"Syndikalistische Klassenpolitik? - Schmidts / van der Walts Buch 'Schwarze Flamme'" (Rezension WDR 3 / WOZ November 2013)
Beitrag für die Sendung "Klasse Kommunisten" von Ulrich Hufen (Gutenbergs Welt, WDR 3) (zum Nachhören der ganzen Sendung)Seit dem Ende des Staatssozialismus wird von kritischen Beobachtern immer mal wieder eine Renaissance des Anarchismus prognostiziert – so zuletzt etwa bei dem Hype um den US-Ethnologen David Graeber. Schließlich, so heißt es, hätten anarchistische DenkerInnen die Staats- und Herrschaftsorientierung des Mainstream-Marxismus schon im 19. Jahrhundert kritisiert und auf den Widerspruch zwischen politischer Machtergreifung und sozialer Emanzipation verwiesen.
Auch Lucien van der Walts und Michael Schmidts Buch „Schwarze Flamme“ argumentiert in diese Richtung. Den südafrikanischen Akademikern geht es darum, die radikaldemokratische und sozialistische Essenz des Anarchismus herauszuarbeiten und dieser Geltung zu verschaffen. Ihre Ausgangsthese lautet dabei, dass der Anarchismus-Begriff in der Regel viel zu diffus verwendet wird. Staatskritik, wie sie etwa von den rechten US-amerikanischen Libertarians geübt wird, habe – so Van der Walt und Schmidt – mit Anarchismus wenig zu tun. Erst aus der Verbindung antikapitalistischer und antistaatlicher Positionen ergebe sich die spezifische Emanzipationsperspektive des Anarchismus.
In diesem Sinne handelt es sich bei der broad anarchist tradition, wie sie die plurale anarchistische Theorie bezeichnen, um eine Strömung der Arbeiterbewegung,
die – und das ist die zweite Hauptthese der Autoren – schon frühzeitig alternative Organisations- und Politikformen entwickelte. Die Autoren spielen hier auf die syndikalistischen Gewerkschaften an, die die Herausbildung von Apparaten bekämpften, der direkten Aktion (anstelle institutioneller Politik) Vorrang einräumten und nicht zwischen politischen und sozialen Kämpfen unterschieden.
Van der Walt und Schmidt weisen ganz richtig darauf hin, dass diese Traditionslinie in vielen Ländern der Welt – und nicht nur im Spanien der 1930er Jahre – eine wichtige Rolle in gesellschaftlichen Kämpfen spielte. Wem ist heute schon noch bewusst, dass die CGT, die stärkste französische Gewerkschaft, von syndikalistischen ArbeiterInnen aufgebaut wurde und dass diese Tradition die Entwicklung des Mai 1968 maßgeblich beeinflusste? Auch die Geschichte der neuen Linken Südamerikas – etwa das Entstehen der uruguayischen Stadtguerilla Mitte der 1960er Jahre – wäre ohne die syndikalistischen Erfahrungen südeuropäischer EinwandererInnen anders verlaufen. Selbst in der Geschichte der USA ist der Syndikalismus keine Randnotiz: Die International Workers of the World, eine 1905 gegründete Basisgewerkschaft, spielte eine zentrale Rolle in den Streiks Anfang des 20. Jahrhunderts.
Die Sichtbarmachung dieser „anderen Arbeiterbewegung“ wäre also tatsächlich verdienstvoll. Doch gerade für den an der Geschichte sozialrevolutionärer Bewegungen interessierten Leser ist „Schwarze Flamme“ letztlich denn doch eine enttäuschende Lektüre. Van der Walt und Schmidt sind zu stark darum bemüht, sich der eigenen politischen Identität zu vergewissern. Positionen werden nicht kritisch entwickelt, sondern durch mantraartige Wiederholung etabliert. Eine sozialgeschichtliche Perspektive, wie sie bei der Untersuchung von Massenorganisationen Prozessen eigentlich zwingend wäre, spielt bei ihnen keine Rolle. Stattdessen werden Hunderte von AnarchistInnen namentlich eingeführt und so das Muster individualistischer Geschichtsschreibungen reproduziert. Und schließlich ist das Buch auch noch eigenartig fragmentiert: Die Autoren springen so nervös zwischen Ländern und Kontexten hin und her, dass man über den Untersuchungsgegenstand am Ende letztlich so wenig weiß wie zuvor.
Mehr kritische Fragestellungen an den Anarchismus hätten dem Buch sicher gut getan. Denn auch wenn die Geschichte der libertären Bewegung zweifelsohne sympathischer verlief als jene des Staatssozialismus, der in vielen Ländern eine offene Terrorherrschaft etablierte, ist letztlich eben auch der Anarchismus als Strategie der Befreiung im 20. Jahrhundert gescheitert. Die Bewegung mündete fast überall in Bedeutungslosigkeit. Relevanz ist für ein Emanzipationsprojekt aber durchaus ein Kriterium: Wenn das gesellschaftskritische Denken des 19. Jahrhunderts (gegenüber der Aufklärung) eine Erkenntnis ermöglichte, dann doch die, dass Befreiung weniger mit guten Ideen als mit sozialen, kollektiven Prozessen zu tun hat.
Die (anarcho-) syndikalistische Praxis, für die die Autoren plädieren, besitzt für die Debatte heute tatsächlich große Bedeutung. Viele der vom Anarchosyndikalismus aufgeworfenen Fragen sind hochaktuell: Wie kann das Entstehen von Apparaten und Organisationsoligarchien verhindert werden? Wie lassen sich Veränderungen durchsetzen, ohne dass die Akteure dabei von den Institutionen assimiliert werden? Welche alternativen Formen der Politik in Bewegungen und Organisationen könnten das Neue vorwegnehmen? Doch genau diesen subversiven Kern stellen die Autoren still.
Lucien van der Walt / Michael Schmidt: „Schwarze Flamme. Revolutionäre Klassenpolitik im Anarchismus und Syndikalismus“, Edition Nautilus, 560 Seiten
Raul Zelik
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