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Foto nordische Landschaft

27. Februar 2011

Lockerbie, oder: Isländisch träumen für Fortgeschrittene

Manche Newsletter bekommt man gerne. Wie den von Music Export Iceland, einer der wenigen wirtschaftlichen Interessensvertretungen weltweit, die sich tatsächlich das Gute auf die Fahnen geschrieben haben und dazu noch von einer Frau geleitet werden, der sympathischen Anna Hildur Hildibrandsdóttir. Aber ach, ich schweife ab: Denn von den rührigen Music Export Iceland-Menschen kam die Empfehlung für Lockerbie, plus dem schönem Link zu Soundcloud. Der Feed von Music Export Iceland dort ist sowieso als Quell der Inspiration sehr zu empfehlen.

Lockerbie – Snjóljón by Iceland Music Export

Island, Postrock, Träumen in Cinemascope, aber immer sehr erdig, sehr lebendig: Das Reservoir scheint schier unerschöpflich. Sicher, Sigur Rós sind die Überväter, aber deren Großneffen zeigen schöne kreative Ansätze und lassen sich von den Vorbildern nicht übermäßig beeindrucken, wie das Beispiel von For A Minor Reflection zeigt, wo übrigens Kjartan, der kleine Bruder des Sigur-Rós-Bassisten Georg Holm, aktiv ist.

Und nun, voll zarter Leidenschaft: Lockerbie, ein sehr jugendliches Quartett, das nur auf den ersten Blick im Fahrwasser von For A Minor Reflection segelt. Das einigende Element zwischen beiden Bands ist das empfindsame Piano. Ansonsten bewegen sich diese Jungspunde sehr viel entschiedener Richtung euphorischer (Elfen)-Pop. Ohne die kathartischen Ausbrüche und das ausufernde Suchen des Postrock über Bord zu werfen. Temperamentvoll kommen sie daher, diese Youngster, und leichtfüßig dazu. Übertriebene Ernsthaftigkeit wohnt woanders. Romantische Hingabe ist aber hier zuhause! Das rückhaltlos Lebens-Bejahende von Sigur Rós, die großäuige Naivität, das ungebedingte Bekenntnis zu großen Gefühlen, puuuh! Lockerbie haben keine Scheu davor. Und man muss unwillkürlich lächeln dazu, sehr sogar.

Live haben sie jede Menge Bläser dabei, was das jugendliche Ungestüm verstärkt.

Wie schade, dass ich sie live verpasst habe letztes Jahr in Reykjavik! Ok, es ist zwar erst Februar, aber trotzdem: Lockerbie sind die erste Band auf dem Zettel der unbedingt zu sehenden Bands für das schönste Festival von allen, Iceland Airwaves im Oktober.

20. Februar 2011

By:Larm 2011: Your Headlights Are On, Casa Murilo, Burning God Little und Lars Wiik

Was man so alles verpasst, weil man diese Tage nicht in Oslo auf dem by:Larm-Festival ist, das heute abend zu Ende geht: Jede Menge entdeckenswerter Bands aus dem Gastgeberland des Spektakels, die man wohl auf absehbare Zeit in deutschen Konzertsälen nicht zu zu sehen und hören bekommt. Bleibt vorerst nur, sich auf der exzellent gemachten Hompage von by:Larm herumzutreiben und hier und dort reinzuhören und aufzuhorchen. Wie bei Your Headlights Are On aus Trondheim, einem Quintett, bei dem die Frauenquote in vorbildlicher Weise übererfüllt ist. Die Youngster pflegen den hysterischen, eigenwilligen, traumverloren-aggressiven und sehr unterkühlten Intellektuellen-Indienoisepop, der leicht retro klingt. Sperrige Querdenkerinnen von PJ Harvey über die frühe Nathalie Merchant bis zu Hazel O´Connor in Bestform stehen hier Patin und wachen ordentlich darüber, dass eine gebrochen-wütende Düsternis entsteht, die intelligent funkelt.

When We Collide by Your Headlights Are On

Britischer als die Briten geben sich Casa Murilo aus Oslo, die den infektuösen Indiepop auf so hingebungsvolle Weise pflegen, dass selbst die Housemartins neidisch werden könnten. Wer zu diesem ansteckend-animierten und leichtfüßigen, aber sehr energiegeladenen Gitarrenpiano-Spielkram nicht bis zum völligen Durchgeschwitzsein tanzt und lächelt, dem ist auf dieser Welt nicht mehr zu helfen. Das Debütalbum des Sextetts heißt LIFTING SHIPS und erscheint im März beim renommierten Spoon Train-Label.

Casa Murilo – Show Some Restraint from iD. on Vimeo.

