gegen den Angeklagten Wesley S. soll hiernach (22.03.2016) abgetrennt, sowie alle bisher untersuchten TatvorwĂŒrfe gegen den Angeklagten abgeurteilt werden. Verbleiben wĂŒrde nach dem Urteil allein der Angeklagte Valentin S., gegen den weitere TatvorwĂŒrfe, die bisher noch nicht behandelt wurden, untersucht werden. Ebenso bleibt die Untersuchungshaft gegen Valentin S. bis auf weiteres bestehen. Insgesamt könnte der Prozess, trotz der fĂŒnf untersuchten Tatkomplexe, sich noch bis zum Juni/Juli 2016 hinziehen. Bis zu diesem Zeitpunkt bestĂŒnde folglich eine inzwischen knapp einjĂ€hrige Untersuchungshaft.

Weiterhin kritisiert der AKJ Bremen die UnverhĂ€ltnismĂ€ĂŸigkeit dieser Maßnahme gegen den Angeklagten mit Nachdruck. Ebenso die damit verbundene VorfĂŒhrung des noch jugendlichen Angeklagten in Handschellen. FĂŒr den AKJ lĂ€sst sich auch weiterhin die Erforderlichkeit nicht erkennen und fordert die unverzĂŒgliche Aufhebung dieser unangemessenen HĂ€rte.

Vernehmung des GeschÀdigten Dr. Mark B.

Als erster Zeuge wurde der GeschĂ€digte Dr. Mark B. geladen. Seines Zeichens Politikwissenschaftler. Dieser gab dem Vorsitzenden zunĂ€chst an, er habe sich am Tattag auf der Demoroute aufgehalten, um im Auftrag des SPD Landesverbandes ‚Mecklenburg Vorpommern‘, den Aufmarsch der NPD zu dokumentieren. An der Front des Geschehens habe er versucht von dem Aufzug Fotos machen. Im Vorfeld der SchĂ€digung seiner Person seien ihm schon eine “Gruppe junger MĂ€nner” aufgefallen, die den Aufzug der NPD “gezielt umkreist” hĂ€tten. Sie seien zuvor “aus den HĂ€userschluchten” heraus um die Route gelaufen und hĂ€tten mit “provozierenden Gesten” sowie mit “vermummten Gesichtern” die Teilnehmer_innen “gegen sich aufgebracht”. Darunter sei durch die Teilnehmer_innen der NPD Demonstration, u. a. Parolen wie “Antifa Hurensöhne” mehrfach skandiert worden. Insgesamt sei die Situation fĂŒr den GeschĂ€digten Dr. B. aber „typisch fĂŒr solche AufmĂ€rsche“ gewesen und kein Grund fĂŒr ihn beunruhigt zu sein.

Gewalt sei zu diesem Zeitpunkt seiner Beobachtung auch von keiner Partei erkennbar ausgegangen. In der aber doch aufgeschaukelten Situation seien gegen 14.40 Uhr “plötzlich Steine in Richtung des Aufzugs” geflogen, die “aus der Gruppe der jungen MĂ€nner heraus” geworfen worden sein mĂŒssten. Es sei dabei seiner Meinung nach die Gruppe gewesen, die er “glaubt vorher schon beobachtet zu haben”. In der Situation des Werfens von kleineren Steinen, so rekonstruierte er, sei der einzige grĂ¶ĂŸere Stein daraufhin auf ihn geflogen. Der Stein habe ihn schließlich verletzt und zu Boden gebracht. Das es gerade ihn treffen sollte, konnte der GeschĂ€digte nicht sagen. Er nahm an, die TĂ€ter hĂ€tten ihn “irrtĂŒmlich fĂŒr einen der NPD Teilnehmer” gehalten. Da dieser so nah seitlich zum Kopf des Demozuges gestanden habe. Der Zeuge konkretisierte, vielleicht auch “gar nicht das Ziel des Steinwurfs” gewesen zu sein, sondern “nur in der Flugbahn zwischen Angreifer und Demoaufzug zufĂ€llig“ gestanden zu haben. 

Auf die Frage des Vorsitzenden, ob er habe sehen können, wer genau aus der Gruppe diesen Stein warf, konnte der GeschĂ€digte keine Angaben machen. Er soll  jedoch “die Wurfrichtung in Erinnerung” haben, sowie “ein Kleidungsmerkmal” eines der TĂ€ter. Eine “schmalere Person mit einem Halstuch auf dem ein Skelett abgebildet” gewesen sein soll, habe er noch in Erinnerung. Auf Nachfrage zu weiteren Details verwies er auf seine vor der Tat bereits dokumentierenden Fotos. Eine Person aus der Gruppe der TĂ€ter habe “ein dunkelfarbiges T-Shirt” getragen und sei “durchtrainiert” gewesen. Auf seinen Fotos glaubte er die TĂ€ter auch wiedererkannt zu haben, er sei sich jedoch nun nicht so sicher. Nachdem die Strafverfolgung eingeleitet war, habe er erst Fotos von einem anderen Fotografen sehen können und dort „eine 80 – 85 Prozentige Überzeugung“ gehabt, darauf die mögliche TĂ€tergruppe wieder zu erkennen. Allerdings, betonte der GeschĂ€digte, sei  “alles ziemlich schnell gegangen”.  Wirklich “sicher sei er sich nicht”.

Der Vorsitzende lud alle Prozessbeteiligten an den Richterpult, um die Fotos die zur Akte vorliegen, in Augenschein zu nehmen. Bei der Analyse der vorgelegten Fotos kommentierte der GeschĂ€digte, dass er vermute, das die Angreifer ihn wohl fĂŒr einen “Anti-Antifa-Fotografen” gehalten haben könnten. Auf Nachfrage, ob der Werfer des Steins ihn ĂŒberhaupt sah, bzw. wahrnahm, wem der Stein verletze, gab der Zeuge an, dies nicht sagen zu können. Auch habe sich die Gruppe nach diesem Steinwurf “ziemlich zĂŒgig entfernt vom Geschehen”. Weitere Wahrnehmungen seien ihn durch die eigene Betroffenheit jedoch nicht mehr möglich gewesen. Die “Schutzpolizei” sei schließlich gekommen und habe ihn “dort weggezogen” und ins Krankenhaus gebracht.

