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Foto nordische Landschaft

27. April 2008

Das Grundrecht auf gute Musik

Frankfurt, die vielgeschmähte, angeblich gesichtslose Bankenstadt, hat ihre Nischen zwischen Hoch- und Subkultur, in denen es sich gut leben lässt. Dazu gehören die Römerberggespräche, eine »Institution der Debattenkultur« laut Eigendefinition. Hier ist jetzt die selbst ernannte digitale Boheme aus dem fernen, schlendrianigen Berlin auf das korrekte Frankfurter Bildungsbürgertum getroffen, um über die Zukunft des Internet und die Effeke sozialer Netzwerke zu diskutieren.

Was hat das Ganze mit Musik zu tun? Sehr viel! Weil es auch um die Zukunft der Musikindustrie in Zeiten der ungehemmten kostenlosen Downloads ging.  Zu diesem Thema hatten die Veranstalter in einer weisen Entscheidung den erfreulich uneitlen und leidenschaftlich argumentierenden deutschen Popmusiker und Labelbetreiber Dirk Darmstaedter eingeladen, der über »Pop als Pluriversum« referieren sollte, was er gottseidank nur zwei Minuten lang tat. Sondern ein engagiertes Plädoyer für das Grundrecht auf gute Musik jenseits der Formatradios und der begrenzten CD-Regalflächen im Wall Mart hielt

Denn die Musikindustrie, wie wir sie kennen, sie windet sich in Todeszuckungen auf dem Boden. Niemand wird den Niedergang der CD als Medium mehr mehr stoppen können. Aber die Krise bietet Chancen. Chancen auf einen kreativen Neuanfang. Die Produktionsmittel der Musiker haben sich in dem Maß verbilligt, wie die Umsätze der Labelriesen geschrumpft sind. Eine Platte kann heute jeder an seinem Mac selbst aufnehmen. Dafür sind keine Studios mit einem Riesenstab an Personal mehr nötig, sagt Darmstaedter.

Dass mit Musik aber immer weniger Geld verdient wird und viele Musiker am Existenzminimum leben, hat erstaunlicherweise auch wenige positive Aspekte. Der »Pappnasenanteil« im Business schwindet. Übrig bleiben die, denen Musik wirklich am Herzen liegt – was die kreative Explosion nicht nur der deutschen Popszene in den letzten Jahren erklärt. Viele, viele musikalische Parallelwelten entstehen – eine entschiedene Abkehr von der Massenkultur ist im Gang. »Die Nische wächst«, meint der Labelbetreiber.

Musik lieben und für Musik zahlen – zwischen diesen beiden Ufern des Flusses gibt es immer noch keine zuverlässige Brücke. Digitale Downloads sind für Darmstaedters Tapete-Label eine »absolute Chance«. Modelle wie emusic, die auf dem Abo-Gedanken basieren, sind eine denkbare Alternative für die nicht allzufernen Zeiten, in denen die WOMs dieser Welt nach langem Siechtum endlich eines friedlichen Todes gestorben sind.

 Vielleicht müssen die Gedanken aber kühn und verträumt ins Weite schweifen, damit die Musik auf Dauer überlebensfähig bleibt. »Wie wäre es, wenn Musik wie Wasser fließen würde?«, fragt Darmstaedter provozierend. Dafür würden wir doch gerne fünf Euro im Monat zahlen. Oder sogar mehr. Gute Musik als Grundrecht. Zu der wir jederzeit Zugang haben. Für die wir so selbstverständlich zahlen wie für Strom, Gas oder Wasser. Die Idee ist nicht so weit vom viel diskutierten Grundeinkommen-Gedanken entfernt. Darüber nachzudenken lohnt sich.

16. April 2008

Helsinki In Berlin

HIB_t

Die Finnen kommen – zumindest nach Berlin: Im April »küsst Helsinki Berlin« (www.helsinkissberlin.de) mit Ausstellungen, Filmen und natürlich MUSIK.
Bands von A wie Aavikko bis V wie The Valkyrians stehen auf den Bühnen der Berliner Clubs.