Euphorisierenden, aber eigentümlichen Elektronik-Dancepop hat sich ein junger Mensch aus Oslo namens Martin Hartgen auf sein Banner geschrieben, das er mit stolzem Blick vor sich herträgt. Sein Projekt hat er auf den sperrigen Namen Burning God Little getauft. Hmm. Das klingt beim ersten Hineinhören sehr luftig und trotzdem ansteckend und unerwartet fröhlich. Der Mann aus Tromsø lebt jetzt in Oslo und will die Hauptstädter mit einer Mischung aus elektronischer Verspultheit und großäuiger Popverliebtheit zum Tanzen bringen. Man kann ihn durchaus im Auge behalten.

Wir brauchen mehr Verwirrung. Wir brauchen mehr aufbegehrenden, aber trotzdem tanzbaren, angstlustvollen Indierock, der sich nicht scheut, Altmeister Bob Dylan zu zitieren und kräftig auf die Klampfe zu hauen. Dann brauchen wir wir einen blassen, leidenschaftlichen jungen Barden namens Lars Wiik, der sich viele Male gehäutet hat. 1998 war er mit einem Metal-Album (!) für den renommierten norwegischen Spelemannspreis nominiert. Heute trägt er Mütze und Seemannsjacke und hat sich dem elaborierten, anspruchsvollen, leidenschaftlichen Indierock zugewandt und durchaus kritische Töne anschlägt. Da kann man nicht ganz kalt bleiben.

18. Februar 2011

By:Larm 2011: 120 Days, Babyjaws, Alexander von Mehren

Heute abend. Oslo. Die erste Nacht des by:Larm-Festivals, der größten skandinavischen Musikmesse mit jeder Menge Konzerten, mit einem bewussten Schwerpunkt auf norwegische Newcomer. Oder Zurückkommer und Wiederauftaucher. Obwohl das Polarblog leider nicht vor Ort ist, will ich die nächsten Tage trotz des mangelnden Live-Erlebnisses nutzen, einige der interessanteren Bands kurz vorzustellen.

Endlich wieder ein Lebenszeichen gibt es von einer persönlichen Lieblingsband, die jahrelang in der Versenkung verschwunden und in Nebenprojekten engagiert war oder bei Serena Maneesh mitmischte: 120 Days, die manisch-präzisen Kraut-Synthierocker, deren selbst betiteltes Debütalbum es zur CD des Monats bei Nordische Musik geschafft hatte. Ein neues Album ist in Arbeit, der erste Track klingt leichtfüßiger als das eher düstere Erstlingswerk, und warum nicht?

Dale Disco – 120 Days by Up Front Artists

Aber nun zu den Newcomern: Babyjaws sind die schwül-dekadenten, klirrend kalten Elektronikhedonisten mit der sehr blonden Trip-Hop-Heroine Viktoria Wingen an den Vocals. Das Trio kultiviert einen sinnlichen, sehr tanzbaren Mix aus wavigem Rock, Dubstep und Computerklangspielereien, der sehr viel Wert aufs Improvisieren legt und dabei das Kunststück fertigbringt, niemals zu glatt zu klingen. Wenn die Schneekönigin in Hans Christian Andersens Märchen cool wäre, würde sie Babyjaws als neue Hofband engagieren.

Gefühliger und temperamentvoller geht es zu bei Alexander von Mehren, einem der hoffnungsvollsten Newcomer aus der ohnehin schon hyperkreativen Bergen-Szene. Das Piano-Wizzkid strebt nach der großen Geste, unter heftiger Berücksichtigung von Postrock und Jazz. Klingt erdenschwer? Überhaupt nicht! Das 26-jährige Wunderkind holt unter Aufbietung aller orchestralen Mittel (wie viele Menschen sind im Video auf der Bühne? Hmmm, schwierige Frage!) zur großen Geste aus und will in jungen Jahren klingen wie ein Klassiker. Warum nicht? Er sollte die eigene Ansprüche nicht hoch genug setzen.

13. Februar 2011

Havarí, bitte bald wiederkommen!

Schlechte Nachrichten kommen dieser Tage aus Reykjavik: Das Havarí, die sympathische Anlaufstation für Musik- und Kunstfans mitten im Zentrum, hat bereits seit Ende Januar geschlossen. Das stets improvisiert wirkende Ladenlokal weicht einem neuen Hotel. Obwohl erst im September 2009 eröffnet, hat sich das Havarí besonders zu Zeiten des Iceland Airwaves Festival zu einem der inoffiziellen Haupttreffpunkte für Einheimische und Besucher entwickelt. Im vergangenen Jahr wurden hier schon am Vormittag Frühstückskonzerte veranstaltet. Einen guten (und bezahlbaren!) Kaffee gab es immer, einen netten Schwatz mit irgendwem meistens, und zwischendurch konnte man sich durch das sehr wohlsortierte Plattensortiment kramen, seine T-Shirt-Sammlung erweitern, die abgedrehte Ausstellung im hinteren Bereich begucken oder sich im Untergeschoss von experimentellen Videos unterhalten lassen.
Alles sehr lässig, sehr hemdsärmelig und sehr kreativ. Ursprünglich wurde das Havarí von der Online-Musiknetzwerk Gogoyoko und den Plattenlabels Kimi Records und Borgin gegründet. Anfang 2010 stiegen Gogoyoko und Borgin aus, und die Musiker Berglind Häsler, Svavar Pétur Eysteinsson und Baldvin Esra sprangen ein, die unter anderem in der Band Prinspólo spielen.