Der Staatsanwalt (StA) wollte erkunden, ob den zwischen ihm und dem Steinewerfer noch weitere Personen in Wurfrichtung waren. Der GeschĂ€digte verneinte dies ausdrĂŒcklich. Der Verteidiger Wesemann ging dazwischen und wies diese Aussage zurĂŒck. Dies könne nicht zutreffen, schließlich sei auf dem Foto deutlich eine weibliche Person neben ihm zu erkennen. Der GeschĂ€digte korrigierte die ZurĂŒckweisung, damit das “in seinem Sichtfeld” jedoch keine Person zu sehen war. Wesemann wollte daraufhin vermerkt haben, dass der Zeuge trotz Augenscheinnahme der Fotos sich nicht korrekt erinnere. Weiter konfrontierte Wesemann den Zeugen mit ihm vorliegenden Fotos, auf dem zu erkennen sei, das sogar zwei weibliche Personen zum Zeitpunkt des Steinwurfs zwischen ihm liefen. Insgesamt zog die Verteidigung die FĂ€higkeit des Zeugen in Zweifel, sich ĂŒberhaupt korrekt an die Geschehnisse erinnern zu können. Folglich sei die Verwertung der Aussagen nicht Belastbar fĂŒr die Angeklagten.

Verteidigung rĂŒgt Verletzung des Öffentlichkeitsgrundsatzes

Nach dem dieser Zeuge entlassen wurde, beantragte der Verteidiger SĂŒrig das Verfahren auf eine “gravierende Verletzung des Öffentlichkeitsprinzips” hin zu untersuchen. In dem Gerichtssaal sei es der anwesenden Öffentlichkeit absolut unmöglich dem Verfahren, nach dem Sinn und Zweck des Öffentlichkeitsprinzips, ĂŒberhaupt folgen zu können. Schließlich sei dieses Gericht nicht einem Verfahren “zum Zeitpunkt der GrĂŒndung der Strafprozessordnung von 1871 ausgesetzt, sondern im Jahre 2016 angekommen”. Welches eine technische Möglichkeit ermögliche, die Zuschauer_innen an der Augenscheinnahme von Beweismittel angemessen teilhaben zu lassen. Eine Leinwand und ein Beamer sollten daher selbstverstĂ€ndlich möglich sein, um der Öffentlichkeit die Bilder, auf denen angeblich die Angeklagten zu sehen seien, selbststĂ€ndig in Augenschein zu nehmen und sich ihr Urteil zu bilden. Wie viel aussagekrĂ€ftiges tatsĂ€chlich auf den Fotos der Polizei und Zeugen zu sehen ist, sei fĂŒr die Verteidigung von Anfang an höchst fraglich gewesen. Sie habe die BefĂŒrchtung, das Gericht fĂŒhle sich ganz wohl in der Rolle derer, die vorne beinah unbeobachtet ihren Prozess durchfĂŒhrten und die Zuschauer_innen hinten im Saal bekĂ€men davon nicht viel mit. Die Gefahr sei fĂŒr ihn schließlich nicht abzustreiten, dass die Fotos tatsĂ€chlich weniger Beweiswert hĂ€tten, wie das Gericht, ohne die Öffentlichkeit teilhaben zu lassen, spĂ€ter bei seinem Urteil einfach unbemerkt behaupten könne. SĂŒrig sehe hier insgesamt den „Schutz vor WillkĂŒr der Justiz in Gefahr“, den nur die Öffentlichkeit kontrollieren könne.

Das Gericht verschob zunĂ€chst einen Beschluss zu dem Antrag des Verteidigers, dem sich Wesemann anschloss, und verlangte den nĂ€chsten Zeugen einzulassen. SpĂ€ter im Verfahren nahm Verteidiger SĂŒrig seinen Laptop, um die digitalen Fotos die bisher besprochen wurden, auch den Zuschauer_innen sichtbar zu machen. Das Gericht ermahnte SĂŒrig mehrfach zur Ordnung und ließ dessen eigenmĂ€chtigen Eingriff in die ‚Sitzungspolizeiliche Ordnung‘ protokollieren. Der Vorsitzende versprach in den nĂ€chsten Tagen einen Beamer bereit zu stellen, um solche Streitigkeiten in Zukunft abzuwehren.

Vernehmung eines Pressefotografen

Der zweite Zeuge Sean G., ein Pressefotograf aus Berlin, war ebenfalls an dem Tag zugegen, um Fotos des Aufmarsches der NPD aufzunehmen. Er sei auf einer Leiter gestanden und habe das Geschehen von dort aus gut beobachten können. Seine Schilderungen waren in etwa deckungsgleich zu denen des GeschĂ€digten. Abweichend war lediglich sein geschilderter Blickwinkel. So habe er nicht selbst den Steinwurf gesehen, sondern nur die Folge, bei dem Dr. Mark B. zu Boden gegangen sei. Direkt habe er auch “keine SteinwĂŒrfe” gesehen, vielmehr seien es “irgendwelche GegenstĂ€nde” gewesen. Er sei jedoch beim zu Boden gehen des GeschĂ€digten, gleich von einem “fetten Stein” ausgegangen. Die von ihm gemachten Fotos, die mögliche TĂ€tergruppe abbilden soll, habe er nicht direkt der Polizei ĂŒbermittelt, sondern lediglich wie es zu seinem Auftrag gehört, in seiner Agentur eingereicht. Diese hĂ€tten die Fotos schließlich online gestellt. Auf die Frage zu den KörpergrĂ¶ĂŸen der möglichen TĂ€ter konnte der Zeuge keine Angaben machen und wurde aus der Anhörung entlassen.

Wesemann beantragte den bisher noch nicht gehörten Ulli S. aus Brandenburg ebenfalls zu laden. Hierzu zitierte der Verteidiger dessen damalige Aussage zu Protokoll, wie folgt: “Eine Person [aus der Gruppe] stach heraus durch helle Kleidung mit 1,75 m KörpergrĂ¶ĂŸe. Dieser lief einen Abhang herunter und war noch zu sehen. Der ließ einen Gegenstand etwas versteckt in seiner Hand verschwinden und warf plötzlich diesen Gegenstand in Richtung der Demo”. Wesemann beabsichtigt mit diesem Zeugen nachzuweisen, das sein Mandant mit einer KörpergrĂ¶ĂŸe von ca. 195 cm, bei dieser Beschreibung wohl kaum der TĂ€ter sein könne.