So müsste für jeden Geschmack etwas dabei sein.
Und das Beste: Fast alle Künstler sind bei uns rezensiert. Freut euch auf:

Veranstalter: Trinitylovex

  Do 24.04.08 21:00, ColumbiaClub
Lovex
Poets Of The Fall
Manboy

Fr 25.04.08 21:00, 103Club
– Op:l Bastards
Aavikko
– Pepe Deluxe
 
Fullsteam Night
Fr 25.04.08 19:00, ColumbiaClubdisco ensemble
Disco Ensemble
Lapko
I Walk The Line
Damn Seagulls
Downstairs

Sa 26.04.08 20:00, Magnet
22 Pistepirkko
Judge Bone
Anssi8000
– Hot Cake

So 27.04.08 21:00, Knaackdiablo
Metal Night
Diablo
Stam1na
– Discard

Mo 28.04.08 20:00, ColumbiaClub
Negative
Flinch

Di 29.04.08 22:00, Quasimodo
M.A. Numminen
– Sväng
– Marko Haavisto & Poutahaukat

Alle Daten:

Sa 19.4. Pets On Prozac, Obi Blanche, Top Billin' dj's, Les Gillettes dj's (Villa)
Sa 19.4. The Valkyrians (Kato)
Sa 19.4. Jimi Tenor , RinneRadio (Kesselhaus)
So 20.4. Tes La Rok, Dead-o, Rrimöyk, Teeth (103)
Mi 23.4. Hidria Spacefolk, Jaakko Eino Kalevi, Vilunki 3000 (West Germany)
Do 24.4. Fonal: Kemialliset Ystävät, Es (West Germany)
Do 24.4. Lovex, Poets of the Fall (Columbia Club)
Fr 25.4. Night on Earth: Op:l Bastards, Pepe Deluxé, Aavikko (103)
Fr 25.4. Disco Ensemble, Lapko, I Walk The Line (Columbia Club)
Sa 26.4. Eläkeläiset (Lido)
Sa 26.4. Luomo, dj Jori Hulkkonen, dj Sasse (Weekend)
Sa 26.4. 22-Pistepirkko, Judge Bone, Anssi8000 (Magnet)
So 27.4. Diablo, Stam1na, Discard (Knaack)
Mo 28.4. Negative, Dead by Gun, Flinch (Columbia Club)
Mo 28.4. Stripped to the Bone – exhibition/concert/party/art by Asko Keränen, video projections by Oliver Whitehead, Anssi8000 Live (West Germany)
Di 29.4. M.A. Numminen, Sväng, Marko Haavisto & Poutahaukat (Quasimodo)
Di 29.4. Tuomo , Stance Brothers (Bohannon)

13. April 2008

Battle Metal: Norther & Turisas im Karlsruher Substage

turisas

Vor gerade mal drei Monaten, am 9. Dezember 2007 , stand Petri Lindroos zuletzt auf der Bühne des Karlsruher Substages – allerdings als Ensiferum -Fronter. Heute, am 19. März kehrt er mit seiner Zweit-Combo Norther zurück, um den Weg für seine Landsmänner Turisas zu bereiten. Kurz nach 21 Uhr eröffnen die Death Metaller den Gig mit »My Antichrist«, dem Opener ihrer aktuellen Scheibe »N«.

norther…nicht unbedingt der bestmögliche Einstand, haben sie doch auf ihrem Century-Debüt das Tempo merklich gedrosselt. Das Publikum tut sich schwer mit den neuen Songs, gibt sich zurückhaltend – und Petri gewohnt wortkarg.

Gegen Mitte des Sets taut schließlich doch der eine oder andere auf, möglicherweise dank der »MIRROR OF MADNESS«-Stücke wie »Blackhearted« oder »Unleash Hell«.

Die ersten Arme fahren in die Höhe, die ersten Köpfe fangen an zu schwingen. Zu »Death Unlimited« vom gleichnamigen Album sowie »Black Gold« und »Self-Righteous Fuck« –  beides ordentliche Arschtreter von »N« – mosht sich die Meute ordentlich warm. Zu spät. Eine gute Dreiviertelstunde ist um. Das war’s.

norther

Umbaupause für Turisas. Bierpause für die Fans. Vereinzelt sind Turisas-Jünger mit rot-schwarzer Kriegsbemalung auszumachen.
Und es dauert… Die ersten werden ungeduldig, schreien »Turisas«, »Battle Metal«-Chöre werden laut.