Ein bisschen Wehmut muss sein. Unvergessen die wunderbaren Airwaves-Konzerte in den vergangenen zwei Jahren, von den norwegischen Elektrospielkindern Casiokids bis zu Amiina (Foto) und den finsteren S.H. Draumur. Etwas zu entdecken gab es im Havarí immer.

Doch der Auszug aus der Austurstræti muss nicht das Ende bedeuten, lassen die Macher des Ladens tapfer wissen. Sie sind bereits auf der Suche nach einer neuen Location, und es sei ihnen damit viel Glück gewünscht. Dass sie bitte, bitte, spätestens bis zum Airwaves 2011 wieder zurück sind. Der Abschied wurde natürlich mit einem Konzert gefeiert, mit Prinspólo, keine Frage, und den bereits arrivierten Lokalheroen FM Belfast.

Prinspóló á lokatónleikum Havarí // Prinspóló performing at Havarí’s Apocalypse from havari on Vimeo.

06. Februar 2011

The Sonnets, oder: Die Rückkehr der weißen Jeans

Irgendwo sitzen Simon LeBon, Rick Astley und die Kemp-Brüder auf ihren Landgütern in Südengland und lachen leise vor sich hin. Dass der typische britische 80er-Synthiepop 30 Jahre später bei ihren Fast-Enkeln als ultimativ hip gilt, dürfte die mittelalten Herren von Duran Duran und Spandau Ballet erfreuen. Nun, das 80er-Revival ist seit geraumer Zeit in Gange. Aber dass die Schweden The Sonnets unlängst bei ihrem Konzert in Frankfurt zum Teil in weißen Jeans daherkommen, das macht die Polarbloggerin doch sprachlos vor Entsetzen. Weiße Jeans wurden hierzulande seit schätzungsweise 1988 nicht mehr gesichtet. Mit einigem Recht.

Zur weißen Jeans gehört zwingend das bis auf den obersten Knopf geschlossene Hemd. Und die elaborierte Popper-Frisur. Beide Klischees erfüllt Sänger Per Magnusson aufs Schönste. Paul Weller zu seinen besten Style-Council-Zeiten könnte fast neidisch werden. Magnusson muss kurz vor der Tour bei seinem Coiffeur gewesen sein, denn seine dunklen Strähnen fallen selbst nach dem wildesten Wirbeln akkurat in ihre Position zurück. Respekt, Meister!

Im Synthiepop wurde der Hedonismus lustvoll auf die Spitze getrieben. Man echauffiert sich vielleicht mal kurz über die schlechte Qualität des Champagners, aber danach geht man segeln, spielt Tennis und überzieht gewissensbisselos sein Konto beim Kauf eines italienischen Designerjackets. Irgendwie scheint speziell im britischen Synthiepop immer die Sonne und es ist Wochenende. Leichte Seelenschmerzen entstehen hier nur durch eventuell zickende junge Frauen, die man gerne im Cabrio abschleppen würde. Politik, Probleme, Peinlichkeiten? Gibts in unserer Welt nicht. Ich schwelge und schwärme, also bin ich.

Natürlich ist das Konzert der vier Schweden im heimeligen Dreikönigskeller in Sachsenhausen ein ziemlich großer Spaß: Weil die Sonnets mit viel Verve den Stil, die Schönheit und die Leichtigkeit feiern. Mit gehörigem Synthieeinsatz und ironiefreiem Spaß am Sonntagsleben. Alles ist bestens und Hauptsache, wir haben Spaß. Ist doch nicht verboten, oder? Thematisch geht es hier um leicht vermasselte Hollywood-Film-Enden und Jungs, die Sebastian heißen. Dass dieser Name vor 30 Jahren angesagt war, ist übrigens heute bestens bei deutschen Fußballnationalspielern nachzuvollziehen.

Im Publikum eine sehr lebendige und lustige Mischung aus hip-jung und hip-älter, die so angetan mitwippen, dass man sich auf dem 80ies-Wochendende im Formatradio wähnen mag. Alles gut, oder? Und ab und zu muss man doch laut lachen, weil sich die Kopie dem Original so verdammt gut annähert und die jungen Schweden es sehr ernst meinen mit dem Wiederaufleben-Lassen des Pastellfarben-Jahrzehnts. Wir klatschen in die Hände, setzen die Hüften leicht in Bewegung und schwitzen, aber nur ein bisschen. Die Frisur könnte ja verrutschen.

TheSONNETS_Sebastian_Said from henric claesson on Vimeo.

(Foto: Emma Svensson)