Weiter fĂŒhrte Wesemann an, er beantrage ein “Verwertungsverbot der beschlagnahmten GegenstĂ€nde bei der Hausdurchsuchung” in der WG der Angeklagten. Das Amtsgericht Rostock habe in seinem Beschluss zur Hausdurchsuchung keine damals “eingesetzten SpĂŒrhunde” vorgesehen und ausdrĂŒcklich nur versucht “VermummungsgegenstĂ€nde” und Kleidung sicherzustellen. Die zufĂ€llige Sicherstellung von Pyrotechnik sei offenkundig nicht Teil des Beschlusses gewesen. Die sichergestellten GegenstĂ€nde hĂ€tten hier ohne die SpĂŒrhunde nicht sichergestellt werden können. Die StA Bremen soll den Beschluss zudem rechtswidrig abgeĂ€ndert haben, um damit ohne erkennbaren Tatzusammenhang auch Pyrotechnik sicherzustellen. Verteidiger SĂŒrig schloss sich dem Verwertungswiderspruch Wesemann’s an und ergĂ€nzte, die angefertigten Fotos der polizeilichen ID-Behandlung von Wesley S. durch Bremer Behörden,  ebenfalls nicht zur Verwertung zuzulassen.

Bevor der dritte Zeuge vernommen werden konnte, gab Wesemann dem Gericht zu verstehen, dass dieser Zeuge selbst “keine eigenen Ermittlungen gefĂŒhrt” habe und alle seine Informationen â€œĂŒberwiegend von Dritten” zugetragen worden sein. AusdrĂŒcklich bestand Wesemann darauf, dass der nĂ€chste Zeuge tunlichst “keine eigenen Bewertungen bei der Vernehmung” vorzunehmen habe.

Vernehmung des LKA Beamten aus Rostock

Der nĂ€chste Zeuge RenĂ© F., zustĂ€ndig als Sachbearbeiter fĂŒr kriminalistische Ermittlungen zu den VorfĂ€llen in Rostock, wurde zunĂ€chst im Sinne des Verteidigers Wesemann belehrt. Nach kurzer Einlassung des Vorsitzenden ĂŒber die Aufgabe des Zeugen hier heute nur in einer ganz bestimmten Funktion zu berichten, konkretisierte RenĂ© F., zustĂ€ndig zu sein fĂŒr “BeweisfĂŒhrung und Dokumentation” und “keine eigenen persönlichen Wahrnehmungen an dem Tag” gemacht zu haben. Auch sei das nicht seine Funktion. Er habe nach der Strafanzeige mit der Verwertung der Beweismittel begonnen und diese fĂŒr die weiteren Ermittlungen ZusammengefĂŒhrt. Weiter habe er Kontakt mit anderen Dienststellen fĂŒr diese Aufgabe gehabt. FĂŒr ihn habe das “Gesamtbild der Beweismittel”, also durch die beschlagnahmte Kleidung der Angeklagten, die TĂ€terbeschreibungen, die spĂ€ter ĂŒbermittelten Fotos der vermeintlichen TĂ€ter sowie der Abgleich mit anderen Datenbanken und Informationen des LKA Bremen, die Angeklagten als “die TĂ€ter” erscheinen lassen. Der gesicherter Stein, der mutmaßlich als Tatmittel verwendet worden war, wurde nach einem Abstrich vom Material, einer DNA Untersuchung unterzogen. Diese habe seiner Meinung nach jedoch „keine sichere Erkenntnis“ liefern können. Die polizeiliche Datenbank könne mit den Vergleichsmaterialien nichts anfangen, schließlich soll es sich bei dem Laborergebnis um eine unbrauchbare Mischspur handeln. Welche in derartige Datenbanken niemals aufgenommen wĂŒrden. Jedoch konnte und könne Valentin S. auch nicht eindeutig mit dem Ergebnis des Labors als TĂ€ter ausgeschlossen werden.

Nach einigen Einlassungen ĂŒber den Ablauf des NPD Aufmarsches und der Gegenreaktionen, erklĂ€rte der Zeuge „anfangs keinen TĂ€ter ermittelt” zu haben, sondern erst durch “den Hinweis des LKA Bremen”. Dort habe der zustĂ€ndige Beamte Martin W. (Siehe Prozessberichte 2 – 5) die Ermittlungen an sich gezogen und ihn auf die TĂ€ter, als das “Trio” gebracht. Die “Kollegen in der Dienststelle in Bremen” seien von Anfang an “ziemlich sicher” gewesen, dass es sich dabei um die Angeklagten handeln mĂŒsse. Die Verteidiger SĂŒrig und Wesemann wirkten sehr erstaunt, wie diese Beamten zu dem Schluss kommen konnten. Schließlich seien nur schlechte Bilder zur VerfĂŒgung gestanden und es habe keine deutliche TĂ€terbeschreibung vorgelegen, die „nicht auch auf jeden zweiten Ultra genauso hĂ€tte zutreffen” können. Die Verteidiger bemĂ€ngelten auch, dass auf der Grundlage von Aussagen, wie die des LKA Bremens, die “Angeklagten wohnen zusammen” und seien als “GewalttĂ€ter Sport aktenkundig”, allein darauf noch nicht ausreichend Tatverdacht begrĂŒndet werden könne. Schon gar nicht um eine Hausdurchsuchung ĂŒber sich ergehen lassen zu mĂŒssen.

Weiter erklĂ€rte der Beamte, dass er selbst keine eigenen SchlĂŒsse ĂŒber die mutmaßlichen TĂ€ter hĂ€tte ziehen können, sondern sich hierbei allein auf das LKA Bremen verlassen musste. Auch sei fĂŒr ihn die Tatsache, dass Valentin S. sich “an dem Tag in Rostock am Bahnhof aufgehalten” habe, bereits ein deutliches Indiz gewesen. HierĂŒber hĂ€tte es mit den Behörden in Bremen einen Austausch gegeben, bzgl. der Beweismittel, die in Rostock gesichert wurden. Die Sicherung und der Austausch bestand zum Abgleich mit den LKA Informationen aus Bremen. FĂŒr den Zeugen sei das Bild durch die Daten des LKA Bremen irgendwann stimmig gewesen.

Ein anderer Aspekt des Beamten sei die digitale Ablichtung eines Tattoo auf dem Oberarm des Angeklagten Wesley S. gewesen, welche aus dessen FB Account gesichert wurde sowie einem Teilbild eines Tattoo auf dem Oberarm von einem der möglichen TĂ€ter vom Tatort. Dieses Teilbild stammte von einem der Fotografen. Hier soll eine Übereinstimmung aus Sicht der Behörden zumindest möglich gewesen sein, nĂ€heres sollte noch geprĂŒft werden. Schließlich sei es auch nicht auszuschließen gewesen, dass das Tattoo inzwischen verĂ€ndert worden sei. Eine gutachterliche Untersuchung blieb bisher jedoch aus. 