Kurz nach 22 Uhr ist es soweit: Unisono recken die Fans ihre Fäuste in die Luft, als die ersten Takte von »The Dniepre Rapids« (»VARANGIAN WAY«) erklingen, und Turisas (benannt nach dem finnischen Kriegsgott) im besten Make-Up die Bühne erklimmen.

turisasNach dem Stück nimmt sich Matthias »Warlord« Nygård erstmal Zeit, seine Zuhörerschaft zu begrüßen – und wer weiß, möglicherweise hat sogar einer der Anwesenden die Finnen damals im Vorprogramm der Apokalyptischen Reiter gesehen.
Möglicherweise hat auch jemand den eigentlichen Akkordeonspieler Lisko gesehen …der nach der Februar-Show in Groningen nie wieder gesehen wurde – zumindest von keinem Bandmitglied.
An seiner Statt ist heute die 17jährige Netta Skog mit von der Partie, die dem (männlichen) Publikum nicht minder einheizt als Lisko.

Auf den Live-Kracher »Holmgard And Beyond« folgt »Portage To Unknown« beide ebenfalls vom aktuellen Album. Die Menge singt, schunkelt, pogt, beim Trinklied »One More« greifen Zuschauer wie Band zum Bier, während beider Schminke langsam aber sicher der Hitze Tribut zollt und erste Schweißströme sich ihre Spuren bahnen.

Immer wieder quatscht der Fronter mit dem Publikum, nach dem Stück »Messenger« vom Debüt »BATTLE METAL« hält er die Zeit reif für »something more epic«: Zum Abschluss des regulären Sets spielt das Sextett »Miklagard Overture«, ein extralanges Stück, das alle Turisas-Merkmale bündelt – und das Nygård nutzt, um alle Bandmitglieder vorzustellen.

turisasDie Band hat die Bühne noch nicht mal ganz verlassen, als aus diversen Kehlen ein Gewirr aus »Battle Metal«, »Rasputin« und »Turisas«-Rufen erschallt.

Wer »Rasputin« fordert, bekommt es auch: Turisas geben den Boney M.-Hit in ihrer eigenen Balalaika-Metal-Interpratation zum Besten. Nach »Sahti-Waari« stimmen sie das endgültige letzte, von den Fans heiß ersehnte Lied »Battle Metal« an.

Verdammt heiß dürfte es übrigens auch »Warlord« und seiner Mannschaft in ihren Fellen geworden sein, welche diese nun endlich backstage ablegen dürfen – sofern sie es noch können.

Und während die Fans, welche nach und nach das Substage verlassen, in Gedanken vermutlich schon beim verlängerten Osterwochenende sind …machen sich die Krieger auf die nächste Station ihrer Tour zu erobern.

06. April 2008

Anorexisch, androgyn, arrogant, aber gut: Death By Kite

Kleine Vorbemerkung zum Konzert der drei Dänen Death By Kite im Frankfurter Club das bett : Bloggen wird belohnt! Hat mir der Betreiber des einzig erträglichen Etablissements in Frankfurts Äbbelwoi-Kulissenstadtteil Sachsenhausen doch an diesem Abend wohlwollend ein Weizenbier ausgegeben. Und warum? Seinen Veranstaltungsort mehrfach im Polarblog erwähnt. So wird man plötzlich zur Expertin. Als ein jungspundiger Nachwuchskonzertgänger am Tresen fragt, welche Art Musik die Dänen denn so machen, sagt der Wirt wichtig: »Frag diese Frau, die kennt sich aus«! Kleiner Lachanfall bei der gemeinten Person. :)

 Death By Kite  lassen sich an diesem Abend Zeit, um auf die Bühne zu kommen. Vom Band laufen »Silver Machine« von Hawkwind und »Radar Love« von Golden Earring. Lange nicht gehört. Die Dänen touren bereits zum zweiten Mal innerhalb eines halben Jahres durch die Kleinclubs, um ihr selbstbetiteltes Debütalbum zu bewerben.  Nur den Schlagzeuger haben sie inzwischen gegen ein magersüchiges Kind ausgetauscht. Passt bestens in das optische Gesamtbild der Band: Blond, blass, anorexisch und androgyn. Mit viel Kajal um die Augen dem lebensüberdrüssigen blasierten Schhick gehuldigt. 