Neonazis als belastende Tippgeber

Unbeeindruckt von den Einlassungen des Zeugen, verwies die Verteidigung auf einen Zusammenhang zu EinschlĂ€gigen Neonazis, wie Daniel B. und dessen Freundin. Welche bereits in einem -Strafverfahren gegen Antifaschist_innen in BĂŒckeburg- vorsĂ€tzlich falsch ausgesagt haben sollen. So habe die neonazistische Freundin in einem Strafverfahren wahrheitswidrig ausgesagt, Antifaschist_innen hĂ€tten ihr vorsĂ€tzlich in den Bauch geschlagen, um einen Schwangerschaftsabbruch herbeizufĂŒhren. Weder die Schwangerschaft, noch die Tritte sollen sich im nachhinein als zutreffend herausgestellt haben. Die Verteidigung fand es befremdlich, das sich Behörden auf Anzeigen und Aussagen bezogen hĂ€tten, die von Neonazis mit hohem Belastungsinteresse stammten. Welche selbst wiederum als “GewalttĂ€ter Sport Rechts” aktenkundig seien. Das diese als Zeugen aus politischen Motiven heraus zur VerfĂŒgung gestanden haben und im Raum Niedersachsen selbst fĂŒr politisch motivierte Straftaten im Licht der Öffentlichkeit stĂŒnden, sei von den Behörden zum Nachteil der Angeklagten nicht in einem Zusammenhang gebracht worden. Das dieser Personenkreis bewusst dieses Strafverfahren mitlenkte, in dem sie die Behörden auf diese Angeklagten brĂ€chten, sei fĂŒr die Verteidiger ein ausreichender Grund das Verfahren abzuweisen. Schließlich stĂŒtze sich die Anklage und die Ermittlungen in Teilen auch auf deren belastende Aussagen.

Zum Ende der Vernehmung des Zeugen, stellte sich eine Vorverurteilung der Polizeibehörden bei den Ermittlungen gegen die Angeklagten noch einmal heraus. So soll es eben bei diversen Landesbehörden inzwischen bekannt sein, das dieses “Trio” fĂŒr solche Taten in Frage kĂ€me. Schließlich sei dem Zeugen in seiner Funktion als Polizeibeamter vom LKA Bremen gesagt worden, “wahrscheinlicher als dessen ausbleiben, ist diese [bei Gewaltdelikten] zusammen anzutreffen”. Hierauf begrĂŒndete die Behörde auch ihren Antrag auf Hausdurchsuchung der gesamten WG, obgleich ein dringender Verdacht gegen den inzwischen frei gesprochenen Daniel M. nie bestand. Jedoch sei nach Angaben des Beamten zur Sicherstellung von Kleidung der Beschuldigten dies notwendig gewesen. Wesemann fragte, wie denn der Zeuge darauf komme, diese SchlĂŒsse einfach so zu ziehen, ohne selbst Zeuge zu sein oder eindeutiges Beweismittel in Rostock zur Hand gehabt zu haben. Hierzu erklĂ€rte der Beamte: “Ich rege hier ja nur an!”. Verteidiger SĂŒrig wollte vom Zeugen zudem wissen, ob dieser sich je “die BeinlĂ€nge auf den Lichtbildern” angesehen habe und diese „abgeglichen“ hĂ€tte. Der Zeuge wirkte irritiert und erklĂ€rte, immer nur den Oberkörper bei der Analyse heranzuziehen, da eine BeinlĂ€nge nach seiner Auffassung keine Relevanz habe.

Dies wies SĂŒrig scharf zurĂŒck. Schließlich hĂ€tte so der Beamte erkennen können, das die KörpergrĂ¶ĂŸen der Angeklagten, abgeglichen mit denen der Fotos der Zeugen mit den mutmaßlichen TĂ€tern darauf, nicht zusammen passten. SĂŒrig hatte im Vorfeld bereits deutlich gemacht, das allein mit diesen Fotos kaum etwas anzufangen sei, da darauf keine eindeutigen Merkmale zu erkennen seien. Die KörpergrĂ¶ĂŸen auf den Fotos passten nach seiner Auffassung offensichtlich nicht zu den der Angeklagten. Auch sei der Oberarm des Angeklagten Wesley S. wesentlich umfangreicher und die AugenabstĂ€nde der Angeklagten und die auf den Fotos seien auffĂ€llig unterschiedlich. Hierzu wolle die Verteidigung zu den nĂ€chsten Prozesstagen einen biometrisches Gutachten hinzuziehen, um dies auch objektiv beweisen zu können. SĂŒrig belehrte den Zeugen, dass auf die Beschreibungen, die er dem LKA Bremen gemacht habe, “so ziemlich jeder zweite Person” passen wĂŒrde und warum ihn diese Tatsache nicht schon bei seiner Verwertung aufgefallen sei. Der Zeuge gab an, er habe die Fotos nicht gemacht, sondern seine Kollegen. Bei dieser Befragung stellt sich fĂŒr die Verteidigung heraus, dass wiederum Martin W. und ein Kollege, beides LKA Beamte aus Bremen, die bereits die vergangen Tatkomplexe ebenfalls an sich gezogen hatten, von Anfang an dem LKA in Rostock „dieses Trio” und nur dieses, als VerdĂ€chtige ĂŒbermittelt haben.

SĂŒrig forderte den Zeugen auf, einmal in den Zuschauerbereich zu blicken’und festzustellen, das beinah jede_r im Zuschauerbereich „auf die ĂŒbermittelten Beschreibungen passe“ und ob es fĂŒr den Zeugen nicht ein “bisschen wenig” sei, “so eine Beschreibung”. SĂŒrig konfrontierte den Zeugen mit der These, das es wohl eher darauf fußt, dass die Freundin eines einschlĂ€gig bekannten Neonazis die in BĂŒckeburg gegen Antifaschist_innen bereits falsche Aussagen gemacht habe, “das Verfahren gegen die Angeklagten”, im Hintergrund, in diese Richtung ĂŒberhaupt erst gelenkt habe. Auch seien dort Personen der Justiz in BĂŒckenburg am Werk gewesen, die, wie ein zustĂ€ndiger Richter Strauß auf seiner FB Seite, mit Slogans hantierten: Wir geben Ihrer Zukunft ein zu Hause”, die zynisch mit dem Logo einer Justizvollzugsanstalt versehen worden seien.

Verteidiger SĂŒrig versuchte mit dem Exkurs zu einem Verfahren in BĂŒckeburg deutlich zu machen, das hier insgesamt Personen bei den Ermittlungen herangezogen wurden, deren Intention sich offenkundig gegen Antifaschist_innen richtete und die ein zynisches Weltbild in die Justiz brĂ€chten. Personen die insgesamt nicht geeignet seien, glaubwĂŒrdige Quellen und Grundlagen anzubieten, um darauf ein sauberes Verfahren gegen die Angeklagten aufzubauen.