Und nun genug der Widerworte zum äußeren Erscheinungsbild des Trios. Es wird heftig. Es wird intensiv. Das unbeding notwendige Grundgerüst des Powerpop und sonst nichts: Gitarre, Bass, Schlagzeug. Es geht deutlich zurück in die frühen Tage des New Wave. Daseinsverdrossenheit und und stilverliebte Wut. Wir sind die Jugend, wir haben recht. Das ist selbstverständlich arrogant, aber es ist gut. Die Stücke wie »Himmelfahrtskommando« und »Bhf Asta« punkten mit Dringlichkeit und ausgefeiltem Songwriting. Sind cool. Sind unbedingt tanzbar. Dass die Placebo-Bezüge offenkundig sind und Sänger Bjørn Alexander Gøtzsche Lange dem Dunkeldandy Brian Molko genau zugehört hat, ist geschenkt. Dieses Mädel am Bass und diese zwei Jungs können spielen. Auch wenn sie sich gern in Posen gefallen. Geschenkt.

 Beschäftigt hat uns an diesem Abend noch, wie es der Sänger überhaupt in diese superengen Röhrenjeans geschafft hat. Allein das Zuschauen tut weh. Aua! Um die Unterleibsgesundheit junger Dänen müssen wir uns ernste Sorgen machen. Um das musikalische Aufbruchpotenzial dagegen nicht.

 

01. April 2008

Finalfieber: Dänemark, dein Superstar

 Wie ein sehr erfolgreiches Franchise-Produkt hat sich das Castingfieber seinen Weg durch die Welt gebahnt. Nicht nur in Afghanistan und Deutschland ist derzeit die aufgeblähte Unterhaltungsmaschinerie ächzend unterwegs, auch im ansonst betulichen Dänemark war bis zum Wochenende die Hölle los. Fast 45% aller dänischen Haushalte verfolgte bibbernd und sympathisierend den Weg ihres Favoriten in das Finale.  Das erstmalig so starke Bündnis bestehend aus Öffentlich rechtlichem Fernsehen und dem Boulevardblattkonglomerat beschien der Sendung „X-Factor“ nie da gewesene Quoten und sorgte für den Musikhype der dänischen Historie. Niemand, der sich dieser medialen Allgegenwart für ein paar Wochen entziehen konnte. Selbst die Kurzauftritte der Finalisten sorgte für Verkehrsstau in der Kopenhagener Innenstadt, als vor dem Rathaus 60.000 meist weibliche Fans jubelnd Einzug hielten. Man darf getrost Superlative in Erwägung ziehen, um diesen Wahn zu charakterisieren.

Am Freitag fiel die Entscheidung zwischen dem 15-jährigen Martin („Little Jackson“) mit der sehr speziell knödeligen Stimme und der nicht viel älteren Laura,  die in Dänemark weniger liebevoll als „Schwester von Shrek“ tituliert wird. Anders als in der mit Werbung und Anruf-Aufrufen vollgestopften Sendung „Deutschland sucht den Superstar“ wird bei „X-Factor“ vor allem wirklich eins: Gesungen. Ganze vier Titel durfte jeder der Kandidaten zum Besten geben – und das in einer Show, die zwar in ihrer Gesamtkonzeption ebenso fraglich ist wie alle Casting-Sendungen, aber erfrischend stringent und skelettiert daherkam. Ohne Werbung, nur durch halbstündige (!) Nachrichtenpausen unterbrochen und dadurch kurzweilig genug, um die halbe Nation zu fesseln.

Wie wohl überall erwiesen sich letztlich die weiblichen und jungen SMS-Votingteilnehmer am aktivsten. Martin gewann überlegen das Finale und darf sich mit seiner Debütsingle wohl ab nächster Woche ganz oben in den dänischen Charts bequem machen. Aber nicht dieser Auftritt gehörte zum Höhepunkt der Sendung, nein, vielmehr die All Stars-Variante der im ersten Casting ohne die erbärmliche Bohlen’sche Rhetorik Aussortierten sorgte für Standing Ovations. Kein Wunder, wenn die arthritische Oma mit dem vollkommen „akzentfrei“ singenden Opa eine Extrarunde drehen darf. Diese 15 Minuten Ruhm und Sternstunde der Selbstironie sollte man sich nicht entgehen lassen, der Rest ist wie ehedem vergessenswert.