Die Untersuchung des Tatkomplex “Steinwurf bei einem NPD Aufmarsch in Rostock” wird am 03.03.2016, um 09.00 Uhr fortgesetzt.  

Der AKJ Bremen entschuldigt die spĂ€te Bereitstellung der Berichte. GegenwĂ€rtig sind wir personell stark ausgelastet. Der Bericht ĂŒber den achten Prozesstag folgt in den nĂ€chsten Tagen.

Der Prozesstag am 09.03.2016 fÀllt aus. 

Der neunte Prozesstag beginnt am Dienstag, den 22.03.2015, um 09.00 Uhr, in der Strafkammer des Landgerichts Bremen.

Sechster Prozesstag im Verfahren gegen antifaschistische Ultras

Freispruch fĂŒr Daniel M.

Nachdem am sechsten Prozesstag, dem 22.02.2016, das Strafverfahren gegen Daniel M. von den anderen beiden Angeklagten abgetrennt wurde, folgten die Richter_innen den AntrÀgen der Verteidigerin Voigt, sowie dem Staatsanwalt (StA) und sprachen Daniel M. von allen Anklagepunkten frei.

Keine neuen Erkenntnisse zu den TatvorwĂŒrfen

Vorausgegangen war dem Freispruch an diesem Verhandlungstag, die Vernehmung von sieben Polizeibeamten sowie dem Zeugen Patrick S., der aus dem Kreis des GeschĂ€digten Florian M. geladen war. Der Zeuge der neben den vielen Beamten noch einmal zu den bisher untersuchten Tatkomplexen intensiv befragt wurde, sollte die Anklage des StA stĂŒtzen. Jedoch konnte der Zeuge Patrick S. zu den Ereignissen unter der Hochstraße/KurfĂŒrsten-Allee keine neuen Erkenntnisse liefern. Im Gegenteil, seine damaligen Aussagen bei der Polizei revidierte er grĂ¶ĂŸtenteils und betonte Ă€ußerst betrunken gewesen zu sein. Auch habe er kaum noch Erinnerungen an das Geschehen. Ebenso zog er den GeschĂ€digten Florian M. selbst in die Mitschuld, schließlich habe dieser “eine große Fresse gehabt”.

Der spĂ€tere Ermittlungsbeamte Martin W., der die Untersuchung aller bisher verhandelten Tatkomplexe an sich gezogen hatte, soll vielmehr “alles seltsam” verstanden haben und seine Schilderungen eher so aufgeschrieben, wie dieser sie hören wollte. Mangels eigenstĂ€ndigen PrĂŒfens seines von ihm unterschriebenen Aussageprotokolls, seien Aussagen in dem Vernehmungsprotokoll, von dem Patrick S. heute ĂŒberzeugt sei, diese so nicht im Wortlaut gesagt zu haben, von dem Ermittlungsbeamten eher eigenmĂ€chtig interpretiert worden. Insgesamt sei  er nicht einmal zur Tatzeit direkt betroffen gewesen und habe auch damals schon nicht viel dazu sagen können. Nach der Vernehmung habe er sogar vom Ermittlungsbeamten gefordert seine Aussage “zu zerreißen” und nicht zur Akte zu nehmen. Der Ermittlungsbeamte Martin W. sei diesem Wunsch jedoch nicht gefolgt und habe seine Aussage den anderen Zeugenaussagen trotzdem hinzugefĂŒgt.

Die Vernehmungen der geladenen Zeug_innen

Von den sieben Beamten die hintereinander vernommen wurden, erinnerten sich mit Ausnahme des Beamten Sascha L., keiner eigenstĂ€ndig an die damaligen Vernehmungen von Zeug_innen oder an die konkreten Ereignisse bei der Sicherstellung an den Tatorten. Vielmehr versuchte mancher mit mitgebrachten Berichten, wĂ€hrend der Vernehmung davon abzulesen und dieses Ablesen als eigene Erinnerungen dem Gericht auszugeben. Auch hatten manche Beamte sich verfahrenswidrig Aussagen aus Protokollen weiterer Dienststellen vor dem Prozess angesehen und somit ihre Erinnerungen mit den Erinnerungen Dritter verfĂ€lscht. Ein faires Verfahren sahen die Verteidiger_innen auch hier wieder belastet. Der Verteidiger Wesemann musste, trotz Kenntnis des vorsitzenden Richters, mehrfach darum bitten, dass die Beamten das Ablesen wĂ€hrend der Vernehmung einstellen. Weiter musste Wesemann deutlich machen, dass in keines der FĂ€lle ernsthaft die Aussagen der geladenen Beamten irgendeine Beweiserheblichkeit mit sich brĂ€chten oder ĂŒberhaupt neue Erkenntnisse lieferten.

Nach knapp 7 Stunden der Vernehmungen, wurde dem schon Tage zuvor gestellten Antrag der Verteidigerin Voigt gefolgt und das Verfahren gegen Daniel M. von dem der Beschuldigten Wesley S. und Valentin S. abgetrennt, um zu einem eigenstĂ€ndigen Urteil in diesem Verfahrensabschnitt kommen zu können. Die Verteidigerin sah es spĂ€testens an diesem Abschnitt der BeweiswĂŒrdigung als fĂŒr alle erkennbar an, das keine belastenden Tatsachen gegen ihren Mandanten zu ermitteln seien und die bisher vorgebrachten entlastenden Beweise ausreichten, um einen Freispruch zu beantragen.

Keine objektive Zurechnung einer Beteiligung von Daniel M.

Keines dieser vier Tatkomplexe konnten in die NĂ€he des Beschuldigten Daniel M. gerĂŒckt werden. Nach der Vernehmung von knapp zwanzig Zeug_innen, der Verlesungen von diversen Aufzeichnungen und Vernehmungsprotokollen sowie mehrfachen Versuchen mit richterlichen Nachdruck mehr konkrete Details aus den geladenen Zeug_innen herauszubekommen, konnte keine_r der Beamten, Zeugen oder GeschĂ€digten belastende Aussagen machen, die eine MittĂ€terschaft von Daniel M. zweifelsfrei belegen wĂŒrden.

Antrag auf Freispruch durch den Staatsanwalt

So sah der StA selbst die Niederlage seiner Anklage gegen Daniel M. ein und beantragte dessen Freispruch mit einem begrĂŒndenen Überblick der Ursachen fĂŒr das Verfahren gegen Daniel M.. So soll der “hinreichende Tatverdacht” gegen Daniel M., aus Sicht der StA, nach einer “Prognose ĂŒber die Wahrscheinlichkeit einer Verurteilung” gegeben und eine Anklage geboten gewesen sein.  Auf der anderen Seite sei nun, nach der “umfassenden BeweiswĂŒrdigung und lĂŒckenloser Nachzeichnung” der Anklagepunkte, die Überzeugung ĂŒber die Schuld des Angeklagten nicht aufrecht zu erhalten. Der StA war bei Eröffnung des Hauptverfahrens von einer Tatbeteiligung ausgegangen, da “zwei Drittel der Taten vor seiner HaustĂŒr begangen worden” waren. Auch sei die “Wohngemeinschaft” mit den anderen beiden Angeklagten ein “starkes Anzeichen” fĂŒr seine MittĂ€terschaft gewesen. FĂŒr eine Anklage sprach auch die Tatsache, dass die drei Angeklagten bereits als “links motivierte GewalttĂ€ter Sport” registriert gewesen seien.

Besonders belastend seien aber die frĂŒheren Aussagen des GeschĂ€digten Florian M. und Jaroslaw S. gegen den Angeklagten gewesen. Das Auffinden von einem “Schlagring in den RĂ€umen des Angeklagten” und eine inzwischen revidierte “Aussage von Patrick S.”, in der ein Schlagring als Tatwerkzeug eingesetzt worden sein soll, taten fĂŒr das Gesamtbild ihr ĂŒbriges. Am Ende hĂ€tten jedoch die massiven “WidersprĂŒche der GeschĂ€digten” in der Verhandlung Zweifel aufkommen lassen. Besonders MerkwĂŒrdig blieb “das Verhalten des GeschĂ€digten Jaroslaw S.”, der verschiedenen Angriffen ausgesetzt gewesen sein soll, bei dem nach seiner Aussage, die drei Angeklagten beteiligt gewesen sein sollen. Jedoch habe dieser “diesen Zusammenhang nie bei den Ermittlungsbehörden” je selbst in einem Zusammenhang so angezeigt, obgleich dieser “diesen Zusammenhang” als GeschĂ€digter objektiv hĂ€tte erkennen mĂŒssen. Der GeschĂ€digte sei schließlich nach spĂ€teren Aussagen ĂŒberzeugt gewesen, dass es sich bei den Angriffen jeweils um diese Angeklagten handeln wĂŒrde. Dies passte nicht zusammen. Die “eigenstĂ€ndigen Recherchen des Florian M.”, in Verbindung mit seinem Bruder, reichten fĂŒr einen Schuldspruch ebenso wenig aus, wie die widersprĂŒchlichen Erinnerungen der Zeug_innen an das genaue Aussehen der TĂ€ter.

Im Schlussantrag des StA wurde somit der Freispruch gefordert, sowie die Kosten des Verfahrens der Staatskasse zur Last zu legen.

Antrag auf Freispruch durch die Verteidigerin Voigt

Diesem Antrag schloss sich die Verteidigerin Lea Voigt an. Sie ergĂ€nze ihre BegrĂŒndung fĂŒr den Freispruch um die Tatsachen, dass die Angreifer in fast allen FĂ€llen maskiert gewesen seien und nicht eindeutig hĂ€tten erkannt werden können. Auch seien seltsame Ermittlungen “auf eigene Faust”, auf die sich der Ermittler Martin W. fast „ausschließlich verlassen“ habe, kein hinreichender Beleg fĂŒr eine MittĂ€terschaft. Die Situation nach dem Angriff auf Florian M., nach der die Angeklagten in einem Fitnessstudio den Bruder des GeschĂ€digten angesprochen haben sollen, um die GeschĂ€digten zu beeinflussen, haben sich nicht bestĂ€tigen können. Im Gegenteil, der Bruder erinnerte sich nicht an so einen Versuch. Die nur schriftlich vorliegenden Aussagen des GeschĂ€digten Jaroslaw S., belegen, dass dieser “immer nur eine Person Namenhaft bei den Ermittlungsbehörden gemacht” hatte. Darunter sei aber “nicht ihr Mandant” gewesen. Das es ĂŒberhaupt zu einer Ermittlung gegen den Angeklagten gekommen sei, hatte vielmehr “mit der Selbstsuggestion der GeschĂ€digten” zu tun. Die sich wiederholt gegenseitig Fotos und Namen zeigten, von denen sie ohne die TĂ€ter selbst am Tatort erkannt zu haben, schlicht diese drei Angeklagten als die einzig in Frage kommenden TĂ€ter subjektiv voraussetzen. So mussten es fĂŒr diesen Kreis der GeschĂ€digten, diese Angeklagten, bzw. ihr Mandant, gewesen sein, ohne dass es hierzu je eine objektive Grundlage gab.

Eine “mangelnde ÜberprĂŒfung und Belastbarkeit der Behauptungen der GeschĂ€digten”, seien weder von den Ermittlungsbehörden, noch von der StA “hinreichend ĂŒberprĂŒft” worden. Der Ermittlungsbeamte Martin W. habe vielmehr “von Anfang an den Zeugen ungeprĂŒft glauben geschenkt”, Verstrickungen in das Nazimilieu, seitens des Hauptbelastungszeugen Jaroslaw S.,  und somit das Belastungsinteresse dieses Zeugen, seien ungeprĂŒft geblieben. Selbst bei der Vernehmung im Gericht, habe “der Ermittler Martin W. nie im Konjunktiv” gesprochen, sondern eine Schuld der Angeklagten, bzw. ihres Mandanten, “einfach vorausgesetzt”. So sei ihr Mandant “ohne belastende Beweise” förmlich vor dieses Gericht “gezerrt” und in der Öffentlichkeit massiv durch die Behörden erheblich “stigmatisiert worden”. Auch sei das Grundrecht ihres Mandanten auf “rechtliches Gehör” beschĂ€digt worden, da dieser bis zur Eröffnung des Verfahrens gegen ihn, keine echte “Gelegenheit bekommen” habe, seine Version zu den Anschuldigungen vorzubringen. Das Verfahren gegen Daniel M. sei schlussendlich das Ergebnis von “Verfolgungseifer der StA” sowie “der Strafkammer” und wĂ€re von Anfang an vermeidbar gewesen, wenn die im Vorfeld bekannten “WidersprĂŒche des Belastungszeugen” Jaroslaw S. ordentlich gewĂŒrdigt worden wĂ€ren. Stattdessen habe die Strafkammer â€œĂŒberstĂŒrzt ein fragwĂŒrdiges Strafverfahren” gegen ihren Mandanten “durchzusetzen” versucht.

Urteil der Bremer Strafkammer

Nach einer kurzen Pause verkĂŒndeten die vorsitzenden Richter_innen dem Antrag beider Parteien zu folgen und sprachen den Angeklagten Daniel M. von allen Anklagepunkten frei. Im Verfahren wiesen sie jedoch, wie schon im Vorfeld anderer AntrĂ€ge der Verteidigung, jede Kritik am Verfahren von sich. Vielmehr betonten sie die herrschende Meinung der Rechtsauffassung herangezogen zu haben, mit der ihre Interpretation der Strafprozessordnung und anderer Rechtsnormen tadellos angewendet worden wĂ€ren.

Kritik und Analyse vom AKJ Bremen – Ein Zwischenstandsbericht

Der AkJ Bremen teilt nicht die Auffassung des Gerichts, bzw. der Justiz, ĂŒber dessen eigene Leistung. Vielmehr ist es schlichtweg ein Skandal, wenn mit solchen Ermittlungsmethoden und einer derart dĂŒnnen Beweislage, das Hauptverfahren gegen Beschuldigte eröffnen wird. Es war niemals ein “hinreichender Tatverdacht” gegeben, sondern stets nur ein Anfangsverdacht. Der Gesetzgeber sieht bewusst verschiedene Verdachtsstufen vor. Hier die hinreichende angenommen zu haben, ist entweder unprofessionell oder im vorauseilenden Gehorsam passiert. Auch die Anordnung der Untersuchungshaft, einer Vielzahl ergebnisloser Hausdurchsuchungen und die öffentliche Stigmatisierung, bzw. Kriminalisierung der Angeklagten, lassen alles andere als ein “objektives” und “faires Verfahren” erkennen. Das Verfahren beginnt nicht erst im Gerichtssaal. Das Verfahren beginnt in dem Moment, in dem Ermittlungen nach einem Anfangsverdacht aufgenommen werden.

Auch verfĂŒgen Richter_innen nicht ĂŒber einen inneren geistigen Modus, bei dem sie schlicht auf “objektiv” umschalten könnten und alle Kommentare aus den Medien, des Innensenators oder der Polizei- und Justizsprecher_innen, die sie bis zur Eröffnung des Hauptverfahrens bereits gehört und gesehen hatten, verschwinden aus ihrem Bewusstsein. Trotz des Freispruchs, ist die freie BeweiswĂŒrdigung, das “Fair Trail Prinzip” und Grundprinzipien der Strafprozessordnung in der Gesamtschau derart beschĂ€digt, dass auch das weitere Verfahren hierin nicht mehr geheilt werden kann.

Ein Hauptbelastungszeuge aus dem Neonazi-Milieu, mit einem offensichtlichen Belastungsinteresse, welches der StA hĂ€tte objektiv erkennen können und erkennen mĂŒssen, reichte dem StA dennoch aus, um ein solch dramatisches Verfahren einzuleiten. Der leitende Beamter Martin W. beim Staatsschutz, ermittelte offenkundig nur in eine Richtung, nĂ€mlich in seine Richtung, mit persönlichen Eifer hier einen besonders großen Fall zu verfolgen. Ohne das es zu seinen Aufgaben gehört, fĂ€llte dieser ein Urteil ĂŒber die Angeklagten, drehte Aussagen der GeschĂ€digten zurecht und will politische Interessen der rechtsradikalen Hooligan-Szene, an der Verurteilung der drei Angeklagten, nicht erkannt haben. Auf solch eine groteske Aktenlage stĂŒtzte sich der Staatsanwalt. Schließlich rĂ€umte das Gericht nun selbst bei dessen Freispruch ein, das die WidersprĂŒche der Zeug_innen hĂ€tten auffallen können. Der AKJ sieht hier ein extremes VersĂ€umnis der Bremer Justiz und in diesem Kontext eine unsittliche HĂ€rte gegen jugendliche Beschuldigte. Mit dieser Beweislage, welche ĂŒberwiegend aus dem MĂŒndern schwer alkoholisierter Personen und aus dem Munde eines untergetauchten Neonazis stammten, lĂ€sst sich eine Rechtfertigung fĂŒr die Eröffnung dieses Verfahrens und das Festhalten an diesem Verfahren, nicht erkennen.

Eine Rehabilitation des freigesprochenen Daniel M. ist zudem kaum möglich, da dieser durch die wertende Berichtserstattung im Vorfeld des Hauptverfahrens und durch die Darstellungen und Verlautbarungen der Justiz, Polizei und dem Innensenator, nicht nur erschwerend durch die rechtsradikale Szene seine Person in seinem Ansehen intensiv beschĂ€digt wurde und wird, sondern auch in der bĂŒrgerlichen Gesellschaft nun beschĂ€digt bleibt. Eine bĂŒrgerliche Gesellschaft, auf die es gerade der Justiz so dringend ankommt, sich in diese zu integrieren. Das aktuelle Aussehen der Angeklagten war mit nachtrĂ€glichen Segen der vorsitzenden Richter_innen grob fahrlĂ€ssig von einer Bremer Zeitung online veröffentlicht worden. Dies trĂ€gt noch mehr zur nachhaltigen Stigmatisierung der weiterhin Beschuldigten und des Daniel M. bei. Auch die BĂŒrger_innen erhalten nach diesem Urteil kaum Notiz von der festgestellten Unschuld des Daniel M. Die Justiz, Polizei und der Innensenator sowie der Landessender Radio Bremen, welche im Vorfeld des Prozesses ein kriminalisierendes Bild ĂŒber -antifaschistische Ultras- zeichneten, hatten sich nach dem Freispruch nicht die MĂŒhe gemacht, die BĂŒrger_innen ĂŒber diesen Freispruch so in Kenntnis zu setzen, wie sie es mit ihrer Vorverurteilung des Beschuldigten Daniel M. vor dem Verfahren getan hatten. Jede öffentliche Mitteilung ĂŒber den Freispruch blieb bisher aus.

Das Rechtssystem in einem sozialen, demokratischen Staat sieht vor, durch Freispruch eine Rehabilitation in der Gesellschaft erfahren zu können. Eine Praxis zu diesem Anspruch scheint  offenkundig nicht zu existieren. Eine öffentliche Entschuldigung des Bremer Innensenators MĂ€urer, der sich noch vor wenigen Monaten förmlich ĂŒberschlagen hatte, antifaschistische Ultras fĂŒr den Ärger in der Stadt verantwortlich zu machen statt der rechtsradikalen Hooligans, wĂ€re hier das mindeste Zeichen der WĂŒrdigung, um Daniel M. eine echte Chance auf Rehabilitation zu gewĂ€hrleisten.


U-Haft gegen Valentin S.

Nachdem hier einige gravierende Punkte die zur Entlastung des Angeklagten Daniel M. inzwischen vorgebracht wurden, sich ĂŒberwiegend auch auf die beiden anderen Angeklagten durchschlagen werden, bleibt eine Aufrechterhaltung der Untersuchungshaft gegen den Angeklagten Valentin S. um so mehr ein unverhĂ€ltnismĂ€ĂŸiger und schwerwiegender Grundrechtseingriff. Es ist absehbar, dass auch fĂŒr diesen Angeklagten sich die VorwĂŒrfe nicht alle zweifelsfrei belegen lassen werden. Die Untersuchungshaft unverzĂŒglich aufzuheben und auf das Mittel der Auflagen fĂŒr den Angeklagten zurĂŒckzugreifen, ist aus unserer Sicht um einiges nĂ€her am Gebot der VerhĂ€ltnismĂ€ĂŸigkeit und ZweckmĂ€ĂŸigkeit orientiert. Die U-Haft ist nach bisherigen Erkenntnissen aus dem Verfahren gegen den Angeklagten Valentin S. stets geeignet diesen von möglichen Straftaten abzuhalten, sie ist jedoch weder erforderlich, noch ist sie nach dem jetzigen Sachstand angemessen.

Der AkJ Bremen fordert aus den genannten GrĂŒnden einer kritisch juristischen Perspektive, mit dem objektiven Kenntnisstand ĂŒber die fragwĂŒrdigen Ergebnisse dieses kostenintensiven Strafverfahrens, eine sofortige Aufhebung der inzwischen knapp acht Monate anhaltenden Untersuchungshaft gegen den Beschuldigten Valentin S..

Eine unverhĂ€ltnismĂ€ĂŸige Anwendung dieser Maßnahme, eine fragwĂŒrdige Beweislage sowie politische Einflussnahme durch den Innensenator wĂ€hrend der Ermittlungen, sind keine tragfĂ€hige Grundlage fĂŒr eine solch belastenden Grundrechtseingriff.

Der Prozess gegen die verbliebenen Angeklagten wird am Donnerstag, den 25.02.2016, um 09.00 Uhr, im Saal 218 fortgesetzt.

Arbeitskreis kritischer Jurist_innen Bremen

 

Eine kurze Zusammenfassung der bisher im Verfahren untersuchten Tatkomplexe

Bisher waren in dem Strafverfahren folgende Tatkomplexe untersucht worden, bei dem Daniel M. neben den zwei anderen Angeklagten als mutmaßlicher MittĂ€ter beschuldigt worden war. Den verbliebenen Angeklagten wird weiterhin eine Tatbeteiligung an diesen vier Tatkomplexen unterstellt:

Überfall auf eine Gruppe Deutschland-Fans an der KurfĂŒrsten-Allee
Angriff auf eine Gruppe von Personen, die in der Nacht vom 09.07.2014 unter einer Hochstraße, in der Vahr, im alkoholisierten Zustand gewesen seien und mit aggressiven “Deutschland” Rufen vorbeigehende Passant_innen provoziert hĂ€tten. Im spĂ€teren Verlauf der Ereignisse seien sie von drei maskierten Personen ĂŒberfallen und körperlich geschĂ€digt worden. Unter den GeschĂ€digten sei Florian M. mit einem tragbaren Ghettoblaster am Kopf verletzt worden und aufgrund seiner schweren Verletzungen, die durch Tritte und SchlĂ€ge verursacht worden seien, soll der GeschĂ€digte stationĂ€r behandelt worden sein.

Angriff auf Jaroslaw S. an der Haltestelle in der Vahr
Überfallartiger Angriff auf Jaroslaw S., am 02.03.2014 an einer Bushaltestelle der Heinrich-Herz-Str. in Bremen. Dieser soll an dem Tag Kleidung der Marke Thor Steinar getragen haben. WĂ€hrend dieser mit seiner Mutter in der Bushaltestelle wartete, seien mehrere Jugendliche auf ihn gezielt zu gekommen und hĂ€tten ihn  angesprungen. Sie sollen seinen Kopf dabei gegen die Glaswand der Bushaltestelle gestoßen und ihn als “Nazi” bezeichnet haben. Nachdem dieser seine TĂ€towierung mit der Aufschrift Polski gezeigt habe und sich als “Pole” bezeichnete, sollen die Angreifer von ihm abgelassen und davon gelaufen sein. Der GeschĂ€digte soll ihnen hinterher gerannt sein, sie jedoch aus den Augen verloren und die Polizei verstĂ€ndigt haben.

Angriff einer Gruppe auf zwei GeschĂ€digte in der Friesenstraße
Straftaten Im Bremer Viertel, Friesenstraße. Dort sei am 30.05.2014 der GeschĂ€digte Mirko G. zusammen mit seinem Begleiter Jaroslaw S. aus einer Gruppe heraus gemeinsam angegriffen worden. Vorausgegangen sein soll ein Kontakt mit zwei unbekannten Personen in einem Supermarkt gewesen sein, die beide GeschĂ€digten auf eine GĂŒrteltasche der Marke Thor Steinar angesprochen hĂ€tten und gefragt hĂ€tten, ob diese “Nazis” sein. Nach verlassen des Supermarktes seien die beiden GeschĂ€digten in die Friesenstraße verfolgt worden und Mirko G. sei zu Boden gerissen, geschlagen und getreten worden. Dabei sei dem GeschĂ€digten ein Finger gebrochen worden. Jaroslaw S. soll vor den Angreifer_innen geflohen seien, die TĂ€ter weiter beobachtet haben und die Polizei verstĂ€ndigt.


Mutmaßliche Körperverletzung gegen eine unbekannten Person
Im September 2014 will der Beamte Sascha L., eine Gruppe von fĂŒnf Personen vor dem “Burger-Haus” am Steintor, von seinem Fahrzeug aus beobachtet haben, wie aus der Gruppe heraus eine Person eingekreist und in den Magen geschlagen worden sei. Der Beamte soll daraufhin seine Kollegen verstĂ€ndigt haben, die gerade mit der Sicherung rivalisierender Fangruppen eines Spiels im Stadion beauftragt gewesen seien. Nach der Funkweiterleitung der TĂ€terbeschreibungen an seine Kollegen, will der Beamte die Verfolgung selbststĂ€ndig aufgenommen, jedoch die mutmaßlichen TĂ€ter nach Minuten der Verfolgung aus den Augen verloren haben. Nachdem andere Beamte seine TĂ€terbeschreibung aufgegriffen hĂ€tten und selbst die Fahndung aufnahmen, sollen sie auf einem Hinterhof sowie in einer weiteren Seitenstraße, zwei der Angeklagten mit passender Beschreibung angetroffen haben und vorlĂ€ufig in Gewahrsam genommen. Ein angeblich GeschĂ€digter soll sich bis heute nicht ermitteln lassen können

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